"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Freitag, 25. Juli 2014

Splitter


Er sagte: „Gebrochene Herzen nimmt man für Fensterglas. Und Fenster, wie Du siehst, gibt es überall.“

Ich: „Und was macht man mit all den Splittern?“

Zwei Stunden vorher ordnete ich alle meine Habseligkeiten. Faltete sie sorgsam auf das Bett und prüfte nach, ob alles vorhanden war. Koffer, Krimskrams und Klamotten. Daran dufteten noch die Ansichtssachen, die sich aus den Mündern wagten, und deshalb dufteten, weil sie das Augenblickliche verströmten, was sich in zweierlei Momenten auf die Dinge legte, sei es der Geruch von Bar, Parfum und Puder, als wir uns das erste Mal begegneten, die Sterilität von U-Bahn, Reinigungsmittel, gewischt mit ersten tiefen Blicken, von Kino, Popcorn, Cola und Handabdrücken auf dem Oberschenkel, von Badesee, Sonnenmilch und endlosen Küssen, von Bettwäsche dieses Bettes, Blümchenmuster und Kokettes, von den Anfängen bis nun zum Ende.

Er: „Man kehrt sie auf und schmilzt sie ein zu Pfandglasflaschen.“

Ich: „Und wenn man all die Splitter zusammenkehrt und sie zu einem Haufen macht, wie groß wär‘ dann unser?“

Eine Stunde vorher ordnete ich alle meine Anhaftungen. Die Striche durch das Haar, wenn es zuvor noch geordnet war, die Klapse auf den Po, wenn ich aus der Dusche kam, die Umarmungen von hinten, als ich untröstlich von vorne war, die nasse Kälte von Schnee auf der Haut, als es unerläßlich war, Schneebälle durch den Winter zu werfen, der geatmete Hauch auf meinen geschlossenen Lidern, wenn alles, alles, alles andere unwichtig war.

Er: „Nicht höher als der von anderen. Damit man Blick auf die neuen Fenster hat.“

Ich: „Und wer zieht in diese Wohnungen ein mit all ihren neuen Fenstern, und herausschaut, wenn man die Splitter dann im Auge hat?“

Zwanzig Sekunden vorher ordnete ich all meine Erfahrungen. Die Schreie aus der Küche, wenn es Leises nicht mehr zu flüstern gab, das Knallen all der Türen, wenn Klinken nicht den Drang verströmten, sich angenehm zu schließen, die Tränen auf dem Klo, wenn Wasser aus dem Hahn allein nicht das Gesicht von all den Gemeinheiten abwusch, die Stille nach dem allen, wenn es nichts mehr zu kämpfen gab.

Schloß das Fenster des Schlafzimmers, zog die Vorhänge zu, nicht mit einem Ratschen, ganz leise, nahm den Koffer, er rollte hinter mir her, schloß die Eingangstür, schloß ab, stieg in den Bus, der mich zur städtischen Mülldeponie bringen sollte, zog den Koffer zur nächsten, großen, öffnete ihn ganz kurz, darin all meine Splitter – und schleuderte den Koffer hoch auf die Halde.

All das Funkeln fing sich in dem Sonnenglitzer, das Blau vom Himmel kurz dahinter, Knisterklirren, zu den anderen Splittern.


Ich: „War doch nur blödes Glas.“







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