"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Das andere Wunder


Und war es auch nur bequem zu glauben, daß er nur für einen selbst da war, so stand er jetzt vor ihnen, hier, auf dem Marktplatz in Kappadokien, auf einer umgedrehten Kiste, und pries mit schmeichelndem Überbiß jene Salben an, die Wunder versprachen. Und waren in diesen Zeiten Wunder vonnöten. Brauchte man Wunder für alle Gegebenheiten. Für all jene Dinge, die einem so auf dem Wege zwischen Felde und Flur begegneten, und war es nicht unwichtig, daß alles vage blieb. Das Gesagte und das Geschriebene, das auf den Flugblättern, die er vor seiner Ankunft verteilen ließ. Und nahm man sie mit faltigen Händen entgegen, mit Flecken, und schmutzig, und gerne, und strich das Blatt, das man ergatterte, sorgfältig glatt und faltete es in der Mitte, aus Angst, die Worte könnten auf dem Wege zum Marktplatz doch noch heraus purzeln, und somit all die Wunder.

Und waren es die Salben. In kleinen Fläschchen, waren sie eher flüssig. Und waren es die Gebrechen, waren sie eher knörpelnd. Und waren es die vagen Worte, versprach er ihnen Samtenes. Und nahm zum Schreck die Flasche hoch, die mit dem anderen, Bekannten, die alle kannten, an sich. Die Salbe, die ein anderer zuvor schon als Wunder verkaufte, mit anderem Namen, mit anderem Etikett, mit anderem Aufschrieb, und öffnete sie, und verzog die Miene, stank sie, und rieb sich den Unterarm damit ein und wartete. Und vage. Dann. Schrie. Ah, wie der Arm schmerzte! Und hielt ihn hoch. Rot! Leuchtend rotverbrannte Haut des Unterarms. Kein Wunder. Und war es immer gut, das Wunder des anderen in Frage zu stellen, vor aller Augen, auf einer Kiste schreiend, vor Schmerz, schmeichelnd, aber über die andere Salbe schreiend, über das andere Wunder, in Kappadokien, und in den Dörfern noch, die kamen, die Dörfer, die er schon mit Geld verließ, und warf die Flasche des anderen zu Boden, vor die Füße, mit dem Bekannten, zersplitterte! Nahm sein eigenes Wunder aus seinem eigenen Fläschchen, noch mit Schmerzen, und rieb, und salbte seinen verbrannten Arm mit eigener Salbe, und rieb, und verteilte, und siehe da! Der Arm wieder heile! Winkte mit dem anderen die Leute heran, näher, sie schauten, wählerisch, und staunten, dann nickend, und zeigte es allen, die es sehen wollten. Heute, hier. Und wollten es alle sehen, dieses Wunder. Standen sie alle an, vor diesem heilen Arm, dann. Schob er sie mit seinem verlächeltem Gesicht zur Seite, dort zu seiner Gehilfin, zum Tischchen mit all den Fläschchen, in Päckchen, zu all den Wundern heute. Und alle Wunder, blieb das nicht das einzig Vage an diesem Tage, verkauften sich noch ins nächste Vage.

Und auch wenn man ihn aus all den Dörfern verbannte, mit Fußtritten, die er mit seinen Fläschchen schon bereiste, mit verbrannten Unterarmen, so gab es immer diese Gebrechen, knörpelnd, umgedrehte Kisten, das Bekannte und das Vage, sein Lächeln, und die Frage:

Wie er seinen Arm immer wieder heile machen konnte.


Die Antwort, nicht mal der Gesalbte, wußte nur die Salbe.














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Donnerstag, 8. Oktober 2015

Aspendos




Das Theater in den Hang gebaut. Schauplatz. Staubige Worte. Drama.

Trugen sie Sandalen. Und wie immer, wenn das Schicksal den Platz in Sandalen betrat, trugen sich die Schritte bis zu den oberen Rängen knirschend fort.

Die Ordnung, die Veränderung, die Unentschiedenheit. Trat am Ende noch ein Schauspieler hinzu. Hinter einer Maske verborgen: Die Heuchelei.

Wir beginnen mit einem Ansinnen. Dort von der Seite, aus einer der Öffnungen des festen Hintergrundes, betrat die Ordnung den Platz. Still, wir wollen sie nicht bei ihren Gedanken stören, und lauschen, wie es sich gehört, mit unterdrücktem, gespanntem Atmen…


„Ich stelle mich vor: Ich bin die Ordnung.“, sagte Thyestes stolz. „Die Ordnung ist allumfassend. Und nichts umgreifend. Ich bin sichtbar. Ihr könnt mich sehen. Was man sieht, kann man befragen. Hier stehe ich. Unantastbar.“ Applaus.

„Aber nicht unangreifbar.“ Dymelia stellte keine Fragen. Sie war.

Die Veränderung betrat den Platz, in Sandalen ebenso, schwanger. Und darum ging es. Umarmte Dymelia ihren Bauch, dann öffnete sie die Arme, zum Publikum. 

Wer war der Vater?

„Mein Kind trägt Deinen Samen. Aber meinen Willen.“, sagte die Veränderung und änderte die Tatsachen. „Die Ordnung, die Veränderung, die Unentschiedenheit läßt sich noch nicht blicken. Das Kind wird die Gefühle sein.“, legte Dymelia all ihren Mut in ihre Worte. Applaus.

Thyestes wiegelte ab: „Kommt es auf die Welt, wenn, setze ich es in den Bergen aus. So, wie es immer war. Mit der Macht der Ordnung. Wie es sich gehört. Nichts wird sich ändern. Und trage weder für das Schicksal des Kindes eine Schuld. Noch bin ich der Vater. Werden die Tage und die Nächte unter freiem Himmel darüber entscheiden, ob es lebt. Und ob es jemand findet, der es aufzieht. Für wen es eine Veränderung vorsieht. Für mich, für Dich. Oder die Unentschiedenheit. Ist es gleich. Kein Vater, kein Werden. So bleibt’s.“

„Keine Mutter, kein Sein.“ Dymelia bezeugte mit ihrem Leib.

„Keine Mutter, kein Sein. Das stimmt.“, pflichtete Thyestes langsam bei – und zückte einen Dolch! Er hielt ihn hoch. Dann durchs Rund des Publikums. Stille.

„Ohne Publikum, keine Worte. Kein Applaus. Warum zeigst Du den Dolch dem Publikum – und nicht Dymelia? Sie steht für die Veränderung. Man kann Dich fragen, sagtest Du.“ Agnolion betrat den Platz in seinen Worten fragend und stellte sich zwischen die Ordnung und die Veränderung, näher, doch, zum Publikum. Er war die Unentschiedenheit.

Vom Publikum keine Worte.

„Ohne Worte, kein Publikum. Dolche sprechen ihre Sprache.“

„Die Heuchelei spielt ein anderer. Aber wer von uns Dreien? Oder ist sie schon zugegen? Ich, die Unentschiedenheit, stehe hier und frage das Publikum, damit das Drama zu Ende geht:

Soll das Kind leben?“


Alle stellten sich in eine Reihe.

„Es hat keinen Vater. Zumindest keinen, der sich bekennt. Wißt ihr, was das bedeutet? Ich sage nein.“ Thyestes war die Ordnung.

„Es hat eine Mutter. Dann hat es auch einen Vater. Es wächst in mir. Ich bin der Beweis. Wißt ihr, was das bedeutet? Ich sage ja.“ Dymelia war die Veränderung.

„Vater. Mutter. Mag alles sein. Mag alles nicht sein. Aber wofür steht denn dieses Kind? Wird dieses Kind alles verändern, wird dieses Kind geboren. Wird dieses Kind nicht geboren, bleibt alles, wie ihr es kennt. Ich bin unentschieden.“ Agnolion war die Unentschiedenheit.

War noch Platz, in Aspendos. Schritte, Sandalen. Staub und Worte: Auftritt Heuchelei.

Stellte sich vor die Drei.

„Wem gelten denn diese Worte?“, fragte die Heuchelei und verbarg ihren Namen, Gesicht hinter einer Maske, und ob der Mund besorgt war oder lachte.

„Wer spricht hier mit wem? Und spricht nicht jeder seine eigenen Worte? Wem sind sie genehm? Am Ende eines Dramas wird immer ein Kind sterben. Ich wiederhole: Am Ende eines Dramas wird immer ein Kind sterben. Nicht die Ordnung, die Veränderung, die Unentschiedenheit oder gar die Heuchelei. Sie bleiben. Ist es das Wesen eines jeden Dramas. Läßt man die Worte raus nur für Eitelkeit. Für Hoffnung. Für Gnade. Für Beständigkeit. War das Kind schon tot, bevor es in Sandalen auf den Platz getragen wurde. Vor Publikum. Im Werden. Bin ich der Vater: Die Heuchelei.“

Gab es dem Publikum zu denken. Gab es also einen Vater, der sich bekannte. Hatte das Kind von nun an einen Namen. Und kam am Ende doch noch auf die Welt. Entgegen allen Erwartungen.

Entlarvt sich die Heuchelei nur, weil’s ihr gefällt.


In Aspendos, dort. In einem Drama.











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