"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 29. Oktober 2017

"Kapier's endlich: Du inspirierst mich nicht."


Sage ich zu mir. Und das ist ja das Tolle daran:

Daß man sich das alles selbst sagen kann. Und noch viel mehr.


Da ich heute als einziger Mensch eine ganze Stunde geschenkt bekam, denn ein Geschenk bekommt man ja als einziger, las ich hier mal eine Stunde lang meine Geschichten.

Und da ich nicht toll bin und auch kein guter Mensch, aber lesen kann, was mitunter schon mehr Reflexion ist, als bei Menschen, die lesen können  u n d  toll sind und daher gute Menschen sind, die jeder braucht, um selber toll zu sein, deshalb man ja tolle Menschen braucht - ich eingeschlossen -, las ich mal meine Geschichten, so als ob sie jemand anderes liest, und dachte mir, wenn ich schon mal dabei bin, was sich solche Leute wohl dabei denken, die das hier so lesen, wenn sie das hier so lesen, was sie sich wohl dabei denken, wenn ich das denn lese eine Stunde lang. Und - hey - bei einer geschenkten Stunde sage ich nicht nein.

Aber jeder denkt für sich allein, was andere wohl denken, denke ich.
Und daher denke ich mich mal selbst hinein in das, was ich hier so schreibe.

Und da ich nicht lange denken kann - nur lange Gedanken schreiben kann -, schreibe ich mir einen Satz auf, einen einzelnen, bevor ich ihn wieder vergesse.

Ich schreibe ihn als Kommentar auf mich selbst, was ich hier denn so zu lesen bekomme.
Dafür stelle ich mir - Phorsicht Phantasie! - einen Leser vor:

Da ich nicht gebildet bin, eine Leserin.

Ungebildete Menschen wie ich stellen sich immer eine Leserin vor.  Die sind nobel. Die lesen noch was. Das mag daran liegen, daß mehr Frauen lesen als Männer und daher gebildeter sind.

Ja, es geht schon wieder um Bilder, denke ich schon wieder. Aber deshalb heißt es wohl gebildet.

Mein Lebensmotto lautet:

"Stelle Dich gleich mit dem zweiten Eindruck vor, dann kann der erste nicht enttäuschen."

Das stelle ich gleich hier als Bildunterschrift ein.

Daran sieht man, daß ich ungebildet bin: Hier ist ja gar kein Bild für eine Bildunterschrift eingebildet.

Aber die Phantasie wird schon eins einbilden, denke ich, und damit ist's mir schon gedient.


"Darf man nicht mal mehr in Ruhe einen Lebenszusammenbruch gehabt haben in diesem Lande?!",

frage ich mich, als ich mich erinnere, ja einen einzelnen Satz einfügen zu wollen, als Gegenkommentar zu dem einzelnen Satz einer Leserin, als die ich mich vorstelle, die irgendwas denken könnte, weil sie ja gebildet ist, wenn ich sie mir mich als mich vorstelle, wenn ich meine Geschichten, die ich mir alle ausgedacht habe, so mal durchlese.

Das finde ich schon sehr kompliziert. Denke ich.

"Füge doch einfach ein Bild ein.", kommentiere ich als Leserin. Als wäre ich eine gebildete Leserin.

"Tz, Snobine!", antworte ich ungebildet, aber ungehalten.

"Ein Satz sagt wohl mehr als zwei Sätze.", schnaufe ich wegen des Kommentars.

"Das kann ich nicht. Alle Bildunterschriften sind schon vergeben. Nochmal tz."

Schnaufen, habe ich gelernt, ist heutzutage eine tolle Eigenschaft. Also schnaufe ich nochmal:

|

                                                                                                                                                      |

Da war es wieder: Wieder stelle ich mich mit dem zweiten Eindruck vor, stelle ich zufrieden fest.
Und es gibt ja noch den Eindruck, wenn man nicht ganz dicht in der Birne ist, denke ich.
Leider geht so eine Zeit schnell vorbei, denke ich zufrieden. Und dann ist man wieder normal.
Und man hat nur sich wieder als Leser und ein paar Erschrockene, die man auch nur haben will als Leser.

Die suchen sich das selber aus und werden dazu nicht genötigt, denke ich und schnaufe noch nicht einmal.

"Endlich mal einer, der einem nichts aufzwängt.", lobe ich mich, während ich meine eigenen Dinge aufzwänge.

"Und der erste Eindruck kann nicht enttäuschen,", denke ich zufriedenstellend, "wenn man sich gleich mit dem zweiten vorstellt. Phantastisch."

Aber gegenkommentiere meinen Kommentar indem ich phantastisch schreibe:

"Ich werd' jetzt weiter mein Atmen verbessern. So. Das ist sehr anspruchsvoll und erfordert volle! Konzentration. So, nochmal. Das kann von mir aus mein Leben lang so weiter gehen.
...öps. Wieder veratmet. Deine Schuld. Jetzt muß ich mit dem Atmen  wieder  g a n z  von vorne anfangen! Weißt Du, was das bedeutet, wieder ganz von vorne mit dem Atmen anzufangen!
Jetzt muß ich erst wieder lernen, wie man den Mund zum Atmen öffnet.
Und wie war das jetzt schon wieder mit der Nase?!
Kommt die vor dem Mundatmen, oder danach?!"

Dann denke ich mich in meine innere, gebildete Leserin hinein:

"Ich weiß, daß Du schon Tragisches hinter Dir hast. Es hilft keinem, sich gegenseitig schlecht zu machen. Hinter Humor verstecken. So daß man nicht merkt, daß man ein tiefgründiger, also widersprüchlicher Mensch ist. Ekelig peinlich. Tiefgründig, bäh. Das sind doch die Doowen. Widersprüchlich, igitt. Lieber für alle Zeit unterschätzt werden. Weil man eh nur abschätzig gesehen wird. Egal, wie man sich gibt. Dann lieber perfekt. Und zack, Beweisphoto dazu."

Menschen schätzen Menschen nur für Dinge, die ihnen selber nutzen, denke ich selbst dabei.
Wobei man die meiste Zeit auch nur oberphlächlich ist.

"Bin ich auch nur.", denke ich.

"Für den Rest habe ich meine Phantasie. Da darf ich toll sein. Auch wenn ich es in Wirklichkeit nicht bin. Dafür hat man ja schließlich Phantasie: Um toll zu sein, obwohl man es in Wirklichkeit nicht ist."

Da war sie wieder: Die Phantasie.

Phantasie: Der enttäuschte erste Eindruck, der den zweiten Eindruck nicht enttäuschen kann.

"Wer 'Phantasie' mit 'F' schreibt, schreibt 'Ficken' auch mit 'F' und es fehlt die Phantasie dabei. Hihi, ich habe ''Phicken' gesagt.", antworte ich als Leserin.

"Außerdem bin ich zu alt, um mein Leben Revue passieren zu lassen.", schnaube ich aber noch zurück, weil ich das durch die heutigen Zeiten so gelernt habe, daß man das heute so macht:

Schnauben.

"Das wäre eine langatmige Vorstellung. Lieber schaue ich Leuten zu, die mit ihrer Nummernrevue gerade erst begonnen haben. Vielleicht werfen sie bei ihrem Tralala ja Konfetti. Ich meine. K o n f e t t i ! Echtes, buntes Konfetti! Ich dreh' durch vor Aufregung."

Meiner ein-gebildeten Leserin, die ich mir vorstelle (Ich nenne es Reflexion. Das klingt immer gut.), gebe ich noch mit auf den Weg:

"Du wirst hier nichts finden, was einen Nutzen für Dich haben wird.
Suche weiter, kleine Indianer-Squaw.
Kräuter und Wigwam findest Du drüben am Lebhafter-Bär-Pass. Dies hier ist der Toter-Kojoten-Pass.
Aber nicht die Daisys am Pfad pflücken! Die brauche ich selber noch für meine Wamwam-Gardinen:
Um sie dort hinein zu nähen. Sieht so gleich viel hübscher aus. Vielleicht setzen sich ja Bienen drauf.
Wenn ich denn Gardinen hätte. Zumindest die ausgestorbenen. Die setzten sich drauf.
Suche weiter, kleine Squaw. Suche weiter."

Ich und ich als Leserin sind zufrieden: Niemand sucht weiter. Nicht ohne Phantasie nicht. Niemand, der hier sowas liest, soll sich ohne Bilder einbilden, hier spränge etwas für ihn heraus. Außer Zeitverschwendung oder etwas Zeit vertrödeln, wenn man denn wie heute eine Stunde mehr auf dem Lebenskonto hat.
Auch wenn sie gleich Skonto gegengebucht wird diese Stunde mit atomaren Gegenuhren. Einen 25-Stunden-Tag habe ich jedenfalls noch nicht erlebt. Auch nicht, als ich mal Matsch in der Birne hatte. Was schon sehr surreal war. Matsch wo sonst nur Murmeln sind. Aber wie jedes Surreale nicht wiederholenswert, denke ich. Nur das Reale wiederholt sich ständig lohnenswert. Für den Unlohn gibt es ja das Irreale.

"Immerhin haben wir eines gemein. Du, Gardinen und ich: Ich bin anziehend und abstoßend zugleich, sagen wir allen gleich beim ersten Anblick. Nur auf den zweiten Blick folgt der erste. Und der erste reicht mir schon. Und: Wenn erst die Gardine anfängt, zu sprechen, wird's surreal. Surreal vorrewa!", jippie ich mit V-Fingern hinterher, so als wäre ich ein Asia-Girl auf Rheinfahrt, aber komme in Köln an.

Dann bleiben noch 30 geschenkte Minuten über von den 60 Minuten, die das Leben in einer leeren Schachtel geschenkt hat - mit sehr viel Aufwand, muß ich anerkennen; als wäre das Leben mit sehr viel Aufwand verbunden und wie ein Geschenk in einer leeren Schachtel übergeben - und mache gleich das, was man jetzt so macht, wenn man mit dem geschenkten Leben, als wäre es eine geschenkte Stunde - dann kommt die nächste Klau-Stunde - weiter macht:

Ich schnaube.

Ich gebe mich also gesellschaftskritisch.

Das kommt immer gut..., denke ich,

...darauf an, in welcher Gesellschaft man verkehrt.

Ich bin in meiner, und das allein reicht mir als Rechtfertigung aus, die Gesellschaften anderer zu inspizieren. 'Inspizieren' ist ein gebildetes Wort. Denke ich. Ich habe es irgendwo mal gelesen.
Deshalb habe ich es wohl geschrieben, damit man denkt, wenn man es liest, ich sei gebildet. Weil das gut kommt..., denke ich, ...kann ich versichern, daß ich es nicht bin.

"Hach, ich mag so einen geschnörkelten Scheiß.", juchze ich auf, als ich das lese. "Schreiben. Und schnörkeln. Und abschweifen. Das finde ich geil."

Andere machen es mit Bettdecken oder Beeten. Und was andere machen ist immer geil. Das weiß ich. Weil es ja andere machen. Und alles, was andere machen wäre geil, wenn sie einen denn inspirierten, denke ich das Gesellschaftskritische:

Menschen inspirieren mich schon lange nicht mehr. Geht es mir auch so?, frage ich mich als kritischen Leser.

Ja, es gibt Bilder. Aber Inspiration?
Gibt es überhaupt noch Inspiration?
Oder schaut nur jeder seine Bilder an?

Ich erinnere mich.
Ich weiß, das ist heutzutage nicht mehr so gefragt: Das Erinnern.
Erinnern - junge Menschen schauen im Duden nach - gilt als unschicklich ungebildet. Nur das Instante ist das Konstante.
Hörte ich von Menschen, denen man es nicht zum Vorwurf machen kann, daß sie sich nicht erinnern, weil sie gar nicht so viel Zeit zum Erinnern zur Verfügung haben.

Warum inspirieren junge Menschen nicht?

Ja, sie machen ihre Bilder. Aber inspirieren tun sie nicht.

'Interview mit Greta Garbo' habe ich 2004 oder 2005 geschrieben. Das ist ein Ausschnitt aus irgendwas. Wenn Du mir damals begegnet bist, hast Du mich sicherlich inspiriert.
Wann nicht: Menschen wollen Inspiration sein, dienen aber nicht mehr als Inspirationquelle. Vielleicht wollen sie einfach nur Photos zeigen. Weil sie eh wissen, daß diese nur für 60-Sekunden-Betrachten gemacht sind. Und nicht für die Ewigkeit. Vielleicht halten sie sich aber heimlich doch für die Ewigkeit. Zweidimensional. Und lieben zweidimensionale Komplimente. Wo ist all die Phantasie geblieben? Wann haben sie aufgegeben, zu inspirieren?

Doch dann greife ich lieber auf Bilder zurück, die ich mit den eigenen Augen geknipst habe. Die sind mehrdimensional und haben manchmal sogar Gerüche. So brauche ich auch nicht zu recherchieren, was ich nicht tue, und erzähle nur aus meiner Phantasie oder Erinnerung heraus. Was dasselbe ist.

Phantasie macht toll, auch wenn man nicht toll ist.
Ich bin bestimmt nicht toll. Objektiv schon mal nicht.

Das ist ja das Tolle an Phantasie: Man muß nicht toll sein, um Phantasie zu haben.
Ich muß mich nur daran erinnern, wie man orthografisch korrekt Phantasie schreibt. Dann bin ich, der nicht toll ist, toll. Toll, nicht? So trickse ich meine Beliebigkeit aus.

Aber Phantasie, ach!, will heute keiner mehr, denn Phantasie hat ja jeder!

"Phantastisch siehst Du wieder aus! Ich liebe Dich!"

Tolle Bilder.

Aber nicht für Dich, nicht für Dich, Dich lege ich zurück, für Dich nicht und Dich lege ich auch zurück. Ein großes Panini-Album: Der fehlt mir noch und die. Dann habe ich mein Album komplett.
Aber es gibt ja noch den. Was mache ich denn mit dem?! Ah, die kommt auch noch rein. Die quetsche ich zwischen den Bildern von 'Herrn Lustig' und 'Frau Schön'. Aber sie müssen farblich zusammen passen. Soll ja keiner über mein Panini-Album meckern. Ich am wenigsten. Soll doch andere beeindrucken. Wie toll und cool und abgeklärt ich bin. Man soll mich loben:

"Was für ein schönes Album Du da hast!" - "Das paßt mir gerade recht für mein eigenes Album. Sollen wir Bilder tauschen? Zwei Cool gegen drei Neidischmachende? Zwinker."

Wie gut, denke ich, daß ich nicht toll bin. Und schreibe:

"Du bist nicht toll! Jeder ist jetzt toll. Und wenn Du nicht toll bist, dann bist Du, bist Du... und dann überlegen sie auch nicht lange und schnaufen... auch kein guter Mensch! Du wirst schon wissen, wieso.", denken sie dann noch. "So." Und wissen nicht, wieso. Aber sie denken sowieso.

Wie gut, daß ich noch dazu kein guter Mensch bin, denke ich aufatmend. Dafür habe ich zuviel Erinnerung und zuviel Phantasie.

Das mit dem Tollsein ist wie Humor: Humor hat ja jetzt auch jeder. Aber wehe nicht.

Behaupte nie, ein Mensch hätte keinen Humor. Dann bist Du garantiert nicht toll. Für jemand anderen. Und das ist sehr wichtig. Immer etwas für andere sein:Das ist das Sein.
Das ist dann schlimmer als ein Mörder zu sein. Die werden zumindest resozialisiert. Humorlose Menschen nicht. Niemand resozialisiert humorlose Menschen. Da gibt es nur einen Ausweg. Man kann nur dreist behaupten, man hätte Humor: Dann ist man zwar Betrüger, aber immerhin kein Mörder.
Aber wehe, Du behauptest, ich hätte ihn nicht! Dann ermordest Du mein Tollsein!
Bei allem Humor, da hört 'der Spaß' auf.
"Dann werde ich zum Mörder Deiner Spezies! Nein. Auch die Kleinen!"

Dann wird man gleich humorlos. Fast so schlimm, wie jemanden vorzuwerfen, man hätte keine Phantasie. Aber auch nur fast so schlimm, denke ich.

Denn Phantasie hat ja schließlich jeder: Ich zeige Bilder! Die sind phantastisch.

Kein Wunder, denke ich, daß nur noch Bilder gezeigt werden, die man geschenkte 60 Sekunden betrachtet. Die Phantasie beschränkt sich auf beschränkte 60 Sekunden. Die Bildunterschrift: Das ist dann die Geschichte unter dem Bild. Ich meine, die ganze Geschichte unter dem Bild. Es gibt eine ganze Industrie, die Geschichten nur noch mit Bildunterschriften erzählt.

Ein Satz erzählt mehr als zwei Sätze. Diese These unterstütze ich nicht.

Ab dem dritten Satz wird aus einem 'Hallo' eine Geschichte:

Wie geht's weiter? Gibt's eine Pointe?
Kommt's zum Kuß, kommt's zur Tragödie? Ist der Kuß nicht schon die Tragodie? Der Kuß hat Herpes. Dann ist es eine Tragödie. Oder verschwende ich nur meine Zeit? Du hast 60 Sekunden, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Der erste Eindruck zählt. Tick, tick, tick.

Wie gut, daß ich mich stets mit dem zweiten Eindruck vorstelle. Für 60 Sekunden fehlt mir die Zeit, denke ich.

Kann es sein, daß man sich der Außenwelt verweigert, ambivalent zu sein? Zwiespältig zu sein.
Widersprüchlich zu sein. Höchstens mal anrüchig sein, hihi.

Und dann, spätestens nach 59 Sekunden drifte ich dann wie jeder Mensch ins schmähende Denken ab: Ich bin kein guter Mensch, sagte ich doch.

"Du kennst mich doch gar nicht!" ist der gebildete Satz, den ich von gebildeten Menschen immer lese. Sehr reflektartorisch. Jeder Mensch ist der Maßstab seines Gegenüber. Und jeder Mensch kennt sich nicht. Und man ist schon zufrieden, daß man sich selber kennt, wenn man sich in anderen wiederfindet.

Wie Klaviertöchter, die mit Ghetto-Rap kokettieren und sich dort in Ghetto-Pose wiederfinden. Irgendetwas müssen sie ja dort verloren haben. Wie aufregend, dieser Asozialen-Schick.
Und so tiefgründig. Und so karitativ. Für eine Klaviertochter sich für Menschen aus der anderen Gesellschaft einzusetzen. So befriedigend: "Ich verstehe euch!"

"Du verstehst nichts, wenn Du nicht die Erinnerung hast, daß 12 Stunden Ghettoblaster jeden Reim zerdonnert.",
denke ich nur dabei schmähend und genieße meine Ruhe.

Fast so phantasievoll, wie eine Klaviertochter nach Afrika jettet und sich lächelnd mit Schokobabies ablichten läßt. Ach, was bin ich für ein guter Mensch. Gleich mal zeigen!

Damit jeder in meinem Panini-Album sieht, was für ein guter Mensch ich bin, denke ich und bin kein guter Mensch dabei. Das ist dann die ganze Geschichte. Vermittelt mit Bildunterschrift:

"Meine Geschichte, die ich mit euch teile, ist, daß ich ein toller, guter Mensch bin.
Sammelt mich in eurem Panini-Album! Vielen Dank für Eure Inspiration! Love!"

Mein Nachbar Rolf, der mir immer Schokorollentorten vorbeibringt, was auf Dauer wirklich nervt,
war 8 Jahre in der Forensik.
Man kann sich denken, weshalb. Seine Bewährung läuft bald aus. Ich finde das auch nicht komisch.
Aber das sind echte Geschichten. Mein alter, lieber, immer gesöffbenebelter Deutschrussen-Nachbar hatte einen Herzinfarkt und ist vom Fahrrad gefallen. Bei seiner Wohnungsauflösung hat sich Kofi, mein lieber "Wie geht's, Kofi? Alles gut? - Alles scheise. Kannst Du mir 5 Euro leihen?"-Nachbar,
Johanns Knarre mit vollem Magazin genommen, sagt Rolf. Aber das muß ja nicht stimmen, was Rolf so erzählt. Er erzählt auch, daß Kofi auf seine neuen, weißen Turnschuhe neidisch ist. Was ich bezweifle.

Jeder hat so seine Geschichten. Sie finden statt. Aber sie finden nicht auf Photos statt. Oder sie finden nur als Aufregung über politische Petitessen statt. Bei denen man gar nicht hinterherkommt, wer sich denn jetzt eigentlich mehr über wen aufregt.

Aufregung ist keine Geschichte.

Aber zeigen gleich mit ihrer Aufregung, ihrem Panini-Album, wie toll sie sind.

Das Aussterben der Erinnerung schlägt sich nieder in Geschichten.

Es gibt im ganzen Deutschen vielleicht zwei Autorinnen, die man lesen kann.
Vielleicht grübeln sie, vielleicht nicht. Vielleicht nehmen sie auch nur ihre Gedanken vor dem Computerspiegel mit einem Diktiergerät auf.
Beiläufig. Und merken es gar nicht. Was soll's.

Ich bin nicht toll. Ganz objektiv nicht.
Ich muß auch nicht mehr für andere sein.
Ich bin Geschichte.

Wer das kapiert hat, muß auch nicht mehr für andere toll sein.

Für das Tolle habe ich meine Phantasie. Und meine Erinnerung. Und meine Geschichte. Die lese ich.
Die habe ich für mich ganz allein.

Und Rolf und Kofi. Die haben auch Geschichte.
Keine schöne. Aber schön sehen sie auch nicht aus.

Ich finde hier nichts, was mir von Nutzen ist, denke ich noch, während ich meine Geschichten zu Ende lese.






*









Samstag, 28. Oktober 2017

Interview mit Greta Garbo


Pierre Roy - Gefahr auf der Treppe, 1927/1928



Der Cassetten-Rekorder lief. Er spielte: Nick Drake – Place To Be.

Im runden Flug durch das Zimmer. Verkehrt herum.

„Jenni, mach dich fertig. Es ist soweit.“
Mutter schaute durch die Tür.

„Ja, gleich.“

Sie blieb stehen. Sie hielt ein Tuch in der Hand. Rotweiß. Sie kam aus der Küche. Sie war noch dabei das Geschirr abzutrocknen. Der Flur lag im Dunkeln. Das Licht kam aus der Küche am Ende. Auf der rechten Seite sah man das Wohnzimmer. Die Tür mit einer Glasscheibe war einen Spalt geöffnet. Der Fernseher lief. Man sah das Flackern an den Wänden. Man hörte Stimmen. Mutter sah wieder her.

„Gleich.“

Jenni sah nicht hoch. Sie blätterte in einem Hausaufgabenheft. Sie lag auf dem Boden. Von Cassetten umgeben. Mit der Aufschrift: Nicht überspielen. Sie bekaute einen schwarzen Filzstift. Sie drehte sich um. Die Beine baumelten in der Luft. Sie las auf dem Bauch weiter. Ihr Schlafanzug war kariert. Rotweiß. Wie das Geschirrtuch.
„Was liest du denn?“
Sie wartete. Dann schloß sie die Tür. Ein Vorhang hing an der Seite.
 Jenni drehte den Kopf, stellte den Cassettenspieler auf Pause und lauschte in den Flur hinein. Als sie Klappern des Geschirrs aus der Küche vernahm, griff sie unters Bett und holte ein Buch hervor. Groß und schwer. Mit glänzendem Einband. Der Titel in goldenen Buchstaben:

Griechische Mythologie
von A wie Abas bis Z wie Zeuxo
Über 200 farbige Abbildungen.

Sie legte es aufs Bett und schlug es auf, behielt die Tür aber weiter im Auge. Mit glänzenden Augen blätterte sie nicht zum ersten Mal darin. Erregt und angeekelt zugleich schaute sie sich am liebsten die Bilder an: Achilleus war dort zu sehen, der schöne Held von Troja, wie er an seiner Ferse Verletzung qualvoll stirbt, Agamemnon und Adonis, Geburt und Mord, die grausamen Amazonen. Die ihre männlichen Neugeborenen töteten, wenn nicht gleich, so doch Arme und Beine brachen, um sie so nieder zu halten. Aigisthos und Klytaimnestra. Die schöne Amphitrite von Max Klinger. Aphrodite, die Göttin der Liebe. Dem Schaum des Meeres entstiegen – oder war es die Scham? –, um an Land zu wirken: Als die Sirenen es ablehnten, ihre Unschuld an die Götter oder die Sterblichen zu verlieren, verwandelte Aphrodite sie in Vögel. Jenni las:

„Als Aphrodite die Tür zum Orchideengarten findet, öffnete diese sich weit und wunderschöne Gestalten erschienen. Von herzerweichender, jungfräulicher Schönheit, alsbald von jedem Vorbeiziehendem liebestoll begehrt. Die Bittflehenden, Aischylos.“

Artemis, die keusche Göttin des Mondes. Auch Patronin der Jäger, der Fischer, der Geburt und unverheirateter Mädchen. Frauen, die bei der Geburt starben, sollen von ihren Pfeilen getötet worden sein. Athene, die in voller Rüstung dem gespaltenen Kopf von Zeus entsprang. Atlas mit der Last des Himmels. Jenni sah zur Decke.
Milchig war sie zugegen. War ihr Himmel, verbarg mehr als weiße Farbe. Sie blätterte weiter. Sah den Hass von Atreus, Thyestes. Lachte über Bellerophons Fall vom Himmel in einen Dornenbusch, dem eine Bremse zum Verhängnis wurde, weil sie Pegasus stach, die der Göttervater Zeus schickte, während er dem Olymp zu nah gekommen war. Kassandra in den Augen der Klytaimnestra. Von John Collier.
Kronos, der seinem Vater die Genitalien abschnitt und der seine Kinder fraß, bis auf Zeus, den seine Mutter durch einen Stein ersetzte, das Orakel. Daphnis Schicksal. Echo und Narkissos. Die Metamorphose des Narziß von Salvador Dali. Der traumlose Schlaf des Endymion, in dem er fünfzig Töchter zeugte. Soviel Licht verdiente man sonst nur als Strafe, dachte Jenni bei dem Bildnis von Anne-Louis Girodet de Roussy-Trioson. Sprachlos. Die Erinnyen versetzten sie in Starre.

Eros, der Sohn der Nacht, der aus einem silbernen Ei geschlüpft sein soll. Er entflammte Herzen mit seiner Fackel. Oder verschoß seine Pfeile. Eris, die Streitsäende, warf den Zankapfel. Mutter Hera soll sie durch die Berührung einer Pflanze empfangen haben. Eurydike, die ein Blick nur für alle Ewigkeit strafte. Ganymed. Wieder Hera. Die Mutter, die Amme Herakles, der durch Heras Milch unsterblich wurde…

Jenni hörte Geräusche vom Flur. Sie schaute auf. Schnell überflog sie einige Seiten. Schritte kamen näher. Sie hatte sich in ein Bild verliebt, wollte es noch mal sehen:

„John William Waterhouse – Hylas und die Nymphen.“

Sie wurde rot, weil sie zu lange auf die Busen starrte. Der Blick der Mädchen, die vielleicht so wie sie waren, machte sie neidisch. Die Hand am Jungen.
Eifersüchtig warf sie das Buch unters Bett. Eine Seite schlug sich auf, wie der Zeiger eines Glücksrades, blieb beim H stehen. Ein Bild zog sie in ihren Bann. Trocknete die Lippen. Mutter rief aus dem Flur, sie solle sich beeilen.
„Jenni?“
Sie stand vor der Tür. Sie bekam keine Antwort. Weil sie nichts hörte, legte sie die Hand auf die Klinke. „Jenni?“

Ein Mädchen kauert in einer Ecke. Auf dem Boden einer Schachtel. Blind. In Händen eine zerbrochene Leier. Gebunden: George Fredericks Watts – Hoffnung.

„Jenni?“ Mutter öffnete die Tür. Jenni schlug das Buch zu und schob es tief unter die Matratze. Sie legte anderes davor. Schnell sprang sie aufs Bett und tat so, als ob sie Musik hörte.
„Jenni, warum antwortest du nicht…“
Sie sah durch den Spalt. Jenni nahm die Kopfhörer ab. „Mach dich jetzt bereit.“
„Ja, Mama.“ Mutter ging. Jenni betrachtete das gelbe Laken unter der Decke. Ein schwarzer Flicken lugte hervor. Der Filzstift lag neben dem Hausaufgabenheft auf der Kommode. Daneben eine Schere. Still zog sie die Decke zurecht. Dann stand sie auf und ging zum Bad.


*


„Nun, komm. Mach schon.“ Mutter strahlte aus der hellen Küche in den dunklen Flur. Sie räumte das Geschirr in klirrende Schränke. Ich nickte. Dann schloß sie die Tür. Befallen von Ruhe. Barfuß lief ich über den Teppich. Ich war zehn.

Ich kam am Wohnzimmer vorbei. Verschwommen sah ich Vater vor dem Fernseher sitzen. Das Flackern brachte kaum Licht in den Flur.
 Vater drehte sich nicht um. Er trank aus einer Flasche Bier. Er sah sich einen Bericht an. Auf dem Fernseher konnte ich ein Gesicht erkennen. Er tönte:

„…das Leben schien zu sein wie Greta Garbo: Eitel, zynisch, grandios.“ 

Heimlich sah ich durch den Spalt. Eine Frau, das Gesicht hell erleuchtet.
Sie lächelte, lachte mehr aus, wackelte mit dem Kopf, schneller, immer schneller, bis die Haare durcheinander fielen, zwinkerte.
Ein Stummfilm, der nur diese eine Frau zeigte, in einem Studio gedreht, das leer schien. In Schwarzweiß. Obwohl das keinen Unterschied machte, hatte unser Fernseher sowieso keine Farbe.

Der Film zeigte Ausschnitte aus ihrem Leben. Nein, aus ihren Spielfilmen. Fast nur ihr Gesicht war zu sehen. Mehr weiß, als schwarz. Weich ausgeleuchtet. Dann kam der Ton:

„…sehen Sie heute exklusiv das Interview mit einer Göttin! Lernen Sie die Diva kennen, wie Sie es noch nie erlebt haben. Eine verschollene Filmrolle mit Tonproben der Heroin macht es möglich. Aus den frühen 30er Jahren, gefunden im Nachlaß einer ehemaligen Komparsin. In einer verstaubten Kiste auf dem Dachboden. Eine Sensation! Darauf: Probeaufnahmen, die der Stummfilm-Star auf Drängen der Studiobosse machen mußte. Der Tonfilm hatte längst Einzug gehalten. Doch seien Sie gewarnt: Wegen rechtlichen Problemen, des anzüglichen Inhaltes wegen, und rechtlicher Einwände der Erben, der darauf zu sehenden, wurde der Filmausschnitt nie der Öffentlichkeit gezeigt. Die Rechte sind geklärt. Sehen Sie jetzt, ungekürzt:

Ein Interview mit Greta Garbo

Wir bitten, die schlechte Tonqualität zu entschuldigen.“

Eine Kulisse. Farbenprächtig. Der Hintergrund. Die Kamera schwenkte hin und her. Beleuchter sah man, in komischen Sackhosen, kariertem Hemd, Weste und Schirmmütze. Einer hielt sie, ein anderer kippelte auf der Leiter. Sie merkten, daß sie gefilmt wurden und winkten. Sie lächelten. Die Kamera schwenkte durch das Studio. Fuhr aus der Kulisse, zeigte das Skelett, die nüchterne Technik hinter dem Studio: Türen. Der Regieassistent lief ins Bild, zerfahren, eine Nickelbrille auf der Nase, ein Skript in Händen, schaute ungelegen, reichte letzte Änderungen in schmale Hände. Der Regisseur saß auf einem erhöhten Stuhl und quälte sich zu einem Lächeln. Geheimratsecken, Durchdringeblick, zu schnell ergraute Haare. Ein Sprachrohr auf dem Boden zur linken. Betriebsames Schweigen. Die Kamera schwenkte herum. Die Kulissen kamen wieder in den Blick. Eine Leinwand, Aufbauten, die noblen Häuserfassaden glichen. Blumenkästen. Blumenmädchen zupften an Blumengirlanden. Eine hübscher als die anderen. In hohen Schuhen mit groben Absätzen. Kurzen Röcken, Strumpfhosen. Sie waren unecht. Die Nylons, wie die Blumen. Das blonde Mädchen nicht. Sie guckte keck in die Kamera und streckte frech ihre Zunge heraus.

Ich mußte lachen. Verkniff es mir aber. Wollte nicht, daß Vater mich bemerkt.

Das Mädchen in Blond zog die Kamera heran. Machte unbeholfene Bewegungen, aber verführte sie. Fuhr sich durch die Haare, probierte Blicke in Nahaufnahme. Blonde Locken, strahlende Zähne, eine kurze Nase, hübsche Augen, die lachten.
Dann hörte man Getrampel. Geschimpfe, knallende Türen. Sonnenlicht platzte herein. Echtes Licht. Erschrocken blickte das Mädchen zur Seite. Schnell nahm sie ihren Platz ein, zupfte wieder an ihren Blumen. Aber, bevor der Lärm näher kam, warf sie der Kamera noch einen neckischen Blick zu, machte den Lärm nach, hob rümpfend die Nase, wackelte mit Kopf und Schultern, stolzierte, streckte erneut die Zunge raus und lächelte verstohlen. Ungern  schwenkte die Kamera auf den Lärm.

Leute liefen umher, schwärmten herum, kreisten, die Kamera fuhr heran. Schminkten, bürsteten, zupften, ertrugen auch das Schimpfen. Wichen zur Seite, letztes Richten eines weißen Kragens, geschwungene Augenbrauen, schnell noch ein Lächeln aufgesetzt, und – ein grässlicher Akzent, schiefe Zähne – gaben die Sicht frei auf Greta Garbo:

„Clarence… Clarence Darling, hör zu, ich habe Bert…“
„Kamera läuft… Ton?“
„Ton läuft.“
„…Burt…“
„…Burt gesagt, ich kann das nicht. Mir paßt das virklich nicht. Venn ich reden vill, dann rede ich mit meinem Nähkräntschen, Darling.“
„Oh, Greta Darling! Wie dumm von mir. Das wußte ich nicht! Kinder… warum kümmert sich denn keiner?“ Greta verschwand hinter einer Traube. Maskenbildner, Designer, Kümmerer zupften hier und da, sie tupften, sie schwirrten. Greta kam wieder frei. Clarence, der Regisseur, trat vor die Kamera und hielt ihre Hand.
„Liebes, Darling, du weißt, du kannst immer auf mich bauen. Wir machen nur ein paar stills, dann gebe ich dich frei.“ Er verschwand wieder aus dem Bild. Greta zögerte, setzte sich dann doch in Pose. Sie blickte einmal hoch, einmal hoch und nach links, einmal hoch, nach links und nach unten. Einmal gar nicht. Ungeduldig blies sie ihren roten Pony aus dem Gesicht.

„Vas soll das?“

Ganz deutlich konnte ich ihre roten Haare sehen. Nur ihre Haare gaben die ganze Farbe preis.

„Die Leute wollen alle nur noch den Ton, Liebes. Du mußt nur du sein. Sie lieben dich.“
„Den Ton. Vollen sie etwa deine Furtse hören, Leon?“
„…Clarence…“
„Egal.“ Sie ignorierte das Murmeln aus dem Hintergrund. Stattdessen stahl sie allen die Schau. Sie zeigte ihnen die verführerischsten Augen, die sie je gesehen hatten.
„Als ob man vahre Gefühle nur mit Schluchtsen, Seuftsen, Rülpsen ausdrücken könne! Die Bilder kommen aus dem Innersten. Dort drinnen“, sie faßte sich ans Herz, für die Kamera an den Busen, „hört man nur die Stille.“

„Schnitt. Das Ganze noch mal. Aber diesmal ohne Busen.“ Greta wiederholte ihren Auftritt. Sie übertraf sich.
„Nachher vollen sie gar noch Farbe! Voher soll ich all das Rouge hernehmen? Ich hab es gesehen. Viel tsu grell. Vie bei Photoplay. El Bee hat es mir getseigt. Daß mir die Augen tränten. Leon, gib mir ein Taschentuch… Diese modernen Tseiten, du veißt, vie ich sie hasse.“
Ein Helfer reichte ihr das Taschentuch. Greta nahm es, faltete es und tupfte sich die unsichtbaren Tränen weg. Sie tat es für die Kamera. Sie tat es gut.
„Nur das Licht. Mein Gesicht. Meine Gefühle. Mehr braucht großes Kino nicht. Rembrandt hat auch nur in schwarzveiß gemalt.“
„…Farbe, Darling, er hat in Farbe gemalt.“
„Ach, seine Bilder sind so düster. Das ist wie schwarzveiß… Vo ist da der Unterschied?“
Clarence gab das Zeichen für eine kurze Pause. Greta wälzte sich in ihrer Traube. Träger trugen einen schwarzen Stoff herbei. Sie rahmten Greta ein. Man hörte den Regisseur mit seinem Assistenten flüstern: „Was ist? Wer ist dran?“

„L. B. ist am Apparat…“
„L.B.?“
„Er will wissen, wie es voran geht.“
„Will er mich sprechen?“
„Nein. Ich soll dir nur sagen, also, wörtlich… vermassle es nicht. Er hat aufgelegt. Er klang sauer. Er schickt jemanden vorbei. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“
„Billy, Junge, komm mal her… Wenn du’s hier zu was bringen willst, mußt du lernen, daß es keine guten oder schlechten Zeichen gibt. Es sind nur Nuancen desselben Wahnsinns. Niemand ist perfekt. Außer Jesus C. Gott, Herbert Edgar Hoover und Louis Burt Mayer. Vergiß die beiden ersten. Der Rest ergibt sich.“

 „Clarence Darling, können wir weitermachen?“ Greta wurde ungeduldig.
„Also gut, Kinder. Alles auf Anfang.“
„Vas soll ich denn sagen?“ Jemand brachte Greta ihren Text. Sie hielt ihn umständlich in halber Höhe. Die Kamera bemühte sich das Blatt auszublenden. Aber man sah, daß sie ablas. Gretas Augen ratterten im Takt der Silben. Sie strahlte dennoch vor der schwarzen Leinwand.
„Gut so! Das machst du wunderbar! Ja, dreh dich in dein Licht. So ist es gut! Jetzt sprich!“

„…Ah, that suits me down to the ground. Chee, I needed that bad all right, all right.“
Für alle war es eine Qual…

„…Kamera läuft.“
„Ton?“
„…Ton läuft.“

„Greta, dein Vater hat dich verlassen, du bist allein in dieser fremden, kalten Stadt – was sag ich! –, auf der Welt, du betrittst diese verruchte Bar, Nebel liegt über dem Hafen, du ziehst deine freudlose Runden – an was denkst du? Stell’s dir vor. Und… bitte!“

„Gimme a visky, Chincher on the table, me on top – and don’t be stingy, baby! Ha, ha.”

„Cut! Das ist nicht witzig. Laß das Irving nicht hören.“ Clarence hielt sein Sprachrohr in die Traube. „Niemand hat das gehört!“
„Ach, tsum Teufel damit! Du hast gesagt, ich soll mich in diese Nutte hineinversettsen. Ich soll sprechen wie eine Hure, also sprech’ ich!“
„Denk an deine Fans, dachte ich eher. Sind einfache Leute.“
„…Männer. Aber ich verstehe sie. Hätten Frauen einen Kittsler, so groß wie Valentinos Pimmel, vürden sie auch den gantsen Tag nur an Sex denken.“
„Woher weißt du, daß er überhaupt einen hatte?“
„Alla hat es mir erzählt.“
Madame’s Geschichten gefallen nicht jedem hier.“
„In ihren Bungalows, heißt es, vird mehr geschwittst als im LAAC. Du solltest dir die Tapeten dort ansehen. Sie kleben ohne Kleister an den Vänden.“
„Meine Frau läßt mich nicht aus dem Haus.“
„Dann blick' hinaus! Gebrochene Hertsen nimmt man für Fensterglas. Und Fenster, vie man sieht, gibt es überall. Oder hast du Angst, daß Irving es erfährt? Du weißt, Irving hat ein Herts, ein schwaches tswar, aber er hat eins.“ Greta lächelte.

„Wie fährt sich dein neuer Mercedes, Greta Liebes?“ Ihr Gesicht fror auf einmal ein. Sie schaute in die Kamera, als hätte die ihr gerade ins Gesicht gespuckt. „Reitet es sich, wie ein wilder Mustang oder ist es was für die große Strecke. Ja, halte das.“
Sie haßte ihn dafür, daß die Kamera weiterlief. „Irving… Irving, bist du da hinten?“
„Schwarz mit weißen Ledersitzen, nicht wahr. Das Beste daran sei der Dreispitz…“
Stern sagt man…“
Stern… ja, genau. Wie bei einem Flugzeug. Weißt du, warum drei Flügel für einen Rotor besser sind als zwei? Sie lassen sich fest verankern. Nimmt man zwei, dann läuft er unrund.“
„Irving, du mußt mit Sam reden. Salka…“
„…Salka stiehlt mir die Zeit mit ihren verrückten Ideen. Hollywood braucht keine neuen Gräben. Sie würden das Tal nur überfluten. Auch kann man sich die Hände verbrennen…

Wenn man anfasst, was Hollywood gehört. El Bee möchte dich sehen. Ich glaube, er sollte dir einen Duesenberg schenken.“

Greta brach auf. Die Kamera ließ den Trubel ziehen. Sie blieb auf der Kulisse stehen. Nichts schien mehr zu leben. Bis auf die Blumen. Die Mädchen von eben zupften sich zurück ins Bild. Genügsam. Schweigsam. Der blonde Lockenkopf von vorhin drehte sich zur Kamera. Ganz langsam fuhr sie heran. Im Hintergrund hörte man aufgebrachte Stimmen:

…Greta talks! Greta darf nicht reden! Sie redet zuviel Unsinn. Halte sie von der Presse fern …und schmeiß das Band weg, ich will keinen Skandal. Ihre ersten Worte sollen nicht die Worte einer Hure sein. Und wenn… dann sollen sie so klingen, als ob die Mutter Gottes sie persönlich diktierte. Setze Francis darauf an. Die Leute wollen nicht sehen, daß sie wirklich eine Hure ist. Auch wenn sie’s glauben, weil sie zahlen. Die goldene Zeit ist vorbei. Die Zeit der Skandale ist vorbei. Jetzt kommt der Ton. Und er bringt das Klingeln. Hollywood ist erwachsen geworden. Reicher. Wir sind nicht über Leichen gegangen, nur damit der Traum real wurde. Der Film wurde real! Das ist Amerika. Wen interessiert schon ein fetter Mann? Die Drogen. Oder daß ein Spanier den Iren tötete. Der Drogen wegen. Dem Geld. Den Ärschen. Der Vergangenheit? Hollywood war schon immer geil. Wer wem den Arsch hinhält, ist egal. Tony versorgte alle schon mit Engeln. Wichtig ist nur, daß Hollywood als letzter in den Arsch fickt. Nicht wem. Vergiß, was war. Darauf habe ich fünfzehn Jahre gewartet:
Die Karten sind bezahlt. Die Reihen dunkel. Der Vorhang aufgezogen. Der Film hat angefangen! Wenn sie schon einem singenden Neger aufs Maul starren, überlege: Greta talks! Damit ficken wir allen in den Arsch. Zuerst gaben wir ihnen Namen, dann Poster, dann Fan-Magazine, dann Götter. Jetzt geben wir ihnen Götter, die sprechen! Wenn sie zu Hause beten, werden diese Stimmen antworten. Wenn sie hungern, um ins Kino zu kommen, werden wir sie mit unseren Worten füttern. Was sie nicht wissen müssen: Wir geben ihnen die Götter. Wir suchen sie aus. Und du, Leon, gibst ihnen eine sprechende Diva. Wie, ist mir egal. Und wenn du ihrer Schlampe in den Arsch ficken mußt! Wir werden machen, was wir immer machen: Geld. Das ist Show-Business!“

Mit dem Tonfilm kam etwas Seltenes in die Studios, nach Hollywood: Stille kehrte ein. Die Beleuchter wackelten nicht mehr mit ihren Leitern, die Kulissenbauer liefen nicht mehr umher, sie stellten sich in Pose, die Besucher schnäuzten sich nicht mehr die Nase.

Die Kamera sperrte das Blumenmädchen in Nahaufnahme ein. Sie umwarb mit tiefer, ruhiger Stimme. Sie sprach:

„…und jetzt seid ihr beide beim Film.“
„Ja! Ha, das ist alles so aufregend!“ Das Mädchen biß sich auf die Lippen. Sie rollte ihre Augen. Sie glänzten.
„Wie heißt du?“
„Priscilla… Priscilla Mul… Lane.“
„Du bist wunderschön.“
„Oh, danke. Ich weiß nicht, was ich…“
„…und wer ist deine kleine Freundin da hinten.“
„Die Brünette?“
„Ja…“
„Oh, das ist Rosemary…“, sagte Priscilla schüchtern.


„Und jetzt seid ihr beide beim Film…“


Vater schaltete den Fernseher aus. Er sah dem Knistern nach. Er stellte seine Armhaare auf, indem er mit ihnen an der Mattscheibe entlang strich. Das hielt ihn gefangen. Bis das Gesicht durch sein Bild erblich. Schnell lief ich den Flur hoch zum Badezimmer und drückte mich durch die Tür. Ich vergaß, das Licht anzumachen. Ich merkte, daß ich außer Atem war.
Vorsichtig schob ich meine Nase durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen. Niemand war im Flur. Ich suchte mit der Hand den Schalter. Ich fand ihn endlich. Ich drückte ihn herunter. Es machte Klick. Ich sah zum Wohnzimmer, dann zur Küche. Ich schloß die Tür. Das Badezimmer gehörte mir.

Weiße Kacheln leuchteten hell, doch waren kalt an nackten Füßen. Der Raum war groß und viereckig. Ich stellte mich auf eine bestimmte Fliese, unter der ein Heizungsrohr verlief. Sie wärmte meine Sohlen. Ich wartete, bis ich meine Zehen wieder fühlte. Dann ging ich zum Klo und machte den Deckel hoch und zog die Hose runter. Ich setzte mich hin. Ich pinkelte. Ich sah das Bad aus dieser Perspektive, die Kacheln, auch die Tür. Unter dem Spalt war es dunkel. Noch einmal warteten Tropfen auf Gespür. Ich verzerrte mein Gesicht und preßte. Dann sah ich Schritte. Unter der Tür. Sie bleiben stehen.

„Ich hör dich nicht.“ Mutter stand im Flur.
„Es dauert noch.“, antwortete ich und ließ mir Zeit.

Wieder ließ ich es Plätschern. Dann veränderte sich der Ton, wirkte gedämpft. Ich schaute durch die Beine in die Schüssel, konnte aber nichts erkennen. Ich pinkelte weiter, wieder sah ich Schatten unter dem Türspalt. Etwas war anders, diesmal bewegten sie sich nicht. „Dauert nicht mehr lange.“ Bekam aber keine Antwort.
 Ich griff zum Klopapier. Griff ins Leere. Eine leere Rolle war im Spender. Ich sah mich um. Auf der Heizung stand eine neue. Ich streckte mich, war aber zu weit entfernt. Ich stand auf und spülte. Ich blieb über der Schüssel stehen, wollte den letzten Tropfen nicht an die Fliesen verlieren. Ich wagte mich vor. Wieder griff ich nach dem Klopapier. Der Schlafanzug fesselte meine Beine. Ich wackelte, aber schaffte es. Hielt es in der Hand. Ich strahlte. Ich versuchte, das erste Blatt vom Kleber zu lösen. Eine fitzelige Angelegenheit. Ich zog nur dünne Streifen ab, herum und wieder rum. Scheiße, verdammt!, schrie ich in das letzte Rauschen der Spülung hinein. Ungeduldig riß ich an den falschen Stellen. Bis ich merkte, wie ein Tropfen auf den Boden fiel und mir auf die Füße spritzte. Bah! Sah nicht, daß er rot war. Wütend riß ich an irgendeiner Stelle – und hielt jetzt dicke Lagen in der Hand. Die angefressene Klorolle in der anderen. Ich wischte mich unten ab und warf die Schnipsel in die Schüssel. Schaute mir den angefressenen Apfel dabei an. Zerzaust. Trotzdem mußte ich lachen. Ich spülte und sah noch im letzten Moment das Papier hinunterrauschen, blutig, das Wasser rot und dunkel. Ich blickte tiefer in den Strudel. Plötzlich stockte es – dann schwoll es an. Aus Angst drückte ich noch mal die Spülung. Rasend stieg das rote Wasser weiter hoch. Gebannt hielt ich den Knopf gedrückt. Wollte, daß das die Verstopfung wegspült. Bis das Wasser den Rand erreichte. Ich mich spiegelte und vom Rand ein Gesicht erkannte, Bäume und einen trägen Himmel. Ein Mädchen mit roten Strähnchen. Ich erschrak. Im selben Augenblick rauschte das Wasser ab.


*


Nichts deutete darauf hin, daß etwas anders war. Vater schickte mich in den Keller. Er wechselte eine Glühbirne in der Küche aus. Diesmal behielt er den Dietrich für sich.
„Ist offen.“ Dunkel.

Ich schloß die Wohnungstür hinter mir und trat auf ein Podest. Ich blickte gleich auf die großen Fenster, durch die morgens die Sonne strömte. Über mir mündete der Türrahmen in eine strahlenförmige Kuppel, die mit ihren Stuckverzierungen an vergessenen Glanz erinnerte, der noch stärker gewesen wäre, hätte man, als deren unscheinbare Mitte, nicht das runde Fenster zugemauert. Wohl der großen Fenster wegen, die nachträglich eingezogen worden waren, weil man es nicht mehr brauchte. Vater nannte es die Kanzel. Mit dem Blick in die Tiefe, durch die Brüstung in das großzügige Treppenhaus, führte eine steile Treppe vom Podest, die bei jedem Schritt rumorte, zum Absatz der Unterwohnung. Dort, eigentlich, begann erst das richtige Treppenhaus. Die Treppen wurden breiter. Steinerne Stufen ersetzten Bretter, lautes Hallen, hölzerne Handläufe, dicke Pfosten. Die trotzdem wackelten, wenn man fester an ihnen zog. Es war ein altes Haus mit dicken Mauern, hohen Decken, vielen Zimmern. Mit dünnen Wänden. Nach dem Feuer sind wir in den fünften Stock gezogen. Unsere Wohnung war wie ein Schlauch. Unterm Dach gelegen.

Vom Podest aus blickte ich hinunter. Ein weiter Abstand trennte die Treppen, so daß in der Mitte ein Loch klaffte. Beim Einzug stellte einer der Möbelpacker Umzugskisten gegen das Geländer. Ein zweiter kam und legte mangels Platz einen Stuhl auf eine von denen. Als dann Vater die Tür öffnete – sie ging nach außen auf –,  schlug sie dagegen und der Stuhl fiel in die Tiefe. Er zersplitterte tief unten in der Eingangsdiele. Manchmal träumte ich davon, auf das wacklige Geländer zu steigen und den Sprung hinüber zu wagen. Doch zu weit war das andere Geländer entfernt, als daß es gelingen könnte. Ich sah nach der Tür. Zu verlockend, es trotzdem zu wagen.

Ich hing diesem Gedanken nach, aber hüpfte stattdessen fröhlich die Stufen hinunter. Ich sprang über eine hinweg und landete knallend auf der übernächsten. Ich blickte zurück und fand jetzt Gefallen daran. Ich wiederholte es. Vielleicht war es der Moment der Schwere bei jedem Aufkommen, der mich fesselte. Als ich springend so den nächsten Absatz erreichte und sich die neue Treppe unter mir erstreckte, es langweilte mich, nur eine zu überspringen, versuchte ich mich an mehreren Stufen. Nach zweien und mehr Druck auf den Knien, und freundlichem Unbehagen, freute ich mich auf den nächsten Absatz mit seinen dreien. Ich sprang – und es war schon komisch, so lange in der Luft zu bleiben –, landete unglücklich, aber hielt mich auf den Beinen. Doch der Druck stauchte mit zusammen, wie ich es noch nie erlebte. So sehr, daß ich es für den Rest des Treppenhauses mit einfachem Laufen probierte. Nicht lange, dann entdeckte ich das Schwingen um die Ecken an den Pfosten. Das bescherte mir, so sie nachgaben, neues Taumeln.

Ich schwang um die nächste Ecke, als ich einem roten Luftballon begegnete. Er schwebte an mir vorbei nach oben. Ich lehnte mich übers Geländer und sah ihm nach, wie er höher zur Kuppel stieg. Von unten hörte ich Krach. Poltern. Das Aufschlagen und Einrasten der Haustür. Ich sah schwere Kisten, die in die Diele geschoben wurden. Die Hände, die sie schoben. Ruhe. Dann erneutes Schaben. Schwere Koffer, die sich zu den Kisten gesellten. Ein rechteckiger Kasten, der sich unter einer Decke verbarg. Ein Muster, das sich haßte. Ein Griff ragte heraus. Die Hände strichen über die Oberseite, verschwanden wieder. Die Zipfel wackelten nach. Ich fragte mich, was wohl darin war. Nochmal kamen Schritte. Die Hände legten einen Gitarrenkoffer aus Leder auf den bedeckten Kasten. Fremdartige Aufkleber klebten daran. Fremder Geruch drang nach oben. Die Haustür fiel ins Schloß. Schleppen, schwere Schritte, Stöhnen bestiegen die Stufen. Ich lief die nächste Treppe hinunter, bog gerade um die Ecke, als mir der neue Nachbar mit dem Kasten und dem Gitarrenkoffer entgegen kam. Ein junger Mann mit Zopf, gehalten von einem roten Band. Er war unrasiert. Er trug ein Jackett über Jeans, und unter dem Arm, über der Schulter den Gitarrenkasten. Er schlich an mir nach oben ohne mich zu grüßen, doch er nickte und verzog die Miene, als er mich sah. Er verschwand hinter den Treppen und schleppte die Sachen in den vierten Stock. Schade eigentlich, man hörte ihn nie spielen.
Ob seine Wohnung größer war als unsere? Ich folgte ihm nach. Der Eingang war offen. Ich versteckte mich am Türrahmen. Und beobachtete, wie er den Kasten auf den Tisch stellte. Er mir den Rücken zukehrte. Er lupfte die Decke. Ich sah nicht, was er tat. Er legte den Gitarrenkoffer auf den Kasten. Er machte ihn auf. Irgendetwas machte Geräusche. Ich kam ein wenig näher. Plötzlich drehte er sich um und entdeckte mich. Er schloß den Koffer und kam schnell auf mich zu. Ich rannte die Treppen hinunter. Er blickte mir nach, dann schloß er seine Tür.

Ich lief gleich in den Keller weiter. Der rechte Gang war geschlossen. Ich mied den Blick in den linken – schaute nur ganz kurz hinein – und öffnete meine Tür. Ich ließ sie einrasten, was mir auf Anhieb auch gelang – ich war ja kein kleines Kind mehr – und machte das Licht an.

Ich merkte an meinen Haaren, daß ich noch immer lief. Ich wechselte die Geschwindigkeit und wurde langsamer, wie bei einer Barriere, die man mühsam überwand. Ich folgte dem Gang bis zum Knick. Ich näherte mich den Brettern des ersten Kellers. Zwei Augen darin starrten mich an. Sie machten mir keine Angst mehr. Ich wußte, daß es Schaufensterpuppen waren. Auch in anderen Räumen. Viele waren vermietet. An einen Modeladen, der dort Akten lagerte oder Stoffballen. Auch diese alten Puppen. Manchmal traf ich fremde Gestalten. Sie räumten dann Sachen ein oder aus und sprachen kaum. In anderen Kellern lagerten Pfannen, Töpfe. Haushaltwaren. Nur wenige Räume wurden von den Mietern genutzt. Wir hatten Glück, ihn zu bekommen. In der Waschküche, gleich am Anfang, war eine Waschmaschine an. Ich ließ sie sein. Ich schritt die Reihe lang. Ich ging am L vorbei zum N. Ich drückte mehrmals auf den Lichtschalter: Weiches Plastik, doch so unnachgiebig, daß nach dem Drücken der Finger wehtat. Dann ging ich zurück und öffnete unseren Keller. Tatsächlich war er nicht verschlossen. Ich sah mich um, aber ließ die Tür offen. So hörte man, wenn jemand kam.

Es dauerte, bis ich die richtige Schachtel fand. Glühbirnen, 60 Watt. Ich nahm sie gleich heraus, hielt sie gegen das Ohr, wie es mir Vater lehrte, und hörte, daß sie gut war. Ich legte die Schachtel wieder an ihren Platz und trat aus dem Keller in den Gang. Ich sah nach rechts, ob dort Schatten waren. Keine da. Nach links zur schwarzen Eisentür. Sie war jetzt offen. Ich schloß die Tür – ich änderte meine Gedanken – und wollte gerade gehen, als daß Licht ausging.
Ich ärgerte mich. Manchmal half das Vorratsdrücken. Ich tastete mich zurück zum N, zum Schalter, und achtete darauf, nicht zu stolpern. Der Birne wegen. Ein Windzug streifte mich. Ich machte das Licht an und begann zu zählen… 1… 2…3… Dann drehte ich mich um. Der Nachbar stand vor mir. Vor Schreck fiel die Birne aus den Händen. Mit lautem Knall zerplatzte sie in tausend Stücke…

So schnell ich konnte, lief ich zur schwarzen Tür. 6… 7… 8… Schien im Hellen weiter, als im Dunkeln. Machte Schritte, wie beim Überspringen einer Stufe. Angst, ich könnte nicht mehr atmen. Sah nach hinten. Den Nachbarn in der Mitte warten. Dann schlug ich gegen die Tür, prallte ab und fiel zu Boden auf den Hintern. Dann sah ich Schatten. Unter der Türritze. Begleitet von Kratzen. Sah ein Auge durchs Schlüsselloch blicken. Klick. Die Klinke wurde herunter gedrückt, die Tür schwang mit Licht im Rücken auf. Dort… Schlug die Hände vors Gesicht.


*


Mutter arbeitete in der Waschküche im Keller. Das Licht der Sonne verirrte sich nur ungern nach drinnen. Sie zog die gewaschene Wäsche aus der Waschmaschine. Berge quillten in den bereitgestellten Korb. Sie trug ihn durch die Tür nach draußen. Die Sonne blendete. Sie hängte die Wäsche auf die Leine. Bunte Hemden, dunkle T-Shirts, Unterhosen, auch das gelbe Laken. Sie hielt inne. Nachdenklich fühlte sie den Stoff. Es hatte ein viereckiges Loch in der Mitte. Offensichtlich ausgeschnitten. Sie wartete nicht, bis es getrocknet war. Nahm gleich das Laken von der Leine und trug es in dem Korb nach oben in die Wohnung. Was die Nachbarn meinen? Auf den ersten Stufen zum Podest erschrak sie. Ein weißes Mäuschen schnüffelte sich um die Ecke. Es erschrak sich ebenso und lief unglücklich über den Balken, der Kante entgegen ins Verderben. Mutter hörte Knochen splittern. Lehnte sich über das Geländer und sah – unten, tot – den Körper. Sie setzte ihre Schritte fort und blickte zufällig nach oben. Unter der Kuppel hing noch immer der rote Luftballon. Schwitzend kam sie in die Wohnung herein. Sie setzte sich an die Nähmaschine und arbeitete sorgsam einen schwarzen Flicken in das Laken ein. Sie hängte es wieder auf die Wäscheleine. Unten auf der Wiese. Sie ließ es trocknen. Anderntags bespannte sie das Kinderbett mit dem gelben Laken, während Jenni in der Schule war.

Wochen später. Mutter zog die gewaschene Wäsche aus der Waschmaschine. Berge quillten in den bereitgestellten Korb. Sie trug ihn durch die Tür nach draußen. Sie hängte die Wäsche auf die Leine. Auch das gelbe Laken. Wieder hielt sie inne. Die Sonne spielte Streiche. Sie war entrüstet: Es hatte lauter Löcher. Alle mit der Schere ausgeschnitten. Sie nahm es ab und trug es in dem Korb nach oben in die Wohnung. Schwitzend setzte sich an die Nähmaschine. Sie hängte es wieder auf die Wäscheleine. Sie ließ es trocknen. Sie bespannte das Bett mit dem gelben Laken. Sie blieb in Jennis Zimmer stehen. Blaue Striemen fielen durch das Fenster ein. Sie sah sich um, lauschte, als ob das Zimmer mit ihr Gedanken tauschte.

Mutter zog die gewaschene Wäsche aus der Waschmaschine. Berge quillten in den bereitgestellten Korb. Sie trug ihn durch die Tür nach draußen. Sie hängte die Wäsche auf die Leine. Auch das gelbe Laken. Wieder hielt sie inne. Ein halbes Dutzend schwarzer Flicken prangten an dem Stoff. Sie verschlossen alle Löcher. Bis auf eines. Das war neu dazu gekommen. Dem widmete Mutter die ganze Aufmerksamkeit. Sie riß das Laken von der Leine und schleppte es in dem Korb nach oben in die Wohnung. Sie zählte alle Stufen. 137. Schwitzend kam sie an. Sie setzte sich an die Nähmaschine und arbeitete sorgsam einen schwarzen Flicken in das Laken ein. Sie hängte es wieder auf die Wäscheleine. Sie ließ es trocknen. Sie stand in Jennis Zimmer. Während Jenni in der Schule war. Sie sah sich um. Sie riß die Jalousie nach oben. Draußen sah sie einen Baum. Eine Eiche ohne Blätter. Frost bedeckte die Wiese mit der Wäscheleine. Die Sonne schien. Sie fühlte den Heizkörper. Kalt. Sie drehte ihn etwas auf. Sie bemerkte abgeplatzte Farbe auf dem Boden. Sie hob die weißen Splitter auf. Das Rohr an einer Stelle war blankgescheuert. Zufrieden bespannte sie das Bett mit dem nun gänzlich schwarzen Laken. Sie saugte die weißen Splitter weg. Sie verließ das Zimmer. Der Vorhang wippte nach. Mit einem Schlag wurde es dunkel. 

Jenni lag in ihrem Bett. Sie konnte nicht einschlafen. Die Jalousie war oben und ließ das Licht des Mondes ein. Sie sah auf ihre Sterne. Aus dem Schlafzimmer drangen Geräusche durch die dünne Wand. Gestöhne. Vater und Mutter schliefen miteinander. Das Körperklatschen ließ sie nicht in Ruhe. Hielt sich die Ohren zu, als ob das den Ton ausschaltete. Setzte sich die Kopfhörer des Cassetten-Rekorders auf und hielt mit lauter Musik dagegen: Vanessa Carlton - Paradise.

Auch das half nicht fiel. Setzte sich aufrecht hin. Sah zum Fenster. Mit dem Fuß angelte sie nach der Kordel und zog daran. Ratsch. Die Jalousien waren geschlossen. Blau. Sie mied den Blick zur Wand. Sie hatte Angst vor dem, was sie dort anstarrte. Dem Fleck. Der sich nur im bestimmtem Lichte zeigte. Bei dem sie so keine Verpflichtung empfand. Blieb jetzt nur die dunkle Wand. Auch wenn sie schrie. Sie warf das Kissen davor. Dann stand sie auf. Sie ließ den Kopfhörer liegen und ging zur Tür, zog den Vorhang beiseite und schob sich heimlich in den Flur. Sie ging am Schlafzimmer vorbei zum Badezimmer. Sie überhörte, was sie hörte. Sie machte Licht, öffnete die Tür, schloß sie wieder, schlürfte zum Klo, hob den Deckel und setzte sich auf die Brille. Ruhe verdammt! Dumpfe Geräusche drangen vom Flur. Sie mischten sich mit dem Plätschern. Bis sie langsamer wurden – und gänzlich starben. Sie behielt den Spalt unter der Tür im Auge. Das Pinkeln blieb. Dann veränderte sich der Ton, wirkte gedämpft.

Jenni schaute durch die Beine in die Schüssel. Sie konnte nichts erkennen. Sie pinkelte weiter. Plötzlich sah sie Schatten unter dem Türspalt. Etwas war anders, sie bewegten sich nicht.
„Dauert nicht mehr lange.“
Keine Antwort. Da wurde das Plätschern abermals gedämpft. Träume ich? Dann berührte etwas ihren Schoß!

Vor Schreck sprang Jenni auf. Sie schüttelte sich. Ganz sicher hatte sie das nicht geträumt. Sie landete mit nacktem Popo auf den kalten Kacheln und starrte die Schüssel an. Rascheln. Luftnot. Doch nichts kam über den Rand. Jenni traute sich langsam heran. Ihr Kopf harrte vor dem Rand. Es roch. Dann faßte sie mit den Händen nach der Kante. Und zog den Blick nach oben. Und schaute wie auf einer hohen Mauer stehend hinunter.

Eine Schlange!

Sie saß im Abfluß und räkelte sich. Schwarz hob sie den Kopf aus dem Wasser und züngelte. Augen sprangen sie an. Jenni fiel zurück und schrie. Schrie das ganze Haus zusammen. Heulte, doch keiner kam. Und verging vor Angst im Badezimmer, weil der Gedanke, nicht zu entkommen, stärker als alles Leben war.

„Kommt doch endlich! Kommt!“
Bis endlich die Tür aufgerissen wurde. Vater stand in der Tür.


Später kam heraus, daß der Nachbar, der junge Mann, der erst vor kurzem eingezogen war, seine Schlange, eine Giftschlange, die Toilette heruntergespült hatte, weil ihm die Haltung in der Wohnung verboten worden war. Weil es zu gefährlich war. Er schmuggelte sie im Terrarium in die Wohnung. Das war unter der Decke. Im Gitarrenkoffer schmuggelte er weiße Mäuse. Als Nahrung. Deshalb hörte man ihn nie spielen. Vater stellte ihn zur Rede. Und schrie ihn an, daß das Treppenhaus bebte.

Jenni sah beiden zu. Danach ging sie nicht mehr gerne ins Bad. Und pinkelte seitdem im Stehen.






*









Freitag, 20. Oktober 2017

Kind, aber das werde ich ja wohl noch sagen dürfen!


Das Leben -

dessen eingängigste Definition ist: 

Von anderen ist immer alles erlaubt, von einem selbst aber nicht, und dessen zweite, noch eingängigere leise laut Encyclopaedia Britannica lautet:

Halte stets und immer anderen einen Spiegel vor - vor anderen -, aber hüte Dich vor der eigenen Reflexion. Was du oben in Dich hineinfrißt, kommt unten wieder raus; aber mach's nicht vor dem Spiegel, heißt es noch

- ist ein Aber.

Das eine schon, aber das andere nicht, heißt das Obige wohl.  Das soll man vor dem Spiegel machen.

Aber dem Leben ist's egal, denke ich, ist die dritte. Und die kennt schon mal jeder.

Das man aber tunlichst vermeiden sollte.

Also nicht das Leben, das Aber.


Meine Gedanken, die immer ein Danke beinhalten, weil das ja schon da drinnen steht, das Danke in Gedanke, sanken auf das ungeliebte Erstkind, wenn Nachwuchs babysüß ins Haus steht, vor dem Haus, das trotzig daneben auf dem Tritt vor der Haustür bömmelte und nichts anzufangen wußte mit dem Korb, den der Storch da brachte, wie auf das Aber, und hüftschwang mit den Hüften, das aber nichts sagte, auch nicht leise, laut Enzyklopädieagogontria Wikipedia.

Das Wort Aber stand da, babysüß, auf dem Tritt, das so diskriminiert zu werden schien, wie ein Aldi-Käufer bei Lidl.

Der so dasteht. Und nichts versteht. Und nicht lesen konnte, wie ein funktionaler Analphabet.

Und - nun, ja - jetzt da er so dasteht und mit den großen Augen guckt, wo denn seine No-Name-Produkte bei Lidl stehen, die er von Aldi her kennt, und wie sie hier heißen, sie aber nicht lesen kann, und nun hilflos fragend in der Nase popelte.

Aldi-belesen, aber Lidl-Analphabet sozusagen.

No-Name-Produkte aber kann ich versichern heißen nicht. Sonst hätten sie ja einen Namen, wenn sie
Freeway oder Kania hießen. So heißen zuweilen No-Name-Produkte bei Lidl. Haben aber keinen Namen.

Aber keinen Namen, muß ich sagen.

Und so stand nun das Kind wie bei Lidl vor dem Kind im Korb ohne Namen - also dieses aber No-Name - und popelte in der Nase, aber ohne mir seinen zu verraten, weil wegen dem Popel im Mund, auf dem er kaute und daher nicht sprechen konnte.


Ich möchte das schöne Wort Aber verteidigen.

Aber ich möchte das schöne Wort verteidigen.

Ich finde, es wird wirklich diffamiert und diskreditiert, schimpfe ich.


Aber..., dachte ich. Diskriminiert ist das neue Cool, und krass cool, wenn man es wird, dachte ich.
Dann werde ich zumindest so krass cool sein, wie das Kind, das so krass cool Popel konnte.

Diskriminiert.

So höre ich das jetzt immer wieder von anderen. Diskriminiert. Weil es so viele sind. Und wenn ich von anderen etwas höre, was so viele wollen, will ich es auch.

Ich will auch diskriminiert!, gedanke ich.

Das hörte ich von anderen, die wollen das auch, und immer, wenn ich etwas von anderen höre,
will ich es auch erst recht.
Wie alle anderen. Auch erst recht!
Das ist krass cool, hörte ich aber, aber erst so richtig mit Ausrufezeichen.

Aber!

Dieses schöne, babysüße Wort.

Auf diesen vier Buchstaben beruhen alle meine Hoffnungen, danke ich, denke ich, um cool zu sein.
Aber nicht sitzend auf allen meinen vier Buchstaben, sondern mit all den vier Buchstaben im Wort Liebe.

Dieses Kind soll wachsen!, schrie ich heraus. "Aber mit Liebe!" (Und Ausrufezeichen.)

"Aber Liebe wird mit fünf geschrieben!", dachte das popelnde Kind auf dem Tritt auch und zeigte mir seinen Popel.

Es ist fünf, nehme ich an, denn es bestand darauf - es zu sein - mit Ausrufezeichen.

"Aber! mit fünf kannst Du das doch noch gar nicht wissen!", sagte ich gütig. "Das werde ich ja doch noch sagen dürfen!", sagte ich dazu.

"Aber! doch.", sagte es.

Und ich verstand nun, warum das Aber! mit Ausrufezeichen so diskriminiert wird:
Auch ein Kind mit fünf versteht schon Liebe.

Und will es nun umso mehr!

Es soll wachsen, wohlbehütet, manchmal vorsichtig schniefend, und dann will es raus, großgewachsen, wie sein Popel, den er so hegte, aus der Nase.

Cool.

Im Unterschied zu drinnen und draußen erst richtig cool und krass.

Weil diskriminiert jetzt cool ist will ich auch.

Ist wie Liebe. Und Liebe wollen alle. Die will auch groß raus. Aber nur mit Ausrufezeichen! Will auch cool sein wie Liebe!, dachte ich beim Anblick des Popels.
Weil es andere sein wollen, so häufig, wie ich es von anderen so nun höre. Und das Kind seinen Popel so vorzeigte, als ob es ihn liebte, erst im Unterschied vom Drinnen zum Draußen der erst diskriminiert zu wahrer Größe und voller Pracht gedieh!

Diskriminiert will jeder so häufig wie Liebe.

Dachte ich und horchte in mich hinein.

"Ich bin diskriminiert!", rief jemand sogleich, als horchte er meine Gedanken. Und enttäuschte mich nicht. Ich folgte der Stimme...


"Cool! Ich will auch!", rief ich zurück und stimmte ins Rufen ein. "Kennst Du schon den Popel?"

"Krass cool,", antwortete jemand gütig, "aber Du nicht!"

"Aber, warum nicht!", gütigte ich zurück.

"Weil Du nicht diskriminiert bist!", antwortete ein Erklärer.

"Weil? Wieso denn Weil! Ich denke, es geht ums Aber!", sagte ich.

"Ich habe nichts gegen das Wort Aber!, aber Aber! ist ein anderes Wort für Weil!"

"Aber weil?", nun kein Aber! zur Verfügung stand, fragte ich verdutzt mit Fragezeichen nach?

"Weil es etwas erklärt!", aber sagte der Erklärer und enttäuschte mein innerliches Aber! doch.

"Weiß doch jedes Kind mit fünf!", fügte ein Dritter erläuternd hinzu.

"Ich bin nicht diskriminiert?", knirschte ich zerknirscht mit einer Kania-Tütensuppe in der Hand, wo auch immer die herkam. Aber, man sollte immer eine dabei haben, dachte ich gütig und versuchte, ihren No-Name-Namen zu lesen. Scheiterte aber daran, weil man No-Name-Namen nicht beim Namen benennen kann, weil die keinen Namen haben. Wie das Kind mit dem Popel, das auch keinen Namen hatte, weil ich ihn ja nicht kannte und nur, weil er ihn kannte schon lange nicht einen hatte.

"Weil Du es nicht bist!", zischte jemand.

"Weil ich es nicht bin?", wurde ich knirschend und bezischt und Kania lesend immer kleiner.

"Dann ist Aber! also nicht das, was man ist? Sondern erklärt nur etwas? Und erläutert es? Hinreichend und allumfassend?", fragte ich.

"So, wie ein Kind mit fünf, das sagt, ich bin ein Kind, aber habe keinen Namen, mir seinen Namen nennt, damit es einen Namen hat und ich ihn dann kenne, falls ich ihn mal bräuchte, wenn man mich fragte, ob ich das Kind denn gesehen habe, wenn man es sucht, ohne daß es aufhört, fünf zu sein oder Kind, aber weil es mir ihn gar nicht nennen muß, eben halt nur ein Kind ohne Namen ist und nur fünf sein muß, um ein Kind zu sein, wenn ich ihn vergesse, wenn seine Mutter ihn zum Kania-Tütensuppenessen ruft?"

"Aber ja, doch!"

"Nun gut.", fand ich mich - krass, aber uncool - damit ab.

"Ich bin kein Unmensch. Aber Du auch nicht, aber Danke!"


Sagte ich noch und entfernte mich.


Dann aber kam ich bei der Haustür an, noch immer den No-Name-Namen Kania lesend, hob den Korb auf, den der Storch gebracht hatte und da immer noch stand, zweifelte, aber - das werde ich ja noch sagen dürfen -, nahm ihn mit allen Zweifeln und Aber und Weils mit ins Haus.

"Hat hier jemand wohl vergessen. Aber nicht mit Absicht."

Das Leben ist voller Erklärungen, dachte ich noch.

"Aber nicht für Erklärungen gemacht."

Fügte ich pfeifend hinzu.

"Es ist selbstverständlich selbsterklärend.", lächelte ich auf der zweiten Treppe und machte endlich die Korbbesitzerin des Babys ausfindig.

Wenn man Erklärungen macht. Sich Definitionen macht.
Und sich laut der eigenen auch nicht vor der eigen Reflexion hütet, wessenwegen man ja schließlich einen Spiegel hat. Fügte ich hinzu.

"Und der Spiegel der anderen ist immer krass cooler."

Dachte ich noch, als ich den übergroßen Spiegel der Babybesitzerin in ihrem Flur sah, während sich die Tür langsam schloß.

Vielleicht sollte ich das mal sagen dürfen, daß sie mal hineinblicken sollte.
Wenn sie das nächste Mal den Storch verpaßt.


...weil sie sonst ihr eigenes Lächeln verpaßt. Was denn sonst?


Und das Kind mit fünf?

Ach, die stehen hier so manchmal rum, betrete ich meine eigene Wohnung ohne Schmach.

"Ich habe nichts gegen Kinder. Aber haben die kein Zuhause?"

Denke ich.


Aber das habe ich mir nur so ausgedacht.

"Denn was ist denn schon schlimm daran, ein Zuhause zu haben? Was soll es dort schon anderes geben außer Liebe. Das ist meine Meinung. Nur schlechte Menschen denken schlecht über andere Menschen."

"Weil andere Menschen vielleicht schlecht sein sollen.", sagt mein Spiegel in der Diele unvermittelt und spricht.

Mich wundert auch nichts mehr, wundere ich mich, als er spricht.

"Damit man was im Leben hat,...", sagt er noch,


"...hast Du ja mich."


Krass cool, denke ich.

Die Definition von Leben stimmt. Zumindest die mit dem Spiegel, denke ich.

"Der wenigstens diskriminiert mich.", sage ich und freue mich.

"Ich habe nichts gegen Spiegel. Aber aussehen drin besser könnte ich schon noch.", sage ich noch.

"Ich habe nichts gegen Spiegelbilder. Aber aussehen drin könntest Du wirklich besser. Weil, dann wär's für mich auch besser.", sagt er noch leise.


Was man oben hineinfrißt, kommt unten wieder raus.






*





Mittwoch, 18. Oktober 2017

Mäuschen, pieps.


Mit Neugier - eine noble Angewohnheit zu überprüfen, wie machen es denn andere Menschen, obwohl man doch der einzige Mensch ist, der durch seine eigenen Augen denkt, und die eigenen Augen machen es denen der anderen eh nicht nach, der eigenen Neugier schon - habe ich zur Kenntnis genommen, daß fremde Menschen, Frauen zuweilen, Männer photographieren, wie sie in der S-Bahn sitzen und wie man ihnen in den Schritt photographiert.

Also, ich möchte nicht in den Schritt photographiert werden. Aber ich bin ja ein Mann, und ein Mann muß sich das erlauben lassen. Denn als Mann ist man ja eine Slut.

Das habe ich gelernt. Ich bin eine Slut.

Warum ich eine Slut bin - auch das habe ich gelernt: das Wort 'Slut' -, habe ich auch gelernt und das neue Wissen, wie man es mit neuen Wissen gleich macht, gleich adaptiert, damit mein altes Wissen gleich weiß, daß es jetzt Platz machen muß für mein neues Wissen.

Das ist wie Platz machen in der S-Bahn oder dem Bus für jemanden, der sich ja neben einen auf den leeren Platz setzen könnte.

Das ist nobel und höflich.

Und Platz ist kostbar. Und da Platz kostbar ist, mitunter in der S-Bahn oder dem Bus, bin ich
eine Slut, weil ich ein Mann bin, wenn ich denn breitbeinig da säße.


Nun, aufgrund von Leben, das klein macht, wenn es denn schon mehr davon gab, sitze ich nicht breitbeinig da, recht kümmerlich, die Beine zusammen, die Arme angelegt und meine Umhängetasche auf dem Schoß, um dem freien Platz neben mir im Bus Platz zu lassen, falls sich da neues Wissen hinsetzen möchte, bin aber eine Slut, weil ich ja ein Mann bin, der manchmal im Bus sitzt, aber keine 'verdammte Hure', weil ich ja nicht breitbeinig da sitze und somit Menschen, zuweilen Frauen, verwehre, mir in den Schritt zu photographieren. Aber femizistisch, wenn ich es denn täte. Wäre ich eine Frau. Denn ich täte es dann ja öffentlich.

Und öffentlich - im Bus (sofern eine Photografin anwesend ist; und dann Zuhause, nicht-öffentlich, 
und dann vom nicht-öffentlichen Laptop ins öffentliche-nicht-öffentliche Profil ins nicht-öffentliche, aber Offizielle aufs Offizielle anderer Profile postet) - ist politisch.

Und politisch ist wie satirisch. Und satirisch ist erlaubt.

Und erlaubt ist, was politisch ist, wenn es öffentlich ist, wenn es im Bus geschieht mit anderen Menschen, sofern eine Photografin anwesend ist, solange die Photografin Satirikerin ist. Dann ist für Satiriker alles erlaubt. Sie müssen nur Photografin, öffentlich oder Bus sein.

Um sich als Satiriker alles erlauben zu dürfen, muß man offiziell Satiriker sein.

'Nur', muß ich einfügen. Denn als Satiriker ermächtigt man sich ja schließlich selbst, Satiriker zu sein, nur wenn man sagt, man sei Satiriker. Oder man sagt 'Nur.'; aber die Satire ist raffiniert, denn sie sagt, man sei nur Satiriker, wenn es 'andere' über einen sagen:Wenn jemand mal was anderes über jemanden gesagt hat als "Guten Tag. Wie geht's? Schönen Tag!", dann ist man Satiriker.

Dann ist es Satire. Sagt der Satiriker. Sagen die anderen.
Sagen zumindest die anderen.

Was in deutschen Bussen ja auch recht umständlich ist, weil wegen der Rückenlehne und so, und
man müßte sich ja umdrehen, also die, die vor einem sitzen, zuweilen Frauen, über die Lehne sich beugen und dann entgegen der Fahrtrichtung aufrecht stehend mit einem Photographier - und Telegraphiergerät - ich bin, wie gesagt, schon älter - in meinen Schritt photographieren.

Mich vorher aber bitten, in dem wenigen Platz zwischen meinem Sitz und dem Sitz der Vorderreihe meine Beine zu spreizen.

Aus den Gesprächen, die ich von jungen Menschen aufschnappe, die es zuweilen für eine Zeit gibt,
solange sie für eine Weile jung sind, wenn ich mal Bus fahre und da kümmerlich sitze, wegen dem Alter und so, von dem man etwas abgeben könnte, wie etwas Speck der Fettröllchen, die sich sitzend bei mir bilden, und andere etwas nötiger haben könnten, weil, wegen, weil ich ja empathisch bin, wenn sie denn aussehen, als ob sie hungerten, und weil man empathisch ist, hungernde Menschen bemitleidet und abgeben möchte, wenn man auch lokal empathisch ist im Bus, was auch das Patenkind in Afrika regional ersetzte, das auch aussieht, als ob es hungerte, aber regional ist ja jetzt das neue Gute, weiß ich, daß das Spreading heißt.

Und bewundere junge Menschen für ihr Platzmachen für neues Wissen.

Ich bewundere selbstbewußte Menschen allgemein, anständige Menschen allgemein, zuweilen Frauen, die nicht wie ich eine Slut sind, die selbstbewußt ihre Handtasche auf den freien Platz neben sich im Bus stellen, sicherlich griffbereit, um Platz zu machen, um neues Wissen in die Handtasche hineinzulegen, wenn es den Bus betritt auf der Suche nach einem freien Sitzplatz, ordentlich, damit es, das neue Wissen, einfach frei und sichtbar auf dem freien Platz neben ihnen, den Menschen, zuweilen Frauen, einfach einen freien Platz vorfände.

Ich habe gelernt, daß Frauen, junge Frauen, einfach zwei Sitzplätze brauchen. Einfach, um neues Wissen in ihre Handtasche legen zu können.

Einfach, weil neues Wissen ja jederzeit auftauchen könnte - und Platz braucht.
Und es wäre ja dumm, wenn man dann ja keinen hätte.

Nachdem ich mich mit Autos beschäftigte und ihren Sitzplätzen, stundenlang, beschäftigte mich kurz die Frage, wie denn Menschen ihre Beine verbringen - nachdem ich mich vergewisserte, daß meine sich kümmerlich beengt verbringen, dem Alter wegen, und dem, was das Alter so mit sich bringt -, wenn ich im Bus sitze - und staunte über Anordnungen in anderen Busmitteln, zuweilen S-Bahnen von Großstädten, bei denen man auf einer Sitzbank mit dem Rücken zum Fenster sitzt.

Ich brachte in Erfahrung, daß Menschen, zuweilen Frauen, ihre Beine übereinanderschlagen, was sehr praktisch ist, um den schmalen Raum im Gang mit ihren Extremitäten zu sperren.
Das erschien mir naheliegend deshalb praktisch, da diese Menschen, zuweilen Frauen, mit dieser Beinsperrung, die Platz benötigt - nämlich den im Gang -, gleich den Gehverkehr in einer S-Bahn einer Großstadt - den Gehverkehr im Gang eine S-Bahn auf der Suche nach einem freien Platz - nicht lahmlegen, sondern vorausschaulich regeln.

Gleich zu ihrer Handtasche neben sich auf dem freien Platz. Das finde ich löblich. Das ist nobel und höflich.
So weiß das neue Wissen gleich, wo es Platz findet auf der Suche nach einem freien Sitzplatz.

Hier, in meiner Handtasche ist es!

Darüber bin ich dankbar.

Als Slut, der ich ja bin - Slut, weil ich ein Mann bin, der Beine besitzt, in die man photographieren kann, und man wird dafür offiziell, also öffentlich gelobt, aus dem Privaten heraus -, weiß ich auch - das habe ich als neues Wissen gelernt, und dem gleich Platz gemacht -, weiß ich, daß ich schwarz bin.

Schwarz, habe ich gelernt, darf ich jetzt wieder sagen - nachdem ich es eine lange Weile nicht sagen durfte, weil ich dann rassistisch war, jetzt aber wieder nicht (Was ich ganz praktisch finde: 
Denn ein Slut zu sein ist das Eine. Ein rassistischer Slut zu sein das Andere.) -, weil ich ja jetzt wieder schwarz sagen darf. Habe ich gelernt, weil es andere gesagt haben.

Und weil ich schwarz bin, darf ich mich nicht auf jeden Platz im Bus setzen.

Nicht neben eine weiße Frau. Das habe ich auch gelernt, weil Menschen, zuweilen junge Menschen, zuweilen Frauen, jetzt von weißen Männern sprechen, und die seien 'Mann', und die seien eine Slut, weil sie Beine besitzen, und wegen dem Alter oder so, darf ich 'weiße Frau' sagen, weil ich ja Platz für neues Wissen lasse im Bus.

Das darf ich nicht.

Nein, darf ich nicht.

Das darf ich nicht. Weil ich ja ein schwarzer Slut bin.

Wegen Apartheid und so. Links die Mädchen, rechts die Jungen. So habe ich das auch in der Schule gelernt. Weil es sich so eben ergeben hat.

Ohne, daß es jemand ausgesprochen hat, erinnere ich mich an mein altes Wissen - und verwerfe es gleich wieder. Weil es alt ist. Und ich Platz für neues, junges, schönes Wissen brauche.

Als schwarzer Slut, dem man in den Schritt photografieren darf und der sich nicht überall hinsetzen darf, verstehe ich das und befürworte das. Denn ich bin ja nicht neues Wissen.
Ich bin altes Wissen. Und für altes Wissen ist kein Platz in neuen Handtaschen. Die ja den Platz freihalten - lobenswert - für neues Wissen. Im Bus. Oder der S-Bahn. Und mal ehrlich:

Wer will schon neben alten Wissen im Bus sitzen?

Ich jedenfalls nicht.

Was mich wiederum zu der Frage drängt (und ich könnte eigentlich mit 'Ich jedenfalls nicht.' schließen, so, wie man eigentlich jede Frage mit 'Ich jedenfalls nicht.' schließen sollte, wenn man wie ich eine Slut ist) - 'Drängen' ist immer, wenn man nicht etwas verschieben kann; eine Handtasche im Bus zum Beispiel -, wo mir noch der Zugang verwehrt wird. Selbst, wenn ich über ein gültiges Sitzplatz-Ticket der Gesellschaft verfüge.

Nun, ich beklage mich darüber nicht. In meinem Dasein als Slut bin ich einfach gestrickt. Und weiß mit meinem neuen Wissen bereits, daß ich nicht über ein gültiges Sitzplatzwissen verfüge, das notwendige jedenfalls nicht, nur über das theoretische Ambiente eines Sitzplatz-Busses.
Mit meinem neuen Wissen weiß ich auch schon - und bin darüber durchaus dankbar, das gelernt zu haben -, daß alle ihre Sitzplätze behalten, egal, wie viele Bushaltestellen sie hätten aussteigen wollen. Jetzt erst recht nicht.

Wo also noch Handtaschen auf freien Sitzplätzen stehen.

Die ich aber nicht besetzen darf. Weil, wegen dem, oder so.

Ich recherchierte, wie man das heute so sagt, wenn man wichtig und klug erscheinen möchte, weil man klug erscheinen muß, wenn man wichtig sein muß, weil andere das gesagt haben, daß man jetzt mit neuem Wissen wichtig sein muß, sonst sei man ja unwichtig - aber unwichtig -, und das möchte ich, wenn ich im Bus sitze, damit sich niemand neben mich setzt, auch wenn ich Platz lasse, für den Fall das, wenn sich jemand setzt, daß ich, wenn ich angesprochen werde, wenn sich jemand gesetzt hat, das neue Wissen beherrsche, um nicht dumm da zu sitzen und nach Worten suchen muß, gerade, wenn man gar nichts sagen will, weil man nichts zu sagen hat und sich nur für die eigenen Gedanken interessiert, und sie mal nachlesen kann (hier zum Beispiel), wenn man sie verschusselt hat - also im Internet surft, der Unterhaltung wegen.

Und der Unterhaltung wegen suchte ich S-Bahn und Buslinien des Verschrifteten auf. Im Internet. Ich weiß, der Mund lacht. Verschriftet. Ha, ha. Ulkig. Jetzt, da es doch nur noch Bilder gibt.
Da lachen Augen über Schrift. He, he. Und unwichtig.
"Relevanz? Ach. Das beherrscht mich nicht.", denke ich und meine es auch so. Dies ist eine Literaturseite hier. Verschriftet und für mein eigenes Lesen gemacht.

Natürlich ist --"Der Baum."-- schon Literatur.

Wie jeder Baum schon Literatur ist, wenn man ihn schreibt und gar nicht mehr sieht.
Natürlich ist --"Der Baum."-- keine gute Literatur. Das ist diese Seite hier auch nicht.

"Der Baum da draußen schon."

Aber, was soll's, was soll der Baum da draußen schon, solange es Busse gibt und ich das Schreiben nun mal in der Grundschule gelernt habe, denke ich, und die Lehrerin gesagt hat "Schreib's Dir auf. Dann vergißt Du's nicht. Aber so, daß Du's wiederfinden kannst, wenn der Zettel, auf dem Du's geschrieben hast, verloren geht und Du es immerhin auf die Wand geschrieben hast, damit Du's lesen kannst, während Du den Zettel suchst. Aber verlier' die Wand nicht. Sonst mußt Du nach dem Zettel suchen. Sonst mal' einen Pfeil auf die Wand, der auf den Zettel zeigt, sagte sie noch.", wäre ja reine Verschwendung, nicht jetzt noch im Alter an meiner Rechtschreibung zu feilen, solange ich Slut bin und es hoffentlich korrekt schreibe, und kein Talent für Photos habe, um sie zu retuschieren, solange Breitbeinigkeit bewegt.

Und praktisch, da ich letztens, als das Leben über mich kam, aus Versehen einen früheren Wiederherstellungspunkt in den Laptop setzte, der meine Lektüre löschte. Erstaunt bin ich immer noch, daß es Menschen gibt, die auch ihren Wiederherstellungspunkt versetzt zu haben scheinen, und diese Seite aufrufen, denke ich. Anstatt sich in den Wolken zu verlieren und dort nach dem Wiederherstellungspunkt des Lebens zu suchen. Doch Cloud-sei-Dank! gibt es Punkte überall, und Wolken auch. Und dank sei auch, daß es Lektüre gibt. In der Wolke und dem Internet:

Verschriftet.

Der alten Zeiten wegen, dachte ich, muß ich dazu sagen.

Denn ich schaue mir längst wie andere - dem neuen Wissen sei Dank - nur mehr Photos an:
Von Autos.
Von Bodies, um es modern zu sagen, weil ja nur mehr von Bodies die Rede ist, hörte ich von Menschen mit Bodies im Bus.

Des alten Wissens wegen dachte ich, vielleicht könnten sie mich ja befördern, zu der Erkenntnis des neuen Wissens, dort zu dieser neuen Haltestelle, zu der nur die mit den Handtaschen aussteigen:

Warum man für Hunde ein zweites Ticket lösen muß (und Kinder eines bestimmten Alters), für Handtaschen aber nicht?

Ich stieg gleich mit aus und in eine Frauenzeitschrift ein - immer der Handtasche nach -, dort wo schöne, junge Studentinnen ihr Busticket lösen.

Ich wollte gleich an der Quelle sein. Gleich im Plaid-Innenfutter des neuen Wissens der Handtasche des Menschen, zuweilen Frau, die zwei Sitzplätze braucht.

Unbedingt.

Und, siehe da!

Ich würde nicht enttäuscht werden.

Detektivisch fand ich heraus, daß ein Mann namens Filmproduzent, der brutaler als ein Mann namens Präsident und der nun scheinbar bösartiger war als ein Mann namens Diktator aus einem asiatischen Land - von dem ich noch nie was gehört habe - Schuld daran zu tragen schien, warum ich als Slut zwar für meine Umhängetasche Platz auf meinem Schoß machte, Handtaschen aber kostenlos auf dem zweiten Platz mitfahren durften.

Und wie recht sie haben, schimpfte ich.

Der Sitzplatz im Bus: Die Besetzungscouch im Personennahverkehr.

Für Handtaschen. Dachte ich.

Und wie feige.

Jeder Artikel in dieser Frauenzeitschrift, nahm ich ich neugierig wahr, drehte sich um die schöne, junge Studentin.

Kein Wunder, dachte ich.

Jeder zweite Artikel bildete sie sogar mit einem Beispielbild ab:

Die schöne, junge, Studentin. 

Ich schloß mich den berechtigten Reaktionen an und verstand diese auf Körperlichkeit fixierte Echauffose.

Darauf möchte ich nicht reduziert werden, dachte auch ich.

"Ich möchte auch nicht auf die schöne, junge Studentin reduziert werden.", dachte ich. Traute mich aber nicht, etwas zu sagen. Auf meinem Sitzplatz im Bus. Verstand aber jetzt ihre Handtaschen.

Diese Frauenzeitschriften!

Die schöne, junge Studentin, wie sie in die Kamera blickt.
Die schöne, junge Studentin, wie sie seitlich nachdenklich aus dem Bildrahmen blickt.
Die schöne, junge Studentin, die für irgendeinen Ding-kann-man-kaufen-Artikel blickt.

Blicken schien auf diesen Photos dieser Frauenzeitschrift sehr wichtig zu sein.

Ich lernte: Schöne, junge Studentinnen müssen irgendwie immer blicken.

Dieses neue Wissen eignete ich mir sofort an. Es soll ja niemand behaupten, daß mein altes Wissen, das gar keine schönen, jungen Studentinnen kennt, wie sie blicken, weil mein altes Wissen nur zum Bus, aber nicht zum Studieren reichte, unzureichend für die schöne, junge Welt da draußen neben --'Der Baum.'-- war. Was Satire ist, wenn der Baum da draußen öffentlich steht, dann ist er politisch, wenn er offiziell ist. Oder so.

Huch, und ich war etwas aufgeregt. So, als täte ich etwas Verbotenes. Bei dem man sich nicht erwischen lassen darf, hihi.
Und wenn, dann schnell weg. Kichernd. So, wie man sich als Kind verbotenerweise im Busch versteckt hat und mal eine Zigarette probierte.
Also so richtig. Mit Anzünden und so.

Ich, als Slut, als alte Slut bei schönen, jungen Studentinnen, hihi. Wie aufregend.

Leider richteten sich die Artikel dieser Frauenzeitschrift auch nur an schöne, junge Studentinnen.

Das bemerkte ich bald.
Ältere Menschen, wenn sie nicht schön oder jung oder Studentin sind, fanden nicht statt.

Frauen, die nicht mehr Studentin sind, finden nur als Dating statt, fand ich heraus. In dieser Frauenzeitschrift. So, als ob Frauen, die nicht mehr Studentin sind, nur mehr zum Dating taugen.

Für andere Themen nicht.

Auch sollte man einen anständigen Beruf ergreifen, also studieren, lernte ich - und etwas mit Medien machen. Das ist sehr löblich. Damit kann eine schöne, junge Studentin hundert Frauen, die nicht schöne, junge Studentin sind, davor bewahren, teenagerzuschwangerschaften und KFZ-Mechatronikerin zu werden.

Aber da im Autohaus sollte sie schon Abteilungsleiterin werden, las ich vage heraus. Ich zitterte etwas, als ich das las. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr. Las ich hier etwas Geheimes? Etwas, was man nur Eingeweihten und Einzuweihenden hinter verborgener Hand im Seitenkorridor ins Ohr nuschelt?

Denn sonst ist die Mechatronikerin ja keine starke Frau. Las ich. Nicht so, wie eine schöne, junge Studentin, die immer eine 'starke' Frau ist. Wie schwach ich mich fühlte. Ich Slut. Nicht stark. Wie jede andere Frau. Schwach. Wenn ich nicht stark bin. Und schön. Und jung. Und Studentin.

Deshalb liest sie ja eine Frauenzeitschrift.
Ich, die schwarze Slut, dachte ich. Um von anderen schönen, jungen, weißen Frauen zu lesen, wie eine Frau, so wenn sie nicht doch schön, aber jung ist, zu sein hat, wenn sie älter ist. So theoretisch oder so. So ganz habe ich das nicht verstanden. Ich bin ja auch eine Slut, der schwach seine Beine im Bussitz zusammenpreßt und meine Umhängetasche auf den Schoß legt, damit ich nicht von einem Filmproduzenten belästigt werde, wenn er sich neben mir hinsetzt. Widerling! Und dieser Präsident erst. Noch schlimmer als dieser Diktator erst!

Denke ich. Weil. Das habe ich gelernt. Da, in dieser Frauenzeitschrift. Und denke es jetzt nach. Das habe ich gelernt da. Sicher, denke ich dabei stark, werde ich jetzt eine starke, schöne, junge Studentin. Darf nur keiner merken.

Mehr Teasertext kann ich nicht aufnehmen, denke ich dann noch, während ich meine Haare kraule.

Den Artikel über Ameisenköniginnen - und ihre Arbeiterinnen - finde ich dagegen nicht wieder. Den habe ich verlegt. Der hat mich interessiert. Denn wie jede Slut bin ich tierlieb.
Und wie jede Slut, die ich nach wie vor bin, wollte ich Polizistin oder Tierarzthelferin werden.

Und verstehe, daß nicht jede Polizeipräsidentin oder Tierärztin werden kann.

Daher brauchen Ameisenköniginnen ja auch Arbeiterinnen. Das versteht sich von selbst. Also. Im Tierreich. Allein dem übergeordneten Interesse des Ameisenstaates wegen. Ich als Slut verstehe das nur zu gut und strebe - auch weil ich schwarz bin, weil ich mich ja nicht überall auf einen Platz im Bus setzen darf; auch das verstehe ich - auch gar nichts mehr an.

Aber erinnerte mich wehmütig an die Zeit, als ich noch eine Zeitung kaufte. Wie schön das war.

Ich gestehe:
Ich belauschte die Gespräche dieser schönen, jungen Studentinnen in dieser Frauenzeitschrift, wie ich Gespräche belauschte im Bus von anderen Menschen, während ich meine Beine noch weiter zusammenpresste in meinem kleinlichen, des Alters wegens, Dasein. Ich weiß, ich bin eine Slut.

Ich belauschte sie - ich führe das auf mein Alter hin: Darauf, daß ich schon eins hatte, und so schon Tage tat - und sie flüsterten, als wäre es ein verbotenes Geheimnis:

"...aber nicht kaufen. Wir sind schöne, junge Studentinnen.
Wir kaufen keine Zeitung. Das ist alt. Das ist das Gegenteil von jung. Jung ist gut. Das sind wir. Alt ist böse.
Das sind wir nicht."

Recht haben sie!

Leider kam ich über Teasertexte nicht hinaus. Bei dieser Frauenzeitschrift. Nicht bei diesen schönen, jungen Studentinnen. Die interessieren mich nicht. Eher ihre Handtaschen. Wie jeder moderne Mann bin ich nur an Dingen interessiert.

Jedesmal stand da: "Nur für schöne, junge Studentinnen!"

So lauteten die Schlagzeilen. Wirklich. Mit Ausrufezeichen. Und so.

Und jedes Mal hielt ich mich daran. Höflich, weil ich ja keine schöne, junge Studentin bin.
Mir wurde also der Zugang verwehrt. Nein, nein. Ich beklage mich nicht.
Ich habe mir den Zugang selber verwehrt. Aus Höflichkeit. Weil ich ja keine schöne, junge Studentin bin. Bei dieser Frauenzeitschrift.

So, wie ich im Bus sitze: Auf meinem Platz, die Beine zusammen, die Arme angelegt und meine Umhängetasche auf dem Schoß. Den Platz neben mir freigelassen, falls jemand sich auf der Suche nach einem Sitzplatz setzen möchte und sich freute, nicht zu stehen bis zur nächsten Haltestelle. Auch wenn es natürlich Überwindung kostet, sich neben eine Slut zu setzen, die ich ja nun mal zweifelsohne bin.
Und schwarz dazu. Und wenn, dann setzen sich auch nur Sluts neben mich: Sie sind alle schwarz. Oder Kinder.

Diese Frauenzeitschrift - 'Die Zeit' heißt sie, glaube ich; ich kenne mich da nicht so gut aus, weil ich Autoseiten bevorzuge und mich mit Dingen auskenne - verwehrte mir den Sitzplatz. Verschriftet. Als Leser. Als Leser im Bus quasi. Der mich ja befördern sollte. Mit neuem Wissen, für das ich mein altes Wissen über Bord geworfen habe. Ich konnte es nicht glauben. War es bei anderen Frauenzeitschriften auch so?

Ich erinnerte mich vage, ein Gespräch aufgeschnappt zu haben. Von schönen, jungen Studentinnen. Im Bus.
Sie erzählten, sie kauften keine Zeitungen mehr. Zeitungen kaufen alte Menschen. Alte Menschen sind böse. Und böse ist nicht gut. Jung ist gut.
Und erinnerte mich, daß ich das ja schon aufgeschnappt hatte. Ich Tatterich.
'Schwarze, männliche Sluts.', fügte ich innerlich hinzu und nickte. Zumindest damals. In der alten Zeit. Im alten Wissen. Die kauften welche. Schwarze, männliche Sluts kauften Zeitungen. Als man noch dümmerlich wie ein kicherndes Kind wußte, daß man eine Zeitung kaufen konnte. Wenn auch nicht eine Frauenzeitschrift.
Das wußte man schon als Kind bei Frauenzeitschriften: Da ging es nur um Körperlichkeiten. Ums Aussehen. Um die Wirkung, die man als Frau hat. Oder haben soll. Nichts für kleine Kinder. Geschrieben von Frauen für Frauen. Die sagen, wie man als Frau sein muß. Aber nur, wenn Du es auch willst. So, wie bei dieser Frauenzeitschrift 'Die Zeit'. Oder wie die heißt.

Körperlichkeiten und Aussehen und Wirkung und Innerum und Unnerum stoßen mich ab.

Als schwarze Slut.
Bin ich damit schon genug im Leben konfrontiert. Da ich mich als solche ja nicht auf jeden Platz im Bus setzen darf. Das signalisieren Handtaschen. Auf dem freien Sitzplatz. Was ich akzeptiere. Wegen dem Filmproduzenten. Dafür gibt es ja für mich genug Autoseiten im Internet: Körperlichkeiten. Bodies. Und Aussehen. Und Wirkung. Und Innerum. Und Unnerum.

Frauenzeitschriften - so eignete ich mir neues Wissen an - sind nichts für mich.

Also probierte ich es mit Männerzeitschriften: Ich sah mir den 'Spiegel' an.

Ja, es war sehr viel Männliches dabei. Ja, doch. Aber auch da kam ich - als schwarze Slut - nicht über die Teasertexte hinaus. Auch diese Handtasche des Wissens blieb mir verwehrt. Irgendwie verstand ich es nicht, warum man gleich in jedem zweiten Teasertext beleidigt wird:

"Wenn Sie nicht dieser Meinung sind, dann sind Sie gleich das und das."
Das stand da wörtlich. Also buchstäblich.

Dabei war ich wißbegierig. Warum ich nicht eine schwarze Slut sein sollte.

'Diese Trickser.', dachte ich. 'Die sind ausgebufft.', lobte ich. 'Die wissen, wie man Menschen dazu bringt, auf Artikel zu klicken. Wahnsinnig raffiniert.', dachte ich. '...müssen also diese neuen Marketing-Methoden sein, von denen man jetzt häufiger im Bus hört. Alle Achtung!'

Angeklickt habe ich dann doch nicht. Männerzeitschriften sind nichts für mich, dachte ich.

Aber ich werde jetzt mutiger. Das hat das Leben schon mit sich gebracht. Ich lasse jetzt schon mal meine Umhängetasche auf dem freien Platz neben mir liegen. Stark. Aber nur umgehängt. Aber ein bißchen. Wir fühlen uns noch nicht ganz wohl dabei.

Es könnte sich ja jemand setzen wollen. Na, ja. Ich nehme sie lieber auf den Schoß. Besser ist.

Nachher wirft noch jemand mir mein langes Leben vor. Was sich so daran gerieben und magnetisiert hat. In der langen Zeit. Mit einer Handtasche. Und die unangenehmen Dinge purzeln raus.


Nur noch stilles Mäuschen sein. Keiner sieht mich. Pieps.

So ist's besser.







*







Sonntag, 15. Oktober 2017

Julep


Was machen Menschen im schönen Oktober eigentlich, wenn die schöne Oktobersonne untergeht?
Ich will es gar nicht wissen.

Ich mag Autos. An Autos mag ich, daß sie immer ein Vorne und ein Hinten haben.
Menschen mögen auch ein Vorne und ein Hinten haben:
Sie schauen einen von vorne an, blicken aber von hinten weg. Allein deshalb meide ich schon Menschen.

Allein wegen der Unfallgefahr:
Sie blinken nicht, wenn sie aus der Spur fahren. Oder Flashen nur, wenn man selbst aus der Spur fährt.
Von hinten.

Bei Autos - so unterschiedlich sie auch sein mögen oder eben nicht - gibt es immer ein Vorne, ein Hinten, zwei Seiten, ein Unten und ein Oben. Das macht mir Autos sehr sympathisch. Das ist schon mal mehr als bei Menschen, die erwiesenerweise nur ein Vorne und ein Hinten haben.

Bei Motorrädern finde ich das noch, und - wenn sie über einen inneren Antrieb verfügen - bei E-Bikes. Was das Fortkommen, Verweilen oder Parken doch sehr bequem macht.

Kein Wunder, daß der Mensch dem Auto unterlegen ist.
Kein Wunder, daß mehr Autos gestohlen werden als Menschen.

Von Menschen kenne ich nur das Vorne und das Hinten.
Ich kenne mich daher nicht so gut bei den Menschenmarken aus.

Lieber kann ich mir stundenlang Gedanken darüber machen - und kriege schlechte Laune, weil die Auswahl so groß ist -, welche Farbe mein Rolls-Royce Phantom VIII denn nun haben soll:
Auffällig in Cherry Red oder Azurite-Blau? Einfarblackierung oder Zweifarblackierung? Unauffällig elegant der Main-Body in Anthracite, welches einen raffinierten Schuß Lila in sich birgt, und der Upper-Main-Body in Black?
Wie sieht Titanium mit Blue Ice aus? Von der Wirkung her.
Wegen der Wirkung google ich: Life-Pics.

Auch das fällt bei Menschen weg. Life-Pics. Noch so ein Nachteil gegenüber Autos.

Ich google also Rolls-Royce-Farben an Vergleichs-Modellen. Ob Ghost, ob Wraith. Auch das kann ich stundenlang.
Deshalb heißen sie ja Life-Pics. Sie nehmen Leben. Ha, ha.

Und stelle fest, daß das Licht in Miami, Florida, beim Händler doch ganz anders ist, als das in Edinburgh, UK, so daß Graphite in dem einen wie dem anderen Land ganz anders ausfällt.
Das mag an der Sonne, die in jedem Land gleich ist, liegen, oder an der Kamera.
Amerikaner überbelichten. Mit Dunst. Körnigem Life, fällt mir auf.

Interessiere mich aber nicht für Menschen und ihr Körniges und tendiere im Inneren zu Armagnac, einem kräftigen Braun gemischt mit Orange.
Komplementiert mit Arctic-White-Kontrastflächen. Vielleicht noch Baby-Blue? In den Inner-Pockets allemal. Das wäre der Touch.
Und nun: Mit Holz in den Türen oder ohne? Das beschäftigt mich sehr lange.

Allein die Namen der Farben, Lacke und Leder, sind vielfältiger als dringend benötigte, neue Babyvornamen aus Fernsehserien.
Zugegeben. Ich möchte kein Twilight Purple haben, das Khaleesi heißt.
Mit einem Spock! als Bohemian-Red kann ich leben. Er käme ja immerhin aus dem Ausland. Und nicht wie Bohemians aus dem Kiez.

Bei Bentley heißt Gelb-Metallic Julep. Mit Grüneinschuß. Julep!
'Romeo und Julep.' Das ginge auch als Menschenname durch.
Diese Engländer. Man muß sie einfach mögen.

Wenn sie nicht gerade im Fernsehen auftreten.

Ich mag Autos. Ich mag ihr Vorne und Hinten, die zwei Seiten, ihr Oben und Unten, ihr Inneres und die Namen ihrer Farben.
'Grigio Scuro'. Wie das schon geschrieben klingt. Eine Ferrari-Farbe. Uni.
'Solid' würde der Rolls-Royce sagen und es mit Doppel-L aussprechen.

'Dunkelgrau'.
So würde es der Deutsche aussprechen. Mit D und grau.
Und alle Oktober sind so golden schön! Das klingt auch schön. Deutsche, das muß man wissen muß man Deutschen lassen, können 11 Monate auf alle schönen Oktober warten.

'Dunkelgrau' - so heißt Grigio Scuro auf deutsch, was wiederum wie der Name eines vollständigen, italienischen Mannes klingt - klingt nicht wie ein Vor- und Zuname eines italienischen Mannes, wenn er Dunkelgrau heißt.
Klingt eher wie 'Vor- und Zuname'. Klingt wie deutsch.
Klingt wie 'Herr Grau Dunkel'. Die Reihenfolge beachtend. Wie seine Lebensgefährtin wohl heißt?

'Copine' sagt der Franzose.
'Ma Copine'. Selbst das klingt wie ein Name mit Farbe.
Jenseits der Sümpfe Louisianas am Schmortopf rührend kann ich mir sie auch gut ohne Deinen Kolonialismus unterstellend in einem französischen Banlieue vorstellen.
Als Reiseverkehrsfachfrau. "Flugreisen günstig nur bei Ma Copine!"

Ich empfehle, mal einen guten - also stundenbegehrenden - Konfigurator auszuprobieren. Samstags oder sonntags.

Menschen, die man nicht im Konfigurator erstellen kann, empfehle ich dagegen nicht.
Menschen, die man nicht im Konfigurator antreffen kann, empfehle ich auch nicht. Sie sind mir zu uniform.

Zu gleichfarbig. Zu wenige Kontrastziernähte. Vom fehlenden Piping und Pinstripe - vornehm: Coachline - ganz zu sprechen.
Als ob sie alle schwarzes Leder im Innenraum ausstatten. Wegen dem Wiederverkauf.
Wegen dem Es-Sich-Leisten-Können. Das Leder muß es schon sein. Wegen dem grauen Sofa daheim.
Wegen dem schwarzen Leben allgemein. Wenn "In Silber sieht er auch nicht schlecht aus..." ein Lebensmotto ist, verfehlen selbst bunte Kissenbezüge ihre Grau-Sofa-Wirkung.

Der Wiederverkauf. Graue Sofas verkaufen sich wieder gut.

Die Kissenbezüge kann man immer noch für Klein-Inventar verwenden, das nicht sichtbar sein soll, und so kratzfrei im nächsten Keller verstauen. Soll ja keiner unordentlich sein.
Unordentlichkeit fordert den Gast immer auf, mal aufzuräumen, bevor er sich aufs graue Sofa setzt.
Wie unhöflich passiv-unangenehm. Krimskrams? Schon verloren.

Ich mag Menschen nicht. Nicht, weil ich Menschen nicht mag.
Von der Konfiguratorseite her mag ich Menschen nicht. Ich mag Autos.

Ich habe gehört, es soll Menschen geben, die mögen keine Autos mehr.
Das konnte ich nicht glauben.
Wer keine Autos mag, mag auch keine Farben mehr, denke ich mir dabei.
Und wer keine Farben mehr mag, mag auch keine Farben mehr.

Ich mag Julep Bentley. Ein Mensch, der nicht mindestens Julep Bentley heißt, erregt nicht mehr mein Interesse.
Oder Iridium?

Menschen erzeugen Aufmerksamkeit nur für wenige Minuten. Mit ihrem Vorne und Hinten.
Das ließe sich wissenschaftlich beweisen. Halb-wissenschaftlich habe ich das mal ausprobiert. Und mich geopfert.
An Life-Pics.

Ja, es stimmt:
Menschen erregen Interesse nur für wenige Minuten, Autos dagegen für Stunden.

Autos haben sogar Lichter. Vorne, hinten, seitlich, innen. Autos sind hell.
Auch da ist das Auto dem Menschen eindeutig überlegen.

Das merke ich mir. Und frage mich:

Bei allen grauen Sofas, was machen Menschen im schönen Oktober eigentlich, wenn die schöne Oktobersonne untergeht?
Geben sie der untergehenden Farbe einen Namen? 'Rose Quartz' vielleicht?
Das ist eine Special-Order-Farbe. Bei Rolls-Royce. Eine Special-Order-Farbe! Bei Rolls-Royce!

Ich will es gar nicht wissen.

Vielleicht schauen sie ja den Rücklichtern nach.

Rücklichter haben ein Rücklicht. Ein Bremslicht. Ein Rückfahrlicht. Einen Blinker. Ein Nebellicht.
Und einen Reflektor. Allein das Rücklicht. Allein das Hinten.

Eindeutig. Alles mehr als beim Menschen.

Ich hege den leisen Verdacht, daß Menschen gar nicht so vielfältig sind, wie manchmal behauptet wird.


Ziehe daraus aber keine Schlüsse.






*