Nahm man mit für eine Weile, am Scheibenwischer, im
Fahrtwind gegen die Richtung ihrer Auslegung flatternde Flügel, suchte so die Heuschrecke
eine Gelegenheit im Fortkommen von der Wiese. Störte diese wohl, weil eine
andere wieder einmal Futter versprach, und war es auch nicht wichtig. Nahm sie
nur mit für eine Weile, bis sie selber störte. Betätigte Marion den
Wischerhebel, und müde an der Scheibe eines Sommers und der Hitze klebend,
weigerten sich die Gummilippen nur, ohne Regen. Dann doch in schmatzender
Bewegung, hielt sich die Schrecke fester so nur fest. Wisch-Wasch-Sprühnebel.
Pollenschlieren, kaum Sicht mehr durch die Scheibe, dann flog sie doch noch
weg. Warum, blieb ihr Geheimnis. Sah Marion ihr durch die Fahrerscheibe nach,
ein Feld mit grünem Mais, soll es ihr dort wohlergehen, und lächelte Marion ihr
nach und drehte noch den Kopf und noch etwas mehr abgelenkt, verzog sie durch
das Spiel des Lenkrades die Spur, nach links, erschrak sich wieder ins Hier.
Schlieren auf der Scheibe, Unrat von den Schnakenleibern, noch mal Wisch-Wasch
im Sommer dieser Hitze, noch mehr von dieser Unsicht auf der Scheibe, noch
etwas Spiel im Lenkrad, noch mal das Verlassen ihrer Spur, knallte Marion in
einen Aufprall auf der Gegenseite.
Und war es aus mit ihr.
Und weil sie nichts mehr merkte und nun nur dunkel
war und der Airbag geplatzt war wie der Kaugummi einer Göre, die sich in das
Gesicht eines Jungen an der Mauer neben dem Spielplatz eines Schulhofes Stunden
nach dem Unterrichtsende in die Möglichkeit einer Monatsliebe kaute, und sich Marion
nun so unsicher wie der Junge in den Ruch des Erdbeerduftes des
Kaugummimädchens erwägte, ob sie sich der Leichtigkeit mit der Affäre hingeben
sollte oder doch der Schwere des Lebens, wählte der Moment nach einer Wahl, die
zwei Sekunden, in denen man sich für alles Nachkommende entschied, schon für
sie, sich bewußt zu werden und wieder aufzuwachen, noch benommen.
Suchte sie ihre Brille. War auch diese wie ihr
Gesicht verbogen, doch alles andere noch gerade. Die Brust – schmerzte zwar wegen dem Gurt, der auf ihrem Herz lastete –, der
Bauch, die Beine. Versuchte die Tür zu öffnen, war verklemmt, doch Kräfte
enthemmten sich, dem Auto zu entsteigen, in dem sie sich all die Jahre so
sicher und geborgen verbunden gefühlt hatte, nachdem sie aus der Morgenswohnung
trat und die Augenblicke genoß, mit dem Auto irgendetwas zu starten, irgendetwas,
genau diesen einen mochte, zwischen Türe schließen und Schlüssel ins Zündschloß
stecken, genau diese fünf Sekunden, und waren diese wohl das Gute an ihrem
Leben, und fiel aus diesem Augenblick nun heraus auf den grauen Splittasphalt.
Und war es aus mit ihr.
Verlor sie wieder. Und kam das Dunkle wieder. Und
wußte nicht, wie lange sie schon so lag, als sie dann zum zweiten Mal erwachte.
Hatte sie den Boden umarmt. Die Lippen küßten den groben Belag, schmeckte Stein
in ihr und spuckte. Und kämmte sich mit den Fingern die Haare, und warum, das
blieb nicht klar. Liegestützte sich auf. Und warum sich die Hose abklopfen,
wenn der Schmutz des Aufpralls noch in ihr steckte, noch weniger. Wackelte sie
nun vor dem Straßenschild. Ein Dreieck mit rotem Rand und einem schwarzen
Ausrufezeichen. Dahinter lag ein Feld. Wie weit sich der grüne Mais erstreckte,
dachte sie wohl, und ob die Schrecke nun zufrieden mit ihrem Futter war. Und
langsam sah sie sich in der Stille nach Geräuschen um. Und kam das Feld
allmählich zu Leben. Grillen hier und da, Surren und das Flimmern all der
kleinen Wesen. Und grün war es wie sie grün noch nie in ihrem Leben sah.
Langsam schob sich die Aussicht weiter. Nach rechts, noch ein wenig, noch
grüner, und dann das andere Auto. Tot und zerschlagen lag es weiß im Graben.
Und war es aus mit ihr.
Humpelte Marion sich heran. Und auch wenn es hieß,
nie wieder solch ein Grün in ihrem Leben zu sehen, wankte sie sich näher hin zu
diesem Weiß. Aufgerissene Front des Wagens, wie wenn jemand mit Wut des Backens
nur für sich alleine in einen Brotteig schlug, zersprungene Windschutzscheibe,
die ihr Muster in den Splittern das der Milchstraße stahl. Kam dieser Wagen
immer näher. Noch ein wenig. Ein wenig mehr. Und stand Marion nun an seiner
Seite und sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Toten. Lag er auf dem
Kissen des erschlafften Airbags und schlief den Schlaf der Tausend Morgen. Ein
Fußballwimpel am Innenspiegel. Flatterte noch hin und her. Dann weniger. Dann
starr. Schwarz-rot-golden. 1990. Der Pokal.
Riß die Arme hoch. Und hatte Marion die
Weltmeisterschaft gewonnen. Jubel.
*