"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 26. Juni 2016

Was Du mir noch sagen wolltest


„Weißt Du, es gibt nur drei Gründe. Und vielleicht bist Du noch nicht einmal einer davon. Und könnte ich Dir davon erzählen, wie es dazu kam, wie es sich ergab, daß Du mich ohne Lächeln zurückließt, könnte ich Dir mehr als drei Gründe geben, warum es wohl besser ist, nie von Dir angelächelt zu werden. Und könntest Du erahnen, wie schwer es mir fällt, Dir zu sagen, wie es sich anfühlt, wie es geschah, warum Dein Lächeln so unsagbar schwer auf meinen Lippen liegt, daß mir die Stimme versagt, könnte ich Dir drei weitere Gründe geben, meine Lippen zu spalten, nur müßte ich dann entscheiden, wozu ich diesen Spalt dann benutzte: Zu atmen. Oder zu sprechen.

Und in der Wahl, beides zu tun, während Du mich anlächelst, fällt es mir unheimlich schwer, auch noch zurückzulächeln. Verlangtest Du einfach zu viel. Das mag Dir vielleicht egal sein. Aber es geht nicht immer so einfach, wie Du es Dir vorstellst. Kannst Du nicht von mir erwarten, von mir das zu bekommen, was Du Dir wünschst. Legst Du den Tag in Deine Worte, liege ich in der Nacht wach. Und dann, wenn Du nicht lächelst, weil Du dann schläfst, finde ich endlich die Worte, Dir begreiflich zu machen, was es bedeutet, von Dir vor die Wahl gestellt zu werden. Und es sind keine Worte, die Dir gefallen mögen, aber meine einzige Möglichkeit, sie mal auszusprechen, ohne von Dir niedergelächelt zu werden. Für Dich ist alles nur Spaß. Für Dich scheint immer die Sonne. Für Dich ist immer alles nur Regenbogen. Und vielleicht gelingt es Dir sogar, auf dem spazierenzugehen. Und vielleicht führt der Dich auch weiter. Gelingt Dir einfach immer alles. Und vielleicht kannst Du sogar einen Regenbogen aus dem Nichts erschaffen, wo sonst nur Luft ist, und hast wieder Boden unter den Füßen, auf dem Du dann weiterschreitest. Und ich gönne es Dir von ganzem Herzen. Aber ich kann das nicht. Ich habe Verpflichtungen. Ich habe Sorgen, die Du Dir gar nicht ausdenken kannst, so viele, daß selbst Deine Phantasie nicht ausreicht, Dir auch nur annähernd vorzustellen, was es bedeutet, Mutter zu sein. Und es bricht mein Herz. Und es bricht mein Herz, mir vorzustellen, wie knallhart Du bist und wie knallhart Du wärst, wenn ich auf Dein Lächeln eingegangen wäre, wenn es mit uns geklappt hätte, und Du mich wieder vor eine Wahl gestellt hättest, nur weil Du das so entschieden hast, ohne mich überhaupt zu fragen. Nur weil Du lächelst. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Und ich muß dabei auch an mich denken. So stelle ich mir keine Beziehung vor. Und fielen mir noch drei weitere Gründe ein, und es mögen noch nicht einmal gute Gründe sein, aber mir reichen sie, reicht jeder einzelne davon aus, zu jedem Deiner dreihundert verschiedenen Lächeln, Nein zu sagen.

Weil ich, nachdem ich endlich tief einatmen konnte, sprechen konnte.

Und Du verstummtest.


Endlich.“










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Sonntag, 1. Mai 2016

Stella heißt Stern


Stella heißt Stern. Stella saß in einem Café im Sommer im Streicheln eines gepunkteten Kleides, die Beine zum Zeigen überschlagen, die Menükarte zum Verbergen, und darin die Bestellungen des Zügelns zum Verschweigen. Stella konnte alles werden in diesen Welten, die einem zum Leben auffordern und dann abblitzen lassen, weil man das falsche Lächeln auflegte beim richtigen Mann. Stella konnte richtig fies sein. Stella konnte richtig schön sein. Dabei entschied schon mal das Tagesangebot in der Menükarte, was Stella sein konnte. Konnte nicht so einfach nur schön sein.

Stella bestellte sich von einem Kaffee, von einem Stück Kuchen zum nächsten Streuselkuchen zum nächsten Malzkaffee zum nächsten Nachmittag. Das war Stellas Leben. Und vielleicht war es nicht ihre Schuld, daß sie lebte. Aber sie lebte nun mal. Und aß. Und trank zum Kaffee noch ein Schluck Wasser. Und vielleicht lag die Schuld bei anderen. Und vielleicht ist ein Vielleicht alles, was einem bleibt, wenn andere darüber entscheiden, ob man Kaffee trinken darf und Streuselkuchen essen.

Ich traf Stella in der Trambahn. Ich war es gewohnt, mich in der Trambahn zu verstecken. Menschen in Bewegung schauen andere nicht an, wenn man die Bewegung mitmacht. In der Trambahn nicht. Weichen sich Blicke aus. Lebte ich davon, von ausgewichenen Blicken. Die Hüte ins Gesicht gezogen, zog Berlin die Blicke von innen der Trambahn nach draußen. Aber dann kam Stella. Und Stella war so schön. Und Stellas Blick zog meinen nicht nach draußen. In ihrem Lippenblick, leuchtend rot, lag zu sehr das Begehren. Sie küßte mich.

Brachend, Berge, ausgezogene Körper, Knochenmenschen, brachend Gestank, übereinander geworfen, entleerte sich aus ihnen noch nicht einmal die Scheiße, wenn die Mägen eingefallen und leer, brachend Arme, brachend Längen, brachend Beine, Augeneier, brachend aufgerissen, brachend geschoren, brachend verdammte Hitze, brachend Verstand, Zertrümmertes, brachend auf die Knäul eingeschlagen, auch dann noch, damit sie handlicher waren, war ich, der sie schleppte, und fluchte, daß sie auch dann noch schwer waren, als sie es nicht mehr waren, kaum schwerer als ein Kind, aber fluchte, keiner hörte mein brachend Fluchen, aus den Duschen, aus den Stapeln, aus den brachend Fuhren zu den brachend Öfen. Dann.

Als ich auf den Karren warf, den nächsten, noch den nächsten, und noch den nächsten, und sie stapelte, damit sie verdammt noch mal nicht beim Ziehen durch den Dreck herunterfielen, und zu der Hitze zog, durch den Dreck, und fluchte, und ohne Regung, und ohne je zu reden, und die Körper, Knochenmenschen, so vor den Ofen stellte, den Karren, damit es mir einfacher war, und vom Karren griff, wahllos, wie in eine Lostrommel der schönen Zeiten im Tiergarten oder dort Cakes, die man Kackes aussprach, später Keks, und kaute und spazierenging, und alle Berliner, oder Wannsee, und badete, und mit bloßen Händen nach Fischen schnappte, und auch einen mal fing, und ihn lachend in die Höhe reckte, wie alle Berliner, und ihn über den Umweg des Himmels, in den ich ihn schmiß, ins Wasser entließ, und der sich über seine Freiheit noch beschwerte, wahllos griff ich in die Körperkarren, und in den nächsten, aus dem Stapel, und den nächsten, wahllos, und die aufgesperrten Augen ohne Lider, die sich weghungerten, und griff hinein in den nächsten, nach dessen Kopf darunter der nächste Schädel, und darunter der nächste Kopf und darunter der nächste Fisch, den ich über den Umweg des Himmels ins Feuer des Wassers schmiß, und mich beschwerte, daß sie doch schwerer als ein Kind waren, schwerer als meine geliebte Nichte, die ich am Kurfürstendamm in den Himmel hievte, und das Eis, das ich ihr kaufte auf meinen Hut tropfte in der Hitze dieser Liebe, unter den nächsten Schädel vor dem Ofen, aus dem Karren der Lostrommel kam Stellas wunderschönes Gesicht zum Vorschein, und lag nun vor mir, die Haare weggeschoren, gebettet auf Knochenbergen, und dieser brachend rote Lippenstift auf den geöffneten Lippen, lag sie vor dem Begehren nach Kaffee und Streuselkuchen in jedem Sommer, und auch wenn ich es gewohnt war, den Blicken zu entgehen, um mein Leben zu retten, nur einmal nicht, und diese brachend roten Lippen in Lippenschrift, auf dem Karren, vor dem Ofen, lagen, und dem Leuchten in ihrem Gesicht, zog es vor den Blicken der anderen meinen Kopf nach unten, zu ihr hin. Und küßte diese Lippen. Vor aller Augen.


Dann brachend.










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