"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 27. September 2014

RAL 6000




Vorbemerkung

Man kann dem Menschen alles nehmen.
Sein Habe, seine Hoffnung, seine Heimat, sein Heim. Kriege böten sich da an.
Selbst wenn er nichts mehr besitzt, selbst das eigene Leben nicht mehr, also tot ist, so besitzt er doch immer noch eine Sache: Farbe.
Ich habe nie verstanden, warum es Photographen gibt, die in schwarz-weiß photographieren. Dadurch nehmen sie dem Menschen noch das letzte, was ihm immer bleibt. Selbst wenn er nichts mehr besitzt, alles verloren hat, tot vielleicht sogar ist. So als wollte man für immer auslöschen, was einen Menschen ausmacht.

RAL 6000

Irgendwie geben mir Bilder, die nur aus zwei Farben bestehen – schwarz und weiß –, das ungute Gefühl der Vergänglichkeit.
Ich betrachte sie.
Und wenn ich sie betrachtet habe, dann habe ich ein Gefühl im Magen – und einen riesengroßen Hunger auf heißquietschbunte Beize.

Wäre ich eine Farbe und wäre mir bewußt, diese bis ans Ende meines Lebens für alle sichtbar außen als Haut zu tragen, dann wäre ich glänzend unsichtbar.
Ist Zauberfarbe, die mit jedem neuen Wischen an Händen abfärbt, an all denen da, die nach mir greifen. Als wäre ich unsichtbar, nur da, zum Begreifen da, weil ich Angst erzeuge, ich könnte schon den Raum verlassen haben. Und greifen um sich. Wild. Um sich zu vergewissern, daß ich noch da bin. Und greifen nach allem, was ich habe.

Ob ich will, ob nicht.

Stille meinen Hunger. Stillen ihren an mir. Und frage mich oft selber, welche Farbe sich im Magen ergibt, mischte man das Unsichtbar mit dem bunten Wirrwarr zusammen, das eine ganze Palette ergibt.
Wäre ich so zumindest nicht unsichtbar und hätte keine Angst vor all diesen Pinselfingern, die nach mir langen und ihren damit betunken, damit sie selber malen können, solange der Vorrat reicht, und nicht merken, daß sie mich in Fetzen reißen, weil sie immer gierig nach zuviel verlangen.

Wäre ich eine Farbe und könnte ich mir eine wählen, ohne sie zu sehen, dann wäre ich RAL 6000 – Patinagrün.

Wie komisch. Ist das doch die Signalfarbe für Rettung. Und für Gefahrlosigkeit.
Mische heimlich RAL 2003 hinzu, nur ein schneller Schluck Pastellorange. Man kann nie wissen. Das ist die Kennfarbe für den Durchfluß von Säuren.

Fragt sich – ob ich will, ob ich nicht –, wer die Rettung ist, wer die Gefahrlosigkeit, wer die Säure ist – und wer es nicht.

Welches RAL wohl farblos ist.




*



Freitag, 19. September 2014

Schnappverschlüsse – schnapp–schnapp: Pupillen


„Nur ein Satz. Laß mich nur einen Satz sagen.“

Die Drücker noch zu finden, davorstehend, an beiden Oberarmen…

Epauletten, so buschig, daß sie einem Walross gut zu Gesicht ständen, kämmten sich gegen den Strich gebürstet auf, als Wimpern oder Zwinkern, oder Wägen, und Herr Goldschmit erwartete mich wie einen Sortierungsvorgang dort – schon –, was ich umso mehr schätze, da ich Lob erhoffte für meine Wahl, die ich vor mein Sakko in Motion hielt, höher ein wenig, um mich nicht aufzudrängen, ein wenig tiefer, um mir keine Blöße zu geben, dann doch lieber in einer Haltung nur: am Hosenbein hängend, meine Linke suchte ihre kosend in der Bundtasche, dann schon etwas dahinter, dann hielt ich meinen Fund doch vor, im Vau der Unschlüssigkeit beider Arme, meinen Schoß schützend, während er gekonnt Handberge neuer Waren durch Regalfächer jonglierte, was nicht einfacher war, aber wieder mal blickte, da sich noch Regenmäntel durch die begrenzte Auslage aalten – quietschend, da sich deren Gummiüberzug des Stoffes über die blanken Metallstreben an beiden Seiten küßten –, auch der mit der Streichholzschachtel zwischen den Zähnen – hatte inzwischen von irgendwo her Feuer gefunden –, und ein zweiter, der nicht weiter vorkam – aber die Enge nutzte und sich in den Winkel zwischen Regalende und Wand verkriechen wollte –, ließ schüchtern fallen, was er in unbeobachteten Momenten für sich auswählte, nur für sich selbst – einen Einkaufszettel als Spickzettel zwischen Lebenslinie und Daumenbeuge buntgestiftet, als Auftrag zu erfüllen, als schlechteres der Gewissen, weil fremdgestiftet, darunter die Furchen dagegen, worauf man malte als Ausflug zu den Wiesen im Innern des Ertastens, die man lieber ungemäht läßt, so man bequemer liegen wollte zwischen all den Kritzeleien, den Abschweifungspusteblumen, den Krakelkadavern und den Schwalbenmustern, die man noch hinzufügte, besser als zwischen irgendwelchen Luftballons oder Blätterflügeln, vor denen jeder Sommer, und sei er nur gemalt, flüchten mußte –, da er sich ertappt sah, obschon er doch nur Attrappe war, wie man ihm verordnete, sich trotzdem noch mal schnell in die Handfläche schickte – vielleicht, um eine eigene Regung zu spüren, wer weiß das schon? –, und wartete darauf, daß man sein Ungeschick aufhob, wohl – wer weiß das schon? –, weil er sich bedienen lassen wollte, aber nur gerechte Unbeachtung liegen ließ, über die man zuweilen stolperte, da sich die Enge in Portionen teilte, oder stieg – einfach so.

 „Das waren schon zwei.“

Nach den Schlüsseln zu angeln, da sich nichts bewegte.

Ich entschied mich, diesen Gang nun doch zu meiden. Wollte nicht unhöflich erscheinen, und Herrn Goldschmit bei seiner Arbeit stören. Drei Augenköder – die Stehgarderobe, der Gang zwischen Tresen, und Frau Ming in ihrer Mustergültigkeit. Entschied mich, den letzten Gang zu meiden, an der Garderobe würde ich beim Hinausgleiten noch vorbei kommen, und legte das Buch zum Zahlen auf den Tresen. Sie tippte ihren Wert in die Tasten der Kasse mit spitzen Fingern, deren Nägel so rot waren, weil sie sich die Farbe vom                stahlen.

Bujumbura, 28°, 4°. Out of Africa. Zwischen Lake Victoria und dem Faden Tanganyika.

Das Innenmuster der Garderobe öffnete sich wie Schnappverschlüsse eines Koffers auf Reisen und legte sich wie ein Blatt Papier als Karte auf meine Faust. Und indem ich sie herauszog, meine Faust, glättete ich gleich meine Befangenheit an den Fugen des Schaufensters in der Starre. Zwischen Restaurants, Galerien und Boutiquen. Wäscheleinenampeln. Augenblicksgerempel. Eine Farbpfütze erinnerte an den frischen Auftrag. Ich ging in Hocke, stippte meinen Finger hinein, dann schrieb ich auf die Versprechen hinter Glas, hinter Stein:

‚Hallo‘ ist das Pfandleihhaus des ‚Auf Wiedersehen‘.

Wolken... Wolken. Köpfe in den Wolken. Bewegte Stämme, nicht minder die Blätterpracht.
Wolken... Wolken. Ein Wald in Regung.
Bujumbura, 28°, 4°. Out of Africa. Zwischen Lake Victoria und dem Faden Tanganyika.
Tränen... Tränen. Regenwald. Tränengas verflüssigt sich gerade...






*



Donnerstag, 18. September 2014

What to do in a regular Pawn Shop


Noch einen Schritt weiter…

…blätterte ich in einem Buch, abgegriffen nur an den Ecken, was ich nicht deutete.

Der Titel “What to do in a regular Pawn Shop, what to take, what to not, and what really shakes”, 6 Bucks.

Ich besah den Einband, Seiten brachten Wind gegen meinen Atem, mein Atem gewann, und dann beurteilten jede Züge das Buch nach der Titelseite, was mir nicht gelang, doch die Abfolge beschleunigte, oder verlangsamte, als ich gelegentlich einatmete. Ziemlich teuer. So blies ich gegen Frau Ming wunderschön hinter ihrem Ladentresen an. Was mir auch nicht gelang, aber Leben in das Handbuch hauchte – leblos fielen zwei Seiten stumm. Dort – hinter den Regalen, neben mir – stand:


“Twice, hers to stir

I take the coat...
And... the warmth...
And... the glance...
I take the coat,
The warmth, the glance
And on the...

I take

For the One
Once I took:
A world on shoulders
To small on chance,
A word on coulds
To taste the mints
in Fall of woods.
I took on woulds.

Would I take

I take
The warmth,
The glance,
My shoulders,
Back
And on the...

I would

For the One
Twice I took:
A case
To suit
From fit to fault,
A maze,
A maze
In Iris pattern
Twice, hers to stir,
Stolid mine.

I take, I took, could I make on shoulds...”


„Sankt Martins Kälte.“

Ungefragt pustete sich ein Regenmantel zwischen Frau Ming und mir, und mir, und mir und dem Buch. Er nickte mir zwischen den Regalzeilen zu, Finger am Hut, Lesereisenaugenrücke am Revers, als wollte er sich vorstellen, oder entschuldigen, oder mich um das Handbuch bitten:

“What to do in a regular Pawn Shop, what to take, what to not, and what really shakes”, 8 Bucks.

Er lächelte wissend, zeigte Streichholzzähne, die noch auf ein Zünden warteten, doch ließ mich nicht wissend zurück, als er sich auf die der Suche nach einem Feuerzeug machte, schnalzte sich aber übend, mit gleichen Fingern, die sich eben noch vorstellten, entschuldigten oder baten, in die Regalwaren zurück, aus denen er sich entlieh – wenn ich es recht betrachte –, gab so endlich den Blick frei, auf mich, auf Frau Ming, auf mich und Frau Ming, auf den Tresen.
Wäre der nicht leer gewesen. Und Herr Goldschmit?

Klappte das Handbuch zu, mit einem klabb!, und entschied, während ich mich noch fragte, ob ich daraus – kommend – etwas gelernt habe, einen Schritt weiter zu gehen.

Noch einen Schritt weiter...

...stand ich in der nächsten Reihe. Und das Buch befand sich still in meiner Hand.






*





Mittwoch, 17. September 2014

Reißverschlüsse bedienen sich nicht selbst


Als ich nach dem Dollar griff – für mich war es schon einer – besah ein anderer auf selben Fuß den Wert seiner Betrachtung, er trat aus den Regalreihen, und, als ich wieder danach griff, bückte er sich, vielleicht allein, weil der Dime durch mein Greifen schon glänzte, während ich widerstand, während Frau Ming so verschwand, durch mein Verlieren eher, nein, eher durch mein Spielen glitt er mir durch die Finger, und nahm ihn beanspruchend für sich ein, was er durch plumpes Sohlendraufsetzen andeutete.

Als ich nach dem Dollar griff – für ihn war es sicher keiner – drückte er den ganzen Schuh nach. Was mich dazu bewegte, ihm 90 Prozent meiner Bemühungen in Rechnung zu stellen. Ich wollte ihn am Ausgang daran erinnern, entschloß mich aber, zuvor ihm den Dime zu lassen – als kurzfristige Anlage etwa, damit er sie mehren könne, oder als Anleihe –, und ihm so das Darlehen zu gewähren. Ich bin nicht sonderlich mißtrauisch, entsann mich allerdings einer gewissen Vorsicht, die – so mein Vater mir beibrachte, Vorsicht sei eine Höflichkeit unter Fremden, die sich nie begegneten – und so merkte ich mir sein Gesicht vor.

Vorgesicht sozusagen – so brachte ich mir selbst einst bei, war die Höflichkeit unter Fremden, die sich nie wieder begegnen wollten – schien an sich ein gebrochener Mann zu sein. Ob sein Fußdraufsetzen seinem Rücken einen Knacks versetzte oder ob es Ausdruck seiner Unwissenheit über Besitz und Lage des Dollars in meinen Händen war, vermochte ich nicht beurteilen. Mochte nicht, was er tat, gewährte ihm – auch auf Rückgesicht seines Alters, das, so mein Vater mir ebensolch beibrachte, die Höflichkeit unter Fremden war, die sich im Jenseits wieder nie begegnen wollten – Halt, nein, auch nicht. Aufschub, nachdem schwarzer Rauch auch aus seinen weißen Haaren aufstieg, nachdem er Hut und Kragen durch Gier nach Gier verlor. Schob sich vorbei, auch am Tresenblick, in der Hand auch einen Gegenstand des Gefallens, und verließ ohne zu zahlen Raum wie Laden, aber mit Schuld und – aus meiner Sicht – doppelten Schulden. Ich erinnerte mich, daß ich ihn am Ausgang erinnern wollte, erinnerte mich – gerade, als ich mich an die Leere erinnerte in Tasche und Händen – Frau Ming an ihr bauchiges Lächeln, die und das sogleich, als ich mich an beides erinnerte, hoch geschossen kam.

So stand ich vor den Regalen, war aber noch keinen Schritt weiter. Ein Klingeln an der Tür ließ sie mir ständig, und so entschloß ich mich, ungenutzt der Regale auf sie zuzugehen. Und zu meiner Überraschung kam sie mir entgegen. Sie – und das war der Teil der Überraschung, der mich am meisten überraschte – schwang ihre Beine über den Tresen wie bei einem Pauschpferd, stützte sich mit durchgestreckten Armen ab, trug noch immer ihre Ming-Vase vor sich her – woher sie die Hände nahm? –, ging in die Hocke, die gesteckten Arme zur Decke, die Hände dabei abgeklappt, die Finger gespreizt, vor eingebildeten Turnerpublikum in Erwartung der Wertung, dann auf mich zu, suchte nach einem Gedanken, fand aber weder einen in den Taschen noch in den Handflächen, dann – und das kam mir doch etwas komisch vor – entwertete sie unsere gemeinsame Zukunft vor Regal Nr.2 mit Aufschrift Klaviersonaten bis Lampenschirme, K bis L, indem sie die Richtung in Richtung Geläut änderte, zur Tür, die, wie ich mich nun entsann, über gar keinen Klingelton verfügte, bei mir jedenfalls nicht.

Wie ich herausfand, war der schuldige Herr gefallen. Gleich längs vor der Schwelle beim Hinaus-à-gieren. Lenkte ihn neckisch ab. Das Glänzen, das seinem Haar etwas Tönung verlieh. Entließ den Dime wohl aus der Umklammerung – beim Stolpern –, der klimperte –daher das Klingen –, und kreiselte, wie mir Frau Mings Miene berichtete, über einem mongolischen Gullideckel: Down-Syndrom – weg war er. Dennoch bestand ich, als Gläubiger, auf meine Schuldeintreibung.
Auge um Auge nicht, aber Dollar für Dime. Nur… Frau Ming war so lieblich in ihrer Aufreizung, gerade mehr, da sie diesem hilflosen Dieb ihre volle Vase als Stütze darbot, daß ich nicht umhin kam, ihr im Gegenzug meine volle Blase als Bekundung in Erwartung freudiger Leere zu überantworten, die mich erwartete, wenn ich sie mit Mutaufguß zu zwei Tassen Kaffee entführte. Ich wartete, bis sie ihre Ladenpflicht in beide Schöpfkellen legte, als besorgte sie schon das Brühwasser – die Fäuste in weichen Hüften –, den Dieb schon umrührte und ihn nun so freundlich aus der Gosse schüttete wie einen Teeguß aus Kosters Munde:

Spucke.

 Ja, Frau Ming. Ich musterte sie, ein, zweimal, und es fiel mir auf, daß Herr Goldschmit selbiges mit meinem Rücken machte. Sie kam zurück, bediente die Tür, querte meine Blase, in Händen ihr, nun, sagen wir mal, Ding, das sie wägte, und befreite den Tresen von seiner Leere. Nachdem Herr Goldschmit schon diesen wienerte. Keine Pauschakrobatik, keine Hockovationen, keine Wertungen. Nur, diese kleine Musterung. Des Kleides. Diese erinnerte mich. Erinnerte mich an das Muster meiner Sakkotasche, mehr das Muster des Innenfutters, an das ich mich vorhin nicht erinnern mochte, als Herr Goldschmit Licht durch seine Stehgarderobe hinein mit seinen Flügeln brachte. Sie erledigte ihre Sachen, legte Blätter in Ordnung – bezahlte und unbezahlte Rechnungen, so meinte ich Herrn Goldschmits Augenteleprompter entlesen zu können –, und tat, was sie am besten konnte: Nichts. Nichtsdestogleichen, nichtsdestotrotz, nichtsdingsdabumms.

Ab und zu rollten ihre Pupillen, nickte sie Neins in die Luft. Ich zählte sie. Dann pauste sie. Vielleicht war es ihre Größe – ich entschied mich, nun doch eines der Regale aufzusuchen, täuschte Interesse bei einer Hutschachtel vor, öffnete sie, darin Murmeln, kunterbunte Murmeln, ein Zettel mit Kindernamenunterschrift, darunter der Rekord mit Zahlen und Strichliste, und Namen anderer Kinder –, sah aber hindurch. Ihre Größe – ich beobachtete sie – war mit der meinen zu vergleichen. Etwas höher vielleicht, aber im Rahmen der Erotik eines gleichhohen Augenstichs und Atemteilens verweilend. Vielleicht wollen große Frauen in den Arm genommen werden. Wollen beschützt sein, doch glaubte ich daran noch vor Jahren, so war ich mir nun sicher, daß sie dadurch nur auf den Arm genommen werden würden. Beschützt sein als Ausgleich zur fehlenden Brust der Mutter. Nein, Augenreiz wie Reißverschlüsse, wobei sich beide Zackenreihen in das andere Sehen ziehen, das war der Hosenschlitz, der Begehren mit der Sicherheitsnadel der Befangenheit und der Unbekümmertheit des Fallenlassens einkleidete – und Atem, ausgetauschter Atem, der benommen machte, weil zwei Züge aus nicht für zwei Züge ein reichten, aber für beide einer reichte.

War so groß, wie ich das wollte. Auch kleiner – gern. Auch größer – gern. Nur sollte die Frau dabei bequem noch stehen. Kein gekrümmtes Rückgrat brechen, wie ich es vor kurzem bei einer Bedienung in einem billigeren Diner sah. Bequemer latschen. Halsader, pochendes Insekt, das sticht und sticht und sticht und gerne in dieser Nähe ist, und Schläfen, so nah, daß sie schon vom Hinsehen in Ohnmacht wollen. Beschützt sein bei dieser Höhe ist alles andere.

Zu streicheln. Nur leicht.

Ich ließ einen Regenmantel vorbei, legte die Schachtel ohne Hut zurück, wo ich sie fand, lenkte mich zur Wand, wo ich eingangs den Durchgang zum Photolabor erdachte, und las in freier Ecke in verschiedenen Pfandleihsachen wie in Mings verschiedener Beharrlichkeit, kaum Interesse zu wecken sei. Pfandleihsachen.

Nun, was gab es über Frau Mings Vase zu berichten? Ich ertappte mich ja bei ihrer Turnertätigkeit, also ihren vielen Bauchgeschäften zu wenige Hände gezählt zu haben. Pfandleihsache, eben. Ertappte ich mich ein weiteres Mal. War kein Grund für schlechtes Gewissen. Arbeitete schließlich in einer Pfandleihe.

Obschon ich dieses seltsame Gefühl glaubte bei ihr beobachtet zu haben, gegenüber Herrn Goldschmit nicht, mehr dem Kunden gegenüber, vielleicht. Herr Ming... war sicher kleiner. Dachte ich. Dachte ich eine Menge. Auch eine in meine Hände herbei, wobei ich mich davon überzeugte, daß ich keinen Topflappen, sicher keinen benötigte, auch wenn im Etikett Paris und in der Herkunft hbg eingestickt war, und auch für keine Rattanflöte aus Indien Verwendung finden werde – anbei die Gebrauchsanleitung: Gut blasen, gut icken; einer dieser typischen Übersetzungsfehler, die schon mal zwischen zwei fehlenden Welten passierten; ein Buchstabe fehlte obendrauf, sollte wohl gut blasen, gut tuten heißen –, eine merkwürdige Art der Beschreibungsfindung, eine Menge Kleiderstoff für eine Vase und noch mehr für einen Körper. Sie war schwanger, ohne Zweifel. Und ich dachte an all die Erotik, die es noch zu erleben gab, all die Reißverschlüsse, die noch zu öffnen waren, und all die Atemblasen, die noch zu teilen, daß mir schon hustelig vor lauter Zipp und Zipperlein wurde, ehe ich noch zu ihrem Immunsystem vorgedrungen war. Ich wußte nicht viel. Aber ich wußte, daß ich ein Mann war. Und ich wußte, daß ich als Mann in ihrer Nähe, die Nähe eines Kindes, das nicht meines war, kompensieren müßte. Ohne es zu wollen. Ich wußte, daß ich dieses annehmen und lieben würde. Und daß ich sie noch während ihrer Schwangerschaft, und das legte unglückliche wie neugierige Gefühlsmanschetten an mein Sakko an, penetrieren müßte. Um einen Scheinsamen über das bereits befruchtete und gedeihende Wesen zu legen, auch wenn dies so kaum für mehr als Unsinn auf der Käseschmiere reichte. Was macht ein Samen?

Ein Samen macht erst mal nichts. Was macht ein Ei? Ein Ei macht erst mal nichts. Was machen Ei und Samen zusammen?

Sorgen.

Erst besorgen, dann Sorgen. So einfach ist das. Ich wußte, daß ich es ihr nach der Schwangerschaft besorgen müßte. So richtig. Ich als Mann. Das zweite Kind. Gleich – hopps – nach dem ersten. Daß, kaum waren die Entbindungssorgen geboren, die neuen von morgen.

Was Herr Ming wohl dazu sagen würde?

Und Frau Ming?

Und Herr Goldschmit?

Und die Erotik?

Und die Reißverschlüsse?

Und meine Sakkotasche?

Zwei Kinder in einem Jahr verkraftet keine Hose.

So stand ich vor dem Schaufenster, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor der Tür, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich im Eingang, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor dem Dime, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor Frau Ming – hinter Regalen – und war noch keinen Schritt weiter.



  
*




Dienstag, 16. September 2014

Hackenzack auf Zehenspitz


Knisterfalten ähnlich Blätterteig beim Walzen, dann kneteten sie Maßbandhände auf, was Licht in mein Tasche brachte, griffen nach oben zu den Vorhangringen, Adern, dicke, weiße, Leberflecke, Bildhauerhaut mit Stemmeisendaumenägeln, auf denen ein Leben im Handwerk einhämmerte, umspielten wie ein Schattenmaler mit inversen Fingerflügeln die Vanity Vagina der Stehgarderobe und spreizten sie am Rund der Silberhängestange auf.

Was Licht in meine Tasche brachte, auch wenn ich mir das Innenfuttermuster nicht merken mochte, wischte sich Knetemehl an der Weste eines gedachten Dreireihers ab, wo Flusen waren, neben mir, in aufgelegter Behilflichkeit der Alten Schule, Negerlippen in der Größe eines bedienenden Dustin Hoffman, der Ladeninhaber:

„Goldschmit.“

Hackenzack auf Zehenspitz.

Und Kippenkinn: „Zu wünschen.“

Zu wünschen. Da war es wieder. Dieses Wort, das sich keine Fragezeichen erlaubte. Zu wünschen. Zu streicheln. Zu streicheln an der Schläfe. Von den Fingerrücken herab zur Wange. Um die Wärme auch dort zu spüren. Was überraschend war, und man nicht in Fäusten vermutete, wo zwei Boxer sich begegneten. Wozu Hände fähig waren.

„Nur umsehen.“

Nur umsehen. Kein ganzer Satz. Nur umsehen. Dieses Wort, das sich keine Höflichkeiten erlaubte. Zu umschmeicheln. Von den gelegten Lidern herab zu den Lippenangeln. Um auch dort die Wärme zu spüren. Was überraschend war, und man nicht in Türen vermutete, wo zwei Ansichten sich begegneten. Wozu Augen fähig waren.

„Ich...“

…hob die Hand. Nur leicht. Zum Gruß. Höher als gewohnt. Vor das Kinn. Was überraschend war. Um seine abzuwehren. Vor dem Streicheln. Vielleicht.

Vielleicht wartete ich auch auf Einlaß. Nur Herr Goldschmit gab mir zu verstehen, daß ich schon drin war.

Er drehte sich um, schloß die Stehgarderobe, drehte sich wie man es nur konnte, wenn man Kundschaft bediente, und wechselte zum Tresen hinüber. Dort weigerte er sich, sich von diesem zu trennen. Wozu diese Stehgarderobe da war, gerade da, wo sie war, wollte ich mir später in Erfahrung bringen.

Ich nutzte die Schwerkraft – noch immer Cary Grant – und ließ die bestellte Hand wieder von der Tasche, diesmal der Hosentasche, einfangen. Elliptisch. Elliptisch ging der Impuls in den schlackernden Stoff über. Vier, fünf Schritte. Vor den Regalen. Lag ein Dime. Steckte die zweite in die Tasche, und schaute auf ihn herab wie Nils Holgersson auf Gans Gustav fliegend hinunter zu seinem Bauernhof, für ihn das Zuhause, für den anderen das Feuer, nur, um beide gleich wieder in gewohntere Schranken zu legen. Bückte mich, hob ihn auf, noch immer in Hocke, ein Arm noch immer in Schranke, hielt ihn jetzt fest zwischen zwei Fingern – welche, wußte ich nicht mehr, vielleicht, weil ich gleich anfing damit zu spielen –, und im selben Augenblick da ich hinab sank stand der Tresen auf.

Neben Herrn Goldschmit, der davon kaum Notiz nahm, hievte sich mit Angellippen aus dem Grund hoch in die Stelze ein breites Lächeln:

Eine Bauchvase, Ming oder so.

Ich stand auf. Da stand sie ab. Ich ging in die Hocke, weil mir der Dime aus den Fingern rutschte, da stand sie auf. Jedesmal, so glaubte ich – die Vorgänge wiederholten sich –, einen anderen Gegenstand des Interesses in beiden Händen gesehen zu haben. Ich stand auf, da hob sie eine Schüssel hinunter.
Ich stand ab, da holte sie eine Wasserpfeife aus Silber nach oben. Ich stand auf, sie stand ab. Ich stand ab, sie stand auf. Hackenzack auf Zehenspitz eben.

Was blieb: War ihr Lächeln.

Und daß ich den Dime bestimmt im Werte eines Dollars verlor.

Keiner der Regenmäntel schaute herüber.






*



Montag, 15. September 2014

M.A.N.N–o–Mat


„Ich finde ja, Du bist exzellent. Ja, so wie ich das sage, so meine ich das auch.“,

säuselst Du in das Knarzen des Styropors hinein, drückst drei, viermal die Luftblasenfolie, die den Inhalt schützt, um das Platzen zu spüren, und schickst den kleinen Mann raus. Du brauchst jetzt den 'großen'

„Du brauchst jetzt nur noch ein wenig Hunger, hm… so ein, zwei Kilo weniger davon, ein Prischen Wut darüber streuen, drei Kordeln (um festzubinden, was Du später einfangen sollst – eine Hand zum Streicheln und ein hm-mhm-hm bleibt frei), drei Gramm Raserei und nicht zu vergessen – einen Schuß Hochachtung vor Dir selbst.“,

sagte die sperrige Brigitte, Deine beste Freundin, und teilte den Banana-Split mit dem Messer, nicht mit dem Löffel, mit dem Messer in zwei ungleiche Hälften.
Sie schob die kleinere auf Deinen Kuchenteller. Und beobachtete derweil den Verkehr in Mitte.
Wer mit Wem. Wann mit Wer. Wie man so. So und wo verkehrt.

„Du kannst den Mann gleich abholen.“,

sagte die freundliche Stimme am Telefon, während Du in der Tasche kramtest und noch überlegtest, ob das ‚Du‘ nicht unhöflich wäre.
Du schobst den Teller beiseite. Du nahmst Deinen Lamy zur Hand, rissest das Kreuzworträtsel aus der Gala und kritzeltest deine Wünsche in die Kästchen:

‚Italienische TV-Anstalt mit drei Buchstaben?‘

Manche ließen kaum Platz. Zum Denken.
Also die schweren Wörter.

„Express oder Normal-Lieferung? Visa oder auf Rechnung?“

Du nickst. Brigitte faßt das als Kompliment für ihr Teilen auf. Der Verkehr bläst durchs Mittags-Bistro.

„Die geeigneten Modelle sind getrimmt.
Wir berechnen eine Versandkostenpauschale von EUR 5,-
In den Osten EUR 6,-. Wegen der Umstände.“

‚Kurs für Autowettfahrten mit 11 Buchstaben? ‘, ‚Zündschnur mit 5? ‘, ‚eine Menge mit vier?‘

„Der M.A.N.N. muß gefüttert, gewaschen und gewickelt werden.
Es wird angeraten, ihn in den Reisepaß eintragen zu lassen.
Die Quarantäne-Zeit beträgt 48 Stunden. Danach können sie mit ihm verfahren, wie sie wollen.
Sprachmodul gleich mitbestellen?
Aufpreis NUR EUR 49,95!
Allerdings nur solange der Vorrat reicht…
Nein? Ach so. Gut. Wir liefern gegen Ende der Woche. Halten sie einen Käfig bereit. Erhältlich in größeren Tierhandlungen. Im Preis nicht inbegriffen.
Viel Vergnügen!“

*klick–tuut*

Du stecktest das Handy weg. In die Tasche. Brigitte kleckerte. Sie schaute herüber. Auf deine Hälfte des Splits. Er schwamm schon in der Schmelze.

„Ißt Du das noch?“, fragte sie.

Weil Brigitte doch nie teilen konnte.

„Ja!“, antworteten Deine Lippen, schlossen das Rätsel und bestellten mit ruhigen Augen beim Kellner die Rechnung an Platz 5.

„Ich werde am Ende der Woche Hunger haben.“





*




Sonntag, 14. September 2014

Aussie Grid Girl


Weil es nun mal bekannt ist, daß ich sämtliche Interessen bündele, die mich nun mal interessieren, und ich nicht fähig bin, gleichzeitig mehr als zwei Interessen als Geschenk zu schnüren, welches ich dann gerne selbst entpacke, weil ich ja weiß, was sich drin befindet und es mich dann auch nicht mehr überrascht, wenn ich es entpacke, und weil ich sonst auch nicht zu vielem fähig bin, außer mich, und ich doch noch Klimpergeld zwischen den wehmütigen Scherben eines zerschlagenen Sparschweines fand, das sich nach den Zeiten als Ferkel sehnte, als ich es noch an den Zitzen eines fetten Gehaltsscheck nährte, bestellte ich mir beim örtlichen Versandhandel – das Verpacken, das Verschnüren, das Versenden überließ ich doch dem Handel, bin doch faul – eine Doll.

Zwei Postboten mußten sie in den 8. Stock schleppen, nachdem sich unglücklicherweise der Aufzug zwischen Keller und Erdgeschoß verklemmte, nachdem ich unglücklicherweise mich von einem Funkeln in der Ritze zwischen Aufzugzelle und Kellergang ablenken ließ, als ich den getrennten Müll zu den Tonnen im Keller bringen wollte, und ich es fast übersah, ich mich aber bückte, weil mein Schnürsenkel nicht ordentlich geschleift war und ich mich nun mit dem Rückenbücken zum Gang wiederfand und dieses Funkeln unten sah und ich in dem Ritzefunkeln wohl etwas Wertvolles erkennen wollte und sodann aus meiner Hosentasche einen langen Draht hervorholte, den wie jeder weiß jeder Mann wie selbstverständlich heutzutage bei sich trug, und ich danach fischte, schon auf Knien, derweil sich die Aufzugtüren immer wieder dazwischen klemmten und ich, während ich noch nach dem Glitzern angelte, mit meiner Nase die Türsensorik foppte und dann einen blöden Ring aus Blech einer blöden Bierdose hochholte – steckte ihn hm-end ein, konnte vielleicht noch nützlich sein – und während ich meinen Erfolg noch in die Hose steckte, den Draht warf ich achtlos weg – wofür braucht Mann schon einen Draht, tz – mich die Aufzugtüren zurückfoppten, denen ich die Nase zeigte, wohl weil jemand oben faul den Aufzug rief, anstatt die Treppe zu benutzen, und klemmten ein – daher das unglücklicherweise –, was man sich nicht einklemmen lassen sollte, meine Nase, fuhr er nun hoch, ich mit ihm, aber weil mein Kopf nicht durch die Geschosse paßte, blieb er nun stecken, der Lift, dazwischen, und ploppte meine Nase wieder heraus.

Ich gab den Postboten kein Trinkgeld, sie hätten sich ja beeilen können und den Aufzug benutzen, tz – doch nicht meine Schuld, daß Aufzüge heutzutage keine echten Männernasen mehr vertragen können –, hätte ihre Last schon an der Tür abnehmen können, wies sie aber gleich zum Wohnzimmer weiter, wo sie meine Bestellung abstellten, schwitzend meinen Teppich volltropften und nun Hände aufhielten, wohl dem Trinkgeld wegen. Das Türzukrachen gab ihnen den Rat, das nächste Mal den Aufzug zu benutzen. Dann widmete ich mich dem Paket.

Die diskrete Verpackung ließ sich mit zwei Ritschratsch entledigen, dann schon prahlte mein Johannes, der sich seit dem Vorfall mit den Aufzugtüren unter einem Mullverband verbarg, mit der Aufschrift, dann drehte ich den UP!-Pfeil in die richtige Lage, mit der Aufschrift um die Wette:

Aussie Grid Girl.

Ich öffnete das Geschenk, das ich mir ja selbst packte, weil ich ja nun mal wie es bekannt ist nicht mehr als zwei Interessen gleichzeitig dort bündeln kann, wo man es kann, und holte mit jedem Glied, das ich nun aus der Packung holte, mit jenem geneigten Interessen je ein Lächeln aus der Starre. Und als wäre die eine nur für mich gemacht, öffnete Aussie Grid Girl gerade ihre Kreiselkompaßaugen, als ich sie in meine Arme zog zur Begrüßung. Und sagte bewegungssensorgesteuert – neuester Schrei – „Hi! I luv u!“ mittels MP3-integriertem Player. Ich legte sie gleich auf den Boden, wo alle Frauen am besten aufgehoben sind – so gewöhnen sie sich schon mal an die Teppichflusen, die sie sauber saugen sollen – und fand im Karton mein zweites bestelltes Interesse bestätigt vor: eine schwarz-weiß karierte Zielflagge – ich schwenkte sie schon mal –, ein Startnummer-Schild, klein, der Gedanke zählte, ein rotes Rennwagenmodell mit gleicher Nummer, Werbefirlefanz. Der Rennwagen hatte noch eine andere Funktion, mit der ich mich schon auf der Webseite der Dolls mit allem Bruuum und Bröörr und Bruiuiui-Ui-Ui, Gummi und Grid-Mittel mittels anschaulichen Filmchen und Bedienungsanleitung vertraut gemacht hatte. Ein Parkhaus kam mir in den Sinn. Aber das war wohl eine andere Webseite.

Aussie Grid Girl – ich gab ihr bewußt keinen Namen, man sollte stets den von den Schöpfern zugewiesenen achten, in diesem Falle den von Dolls, AUS, Inc. – hatte alle Öffnungen, die man benötigte. Ich fand allerdings, daß der Start unserer Beziehung einen angemessenen Rahmen benötigte und so setzte ich sie vor den Fernseher, gleich auf ihre Knie, damit sie sich auch daran gewöhnte – das Aluminium-Skelett mit den kugellagergelagerten, öldruckwiderstandgedämpften Gelenken hielt sie in jede Position, die erdenklich war, wenn man sie denn wünschte –, fand in meiner Küche noch die passende Kleidung, kritschend war der weiße Tüll der halben Küchenfenstergardine abgerissen, fand noch auf dem Weg zum Altarraum eines jeden modernen Menschen – das Wohnzimmer samt Plasma, das war der Altar – in einer Vase mit modrigem Wasser verdorrte Blumen – der vergebliche Versuch meiner Anpassung an das Triviale, nicht die Blumen, nicht die Vase, das Moderwasser –, drückte die Blumen in ihre Hände – wie lebensecht die Synthetik schon fortgeschritten war, Dolls, AUS, Inc. hatte sogar an Schweißdrüsen gedacht, ich schwöre, sie haben geschwitzt! –, machte die Doll nun zur Braut – auch daran haben die wunderbaren Schöpfer gedacht, Wildmähnehaarklammern lagen in der Packung, wer wollte schon, daß Haare in die Quere einer langen Beziehung kamen – indem ich den Schleier damit darin befestigte – auch daran hat Dolls, AUS, Inc. gedacht, ich schwöre, Aussie Grid Girl hat schüchtern zum Boden geblickt, oh, ein Fussel, schnell weggemacht –, zappte den Plasma nun zu den richtigen Programmen, die auch Männer verstehen, Sportkanal, und wie es der Zufall befahl, wenn man zur richtigen Zeit einschaltete und vorher in der Programmzeitschrift nachschaute, fing gerade die Live-Berichterstattung eines Auto-Rennens an, sogar in Australien!, so konnte sich Aussie Grid Girl gleich heimisch fühlen.

Andächtig lauschten wir der Startaufstellung, selbst auf Knien jetzt, nackt selbst schon nachdem ich den Postboten einen guten Rat mit auf den Weg gab – Türkrachen, nochmal in Gedenken –, dann, ich wollte schon den Knopf des integrierten MP3-Players drücken, schoß es mir in den Sinn! Hetzte zu meinen Klamotten – lagen überall im Flur verteilt von der Wohnungstür bis zum Wohnzimmer, wollte mich anständig Aussie Grid Girl vorstellen, wozu hat man Manieren –, fand meine Hose, fand den Dosenring aus Blech, hetzte wieder zurück zum Altar, gerade noch rechtzeitig – die Startampel brüllte ihre rote Farbe ins Motorengeheule, erlosch, dann, Start! –, steckte meiner Race-Braut für die Laps des Lebens, die uns noch blieben, den Ring an, riß ihr den Schleier von den Augen, preßte ihr den Hochzeitskuß auf die Lippen – was nicht einfach war, so weit geöffnet war der, da kam wohl die besondere Funktion des Rennwagen-Modells zum Einsatz, aber warm –, drückte auf den MP3-Playerknopf, der – die Schöpfer von Dolls, AUS, Inc. hatten wirklich an alles gedacht, an alles! – in ihren Ohrläppchen versteckt war – links die Worte, rechts das Motorenstöhnen – und Aussie Grid Girl sagte Ja mit den Worten: 

„I luv u! Cum‘, cum‘. Yeah. Full throttle. Cuuuum‘!“

Und ich glaube, sie meinte es ehrlich, als sie es sagte.

Wirklich.

Und ich liebte mich zum ersten Mal selbst im Leben, als ich sie zum ersten Mal auf ihrer Webseite von Dolls, AUS, Inc. sah und mit nur einem Klick auf Buy now! Cum‘ forever! einfach so bestellte. Und ich liebe sonst nichts. Nur – aber das soll niemanden abschrecken, nur gekochte Eier etwa sollte man stets abschrecken, die sind wie Gefühle –  alle meine beiden Interessen.





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Samstag, 13. September 2014

Boys of Summer – Angeln mit Kalashnikow


„Jürgen, Du mußt das locker nehmen. Hier.“
Sonnengolden klackerten die Welten aneinander. Am Seegrund. Zwei Männer lagen in ihrer Ausgangslage.
„Prost!
Jürgen ließ die Hand von seiner Angel.
„Ich weiß... Ich! Weiß!“ Er saugte. „Ich weiß...“
„Wie lange... ist es jetzt her? Zwei, drei Wochen?“
„Zwei.“ Dann schluckte er beides. Schaum und Wissen herunter. Eines von beiden kam in die falsche Röhre.
„...ich weiß...“

Die Angeln erinnerten ihn an gespreizte Kalashnikows im Liegen. Zum Vau ausgeklappte Stützen zum Schießen. In den Bergen. Aus seiner Zeit noch aus Afghanistan. Als er diese Reportage schrieb, die ihm die Türen öffnete. Mit ‚Knopp’, seinem besten Photographen. ‚Knopp’ deshalb, weil Jürgen immer ‚Knopp’ schrie, wenn er was haben wollte. Und Knopp, der eigentlich Berthold hieß, dann schnell den Knopp an der Kamera drücken mußte. Schneller als die K-47 selber rattern konnte. Sein bestes Bild. War das, was einen Mudschah beim Abknallen zeigte. Im Visier. Nur sein Gesicht, der Kolben plusterte die Wange, die Siebensiebenvierer-Hülse sprang aus ihrer Höhle – und genau auf das Auge zu. In diesem Augenblick schrie Jürgen ‚Knopp!’ Aber meinte eigentlich den getroffenen auf der anderen Seite. Das Bild ging weg für 70.000. D-Mark noch. Sie teilten 40-25. Vierzig Jürgen. 25 Knopp. Dem Alter entsprechend. Der Rest ging an die Agenturen. Schon damals verbrachten sie mehr Zeit miteinander als mit ihren Frauen.

Knopps Ehe mit Martha – schon immer einige Jahre den anderen voraus, also ewige 39 und geschätzte zwanzig Umläufe älter – ging nach 11 Jahren in die Brüche. Nach 11 Jahren mit Jürgen. 5 in Afghanistan, drei im Libanon, vorher drei in Hollywood. Daher kannte Jürgen auch seinen Angelkameraden. Eher aus dem ‚Valley’. Wo sie sich beim Drehen kennenlernten. Er beim Cruisen. Unter nackter Sonne.

Von Martha, die ‚Knopp’ unter Kollegen immer ‚Nippel’ nannte, weil sie aus Kölle stammte und er aus Hamburg und er kein ‚Nippes’ kannte, aber in Begleitung mit ihr beim Streifen durch die Büroräume auf dem Weg zur Buchhaltung und zum Zaster immer nur ‚Bernstein’ nannte – wohl, weil der auch mit den Jahren klarer wurde, wenigstens der Blick hinein auf das Insekt darin – fiel der Abschied nicht schwer: Sie trennten sich ‚Bis der Tod Euch scheidet’. Also einvernehmlich. Starb dort beim Shooting. Mit der Kalashnikow. Dem Mudschas. Der Hülse. Sein bester Shot. Die 25 gingen an die Witwe. Ihr letzter Gang durch die Büroräume. Ihr erster mit eigenem Namen.

Später unter brennender Sonne. Auf dem Friedhof tauschten sich die Wechsel. Geld hier und Anerkennung, Sarg und Erde da und Bleistift–Mienen. Zum Anspitzen scharf. Während Brigitte daheim die Prinzen-Zwillinge aus Schloß Salem abholte, aber Sorge um ihren Garten hatte, weil dort der Empfang der Trauergäste stattfand. Um Sorge, um die Trauerweide und den Rasen, fuhr sie schneller als gewöhnlich. Vom Flughafen, packte die Zwillinge – Kann–Kinder – in ihre Klappsessel hinten im Porsche und donnerte über die Elbchaussee nach Blankenese. Alle zwei Monate. Raste sie so durch die Stadt. In der Saison nur alle drei. Von Mai bis Juli, Juli bis September. Dann wieder früher. Weil sie den Garten für Fremde öffnete. Die dann die Bougainvillea bestaunten, und bestaunten, daß die keine großen Blüten treiben brauchten, nur leuchtende Blätter, um die Blicke von all den ‚Oriental Whites’, den ‚Evening Stars’, den Goldmohns und Rittersporns, den Form-Kiefern, der Päonie mit ihrem ‚Coral Charm’, den Enzians zu lenken, die in Wahrheit auch nur Solanums waren, wie auf jedem Kartoffelacker – da konnte Brigitte sparen – und den Buxus-eingesäumten Kräuterbeeten, das große, das mal ein Swimming-Pool war, als ihre Ehe zu Jürgen saisonbedingt noch am Blühen war, die blöden japanischen Ahorns, die den Rosen bloß die Aussicht stahlen, aber Jürgens Leidenschaft waren – er sammelte alle Sorten, lieber Bäume als Blumen, nuschelte er gerne, wegen dem... – und das Deer Hunting, wie es Brigitte abschätzig titulierte – auf dem ‚John Deer’-Mäher, den er liebevoll ‚Little John’ nannte, auch weil’s der größte war – und oben drüber saß. Bis sie blass-erstaunt wieder gingen: Die Trauergäste wie die Garten-Gaffer. Gleiche Gesten, gleiches Auf-den-Weg-Schicken.

„Ich weiß... Ich... wußte es... Hätte wissen könn... müssen.“ Schluckte.
‚Valley’, das war ‚sein’ Spitzname, der eigentlich George hieß, hielt derweil den Griff der Angel lässig mit dem Fuß in Waage, zielte übern großen Zeh und dem daneben, der keinen Namen hatte – „Kimme, Korn, Kanaster!“ sein stetes Motto –, auf treibende Enten im Wasser und feuerte. „Peng!“ Vorbei.
„Peng. Peng.“ Bis endlich eine abtauchte. Und lächelte dabei, als er ihr Auftauchen irgendwo am Schilfrand nicht erkennen konnte. Oder wollte. Wie ein kleiner Junge, der mit großen Augen Spinnen unter Senfgläsern bestaunte und dann sezierte. Auswählte. Und dann einer nach der anderen erst die Beine aus dem Leibe riß, bis selbst das nicht quälte und dann schon lieber zum Feuerzeug griff. Aus Bequemlichkeit. Aus Bequemlichkeit und ohne Zweifel lutschte er – alle Entlein waren abgetaucht – zum Ausgleich jetzt an seinem ‚Blackberry’. Wonach die Beeren wohl schmeckten?

„Scheiße! Bloomberg läd nicht. Dreckskerle. Wenn ich den Mayor treffe! Stecke ich ihm den Sender in den geschliffenen Arsch, nein, gleich das ganze Drecksverdammte Handy! Auf Vibrationsalarm eingestellt, dann alle halbe Stunde im Fernseh-Meeting.“
„...ja...“, wachte Jürgen kurz in der Dämmerung auf.
„Das gibt dem Namen ‚Cell Phone’ eine neue Wende.“
Beide sahen sich an. Die Bierflaschen im 45 Grad-Winkel an den Lippen. Dann – schallendes Lachen, das versteckte Vögel aus den Büschen scheuchte.
„Ha, ha...“, prustete Jürgen. „Und... und zerren ihn ins ‚Chrysler-Building’, 405 Lexington Avenue, Ecke 42. Durch den Tiffany-Eingang. Wegen den Lampen. Muß ich immer daran denken, wenn ich diesen scheußlichen Marmor sehe...“
„Und dann hoch. Aber nur bis in den ‚Cloud Club’ im 66. Nicht zur Spitze. Wollen ja, ähem, ähem, nicht stören, wenn ‚er’ seine Model-Schlampen aus Reval poppt. Die Cohiba qualmt:
>>Ja... Da! Die Welt steht Dir sperrrrangelweit offen, Täubchen. Sperr-‚Angel’-weit. Da, da. Engel, Du wirst Karriere machen. Elite wird Dich buchen. ‚Die’ Elite. Da! Das werde ich Dir versprechen, da, da, da...<<“
„...ha, ha, ha... Schau! Mayor, der Times Square. Sauber, sauber. Ihr könnt es ja doch. Richtig deutsch. Richtig, richtig. Zwei Drittel. Wer hätte ‚das’ gedacht? Uns gehören zwei Drittel des Chrysler-Buildings. In der Steuer ‚führend’. In ‚Deiner’ Stadt, ha, ha...“
„...und dann machst Du das Fenster auf, drückst ihm diesen 9–1–1–Paraglider in den Magen und winkst ihm steif auf Ein-Uhr Good-Bye, ha, ha!“

George sah Jürgen entgeistert an. Der lutschte unbeirrt weiter. ‚Valley’ steckte das Handy weg, stand wortlos auf und verschwand im Schilf. Er tauchte wieder auf. Nach einer Weile. Mit zwei vollen Flaschen. Er öffnete beide mit dem Feuerzeug. Er reichte Jürgen seine.
„Und Heinz?“
„...geht es nicht gut. Auf ‚Altes Eisen’ kümmern sie sich um ihn. Spricht aber nicht auf die Medikamente an... erinnerst Du dich? Da war doch diese scharfe Altenpflegerin... Ih... Ih... Ikatharina! War das eine Bombe. Die wär was für den Bulbury, das sage ich Dir.“
„...was?“ ‚Valleys’ Angel zitterte. Etwas bewegte sie. „Nein. Kann mich nicht erinnern. Nur an... diesen Pfleger...“
Er stampfte die Bierflasche in den weichen Boden und nahm die Angel fest in beide Hände. Sie richtete sich auf. 45 Grad–Geschicke.
„...der mit den Zäpfchen? Uh... Uh... Ulrich! Pfleger Ulrich. Ein derber Kerl, war das. Glaube ich.“
George riß die Angel hoch.
„Ahh! Verdammt! Verdammtverdammtverdammt! Der Fisch war entwischt. Schlaff hing die Angel herunter.
„So hieß er? Ja, wirklich? Kann mich nicht erinnern... daran. Du warst ja bei der Heimleitung mit den Formularen beschäftigt. Ich fuhr euch hin. Ich kam, glaube ich, gar nicht mit rein. Aber... sag Bescheid, wenn Du mal wieder Heinz besuchst und Dein Chauffeur frei hat. Die Abwechslung. Tut. Mir. Gut... Äh, und Brigitte?“
„Wer? Ach. Brigitte. Die meinst Du. Hab sie letztens mit ihrer Schwester erwischt. Diese Schlange. Du kennst sie ja... Marnie.“
‚Valley’ sprang auf. „Erwähne niemals wieder diesen Namen! Understand?!“ Wütend schleuderte George das ‚Becks’ in den Mai-Bach. Den See. Der Hals hielt sich schaukelnd über Wasser. Wenigstens so.
„...hatte mich hinter der Buchsbaum-Hecke versteckt. Im Garten. Nach dem Gärtner trieb sie es mit der Schlampe in der Küche. Hab alles mit angehört. Ganz genau. Schon lange geahnt. Auf dem Küchentisch, wo sie die Brote für die Zwillinge schmiert. Nein, Elvikka, das Mädchen. Wie sie drinnen stöhnten...“
Die Männer seufzten.

„Das Leben ist ein Theaterstück...“, blies Jürgen seinen blauen Atem in den Sonnenuntergang.
„...und wir sind die Kulissenbauer.“

„Hm, das ist gut. Woher hast Du das?“
„Das ist aus meiner nächsten Rolle. Goldenes Skript. Ich spiele... George.“
„Du spielst Dich selbst?“
„Nein, den mit Double-U.“

Sonnengolden klackerten die Welten aneinander. Am Seegrund. Zwei Männer lagen in ihrer Ausgangslage.
„Prost!




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