"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 31. August 2014

Flirting with Desaster


Aus dem Korb der Früchte, noch warm vom Pflücken doch...


Als Paris sich mit seinen Zweifeln belud, war ihm nicht bewußt, daß er überhaupt etwas in Händen trug.
Aus dem Korb der Früchte. Drei Schritte zurück. Er hielt sie vor. Ins Licht, nein, davor.
Und aus seiner Sicht der Dinge waren sie leer.
Gab nichts her, als er sie ausstreckte, außer gutes Wollen.

Und als er sich so sah, wie schwer sie wurden, als sie sich entluden
– je mehr das Wort, das später folgte, hörbar an der Schale nagte – war nichts mehr wie zuvor.

War sich nicht im Klaren
– je mehr sich dieses Nomen aus der Frucht enthüllte, so man Schwere sehen wollte –, daß er umso weniger erfüllte.
Noch mehr, als er an die Wärme anderer Hände stoßen sollte.

Furcht nicht.

Wundern war das Wort.

Nichts besaß. Am wenigsten das, was er selber wollte.
Weil er nichts besaß, außer dem, was niemand hören wollte.

Als Paris seine Zweifel aus den Händen lud, war im nicht bewußt, daß er sie auf feine Schultern lud.
War ihm nicht bewußt, als er ohne Sinne schritt, daß sich in diesem Sinne noch viel mehr beschreiben ließe.
Aber hielt sich kurz, an mich, den Schreiber.

Der nichts besaß, außer seine Zeilen – reichte seine Last gleich weiter –, und nicht mal Schultern, Umgang kaum, um Bürde hinterherzutragen.
Fehlten also Worte.

Schwer beladen, humpelte ich als Diener – noch unbezahlt – seiner Würde hinterher.
Verlor so auch noch Silben, die an bestimmten Stellen wichtig wurden, manchmal Letter, im Torkeln recht noch wacker.

Stieg Paris auf eine Leiter, Rocksaum aus Geländer. Entfielen mir bei jeder Stufe ganze Zeilen, blickte auf meine Füße, darunter Wasser, verlor ich aus den Augen seine Worte – auf einem Schiff im Wanken –, und meine Orte waren dem so gleich.

Als Paris seine Segel setzte – mit leichter Hand und Kleiderstoff mit der zweiten an weicher Hüfte –, in See stach, fiel ich am Rande auf die Planke.
Eine Hand, um Halt zu finden. Vor dem Mund die zweite, wegen dem Wanken – ich, der Schreiber.

An Lande in Herzen stach, mit jedem Mast am Winde, um die sich Apfelgeschichten eines Stengels um Gesichter rankten.

Freude nicht.

Bangen war das Wort. Das meine. Das mir eine Möwe aus dem Schnabel blies. Das ich aus den zurückgelassenen Augenlanden am Ufer kratzte.

Ein Stich nach Osten, ein Stich nach Westen, stieß ein Stich nach Süden, folgte ein Stich nach Norden.
Dann – begann das Morden.


Was ist aus ihnen geworden?

Meinen Worten, die ich Paris hinterhertrug.

Hörte, nach dem Trug, nach Tausend Morgen, ein Horn.
Ist daraus geworden bloß.
Von Lippen, bloßen, scharf geblasen: Eris.

Tauschten Letter – ist aus o ein i geworden –, Schiff zu Floß.
Paris tot. Und ich, der Schreiber, naß entkommen.

Ihr Tönen?


„Der Bazaar der Möglichkeiten...
...füllt das Horn der Lautmalerei mit der Reichhaltigkeit der Ebensucht.“


Kein Grund, zu klagen.


Nun, vielleicht war das nur ihre Art, „Hallo“ zu sagen.







*




(Ode/r an Homer)




Samstag, 30. August 2014

Aura


Schönheit vergeht. Jugend vergeht. Aura und Charisma bleiben. So sie nicht gegen die Vergänglichkeit verlieren.

Chuzpe wappnet gegen die Vergänglichkeit.


Und nun war diese Nadel im Weg. Unscheinbar, wie es Nadeln nun mal sind, lag sie vor mir auf dem Boden des roten Teppichs. Daß er rot war, der Teppich, war wichtig. Denn ohne diese Farbe, die mich an das Blut in meinen Bahnen erinnerte – der Puls pochte und ich vergewisserte mich, daß er es auch beim nächsten Schlag noch tat, indem ich beunruhigt nachfühlte – wäre sie mir in diesen undurchdringlichen Flusen wahrscheinlich nicht aufgefallen. Lag sie also da. Und wenn man genau hinschaute, blitzte sie auch im Licht, welches sich gelangweilt durch die Aussicht eines fernen Fensters gähnte. Bäume sah man dahinter liegen – aber wo sah man keine? –, verborgene Häuser im Blätterdach darunter, ein kleiner Weg, den Kinder zu ihrer Schule benutzten, gab sich schemenhaft. Und diese Nadel schien mir schnippig einen Wink zu schicken, von unten, von dort, wo sie lag. Mit ihrem langen, dünnen Körper, mit ihrem Öhr, der Öse, in die sich eines der roten Flusen hinein verirrte. Und verriet mir nun, was sie verbarg. Wie sie dahin kam, dort unten, direkt vor meinen Füßen. Vielleicht war es ihr wichtig, mir das mitzuteilen. Vielleicht erwartete sie auch niemanden, der weiter des Wegs kam und so wollte sie die Gelegenheit nutzen, es wenigstens mir zu sagen. Mir, der baff erstaunt vor ihr stand. Und so begann sie, zu erzählen:

Sie wurde in einer Fabrik nahe eines Flusses geboren. Sie konnte sich nicht mehr an die Stadt erinnern, doch es mußte eine schöne Stadt gewesen sein, denn wer würde sonst auf die Idee kommen, dort, ausgerechnet dort, eine Nadelfabrik zu erbauen. Sie durchlief mehrere Werkmaschinen und kam strahlend glänzend auf diese Welt. Alles war noch neu für sie und sie freute sich, wenn immer jemand kam, um sie weiterzureichen. Andere Hände kamen und gaben sie in andere. Wieder andere lösten diese ab, und so lag sie nun nach vielen Handgriffen in einer durchsichtigen Plastikpackung, mit einigen ihrer Schwestern. Und nun wäre alles seinen Gang gegangen. Wäre sie in die große, weite Welt entlassen worden, jenseits dieser Fabrikmauern. Wäre sie in angenehme Hände gelangt, die nur zu gut wußten, wie man eine schöne, junge Nadel zu benutzen hatte. Doch leider, wie so oft im Leben, auch im Leben einer Nadel, kam es hier auch anders. Wanderte diese Packung, in der sie lag, mit ihren Schwestern, auf die Kante eines Werktisches, sollte in einen Karton einsortiert werden, doch ein Stoß ließ sie fallen, gleich auf den Boden beim Tischbein. Ein weiterer Schubs, von einem Arbeitsschuh, stieß sie nun ganz unter den Tisch. Lag sie nun da und wartete, darauf, daß man sie hervor holte aus ihrem vorgesessenen Grab.

Die Jahre vergingen. Menschen kamen und gingen. Wurden älter. Die Hände, die Handgriffe, die ein Leben lang ihre Griffe ausübten, verschwanden. Die Fabrik schloß ihre Pforten. Passierte lange nichts. Bis andere Menschen einzogen. Andere Möbel. Die alten raus. Fand ein junger Mann mit Bart und Brille, der in der Medienfirma arbeitete, die nun in den Werkshallen ihre Büros hatte, beim Einräumen die Plastikpackung mit unserer Nadel auf dem Boden. Und vielleicht war es dieser vergessene Glanz aus seinen Kindertagen, die ihn staunen ließen. Er biß gerade in ein Wurstbrötchen hinein. Hob die Packung hoch. Und er überlegte wohl, ob er noch Nadeln gebrauchen könnte. Der Chef kam. Er besann sich, ob der erstohlenen Pause,  und warf sie in den Papierkorb. Zusammen mit dem Rest der Wurststulle. Er kaute im Stillen weiter, bis der Chef den Raum wieder verließ. Und dort lag sie nun, die Nadel, im Papierkorb, und war wieder traurig.

Jemand anderes kam am Abend, machte das Büro sauber und leerte den Papierkorb. In einen Müllsack hinein, dieser landete auf einen Wagen. Der schob sich durch die Räume. Weitere Säcke kamen hinzu. Diese landeten vor der alten Fabrik, in der nun junge Firmen eingezogen waren, die ihr Glück im neuen Zeitalter suchten, lag auf der Straße und wartete darauf von der Müllabfuhr abgeholt zu werden. Und wäre wohl das Schicksal der Nadel beschlossen gewesen. Irgendwo auf einer Mülldeponie unter all den anderen Dingen, die man nicht mehr brauchte begraben zu sein und so verloren. Doch in der Nacht kam eine Katze. Sie kratzte den Beutel auf. Sie roch das Wurstbrötchen und hatte es darauf abgesehen. Sie spielte mit dem gefunden Essen, wie es Katzen gerne mit gefangenen Mäusen taten, und dabei bekam sie die Packung mit der Nadel zu fassen. Der Schein einer Laterne spiegelte sich in der glänzenden Oberfläche und die Katze begann mit der Packung zu spielen. Die halbe Straße hinauf. Bis sie das Interesse verlor, wie Katzen nun mal so sind, oder weil sie sich doch an das Wurstbrötchen erinnerte. Die Nadel lag nun auf dem Bürgersteig am Rande des Rinnsteins. Und sah zum ersten Mal in ihrem Leben die Sterne.

Die Nacht wechselte zum Tage. Sah sie zum ersten Mal den Sonnenaufgang. Menschen kamen vorbei. Erst wenige, dann mehr. Dann viele. War es im Laufe der Zeit eine belebte Gegend geworden, seitdem die Fabrik ihre Tore geschlossen hatte. Und fast schien es, als riefe die Nadel den Menschen zu. Sie sollten sie aufheben. Sie und ihre Schwestern aus ihrer Packung nehmen und dann mit ihr nähen. Hatte sie fast vergessen, daß sie ihre gesamte Kindheit und ihre Jugend und einen Teil ihres Alters vergessen unter dieser Werkbank der Fabrik verbracht hatte. Und als es fast nicht mehr schien, daß einer der vorbeihuschenden Gestalten von ihr Notiz nahm, kam eine Mutter mit ihrem Kinderwagen vorbei, das Kind ließ seinen Handschuh fallen, der kam gleich neben der Packung mit den Nadeln zu liegen und sie hob beides auf. Hob es hoch, und es war so, als ob sie die Packung mehr begutachtete, als den Inhalt. Sah die Packung etwas mitgenommen aus und roch nach Wurstbrot. Der Handschuh roch nach Straße, nicht das erste Mal, daß er aus dem Kinderwagen fiel. Ohne Umschweife zog sie den dem Kinde wieder an. Mit der Packung in der anderen Hand ging sie weiter und überlegte noch. Und hätte sie nicht jemand Bekanntes getroffen – eine Freundin, ebenfalls mit Kind und Kinderwagen unterwegs –, so hätte sie die Packung mit der Nadel wahrscheinlich nicht in das Kinderwagennetz gesteckt. Vielleicht, um der Freundin gegenüber nicht zu zeigen, daß sie Dinge von der Straße aufliest, die womöglich auch noch nach Wurst rochen.

So redete man viel im benachbarten Café und es gab viel zu bereden. Zwei Kinder im Kinderwagen gaben viel Gesprächsstoff her und vier Latte Macchiatos umso mehr. Bezahlten diese die Stühle für Stunden. Die Nadel aber hörte gerne zu, hörte sie doch zum ersten Mal im Leben andere Worte, als die, die sie aus der alten Fabrik gewohnt war zu hören, die sich nur um die Arbeitsschritte drehten, wie man Nadeln richtig herstellte, was zu beachten war, was Ausschuß war. Und vielleicht war das der Augenblick, daß sie sich an dieses Wort erinnerte: Ausschuß. War sie wohl Ausschuß, auch. In ihrer makellosen Ausführung, als sie aus diesen Maschinen kam, in der alten Fabrik, und das Licht der Welt erblickte, das sich so gerne in ihrer Oberfläche spiegelte. Doch bevor die Nadel noch weiter darüber nachdenken konnte, ging es schon weiter. Was waren schon Stunden gegen Jahre?

Die Mutter mit dem Kinderwagen verließ Freundin und Café und hatte die Packung mit der Nadel schon vergessen. Sie steuerte ihr Zuhause an, erreichte es über Umwege, fuhr dazwischen mit dem ungemütlichen Bus, der Kinderwagen paßte so gerade in die Lücke, die der Omnibus für Kinderwagen und Mütter vorsah, so als seien die nicht erwünscht, stand dann vor der Haustür, öffnete diese, stellte den Wagen unten im Hausflur ab, das Kind nahm sie heraus, ließ den Wagen stehen und verschwand in ihrer Wohnung. Die Packung mit der Nadel lag vergessen im Netz des Kinderwagens, und hätte man sie herausgehoben aus dieser Vergessenheit dieses Daseins, so wäre sie jetzt wahrscheinlich ihrem Ziel nahe. Gab es sicher in diesem Haus jemanden, der Nadeln gebrauchen konnte. Mehr jedenfalls, als man Nadeln gebrauchen konnte in der Fabrik, in der sich ja alles um diese drehte.

Abends kamen Jugendliche vorbei. Sie führten nichts Gutes im Schilde, waren Teenager. Rauchten heimlich in der Flurnische, weil es draußen regnete, zwei Flaschen Bier wanderten durch Hände. Dann tanzten sie mit dem Kinderwagen zu Sia – Chandelier und aus einer Laune heraus landete eine brennende Zigarette im Kinderwagen. Der rauchte. Hustend landeten die Hausbewohner auf der Straße von der Feuerwehr gerettet. Die löschte die Reste. Holte aber das Feuer die Nadel aus ihrer Plastikpackung, weil diese schmolz. War befreit und schwappte in einer Löschwasserpfütze. Und wäre auch so wieder vergessen, wenn am nächsten Morgen nicht die Putzkräfte kamen, um die Sauerei sauber zu wischen. Hatte das Feuer im Kinderwagen doch nicht so viel Schaden angerichtet, auch wenn durch den Rauch das Leben aller Bewohner des Hauses auf der Kippe gestanden hatte, was denen dann auch bewußt wurde. Schnappte man die Teenager. Tanzten sie nie wieder zu Sia – Chandelier mit Flaschen Bier in den Händen, rauchten sie heimlich nur noch draußen. Auch bei Regen.

Und unsere Nadel schnappte sich der Wischmob. Wischte hin, wischte her. Und blieb unbemerkt. Gab es sicher bessere Momente, in eine neue Wohnung einzuziehen. Gab die alte nichts mehr her, als verblaßte Erinnerungen, und die neue sollte für zukünftige sorgen. Erwischte mich der Mob beim reingehen am Hosenbein, und die Nadel entschied sich wohl, bei mir zu sein. Trug ich sie hoch in die Wohnung. Der neue Teppich roch nach Rauch und ich nahm mir vor, Teppichreiniger zu besorgen. Kam die Nadel am nächsten Tag beim Schrubben mit den Fasern in Berührung und verabschiedete sich vom Hosenbein. Und nun, lag sie vor mir auf dem Boden. 20 Jahre später.

Bemerkte ich sie. Und ich erwägte, sie so zu belassen. Brachte sie mir in Erinnerung, was in all den 20 Jahren geschehen war. Und vielleicht aus einem Antrieb heraus, der brachlag, entfernte ich sie vom Boden, suchte mir ein Loch, das sicher in eins der Socken war, suchte einen Faden und brachte die Nadel nach all der langen Zeit zu Leben. Und die Aura der Jugend wirkte sich in den Stoff ein. Blieb die Nadel unverfänglich der Vergänglichkeit gegenüber. Und ich besah mich im Spiegel. Sah mein 20jähriges Gegenüber. Die Nadel in der Hand. War sie unverändert nach all den Jahren. War ihre Aura dieselbe. Glänzende Makellosigkeit. Und dann öffnete einer den Mund, der, der vor dem Spiegel stand oder der, der sich darin 20 Jahre jünger spiegelte, und schluckte die Nadel herunter. Verharrte sie noch kurz auf der Zunge, so, als ob jemand noch etwas sagen wollte. Sprach aber nichts dagegen. Und die Nadel verschwand nach innen. Gleich mit einem beherzten Schlucken. War wohl das ihre Bestimmung, nicht Zwirn und Faden.

Dort liegt sie nun. Und wirkt ihre Aura – so hoffe ich – für immer in das Gewebe ein. Und bin gespannt, welche Löcher sie wohl dort drinnen stopft. Und manchmal, wenn ich ganz genau hinfühle, merke ich sie, dort, ganz tief im Inneren, wenn ich zu Sia – Chandelier in einem Hausflur tanze.





*



Freitag, 29. August 2014

Mainland China, quite. Not quiet...


4. bis 6. Tag: Mainland China...

 神光, 神威,


Miss Jay Jay umarmte mich fast bis zur Bewußlosigkeit. Und während sie mich so drückte, hatte ich Angst, ich könnte einen ihrer Porzellan-Arme abbrechen. Sie hielt einen Moment inne. Und Tränen hinter zugeklappten Garagentoren versperrt. Dann öffneten sich die Parkbereiter via home link, und ich konnte das Surren beim Hochfahren nicht von der quietschigen Pforte zu ihren Bambushainlippen unterscheiden. Der Mund schloß sich zu synchron zu den Augen, da sie sich warmbooteten. Aber glauben, glauben konnte ich nicht den Geräuschen, nur den Lauten dazwischen. Quite. Not quiet.

Ihre Arme rutschten jetzt an meinem Haifisch-Sakko runter, und es war nur ihrem Porzellanbetragen zu schulden, daß sich keine Fasern daran verhakten. Sie hielt sich an meinen Hüften fest, dann klickten ihre Hände hinter meinem Rücken zusammen, während sie sich jetzt ein wenig hängen ließ. Es war wie wiegen, und sie lächelte dabei so grienig, so rechthaberisch oder doch so glücklich, wie nur ein Mädchen auf der Wiese es konnte, die einen Baum zum Tanzen aufforderte. Zu der Musik von Words, don't come so easy, words. Von F.R. David. Ein dritter Ast kam nun hinzu. Goliath. Not quite. Frau Kwong, quiet. Klopfte ab.
Frau Kwong lächelte sich durch die Grashalme wie ein Mähdrescher. Dabei rotierten ihre Zähne ebenso wie Spindeln, und Miss Jay Jay schaute plötzlich wie ein Rehkitz. Frau Kwong überfuhr sie. Ungeachtet ihres Vertrages über 70 Stunden die Woche und scheuchte sie in den Bambushain, wohin sie ungehalten mit weißem Spiegel und Lappen – fing gleich an, zu wischen – verschwand. Nicht, ohne mir noch die Reality hinterherzuschmachten. Eine dieser jedenfalls, die sich Richard Sanderson wohl im Malariawahn erdachte. Als Rache für jeden Moskitobiss. Quite. Not quiet.

Frau Kwong schob ihre Arme vor, als öffnete sie eine Schublade, und darin begleitete eine Schachtel die Offenbarung mit der Aufdringlichkeit einer Schleife, und daran nun zu ziehen, um das Eigentliche zu beziehen. Ich zog schnell – der Terminkalender drängte – mit einer Hand, die Acht des Bandes nun linear, und hob den Deckel auf. Meine Wasserrohrzange lag dort in Seidenbausch gewickelt und glänzte, als wäre sie neu geboren.

„Sie ich überholen lassen haben.“, sagte Frau Kwong.

Und schob eine neue Schublade auf. Ganz klein. Wie eine Streichholzschachtel. Zwischen beiden Zahnreihen fuhr sie heraus, rot wie eine Zunge. Dann öffnete auch sie sich, darin ein kleines Vögelchen wie man es von Spieluhren her kannte, klappte es heraus, drehte sich, schnatterte, flatterte mit den Flügeln und piepste – ganz sanft – mit feinem Schnabel einen Kuß auf meine Schwalbennesterlippen.

Vielleicht lockte das ‚Auf Wiedersehen‘-Schild mehr als das ‚Willkommen‘. Ich stand davor, im Terminal, am Rande der Taxizecken, zwei Tage älter, und… verstand. Dieselben Lippen, nur diesmal die von Frau Kwong, der Besitzerin, und darauf in unglaublicher Geradlinigkeit wie ein gespitzter Bleistift der Zeigefinger. Und ich verstand. Eine Hand in der Anzughose, eine an der Trolleyplärre, dann ging ich los – wie Cary Grant –, hielt – wie Cary Grant –, schaute den Trolley wie ein aufgezwungenes Kindermündel an – von oben herab – und bemerkte, daß noch ein blauer Zipfel meines Overalls heraushing. Ich beließ es so.

„Bist Du zur Vernunft gekommen?“, fragte ich. Quite. Not quiet. „Nur, was machst Du dann bei mir..?“

Ich blutete mich durch die Vene des Flughafenausgangs hinaus und tropfte mich in eine dieser Taxizecken. Grün. Oder rot. Ich weiß nicht mehr.

„Mainland.“, sagte ich dem Chauffeur. „China.” Quite. Not quiet.





*



Donnerstag, 28. August 2014

Frau Kwong war für Worte nicht zu sprechen


(Was in der Zwischenzeit geschah…)


1. bis 3. Tag: Bujumbura Spa, Hong Kong International Airport Chek Lap Kok

"我們全心全意,為旅客締造卓爾不凡的機場體驗。"



Miss Jay Jay brachte die Unerläßlichkeit eines Bades herein, in den Bambushain…
Weil. Weil ich den Ausdruck in Händen hielt. Daher.


Miss Jay Jay war eine Dienerin dieser trüben Nebel, die ein Dampfbad unerläßlich ließen. Sie goß nicht auf, sie war der Aufguß. Und dieser Guß war einer ihrer feuchtesten. 'Feucht' war nicht der richtige Ausdruck, den ich in Händen hielt. Und 'gießen' nicht das richtige Wort für einen Ort wie diesen.

Benetzen.

Doch da war noch die Wasserrohrzange. Ich verlor. Und es war eine Erleichterung, an Gewicht zu verlieren. Während.

Und während meine Oberfläche den Nebel benetzte in diesem Raum, tastete der Overall unschlüssig nach der Hand, verlieh sich die Farbe auf alle Sinngemäßen, schon inbegriffen. Doch da war noch die Wasserrohrzange. Mit der Miss Jay Jay die Temperatur des Dampfbades regelte. Sie löste, soviel konnte ich in den Schwaden erkennen, eines der Bamboo-Paneele im hinteren Teil von der Verkleidung ab und gongte fordernd gegen die dort verlegten Heißwasserrohre. Ja, sie hielt meine Zange in Händen. ‚Halten‘ war nicht das richtige Wort für einen Ort wie diesen.

Schwingen.

Schwang die Zange wie einen Schlägel und läutete den Gong der Arbeit ein. Was einen Wirbel erzeugte im Nebel. Typhoon-Belege.

“Would you, please?”

Unterschrieb ich.

Und das ‚would‘ klang auch ohne Bitte des Verlangens und übergroßes ‚L‘ des Gefallenwerdens wie in Sojasauce eingelegte Bambussprossen beim Kochen im Schon-Garer ohne Wok noch nach. Oder schon wie das ‚wood‘ des Bambushains gar.

Frau Kwong war für Worte nicht zu sprechen. Sie empfing hinter einem Pult, mit roter Seide aufgepolstert, und von einem ihrer Ohrläppchen seilte sich gerade eine Seidenraupe zur Schulter ab, um ein Muster in den ganzen Stoff einzuwirken. Sie begann gleich dort, wo sie lebte, mit ihrem Können. Und hätte ich mehr Zeit gebucht – das Rückflugdatum im Terminkalender meines mobile linear eingewoben von meinen eigenen Seidenraupen –, hätte ich sie sicher dabei beobachtet, nur beobachtet, welches Muster sie so auf wundersame Weise einkleidete. Frau Kwong notierte. Mit spitzer Miene. Irgendetwas.

Sie notierte mich. Und nach einer Weile beorderte sie meinen blauen Overall heran. Ich war überrascht, hatte ich doch mit $20 in der echten Hand, die ich aus meinem Portemonnaie herauskramte und erst noch in Euro, dann in D-Mark umrechnete, nicht damit gerechnet, außer mit $2 Wechsel. Hinter ihr versprach auf flüsternder Leinwand für jede ihrer Farben eine Anwendung Genugtuung. Genugtuung einer Massage gestaffelt nach Blütensorten, Weiden- oder Bambushain, Genugtuung einer Maskenbildung für Gesicht und Augenhaut, Genugtuung eines Ablassens im Dampfbad, Maniküre, Pediküre, Genugtuung eben für das übliche eines Preises, wessen wegen ich mich doch einließ. Sauerstoffbushaltestellen ähnlich gläserner Raucherzellen wie sie im Bang Koker Flughafen unvermeidlich waren, suchte man in dieser Sterilität – draußen – und in dieser – ihrer – Notizen vergeblich. Die Raupe krabbelte über irgendetwas und täuschte mit einem geschissenen Faden eine Unterschrift vor.

„Der Monteur? Das ich sehen gleich.“, sagte sie und ich konnte – während ich selbiges schon mit meiner Kleidung machte, die Tür zur Kabine öffnete sich, eine lächelnde Unaufdringlichkeit traute sich mit gebückter Höflichkeit entschuldigend nur als Porzellan-Arm herein, sie stellte ihre Freundlichkeit vor meinen Füßen in Badeschlappen ab: „Miss Jay Jay“ –, mich des Gefühls nicht entledigen, daß sie absichtlich die Wortreihenfolge änderte.

„Der Bambushain mich schwitzt pleite.“






*




Mittwoch, 27. August 2014

Bujumbura Spa


Wolken. Wolken. Köpfe in den Wolken. Bewegte Stämme, nicht minder die Blätterpracht.
Wolken. Wolken. Ein Wald in Regung.
Bujumbura, 28°, 4°. Out of Africa. Zwischen Lake Victoria und dem Faden Tanganyika.
Tränen. Tränen. Regenwald. Tränengas verflüssigt sich gerade…


Die Maschine spuckte ihre Zunge heraus. Der Stewart fügte noch einstudierte Höflichkeit hinzu, dann hielt ich die Bordkarte in der Hand und der Schlund des Drachen verschluckte mich. Zwölf Stunden später würgte er mich wieder aus. Halb verdaut. Aber aus.

Bujumbura Spa.

Trolley am Arm wie ein trotziges Kind, nur einen Koffer, damit man an der Quengelware Mensch nicht ständig halten mußte, dann spülte mich das Rauschen aus den Verbindungslautsprechern zwischen Arrival und Departure durch das gewellte Abflußrohr des Hong Kong International Airports in die Kanalisation des stinkenden Hafens. Dazwischen Abflußfrei der Paßkontrolle, Aufmerksamkeitstoilette in der Spiegelkontrolle, Flüchtigkeitsanhaftungen der Blicke anderer Reisenden oder Ankommenden wischte ich mir mit zitronenfrischem, heißem, weißem Frotéewaschlappen aus den Augen. Bujumbura Spa.

Bujumbura Spa stand auf einer Werbetafel und war das erste warme Lächeln, das mir Hong Kong schenkte. Ohne mir etwas dafür zu berechnen. Warum es die Ankommenden grüßte? Vielleicht war es ein Scherz der Besitzerin, die sich diesen heimlich erlaubte, in ihrer spitzgelippten Geschäftstüchtigkeit, die in vorgehaltener Faust als Etikette ihre Zähne versteckte, und flüsterte, beinahe zu leise für ein Abflußrauschen, daß es nach dem Schild nicht mehr besser werden würde, nie mehr. Für $18 die Stunde.

Der Trolley gab mir einen Ruck. Er fuhr mir in die Hacken. Und gab mir so zu verstehen, daß er nicht damit rechnete, angehalten zu werden auf dem Weg nach draußen. Nicht so nah vor der Aussicht auf ein wartendes Taxis oder der Bequemlichkeit commutierender Begleiter.
Eine Gruppe Chilenen heiratete sich zum Ausgang, erkennbar an ihren Bloussons aus Ballonseide und eingenähter Flagge am Ärmel, öffnete die Sensoren der Schiebetüren mit müder Geste eines Interkontinentalversprechens, bevor sie dann der Brautschleier aus Nebel, Dunst und Smog der Stadt zum Lüften reizte. Sie schoben mich ein wenig weiter. Hinter die Demarkationslinie, die Eitelkeit von Neugier trennte, in Gedanken, faktisch aber nie vorhanden, sah ich der Hochzeitsgesellschaft nicht ohne Neid hinterher – unmöglich eine Ordnung herzustellen, während sie um viel zu wenige Einigungen für viel zu viele rote Taxicabs, Toyota Crown Comfort, noch balzten, oder grüne New Territories Toyota Alphard sich 'For Hire' anbiederten –, bis der Werbeständer, diesmal von hinten, den Blick verstellte und alles in den Vordergrund stellte.

Dieselben Lippen, nur diesmal die von Frau Kwong, der Besitzerin, und darauf, in unglaublicher Geradlinigkeit wie ein gespitzter Bleistift, der Zeigefinger.

Vielleicht lockte das ‚Auf Wiedersehen‘-Schild mehr als das ‚Willkommen‘. Vielleicht lockte ihre Selbstsicherheit ihrer Patina mit Gold wechselnder Zahnreihen. Erinnerte mich an die Sterilität meines Auftrages, eingetrocknete Farbe vom Schreiben an Fassaden, Auslassungsausrufezeichen aus den Deckenlautsprechern, Entleerungsklatschen aus den Bäuchen der Flugzeuge, Desinfektionsrituale moderner Flughäfen, Spülurinale gleich, an denen nichts anhaften sollte, kein Mensch, kein Verbleiben, kein Behagen, außer Stechgeruch – schon entkleidete ich mich im Bambushain.

Die Tür zur Kabine öffnete sich. Eine lächelnde Unaufdringlichkeit traute sich mit gebückter Höflichkeit entschuldigend nur als Porzellan-Arm herein und stellte ihre Freundlichkeit vor meinen Füßen in Badeschlappen ab. „Trolley, Trolley.“, vergewissere sie sich, und ich fügte alle ihre R's für den Augenblick hinzu. 
Ich... öffnete ihn. Ich schob meinen Cary-Grant-Anzug beiseite, darunter kam ein blauer Arbeits-Overall zum Vorschein. Der geschnitzte Elephant aus Backelit ritt auf seinen Latzreißverschlüssen.

Umgezogen.

Ganesha verschwand als Glücksbringer, ein letzter Blick in den Trolley. Ein Fach klappte auf. Darunter: Werkzeug. Das Werkzeug eines Klempners.


Zwei Wochen später...


Die Maschine spuckte ihre Zunge heraus. Der Stewart fügte noch einstudierte Höflichkeit hinzu, dann hielt ich die Bordkarte in der Hand und der Schlund des Drachen verschluckte mich. Zwölf Stunden später würgte er mich wieder aus. Halb verdaut. Aber aus.






*




Dienstag, 26. August 2014

Auf Kippe


Ich ging nur schnell mal Geld abheben und querte die Straße, als sich ein freundliches Hallo von unten in meine Miene spuckte.

Lag so dort da. Da zwischen den Bahnen. Und vielleicht war es ihm nicht recht. Zwischen den Strichen. Zwischen den Wagen, die sich die Hand gaben, während sie aneinander vorbeikamen. Nur so da zu liegen.

Ich hob ihn auf, hielt ihn gegen den Himmel – der war übrigens blau – und versteckte ihn in der Hand. Und wäre es ihm gelegen, so wäre er wohl dagegen.

Der Zigarettenkippenmann schnatzte sein gelangweiltes Zucken, filtergelb, Weißes dran.

Ich steckte ihn zwischen die Lippen, ein Lächeln kam inmitten – und zündete ihn schon lächelnd an.






*


Montag, 25. August 2014

Es war einmal ein König


Und neben ihn waren viele Könige. So war der König also Kaiser. Und weil der Kaiser nackt war und alle seine Könige auch nackt, so befahl er nun, daß sich alle seine Schloßdiener nackt auszuziehen hatten. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die ihn wählten, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war, so befahl er seinen Dienern, sich die Augen zuzubinden.

Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war, gern reiste, so befahl er seinen Kutschern sich zu entkleiden – es war Winter – und den Pferden ebenso – man schor ihnen den Pelz –, die diese Kutsche zogen. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die mit ihn fuhren, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war, und sie auch, so befahl er seinen Kutschern, sich die Augen zuzubinden, und den Pferden ebenso.

Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war, gern aß, so befahl er seinen Getreuen, ihn und die Könige, die ihn begleiteten und nackt und entblößt froren, zu einem Gasthof zu bringen. Aber da die Kutscher, die ja nackt waren, die Finger klamm vom eisigen Wind und mit verbundenen Augen die Kutsche mit den ebenso nackten Pferden, deren Augen ja auch verbunden waren, nicht mehr auf dem Weg halten konnten, und sie sogar in einen Graben fuhren, und nun nicht mehr weiterfuhren, weil sich die Kutsche ja nun festgefahren hatte, und alles Fluchen und Befehlen auch nichts nützte, so befahl der Kaiser Träger.

Und es kamen viele. Hofträger, Amtsträger, Würdenträger. Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war und auch fror – es war ja Winter – und die Könige, die ihn begleiteten ebenso, hungerte – der warme Gasthof war fern –, so befahl der Kaiser, sie sollten Brot und Belege mitbringen. Und die Hofträger, Amtsträger, Würdenträger taten, wie ihnen das Gehorchen beigebracht wurde. Und beriefen sich auf das Befehlen und nahmen es den Bauern in der Nähe vom Abendtische weg. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die mit ihn in den Graben fuhren, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war und fror und hungrig war, und sie auch, so befahl er den Hofträgern, Amtsträgern, Würdenträgern, sich zu entkleiden und sich die Augen zuzubinden, und den Bauern, denen man das Brot aus dem Munde nahm, ebenso.

Aber weil die Bauern eine gewisse Schläue besaßen, obwohl sie nackt nun waren und entblößt und froren und nun auch hungrig waren und die Augen verbunden, schielten sie heimlich durch die Binden, und so erreichten die Brote zusammen mit den Hofträgern, Amtsträgern, Würdenträgern – geleitet von den Bauern – doch noch den Kaiser, der in seiner Kutsche zusammen mit seinen Königen im Graben darauf wartete, den Kutschern davor ebenso und den Pferden, weil der Magen knurrte, er fror, nackt war und entblößt, doch weil man sie bei der Schläue erwischte, weil sie über die Felder zur Kutsche hin kaum stolperten, weil der Kaiser und die Könige ja allsehend waren, die einzigen, die es waren – nackt, entblößt, frierend und hungrig, aber allsehend –, so befahl der Kaiser, ihnen die Augen auszustechen, befahl es ihnen nun gleich selber, weil sie ja nun die einzigen waren – neben den Allsehenden –, die noch etwas erkennen konnten, und nun nicht mehr. Aber weil nun niemand mehr die Brote und die Belege sehen konnte, aber der Kaiser, der ja nackt war und entblößt, fror und hungrig war, nie lernte, wie man Brote selber schmierte, und seine Könige ebenso, und seine Kutscher sowieso, und seine Hofträger, Amtsträger, Würdenträger nun gar nichts konnten, befahl er den Bauern, diese selbst zu belegen.

Aber weil die Bauern eine gewisse Schläue besaßen, obwohl sie nackt waren und entblößt, wie der Kaiser es befahl, und froren und hungrig waren und nun blindem Gehorsam folgten, belegten sie die Brote mit allem, was zum Greifen war. Mit Schnee, mit Steinen, mit Hundekot und Pferdeäppeln, mit Unrat also. Und weil der Kaiser es unterlassen hatte, allen das Hören zu untersagen, hörten alle, wie sie sich die Mägen verdarben. Der Kaiser und die Könige. Die Allsehenden. In dunkler Kutsche, es war Nacht. Und nicht sahen, was sie herunterschluckten. Weil keiner der Allsehenden an eine Kerze gedacht hatte.


Es war einmal ein König.





*



Sonntag, 24. August 2014

Tommyknockers Sweeties


„Tommytommy, Tommytommy … nein… nicht…“


Tommytommy–Two–Chances war einer dieser Burschen aus dem ‚Viertel’, zwischen Cemetery and Baptist, denen man besser kein ‚Nein’ in das düstere Gesicht eines Treppenflures hauchte. Schon gar nicht ein mit fauligem Mundgeruch versehenes, wenn er den schweren Cut einer dominikanischen Batista Conquador zwischen drei seiner insgesamt acht Fingern hin und herrollte, langsam, so nah am Mund, um 300 Grad, ohne zu paffen, nur um das Aroma aus den knisternden Blättern in seine Hakennase zu locken. Aire Caribéenne. „Kaltes Parfümieren“ nannte man das unter Kennern. Oder Blue Xtasy. Nun, wie man es nannte, war Tommy-Two-Chances scheißegal. Er nannte es „riechen“.

Im dritten Stock. Billige Absteige, dünne Wände, Fernseherstöhnen hinter schmutzigen Türen und Ohren so groß wie Klodeckel, die auf ein Spülen warteten.

„Tommytommy, Tommytommy… nein… Du weißt…“

Zwei Scheinwerfer erhellten den Eingang. Unten. Ein schwerer Wagen auf dem Parkplatz. Der Motor heulte auf. Finstere Finger in braunen Lederhandschuhen klapperten am Lenkrad im Takt des Gasstoßes. Noch einmal. Kurz. Doch bis hier hin, nach oben, traute sich das bewegliche Licht nicht.

„Tommy… nicht…“

Francine. Wie in Benzin. Eigentlich Franko. „Madame“, wie ihn seine Freunde nannten, hielt sich an der Kette fest und gab dem Türspalt Leben. Eine merkwürdige Art davon. Eher. Zumindest Bewegung. Nervös machten sich seine geschminkten Lider mit der Erwartung vertraut.

„Du weißt… sie…ich darf nicht… hat es verboten…“

Der Motor heulte auf. Zweimal kurz. Das vereinbarte Zeichen, sich zu beeilen. Dreimal – und dann sollte man sich schon verabschiedet haben. Von seiner merkwürdigen Art. Seinem „Eher“. Seinem Leben. Wenn Tommy schon mal an die Türe klopfte. Mit den verhornten Knöcheln seines Kleinen und Ringfingers der rechten Hand. Klingelte nur dann, wenn er sich nach seinem Besuch auch wieder verabschiedete. Und seine „Aufgesuchten“ es auch konnten.
Hatte stets eine Plastiktüte dabei für die lästigen Spuren der anderen. Die seinen Anzug schützte. Nein. Heute wollte sich Tommytommy nicht verabschieden. Auch bei drei Gasstößen nicht. Heute nicht. Nicht an diesem Abend. Nicht an dieser Tür. Nicht in seinem ‚Viertel‘. Dafür war die Luft zu rein.

„Du stinkst.“

Zweimal heulten Francines Augenlider auf. Tommys Mund formte ein stilles „Tadaa“ wie ein Zauberer – seine drei Finger spreizten ein „W“ wie in „Warum“ – und ließ die teure Zigarre fallen. In Zeitlupe platzte die kalte Glut auf den Boden. Dort lag sein Handwerkszeug. Sein „Baby“. Wie er es liebevoll nannte. Das er nur zu besonderen Anlässen aus seinem „Keller“ herauskramte. Nur zu diesem Zweck und zu diesem speziellen Abend. Heute Abend. Einmal in einem verdammt langen Jahr. Sich den „Spaß“, wie er es spöttisch nannte, erlaubte. Als Anerkennung seiner „Leistung“. Ein Geschenk, das er sich selbst machte. Francine zuckte zusammen, als die Kippe den Boden stippte, ein zweites Mal, als Tommy in die ausgebeulte Reverstasche langte. Armani, feinste Nadel, Turkey Blend – wenn man versteht.
Nein. Tommy war keiner, der ein „Nein“ mit einem einfachen Nicken beantwortete.

Dafür war er zu gut.

Seine Finger nippten am dunklen Stoff. Sie zogen ein glänzendes Etwas heraus.
„Zipp“.
Wieder „Zipp“. Das dumpfe Klackern aus Metall und Fingerfertigkeit machte den betrunkenen Francine nüchtern.

„Tommy… nicht…bitte… ich.“

Ein Rascheln. Die freie Hand zog die Plastiktüte heraus. Tommy öffnete die Stille.

„Ich mag es, wie Du >Bitte< sagst, Francine.“

„Bittebitte…bittebitte… Tommytommy…“
Zipp-zipp…
„Bittebitte, Tommy… sie… hat es verboten…“
Zipp-zipp… machte benommen.
„Bitte…“

Francine – wie in Benzin – verlängerte das „Bitte“ wie in „Biete“ und ratschte die Türkette aus dem Schloß.
Zipp-zipp.

„Biete…biete… Tommy, ich biete Dir alles, was ich hab… nur… hör auf, ja?“
Er kramte im Dunkeln.
Das Zipp stoppte abrupt. Tauschte gegen ein „Zing!“

Die Flamme des Sturmfeuerzeuges erhellte die Gemüter zu zwei Fratzen. Der Motor heulte auf. Einmal, zweimal – dreimal. Nein. Heute nicht. Nicht hier. Nicht an diesem, seinem Abend. Tommy-Two-Chances ließ sie züngeln. Leckte sie über das verheulte Gesicht von Francine, seinen stoppeligen Hals, den aufgeklebten Silikon-Titten, den Miederbund hinunter zu den lila Strapsen, den Strumpfhaltern und den weißen Tennissocken. Bis zu Tommys „Baby“. Ein zylinderartiger Körper, bunt bedrucktes Papier, eine Schnur, eine Stange. Er holte es hoch, nahm es in den Arm und entzündete die Kerze im Innern. Erhellten Sterne den Flur und die Decke.

„Die Sterne… ich glaube, es sind die Sterne…“

Klappte das Zippo ein, steckte es weg, raschelte die Plastiktüte zu Volumen, schob sie durch den Türspalt, kam ganz nah an Francine heran, spitzte seine Lippen und begann:

„Rabimmel, Rabammel, Rabumm…
Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…
Da oben leuchten die Sterne, hier unten, da leuchten wir.
Ein Lichtermeer zu Martins Ehr’…
Mein Licht ist aus, ich geh’ nach Haus’.
Rabimmel, Rabammel, Rabumm.“



„Francine…“ Wie in Benzin.

„Die Sweeties… mach’ schon. Schmeiß sie rein. Mama wartet nicht gerne.“


Der Motor heulte auf. Einmal, zweimal. Dreimal. Das verabredete Zeichen, sich zu beeilen.


Nein. Nicht heute. Nicht an diesem Abend.




*



Samstag, 23. August 2014

Sarg-Tide


Eine Frau geht ins Wasser… in Frankreich, irgendwo.


1266, Ocean Drive, Blick aufs Meer, Freitag-Nacht, Nieselregen, Frisco in der Nase. 



„Sarg-Tide...“

Sarg-Tide würde van Saint sagen. Wegen der Maserung. Weil das Wasser sich so glatt anfühlte wie ein Oak Tree von Barrin's in der 23., Ecke ‚Voluptuous‘.

Die besten T-Bone-Steaks der Stadt. Das halbe Council ging dort essen. Der Police Chief und der stellvertretende Bürgermeister. Der Besitzer Ona

Ein Japs, der nach der Importation den Laden von Artie Shaw übernahm. Weil der sich übernommen hatte. Mit dem heimlichen Boss der Stadt: Double-Day Jay.

Der Dying Dutchman. Beide steak-besessen. Und nur er nicht ohne konnte. Und der Japs Ona flink mit seinen Seppuko-Messern.
Keiner löste das Fleisch so schnell aus den Keulen heraus wie er. Und so sauber.

Immer freitags fuhr der Dying Dutchman im Duesenberg vor. Mit seinen Gorillas.
Und lieferte. Nachschub. Wenn er einen Double-Day bestellte, dann zuckten die Serviererinnen in ihren rosa Uniformen, hip-Style, slipless. 

Die T-Bones waren nicht der einzige Grund, warum der Laden so gut lief. Sandy war seine beste Stute: Spitzname ‚Arkansas' – Ah–can–soah. 

Er war vernarrt in ihr ‚ah', in ihr ‚can', in ihr ‚so–ahh'. Und nicht ohne Steak konnte. Er ließ sich bedienen. Dann die Gäste.

Was nur Ona, Double-Day und ganz wenige wußten:
Er löste die Keulen aus dem Fleisch der ‚Angelegenheiten' heraus. À la Carte.
Als erstes tischte er so Artie Shaw auf:

Der Chief ließ ihn sich schmecken.

„Sarg-Tide...“

Sarg-Tide würde van Saint sagen. Wegen der Maserung des Meeres.

„Marl. Sie wird nicht kommen.“

Green-H, H wie in ‚Age‘ – oder ‚Greenwich‘ irgendwo in Europa – spuckt mir mit seiner Taschenlampe ins Gesicht. Ich nehme sie ihm ab. Leuchte seines aus.

Das lag irgendwo zwischen Westcoast und Nebraska. Green-H. Ein Green-Horn. Mein neuer Partner. Ging sogar aufs Collage. Wie in ‚Age'. Daddy brachte das Geld ein.

Versuchte sich erst als Pathfinder, dann als Cop. Ich sammelte ihn von der Straße. Er steckte nur die kleinen Scheine ein. Einer der guten.
Den ‚George' fürs Weggucken rührte er nicht an. So landete er auf dieser vor dem Meer.

„Marlowe. Sie wird nicht kommen. Hier.“

Etwas flattert in seiner Hand. Er faltet die Welt auseinander. Eine Karte.

„Wenn sie aus Frankreich kommt, dann schwemmt sie der große Teich zur Ostküste.“

Ich schubse ihn weg und reiße ihm die Welt aus den Händen!

Ich ziehe an meiner Kippe. Schiebe sie über trockene Lippen von einer Küste zur anderen.

„Where the fuck is... Frankreich..? Biarritz..?!“

Die Karte flammt auf. Im Scheinwerferlicht wird das ganze Ausmaß der Biscaya sichtbar.
Orte, von denen ich noch nie was hörte. Berge, Highways.

Die Gorillas stellen sich vor den Duesenberg. Gamaschen heben sich aus dem Fond. Jay.
Der Dying Dutchman.

„Sie-wird-nicht-kommen, Marlowe.“, sagte er in seinem abgehackten Dutch-Slang.

„Sie wird nicht kommen.“

Er gibt den Gorillas ein Zeichen und nestelt an seinem Bulbury, den er immer trug, wenn er wieder für Ona ‚lieferte‘.

„Falsche Küste.“

1266, Ocean Drive, Blick aufs Meer, Frisco in der Nase.


Sarg-Tide, würde van Saint sagen...






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Freitag, 22. August 2014

Mustafa braucht keinen Schlüssel


Und nun Mustafa.

Und nun war Mustafa in diesem Truck gefangen.



Zwei Tage vorher stand diese Ampel noch und winkte zur Aufforderung den Mut der Autofahrer herbei, bei diesem Stau ein schier unmögliches Unterfangen, sich zu dem Ärger noch Mut vorzustellen. War es heiß genug, um jeden Tropfen Schweiß, der auf diese Zornesfaltes zwischen genau diesen beiden Augenbrauen dort dazwischen sichtbarer durch alle Jahre Ampelärgernis wurde, zum Halten zu bewegen, weil es wichtiger war, dem Schwiegervater seiner versprochenen Liebe Vermögen zu zeigen – Durchsetzungsvermögen gegenüber einem heißen, trocken heißen Verkehr reichte da schon für alle Hochzeitsvorbereitungen aus, eine eigene Wohnung zu besitzen wohl eher –, zum versprochenen Tag, da kam es auf Stunden gar nicht an, doch am versprochenen Tag, der auch in den Abend hinein süßteegesprächig Familien miteinander verlobte, Wangenküsse zwischen Männern mit der Rührung echter Teeaugentropfen zu schmecken, für die Tassen aus Glas, Wünschen aus Löffeln, Träumen aus Zucker, die zu süß waren, um sie hinunterzuschlucken mit dem einen Male, den ein Mund in der Lage war, es zu versuchen, doch es nicht tat, weil die Stunden auch von diesem Zucker träumten, je mehr der kühlende Abend sich mit dem Bitteren des kommenden Morgens zerstritt, diese Gespräche um diese Lieben fortzuführen, um diese Wohnungen, um diese Autos, die mehr verdienten, mit Klebestreifen zusammengehalten zu werden, diese Warteschlangen an den Broten, diesen Rolläden, hinter denen leere Hoffnungen schliefen, sie mit Unternehmungen zu wecken, und in diesen passenden Teeaugentassen alle vergossenen aufzufangen. Vom Sud keine Frage, vom Ziehen kein Belang. Nur aufzufangen, um dort hinein sich zu ertränken, für Balia, war sie Mustafas Tee des Lebens und kam er zu spät, heute, zum versprochenen Tag, zum Ausschenken.

Fand diese Ampel keine Verwendung mehr für Verkehr. Fand Mustafa in Angst in dieser Seitenstraße diesen Truck. Mit runder Motorhaube, locker mit einem Band mit dem Kühlergrill verbunden, verschwand darin, wo der Motor keinen Platz vorsah für einen Menschen und.






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Donnerstag, 21. August 2014

Medal of Honor, white sheet version


Als wir Helden waren.





Von links nach rechts: Richard E. Enright (Chief of Police), Patrick Joseph Hayes (Erzbischof), John Francis Hylan (Bürgermeister), Bradley Manning (Private First Class), Woodrow Wilson (28. Präsident der USA), John McGraw (New York Giants), Groucho Marx, Mae West (Blumenmädchen)




New York (NY), 21. Februar 1921

Unter tosendem Applaus der New Yorker Bevölkerung haben am gestrigen Sonntag der Ehrenwerte Mr. Wilson und die Honoratioren der Stadt New York unserem Sohn aus Harlem, Privat First Class Bradley Manning, die höchste Auszeichnung, die unser wunderbares Land hervorgebracht hat, die Medal of Honor verliehen.

Präsident Woodrow Wilson ließ es sich nicht nehmen, Manning selbst den Orden anzulegen. Neben dem Schlüssel der Stadt, dem ihn der Ehrenwerte Bürgermeister John Francis Hylan in die überglücklichen Hände drückte, einem Scheck über $ 2000 überreicht von Giants Little Napoleon McGraw, einen Scherz aus dem Munde von Groucho Marx – welche Ehre kann größer sein – und einem Blumenstrauß aus den Händen einer unbekannten schönen Tochter unserer geliebten Stadt und einem Kuß, den Private Manning sichtlich geniert entgegennahm, schenkten ihm die Tausenden anwesenden New Yorker ein dreifaches „Hip Hip Hooray!“, bevor sie ihn an Bord der RMS Lusitania II verabschiedeten.

Manning hielt eine gerahmte Photographie des Bildes in die Höhe, das ihn berühmt und unsere ganzes Land stolz gemacht hat. Sichtlich gerührt, und aufmerksame Beobachter konnten auch sehen, daß selbst Helden Tränen in die Augen bekommen, betrat er die Lusitania II, wo ihn bereits der Kapitän und die gesamte Crew salutierend empfingen. Auf unseren stolzesten Sohn der Stadt wartet nun eine Reise durch Europa, der ein Triumphzug ist an den Ort zurück, wo die Tapfersten ihr Kostbarstes gaben und einfache Soldaten, wie Du und ich, zu Helden wurden.

Es war der 18. Oktober 1917 – wie jedes Kind in Amerika weiß – als Private Manning mit der 228. Aufklärungskompanie hinter feindliche Linien der Somme, Frankreich, geriet und in einem Akt der scheinbaren Selbstaufgabe unter Einsatz seines Lebens vom einfachen Joe the Plumber aus Harlem, der er vor seiner Dienstzeit war, zu Manning the Man of America wurde und seitdem in unseren Herzen wohnt. Abgeschnitten von seinen Merry Men, den fröhlichen Gesellen, wie sie sich nannten, ohne Munition und ohne zu wissen, wo er war, fand er sich im Nebel des Krieges vor einem Bauernhof wieder.

Fünf feindliche deutsche Soldaten, eine Einheit des Königlich-Bayerischen Regiments wie sich später herausstellte, zerrten gerade ein unschuldiges Bauernmädchen aus dem Stall, in ihren Armen ein Neugeborenes, und wollten sich gerade unzüchtig an ihr vergehen. Private Manning ohne Munition, ohne Hilfe seiner Kameraden und hoffnungslos in der Unterzahl zückte sein Bajonett, rannte auf die fünf Deutschen zu, die sogleich das Feuer auf ihn eröffneten, wurde wie durch ein Wunder nicht getroffen und stach einen nach dem anderen nieder, just in dem Augenblick, als Walter Huston, ein Freelance-Kriegsphotograph der New York Simplycism-Zeitung die Szene betrat und diese mit seiner Kamera für die Ewigkeit festhielt: Die fünf toten Soldaten im Matsch, Private Manning vor dem Bauernmädchen niederkniend, das blutende Bajonett auf die nackten Füße zeigend, das Mädchen stolz mit wehenden Haaren im weißen Kleid darüberstehend, mit nackter Brust, das Kind in die Höhe hebend. Huston machte ein zweites Bild. Die Deutschen nebeneinander aufgereiht, die Dienstausweise auf der Brust. Von links nach rechts: Wilhelm Radebums, Fritz Müller, Adolf Hitler, Gustav Schmadtke, Heinrich Koslowski.

Private First Class Bradley Manning, im Namen auch unserer Zeitung danken wir Ihnen für das, was uns alle zu Amerikanern macht: Der Stolz eines Klempners aus Harlem. Wir alle sind Klempner!




Drei Jahre später.

Bureau of Investigation, Field Office New Jersey, 3. Stock, Abteilung Politische Agitation, Agent Conrad. Akte 21-3-1917/1921, Vorgang Manning, Bradley.

Alle Bilder in den Zeitungen der Archive, die öffentlich zugänglich sind, retuschiert. Original-Filmplatte aufgefunden, retuschiert. Vorgang abgeschlossen.



War Private First Class Bradley Manning aus Harlem, New York, Neger. Und Neger in Amerika waren keine Helden für Amerika. War Manning jetzt Weißer. Auf allen Photos der Geschichte dieser Welt.










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