„Sammeln Sie Treuepunkte?“
„Nein, danke.“
„Sammeln Sie Treuepunkte?“
„Nein.“
„Sammeln Sie Treue…“
Mann auf Montage. Mal hier, mal dort. Mal kam er
ganz spät in der Nacht zurück. Mal wochenlang auf Achse. „Ich sehe ihn ja
selbst kaum mehr, hihi.“ Sagte sie, um sich die Schmach zu ersparen, zuzugeben,
daß sie. Und. Sowieso. Nur war. Wie die anderen. Wie die, die doch nur dafür
gemacht waren. Wie jede Kassiererin im Ilga-Markt
in der Hinterstraße. Chips von Lays,
die bestimmt niemand essen mochte, für 1,11 € im Angebot. Leerdamer für 1,33 €. Den mochte man noch weniger. Dem Kind zuhause
ersparte sie die Einzelheiten eines Lebens auf dem Standstreifen, an dem sie
nun saß, und bereitete es lieber mit selbstgebastelten Hausaufgaben auf ein
Leben in einer dieser Zubringerstraßen vor, die so viele Möglichkeiten für
Firmenparkplätze offen ließen, und nicht für Abzweigungen gemacht waren. Bloß
keine Abzweigungen. Oder Ablenkungen. Oder Abschweifungen. Als nächstes wird
sie ihrem Kind einbläuen, wie man richtig verhütet. Da reichte nicht nur eine
Tüte. Ihr Kind wird niemals Kinder haben. Das war der Plan. Wie der Mann
abhandenkam, das behielt sie lieber für sich. Und ob da auch ein Plan dahintersteckte.
Sie zeigte den Schmerz nur schimmerlich. Wann immer jemand seine
Lieblings-Chips aufs Warenband legte und sie diese abkassierte. Oder seine
besonderen Haribo. Oder Kümmelkäse. Heute
war wieder so ein Tag. Die EM war im
Gange, und irgendeiner brauchte unbedingt Lorenz
Chips Western Style, um den erwarteten Sieg gegen Portugal zu beknabbern.
Nicht im Angebot. 1,89 €. Üblicher Preis. Man mußte schon auf Silvester warten,
bis die mal wieder im Angebot waren. Lays
reichten nur für Niederlagen. Nicht im Angebot war auch ihr Lächeln. Auch wenn
es sich mehr als nur einmal im Jahr anschickte, sich blickenzulassen. Aber nur halbtags.
Und gegen Bezahlung.
„Wollen Sie den Bon?“
„Ja, gerne.“
„Sammeln Sie Treuepunkte?“
„Nein, danke.“
Nicht jeder sagte Danke. Der nächste Kunde, die
nächste Magengrube. Sie hatte schon längst aufgegeben, sich Gedanken über die Essensgänge
der anderen zu machen. Wer nur abkassiert, der hat nur mehr den Strichcode im
Blick. Und ob der verdammte Scanner endlich piepte. Die Nummern für Getränke
hatte sie im Kopf. Backwaren mußte sie nachgucken. Nur wer ständig Alkohol
brauchte, den notierte sie sich. Gab es doch nicht immer einen Grund zu feiern.
War auch kein Trost, daß es anderen noch schlechter ereilte. Und waren die
genehmen Kunden auch nur Strichcodes. Und piepten auch nur. Es bleiben so
viele. Von ihrem Sitz aus huschten sie wie beliebige Striche vorbei.
Es gab auch unangenehme Kunden. Aber die bleiben
nicht mal an ihrem Kittel haften. Mit Pflaster war ein anderer Name überklebt.
Dort drauf hatte sie ihren geschrieben. Keine guten Aussichten für Karriere im Ilga-Markt in der Hinterstraße. Blieb
der Markt unter ihren Fähigkeiten. Wie üblich. Wie das bei jeder Kassiererin so
üblich war. Und wie wenig Beachtung man ihnen doch nur schenkte. Oder nur übellaunig
war. Weil die zweite Kasse nicht schnell genug öffnete. Sie mußte erst die
Werbung abwarten, bis die Durchsage durch die Gänge hallte. Da blieb auch für
eingeplante Pausen wenig Zeit. Egal. Ihre Schicht endete.
Sie nahm die Geld-Kassette aus der Kasse, sammelte
noch Pfand-Bons ein, die sich so im Laufe eines halben Tages angesammelt hatten – nicht eingerechnet die, die sich in ihr
Leben eingeschlichen hatten, ganz anderswie –, verließ ihren Platz und
hetzte zum Aufenthaltsraum nach hinten. Erst mal einen Schluck aus der Cola,
die abgestanden, aber wenigstens zuckerfrei war, ein Blick auf die Wanduhr, die
schon bessere Zeiten bei Kassiererinnen gesehen hatte, dann noch Kasse zählen.
Der unangenehmste Teil des ganzen Tages. Fast so unangenehm, dem Filialleiter
einen schönen Tag zu wünschen. Wenn die nicht stimmte, dann könnte ihr noch so
gutes Anderes widerfahren, dann war die Kacke so richtig am Kondensieren, und
brachte noch nicht mal Glück, wenn sie sich ungewollt mit einem Schuh verlobte.
Sie war spät dran. War aber Hetze gewohnt. Die
letzten zehn Jahre hetzte sie von einem Ort zum nächsten Abhaken und überholte Usain Bolt im Sprint, der dafür eine
Menge Ovationen und noch mehr Lob und sogar Geld einheimste. Blieb aber
gewissenhaft. Und diszipliniert. Was für keinen Ausgleich auf der Gefühlsplatine
sorgte. Ihr Kind war ihr Gefühlsauftrag. Leben, das sie schenkte. Und Geschenke
gibt man nicht zurück. Erst die Scheine, dann die Münzen. Dann würde sie sich
erst mal fünf Minuten lang den Reichtum von den Händen waschen.
1,89 € fehlten.
Scheiße. Kein Grund für Panik. Nur verzählt. Die
Zeiger auf der modrigen Uhr tockten. Also noch mal von vorne. Erst die Scheine,
dann die Münzen. Dann würde sie sich erst mal fünf Minuten lang die Scheiße und
das Glück von den Händen waschen.
Am Ende blieb: 1,89 € fehlten.
Und alles, was sie an diesem Tag nur noch mehr
haßte, war, daß es überhaupt diese verdammten Chips gab.
*