"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Dienstag, 26. Dezember 2017

pazl! Oder: Die unsichtbare Mehrheit


Ich hab' ja jetzt eine Brieffreundin.

Sie wollte nie einen Brieffreund haben. Sie ist Flüchtling.


Sie lernt fleißig Deutsch. Ich bin nachsichtig mit ihren Fehlern.
Ich kann ja auch kein Syrisch. Sie ist auch nachsichtig mit meinen Fehlern.
Ich kann ja auch kein Deutsch.
Sie darf eigentlich nicht mit mir schreiben.

Sie ist sehr keusch. Sie hatte sich eigentlich Gott versprochen.

Durch mich aber möchte sie die Kultur des Landes erfahren. Und Deutsch lernen.
Und ich lerne schon fleißig ihre Sprache. Ihre Sprache, wie sie sich ohne Worte ausdrückt.

Sie floh mit ihrem Kind über den Landweg, und ist heimisch geworden.

Zufällig hatte sie meinen Aushang bei Lidl gesehen.

Sie hat darauf geantwortet.

Sie hat gleich geschrieben, daß sie sehr, sehr keusch sei. Und daß sie sich Gott versprochen hat.

Ich nehme Rücksicht auf ihre Belange, auch wenn ich Atheist bin.
Ich schickte ihr ein Alphabet mit Datteln.
Jeder Buchstabe eine Dattel. Und wenn sie einen Buchstaben gelernt hat, dann darf sie eine Dattel essen.
Wir schreiben uns nur heimlich. Aber manchmal schickt sie eine angebissene Dattel mit.
Das Briefpapier ist dann ganz verklebt. Aber sie hat mit ihren Zähnen ein Puzzlestück hineingebissen. Sie muß kräftige, schöne Zähne haben. Die Puzzledatteln werden irgendwann ein Bild ergeben.

Sie hat Fitzel ihres Bildes auf die Datteln geklebt.

Es ist mir aber egal, wie sie aussieht. Sie ist bestimmt sehr keusch schön.

Aber mir geht es darum, daß sie irgendwann eine längere Geschichte schreiben kann.

Wie man zum Beispiel einen Brief an den Vermieter schickt, wenn beispielsweise Schönheitsreparaturen vorgenommen werden sollen. Schönheitsreparaturen ist ein sehr deutsches, langes Wort.

Bei langen, deutschen Wörtern schicke ich ihr bunte Gummibärchen.

Mit Lebensmittelfarbe - auch ein langes, deutsches Wort - schreibe ich dann auf die Gummibärchen die Buchstaben.

Mein erstes Gummibärchenwort war das Wort 'Gummibärchen'.

Das schickte ich ihr. Ich weiß, ich bin ein schlechter Mensch, wenn ich Süßigkeiten schicke.

Aber dann stelle ich mir vor, wie sie den Brief mit seinen Ausbeulungen öffnet - vorher befühlt, was denn darin sein könnte -, das Gummibärchenwort entdeckt, und das Gummibärchenwort dann an den Kühlschrank klebt, ohne es zu essen. Irgendwann ist der gesamte Kühlschrank mit Gummibärchenwörtern beklebt.

Mit ganz vielen bunten Gummibärchen.

Irgendwann kann sie mir auch dann auf Deutsch schreiben, warum sie auf meinen Aushang geantwortet hat.

Nicht jeder antwortet, nur viele fragen.

Ich sehe sehr viele unbeantwortete Zettel in Supermärkten.

Ich bin sehr scheu. Und sie ist sehr keusch. Deshalb mag ich Brieffreundschaften.


Einmal sah ich eine Flüchtlingsfamilie im Bus. Die war auch sehr scheu.

Es hatte gerade geschneit, und es lag 5 Zentimeter Schnee auf den Wegen.
Sie hatten kleine, süße Kinder.
Sie trugen Sommersachen, und die Kinder Sandalen ohne Socken. Im Winter.
Eine blonde Studentin, großgewachsen und wie aus H&M gepellt betrat mit Blinkeschuhen den Bus.
Und der Bus wurde merklich dunkler.
An der übernächsten Haltestelle stieg sie aus.
Sie würdigte die Kinder keines Blickes. Sie würdigte keinen Menschen eines Blickes.
Ich denke, sie wollte nur angeschaut werden, als wäre sie auf Instagram.
Schaut her, was für schöne Blinkeschuhe ich habe, denkt sie dann sicher.

Die blonde Schönheit erzählt ihrem Internet-Freundeskreis sicher, wie sehr sie sich für Menschen einsetzt. Wie sehr man sich für Menschen einsetzen muß.

Das tue ich nie. Ich setze mich nie für Menschen ein. Kofi, meinen Nachbarn, habe ich nie gefragt, wo er herkommt.
Er war einfach da. Und jetzt, da er da ist, fragt er nach Tabak. Ich habe ihm etwas mehr Tabak gegeben. Weil Weihnachten ist. Sonst gebe ich ihm auch Tabak. Weil kein Weihnachten ist. Er fragt einfach.
In der Mitte des Monats fragt er mich nach zwei Euro. Ich leihe ihm dann fünf. Weil ich keine zwei Euro klein habe.
Letztens habe ich ihm kein Geld geliehen. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich behandele meine Nachbarn, wie meine Nachbarn.

Ihre Blinkeschönheit war sehr kalt. Ich denke, die süßen Kinder froren ein bißchen mehr, als sie sich zum Aussteigen an der Tür versammelte und ihnen nahe kam. Sie hatte so schöne Blinkeschuhe, an deren Anblick man sich wärmen kann. Mir wurde warm, als ich die süßen Füße der Kinder in den Sandalen sah.
Sicher überlegte sie, wie sie in ihrem Internet-Image Wärme und Verständnis vermitteln konnte. Als ich ausstieg - und ich bin kein guter Mensch -, lächelte ich die Kinder an.
Sie lächelten zurück. Mehr Wärme konnte ich ihnen nicht vermitteln. Ich starte auch keine
Kleiderhilfe. Ich setze mich nicht für Menschen ein. Ich spende auch nicht.

Es gibt ja Sendungen, in denen der Name eingeblendet wird, wenn man spendet. Ich denke nicht daran, zu spenden.

Bettlern gebe ich immer einen Euro. Ich vergesse das dann immer. Punks habe ich auch schon einen Euro gegeben.

Aber die werden aggressiv. Es gibt so viele gute Menschen auf der Welt.

Ich erfahre das immer, weil sie von nichts anderem reden. Und reden über andere Menschen schlecht, die wie ich schlecht sind und unsichtbar. Es müssen sehr gute Menschen sein. Wie die kalte, blonde Schönheit im Bus mit den Blinkeschuhen.
Ich hab' mich auch mal zu einem Bettler vor dem Bahnhof gesetzt. Und einfach kumpelhaft mit ihm geredet.
Wir lachten. Es freute ihn. In der Innenstadt, wo das jeder sehen konnte, habe ich das auch mit einem anderen gemacht. Der freute sich auch. Man wird gleich übersehen, wenn man sich hinsetzt. Gute Menschen gehen sehr nachunsichtig mit schlechten, unsichtbaren Menschen wie mir um.

Menschen mit Blinkeschuhen sah ich da beim Bettler nicht. Sie sind bestimmt noch damit beschäftigt, Aufrufe im Internet zu verfassen.

Die sind auch immer aggressiv verfaßt.

Als ich mal einen Schlafsack einem Berber schenkte - so heißen die eigentlich - und noch Handschuhe anbot, dachte ich mir nichts dabei.
Von guten Menschen lese ich immer, daß sie gute Menschen sind. Sie klagen andere immer an.
Daran erkennt man gute Menschen. Daß sie schlechte Menschen, die so unsichtbar wie ich sind, anklagen.

Vergessen habe ich auch, daß ich mal zwei gute Thermoskannen in der Bahnhofsmission abgab.
Gute Menschen mit Blinkeschuhen sah ich da auch nicht. Diese sind sehr damit beschäftigt, Texte zu verfassen, daß man fast so gut wie sie sein soll. Sie geben sich auch gerne mit besser gekleideten Menschen ab.

Das sind wirklich gute Menschen. Das müssen sie sein.

Denn sie sprechen ja die ganze Zeit darüber, besonders, wenn es andere erfahren müssen. Besonders in sozialen Medien.

Ich bin da einfach gestrickt. Wenn jemand ein Arschloch ist, dann ist sie ein Arschloch.
Du kannst auch als Obdachloser ein Arschloch sein. Dann sage ich Dir das auch. Auch als Flüchtling kannst du ein Arschloch sei. Dann lasse ich das Dich merken.

Kofi ist kein Arschloch. Kofi ist mein Nachbar. Wir sind beide schlechte Menschen.


Wir sind unsichtbar.


Das mit meiner Brieffreundin habe ich mir natürlich ausgedacht.
Ich hatte mal eine. Und das war schön.

Aber man wird ja mittlerweile zum schlechten Menschen gemacht und ausgelacht, wenn man Brieffreund ist. Und Brieffreundschaften schön findet. Menschen können sehr gemein sein.

Gemeinheit sollte man der Literatur überlassen. Das ist die einzige Aufgabe von Literatur: Gemeinheit. Da kann man schön drüber lachen, wenn jemand etwas Gemeines schreibt.


Und für alle anderen, die nur ihre Nachbarn ausspionieren wollen, anstatt mit ihnen zu reden, habe ich mir eine App ausgedacht.

Eine Busfahrt hat mich dazu inspiriert.

Nein, nicht die schöne Frau mit den schwarzen Klopsaugen.
Die Süße, die davon erzählt hat, wie sie sich schon alles verletzt hat.
Wie sie sich im Spaßbad mal den Zeh gestoßen hat, und der Nagel sich umgeklappt hat. Sie hat so schön dabei gelacht. Blonde Frauen mit Blinkeschuhen finden in meinem Leben keinen Platz. Selbst das Blinken ihrer Schuhe war versteinert düster.

Also, wenn Du eine Spion-App haben willst: Sie heißt pazl!

Das Icon: Drei Puzzle-Stücke in verschiedenen Farben - grün, blau und grau ergeben zusammen ein Smile.


Und sie geht so:


pazl!

Mistverdammt, kennst Du das? Wenn Du jemand im Bus siehst, Traumfrau! Traummann!, und man sich sich nie, nie wieder sieht...

Wenn Du doch nur ihren Instagram-Account kennen würdest! Oder ihr Facebook. Oder ihr Twitter. Dann könntest Du sie so wiederfinden.

Wenn nichts mehr hilft, da hilft nur pazl!

Mit pazl! verliert man sich nicht mehr aus den Augen!

pazl! findet, sammelt die Puzzle-Stücke, die fehlen...

...und bringt sie zusammen.

pazl! greift vom Handy des Schwarms, den man im Bus gesehen hat, die Accounts von Instagram, Facebook, Twitter etc. ab.

Dann kann man den Schwarm, den man im Bus, im Club, im Supermarkt aus den Augen verloren hat - oh, nein! - und von dem man meinte, sie oder ihn nie wieder zu sehen oder sich nicht traute, anzusprechen, Zuhause wiederfinden und über deren freien Accounts dann kontaktieren ...und mehr von der Love des Lebens erfahren!

Im vollbesetzten Bus flirten? Vergiß es!

Über pazl! kann man auch direkt Nachrichten an den Schwarm senden, wenn man sich vorher unmittelbar begegnet ist.

pazl! greift nur Daten von Menschen in der unmittelbaren Umgebung ab (15 m)!

Du siehst jemanden in der Fußgängerzone, im Café, im Club, am Bahnsteig, der Bushaltestelle?

Du denkst, Mist, Du siehst ihn oder sie nie wieder? Und sie lächelt auch, aber sie traut sich nicht?

pazl! liefert Dir die Daten!

Nie wieder den Schwarm des Lebens verpassen!

Nie wieder Zuhause vor Sehnsucht vergehen, weil man die einzige Chance im Bus, im Supermarkt, im Shop verpaßt hat!

In den 5 Minuten, auf die es ankommt, und man es wieder vermazlt hat! Dann hilft Dir pazl!

pazl! gibt dir die zweite Chance!

Von Zuhause kannst Du dann Deinen Schwarm stundenlang suchten! Jetzt weißt Du, daß es ihn oder sie gibt: In der selben Stadt!

Und jetzt findest Du sie oder ihn ganz leicht wieder!

In der selben Stadt! Im selben Bus! Im selben Supermarkt!

Alle Accounts Deines Schwarms auf einen Blick!

pazl! ihn noch heute an! Von Zuhause noch, wenn Du wieder bei Verstand bist, hihi...

Und: Von Zuhause sehen, wem man in der Stadt so alles begegnet ist.

Sammel Puzzel-Stücke mit pazl! Immer, wenn Du unterwegs bist.

Vielleicht ist da ja der Schwarm darunter. Oder was Du über den schon immer wissen wolltest. Oder wie ist die denn drauf?

Mist, man hat sich verpaßt. Verpazlt! Gerade als die Liebe Deines Lebens um die Ecke schlendert, hast Du in die falsche Richtung geblickt, Du Schuzzl! Wie in einem tragischen Hollywood-Movie...

Aber pazl! noch mal!

pazl! bringt Euch doch noch zusammen!

Ganz bequem von Zuhause aus! Ganz in Ruhe. Hihi, wie aufregend...

Wem bist Du denn so alles begegnet, ohne es bemerkt zu haben?

Der süßen Nachbarin, der man nur einmal im Aufzug begegnet ist? Die so süß geguckt hat?
Was?! Die wohnt auch hier?!

Man sieht sie sonst nie...

Ihr lebt im selben Haus, wißt aber nichts voneinander?!

pazl!

Nie wieder zerbissene Kissen!

Check' gleich mal Ihren Instagram-Account mittels pazl! Schreib' sie an!


Pazlt Euch!


Beliebt ist auch das Binge-Farming:

Mit pazl! durch eine Menge rasen und Accounts einsammeln. Zuhause dann gucken, wen man alles eingefangen hat.


Jahresgebühr: 2,99 Euro (wird vom Handy abgebucht)






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(Ode/r an die keusche, scheue, schöne Platonik der Brieffreundschaft.)



Montag, 25. Dezember 2017

Plutokratischer Eid


Im heliozentrischen Weltbild von Elementfusionen ergeben Körper aus Staub außerhalb des hoheitlich-gravitätischen Mittenpunkts Planeten, die um die solaren Eigenheiten des Gravitationszentrums bandeln sollen. Rückt ein Planet von seiner vorgegebenen Umlaufbahn ab, und sei es auch nur um das Kürzen der Fingernägel nachbei körperlicher Duschreinigung, weil sie dann so schön weich sind und pfeifend, erwartet den Planeten ein Beschmollschein aus der Barfungsmitte - pankautisches Schwirren genannt -, um das sich das Solarsystem planloser ins Dunkle geworfener Steine schließlich drehen möge.

Zu seinem Besten möge er sich doch wieder in die Ellipsen eingliedern. Damit schön ordentlich alle Murmeln beisammen sein. Bestrafend stößt die Sonne Winde aus - so wie Menschen sich mit Worten beschäftigen und die dann ihnen zueigenen ausstoßen, die in ihrem Sein Fundament sind: eine Alkoholikerin kennt Wodkasorten, eine Köchin Fleischsorten, eine Narzisstin Diagnosesorten - und bezichtigt das abschweifende Planetchen der Dekunstruktion des sorgsam durch sie in Wucht gehaltenen Weltbilds mithilfe ihres Scheins ermächtigt allein durch Physik ihrer Anwesungsmacht.

Dings von Schniedelbums beschrieb in seiner vielbeachteten conditio romanum pestum est sanctum ad pacta acta mirum dienum, daß alle Planeten auf ihren Umlaufbahnen verbleiben sollen, sonst stünde eine catastrophae immensae baldaee bevorae.

Kraft meines plutokratischen Eides erkläre ich mich hiermit zum Nichtplaneten und in den Stand eines unsolaren Zöglings.

Ich finde, das sollte zumindest in den Logbüchern vermerkt werden.

Erstaunlicherweise halten sich alle für Solarsyteme, mindestens, deshalb sollten heliozentrische Körper untereinander korrelierend ihr Gefüge auf Singularität hin überprüfen.

Ich meine ja nur. Als Nichtplanet, der jetzt keinen Schimmer mehr hat, warum ich um Sonnen kreisen muß und um welche, sollte mir ein Plätzchem eingeräumt werden, von dem aus ich zumindest spektakuläre Supernovae bestaunen kann.

Ich meine, so viel Licht bei so viel Sonnen kriege ich nie wieder geboten.


Allein die Aurora Borealis müßte enorm sein.



(Dies ist das erschütternde Zeugnis und letzter Bericht eines Raumfahrers, der in ein Solarsystem mit 82 Millionen Sonnen eindrang. Allein sein Bräunungsgrad bei so vielen Sonnen rufte rassistische Empörung aus. Dabei benutzte er Lichtschutzfaktor 1.000.000.

Sein letzter Eintrag lautet: "Wie ein Baby, das in den Mutterleib kackt." Dann brach die Verbindung ab.)


[Solche Worte sollten nie die letzten Worte eines Menschen sein, notierte eine gescheiterte Rettungsmission. Seit dato Schulstoff in der Nachbargalaxie. Über die conditio humanum baebie cackum, Tannhäuser Tor Verlag, S.70ff]





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(Ode/r an "Nehmen Sie mich nicht ernst. Ich bin hier nur zu Besuch.")