Stella heißt Stern. Stella saß in einem Café im
Sommer im Streicheln eines gepunkteten Kleides, die Beine zum Zeigen
überschlagen, die Menükarte zum Verbergen, und darin die Bestellungen des
Zügelns zum Verschweigen. Stella konnte alles werden in diesen Welten, die
einem zum Leben auffordern und dann abblitzen lassen, weil man das falsche
Lächeln auflegte beim richtigen Mann. Stella konnte richtig fies sein. Stella
konnte richtig schön sein. Dabei entschied schon mal das Tagesangebot in der
Menükarte, was Stella sein konnte. Konnte nicht so einfach nur schön sein.
Stella bestellte sich von einem Kaffee, von einem
Stück Kuchen zum nächsten Streuselkuchen zum nächsten Malzkaffee zum nächsten
Nachmittag. Das war Stellas Leben. Und vielleicht war es nicht ihre Schuld, daß
sie lebte. Aber sie lebte nun mal. Und aß. Und trank zum Kaffee noch ein
Schluck Wasser. Und vielleicht lag die Schuld bei anderen. Und vielleicht ist
ein Vielleicht alles, was einem
bleibt, wenn andere darüber entscheiden, ob man Kaffee trinken darf und
Streuselkuchen essen.
Ich traf Stella in der Trambahn. Ich war es gewohnt,
mich in der Trambahn zu verstecken. Menschen in Bewegung schauen andere nicht
an, wenn man die Bewegung mitmacht. In der Trambahn nicht. Weichen sich Blicke
aus. Lebte ich davon, von ausgewichenen Blicken. Die Hüte ins Gesicht gezogen,
zog Berlin die Blicke von innen der Trambahn nach draußen. Aber dann kam
Stella. Und Stella war so schön. Und Stellas Blick zog meinen nicht nach
draußen. In ihrem Lippenblick, leuchtend rot, lag zu sehr das Begehren. Sie
küßte mich.
Brachend, Berge, ausgezogene Körper,
Knochenmenschen, brachend Gestank, übereinander geworfen, entleerte sich aus
ihnen noch nicht einmal die Scheiße, wenn die Mägen eingefallen und leer,
brachend Arme, brachend Längen, brachend Beine, Augeneier, brachend aufgerissen,
brachend geschoren, brachend verdammte Hitze, brachend Verstand, Zertrümmertes,
brachend auf die Knäul eingeschlagen, auch dann noch, damit sie handlicher
waren, war ich, der sie schleppte, und fluchte, daß sie auch dann noch schwer
waren, als sie es nicht mehr waren, kaum schwerer als ein Kind, aber fluchte,
keiner hörte mein brachend Fluchen, aus den Duschen, aus den Stapeln, aus den
brachend Fuhren zu den brachend Öfen. Dann.
Als ich auf den Karren warf, den nächsten, noch den
nächsten, und noch den nächsten, und sie stapelte, damit sie verdammt noch mal
nicht beim Ziehen durch den Dreck herunterfielen, und zu der Hitze zog, durch
den Dreck, und fluchte, und ohne Regung, und ohne je zu reden, und die Körper,
Knochenmenschen, so vor den Ofen stellte, den Karren, damit es mir einfacher
war, und vom Karren griff, wahllos, wie in eine Lostrommel der schönen Zeiten
im Tiergarten oder dort Cakes, die
man Kackes aussprach, später Keks, und kaute und spazierenging, und
alle Berliner, oder Wannsee, und badete, und mit bloßen Händen nach Fischen
schnappte, und auch einen mal fing, und ihn lachend in die Höhe reckte, wie
alle Berliner, und ihn über den Umweg des Himmels, in den ich ihn schmiß, ins
Wasser entließ, und der sich über seine Freiheit noch beschwerte, wahllos griff
ich in die Körperkarren, und in den nächsten, aus dem Stapel, und den nächsten,
wahllos, und die aufgesperrten Augen ohne Lider, die sich weghungerten, und
griff hinein in den nächsten, nach dessen Kopf darunter der nächste Schädel,
und darunter der nächste Kopf und darunter der nächste Fisch, den ich über den
Umweg des Himmels ins Feuer des Wassers schmiß, und mich beschwerte, daß sie
doch schwerer als ein Kind waren, schwerer als meine geliebte Nichte, die ich am
Kurfürstendamm in den Himmel hievte, und das Eis, das ich ihr kaufte auf meinen
Hut tropfte in der Hitze dieser Liebe, unter den nächsten Schädel vor dem Ofen,
aus dem Karren der Lostrommel kam Stellas wunderschönes Gesicht zum Vorschein,
und lag nun vor mir, die Haare weggeschoren, gebettet auf Knochenbergen, und
dieser brachend rote Lippenstift auf den geöffneten Lippen, lag sie vor dem
Begehren nach Kaffee und Streuselkuchen in jedem Sommer, und auch wenn ich es gewohnt war, den
Blicken zu entgehen, um mein Leben zu retten, nur einmal nicht, und diese brachend
roten Lippen in Lippenschrift, auf dem Karren, vor dem Ofen, lagen, und dem Leuchten
in ihrem Gesicht, zog es vor den Blicken der anderen meinen Kopf nach unten, zu ihr
hin. Und küßte diese Lippen. Vor aller Augen.
Dann brachend.
*