Du sitzt dann mit 35 bei Markus Lanz als einzige Frau in der Talk-Show und überschlagenden
Beinen – Basic Instinct ist ein Film aus
einer prüdefreien Zeit – und erzählst, warum Du all die Drogen genommen und
gesoffen hast. Während Dein Buch eingeblendet wird und die Bauchbinde sagt:
„Ich will aufklären.“ Du wolltest nie so ein Mensch sein. Aber Du brauchst das
Geld. Du bist alt, Du brauchst das Geld. Und Du brauchst den Applaus. Und Du
willst glauben: Applaus ist Geld. Und Markus
Lanz liest von seinem Moderationskärtchen ab: „Sie haben mal den schönen
Satz gesagt. Zitat: …“
Du lächelst längst gequält. Dein 25-jähriges Ich hatte
das mal gesagt. Du bist nicht mehr 25. Nie mehr. 10 Jahre nie mehr.
Und Du weißt, daß Du das scheiß Pech gehabt hast, bei
der Fußballsendung eingeladen zu sein. Und Du sollst jetzt also schnell mal was
übers Spiel sagen.
Millenials.
Immer.
Nun könnte ich etwas über Millenials erzählen.
Weil ich aber keine Millenials kenne – ich kannte
mal eine 17-Jährige, die trug Sneaker-Dekolleté, aber sie war kein Millenial, sie war eine 17-Jährige –, weiß ich
auch nichts über Millenials.
Also nur das, was sie über sich sagen. Und sie meckern
viel. Also, wenn sie was sagen. Weiß ich. Von Millenials. Die das sagen. Daß sie Millenials oder Melanials (von Melania Trump) oder Kimials (von Kim
Kardashian) sind. Weil sie meckern, wenn sie was sagen. Sagen sie, wenn sie
denn was sagen wollen würden. Aber die sagen eigentlich nichts. Nur, wenn sie
schrei(b)en, sagen sie was. Aber die meisten – also alle – schreiben gar nicht. Also sagen sie auch nichts. Nur
hm, ja, nee, klar, hm, ja, doch, hm ja, nee. Das sagen sie. So reden Millenials.
Hätten
sie was zu sagen, was könnten sie wohl sagen?
Ich weiß es nicht.
Was
könnte ich denn sagen?
„Lohnt sich das?“, könnte ich sagen.
Aber
lohnt es sich, das zu sagen?, denke ich.
„Nein.“, sage ich. „Lohnt sich nicht.“
Also erzähle ich lieber nicht von Millenials, sondern von Billenials.
Oder lieber gleich vom Mümmeln.
Wenn Millenials eine Million sind, dann sind Billenials eine Billion. Und eine Billion ist schon mal mehr als
eine Million. Und das ist besser. Und alles, was besser ist, ist besser. Nur im
Englischen nicht. Da ist eine Billion eine Milliarde.
Milliardstel,
also der milliardste Teil vom Ganzen, also
Billenials wie ich, verdrängen immer mehr.
Ich schimpfe weniger, ich
aufrege mich weniger, ich lese weniger. Kaum ein Artikel lohnt sich noch,
angeklickt zu werden. Ob da ein
Zusammenhang besteht?
Nutzte ich noch vor drei, vier Jahren die Browser-Registerkartenfunktion und las
mehrere Artikel dann hintereinander weg, nachdem ich auf einer Seite herunterscrollte,
überspringe ich mittlerweile sogar Teaser-Texte.
Diese Appetithappen, die einen ja zu mehr lesen animieren sollen. Grausiges mag
ich gar nicht mehr was von wissen wollen. Bluttaten, Schreihals-, Ausrufe!-
oder Warum?-Artikel – die überscrolle
ich gleich. „Will ich nicht wissen.“
Ich scrolle auf einer Seite auch nicht mehr ganz nach
unten. Dort unten, im prekären Milieu von Seiten tummeln sich die Egal-Kinder. Und
die sind mir egal. Die ersten Artikel –
also die wirklich, wirklich wichtigen – überscrolle ich schon immer. Das
sind die politischen Aufmacher-Artikel, die kein Mensch anklickt, aber immer
ganz oben stehen. Warum die ganz oben stehen, weiß kein Billenial. Warum stehen die
nicht ganz unten bei den Egal-Kindern?
Vielleicht müssen die Egal-Kinder ganz oben stehen,
damit die nicht diskriminiert werden.
Ist wie Bertgrecht der Dicke. Der darf nicht
diskriminiert werden. Weil er ja dick ist. Also muß er immer vor der Klasse stehen.
Während andere von hinten ihm Hasenohren machen.
Immer mehr Billenials
klicken immer weniger Artikel. Das weiß ich. Denn ich bin ein Milliardstel. Und
ein Milliardstel weniger, dann ist es weniger von der Milliarde. Und von einer
Milliarde ein Milliardstel weniger ist keine Milliarde mehr. Immer mehr
Milliardstel klicken immer weniger Artikel. Also weiß ich das.
Die, die von Artikeln leben und allen Ernstes glauben,
wenn sie in der Zeitung stehen, dann werden sie auch gelesen – ha-ha –, müßten das eigentlich auch
merken: Daß sie gar nicht angeklickt werden. Daß die gar nicht gelesen werden.
Erinnert mich an Fernseh-Gestalten, die Kostüme in
schreienden Farben anziehen, die man nie in der Fußgängerzone oder im
Supermarkt sieht, die einen anschreien: „Schau mich an! Übersieh mich nicht!
Ich bin im Fernsehen! Aber keiner sieht mich! Keiner schaut mich an! Keiner
schaut den dunklen Anzug mit Krawatte an! Also ziehe ich was Schreiendes an!“
Solche Probleme füllen Arzt-Praxen.
Zurück zu den Schreienden. Also – die Ohnmacht ist verständlich – schreien die Schreibenden noch mehr
in der Überschrift, merke ich, was nur noch mehr dazu führt, daß der gemeine Billenial, also das Milliardste, nur
weiter überscrollt und den nachfolgenden Artikel auch gleich mitmeidet: Man
könnte ja auch da angeschrien werden.
„Hey, Macker! Ich will nicht angeschrien werden!“,
intoniere ich. „Hey, Mackmoiselle! Interessiert mich nicht!“
Milliardstel wie ich verdrängen immer mehr: „Will ich
nicht wissen. Schadet mir nur. Kriege ich nur schlechte Träume von.“
Ich ertappe mich dabei, heimlich Bilder von Dingen
anzuschauen: Möbel und Autos. Ich lerne begierig ihre Markennamen.
Ein Tufty-Time
von B&B Italia schreit mich nicht
an. Ein Vanity Fair von Poltrona Frau will mich nicht
manipulieren. Cassina? Vitra? Zanotta?
Cor?
Sie erzählen mir ihre eigene Geschichte, mit denen ich
mich einmöbeln will. Einmummeln will. Mümmeln will.
Ihr schreienden, schreibenden Schreihälse: Keiner will
mit Euch zusammenleben.
Ist wißt ja gar nicht, was zusammen mümmeln ist!
Billenials
wie ich mümmeln halt gern.
*
(Ode/r
an die gute, alte Zuschauerbeschimpfung. Die hat noch nie funktioniert. Nein.
Noch nie.
Wer
Meditatives sehen will, schaut sich am besten sowas an:
Oder
sowas:
Oder
sowas: