"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 30. November 2014

Garagenfirma


Wer wollte schon mit dem Ende der Decke schlafen, mit dem sich schon die Füße unterhielten? Und vielleicht deshalb.

Und er stand auf. Einfach so. Indem er erst den einen, dann den anderen Fuß Bekanntschaft schließen ließ mit der Angewohnheit dort den Halt zu finden, wo es lohnte sie aufzusetzen. Und vielleicht streckte er sich dabei. Und vielleicht gähnte er sich einen Traum aus dem Halbrund der noch neu und nieder Blicke.

Dosen. Öl- und Terpentingeruch. Grober Grund und Ecken. An Wänden aufgehängte Gelegenheiten. Fahrradreifen, Warndreieck, loses Werkzeug. Unnützes, das man bevorratete. Davor gegebenes Versprechen einer Unordentlichkeit. Und J. stand. Vor dem Boden, der sein Bett war und der Decke, fleckigen Decke. Stand J. nun auf dem Boden, der sein Bett war. Zur Ruhe gegebenes Kissen und aus den Gähnentränen Unnützes, das man bevorratete. Schräg, vor der Kopfwand ausgediente Autoreifen, in der Mitte dieses rechteckigen Raumes, grober Grund, fleckiger Boden.

Und vielleicht war es einfach so. Und vielleicht war es einfacher, durch die Kopfwand zu brechen. Und vielleicht fehlte es an Licht, die Größe zu ermessen, wie man sie bedeckt hielt, um zum Nutzen Licht zu brechen, so daß J. sich wunderte, daß er stand, daß Öliges an den Füßen klebte, daß die Decke mit dem Etikett zum Kopfe zeigte, daß der Raum sich nicht bitten ließ, bewahrt davor zu bleiben, Unnützes wieder herzuzeigen. Und Licht fiel nur von der einen Seite ein. Nachdem nun auch J.s Augen aufgestanden waren.

Und vielleicht war es zu viel Licht auf einmal. In fleckiger Dunkelheit. Aber reichte aus, um einen Ausweg zu finden. Und J. brachte seine Füße in Bewegung, aber Unnützes bevorrateten, indem er erst den einen, dann den anderen Fuß Bekanntschaft schließen ließ mit den Begebenheiten, verlernt zu haben, wozu sie ihm gegeben. Und J. fiel. Auf den Boden. Schlug mit dem Gesichte auf, blutete. Und spuckte fleckigen Staub. Taubes Fühlen von den Händen. Kein dumpfer Schmerz von diesen, kein Pochen in den Flächen, keines in den Pulsadern. Und vielleicht war es einfacher, durch den Boden zu brechen. Und vielleicht fehlte nun die Decke, fleckige Decke, um sich im Neu und Nieder zu betten. Und J. stand auf.

Einfach so. Indem er erst den einen, dann den anderen Fuß Bekanntschaft schließen ließ mit der Angewohnheit dort den Halt zu finden, wo es lohnte sie aufzusetzen. Und vielleicht spuckte er einen Zahn aus, der ihm abgebrochen. Und vielleicht rieb er den Ellbogen, fleckigen Ellbogen, der gebrochen sein mußte. Und vielleicht fehlte es an Licht, zu erkennen, was J. am fleckigen Leibe trug. Aber Wärme, viel Wärme war zugegen. Und J. stand. In weißer Unterhose. Im Fallen ihrer Spuren erlegen. Und vielleicht war zu viel Licht zugegen. Und J. setzte seine Füße wieder in Bewegung.

Und vielleicht schmerzten sie. Und vielleicht waren auch sie gebrochen. Und vielleicht fehlte auch dort das Pochen. Und vielleicht war es einfacher, durch die Seite zu brechen. Wo Scheinbares die Wände schmückte, Werkzeuge, Warndreieck, Dosen, Pinsel, Nutzloses, das vergessen wurde, aber erinnerte, an den Nutzen, den all diese Dinge mal erbrachten. Und vielleicht war es einfacher, sich entlang der Seitenwand abzustützen. Und vielleicht streckte J. seinen Arm dort hinaus. Und vielleicht griff er. Und vielleicht rumpelte dadurch Bevorratetes zu Boden. Und J. fiel.

Träume, nichts gegen Träume gegen das eigene Erwachen, um zu erkennen, daß sich neu und nieder in die Wunden schmückten. Daß so viele Schmerzen keine. Schlug mit der Stirn auf, blutete. Das Kinn knackte nach den Begehrlichkeiten, seinen Mund aufzusperren und all den Schmerz herauszuschreien, doch entsagte wegen der Vergänglichkeit eigener Worte, die man nicht teilte, mit dem Raum nur, fleckigen Raum, nicht teilte. Und J. stand auf. Und J. stand vor dem Eingang. Und wäre J. tausendmal hingefallen, so wäre er tausendundeinmal aufgestanden. Und vielleicht war kaum Licht vonnöten, um auf das Tor zu deuten, nach dessen Knauf, der an kurzem Strick baumelte, J. nun griff. Ging das Tor nach oben auf, glitt unter die Decke und stand vor einem Berg aus Autoreifen.

Und vielleicht war es einfacher, durch die Decke zu brechen. Und vielleicht war es einfacher, die Garage kleinzubrechen. Und war es vielleicht einfacher, aufzubrechen, war es schwerer, liegenzubleiben. Stand J. vor dem Berg aus Autoreifen, die diese Garage vor dem Zwecke bewahrten, Unnützgewordenes einzulagern. Und J. kroch durch die Reifen. Einfach so. Indem er sich in Bewegung brachte, mit dem Gedanken. Und vielleicht war zu viel Hitze zugegen. Sand und Staub, Himmel, fleckiger Himmel, kein Ort für Vorboten eines Sturmes. Und vielleicht war ein Schrottplatz gegeben. In der Wüste. Lagen Autoleichen gestapelt zu Unnützem bewahrt vor den Gelegenheiten, sich an all die Fahrten zu erinnern, die sie hierher brachten am Ende.

Und J. stand. Und J.s Körper, fleckiger Körper war zerschunden. Und viel Licht brauchte es nicht, zu erkennen, was ihm angetan. Doch fehlte das Pochen. Vielleicht in der Schläfe. Vielleicht in der Halsschlagader. Vielleicht in der Bauchschlagader. Vielleicht in der Beinschlagader. Vielleicht in der Pulsschlagader. Und brauchte es nicht, um zu stehen. Zu gehen. Zu sehen. Und J. stand. Einfach so. Indem er seine Füße Bekanntschaft schließen ließ mit dem Grund, fleckigen Grund, der ihn trug, und fiele er wieder, aufhob. Einfach so.

Und vielleicht sah er sich so hängen. Am Eingang aufgehängte Gelegenheiten. Ein Pfeiler, senkrecht, Glühbirnen ohne Faden, um sie zum Brennen zu bringen. Automobileparts. Stand J. vor dem Geschriebenen. Schlagschattenumspielte Buchstaben. Waagerecht: Sales and Repairs. Nazareth, Nevada. Schrottplatzkreuz. Von Zaun umgeben, daran Dutzende blitzende Autofelgenchromkappen. Danieder J.s Kleider. Blut, und Spucke, und Spuren der Bestrafung. Stand J. davor. Und vielleicht hing er daran. Von Banditen ausgeraubt. Oder war er Drogendealer. Von seinen Geschäften hintergangen. Oder war jemand mit einer Autopanne. Oder wie es dazu kam. An einem Kreuz zu hängen. Einfach so. Die Hände mit Stacheldraht durchbohrt, die Füße ebenso. Die Strahlen einer Reklame der Freiheitsstatue von New York als Krone. Ohren, Nase und Gemächt abgeschnitten. Messerstiche.

Und J. stand vor sich. Und vielleicht brauchte es nicht viel, sich zu erkennen. War unnützes Pochen nicht vonnöten. Setzte einen Fuß vor den anderen. Und umging die Wüste einfach so.

Sonne, Mond und Sterne im Neu und Nieder eines Tages am Himmel.


Und brach Bahn mit dem Gedanken, während sie die Bögen spannten, die Zwie dieser Welt zu bannen.





*



Samstag, 29. November 2014

Malte bunte Welten auf den Boden


Stattdessen war ich für meinen Vater mehr als nur die eine Herausforderung, der er sich sein Leben lang stellte. Erinnerte er sich an mich als Kind, so setzte er mich zwischen seinen Notizen auf den Boden, die er vom Schreibtisch aus der Schreibmaschine zog, wortlos zerknüllte und zu mir hinunter zuwarf. Und vielleicht erkannte er darin die Worte, die er für seine Geschichten benötigte, als ich zwischen den zerknüllten Absätzen meine Malstifte gegen seine Worthülsen drückte, seine Versuche, den einen richtigen Kapitelanfang zu finden, Bogen um Bogen glatt strich und die Rückseiten mit bunten Bleibseln meiner gewollten Nähe zu ihm bemalte.

Mein Vater erzählte mir nicht die Geschichten, die ihn umgaben. Er las mir nie aus seinen Büchern vor. Stattdessen nahm er mich an der Hand. Warm und weich wie sie nur in der Erinnerung an die nächste Handreiche sein konnte und fest genug, daraus ihre Liebe zu begreifen, wenn er sie löste, für alle weiteren Male, die er meine zu seinen Handlungen führte. 

Setzte er mich zu seinen Füßen, so setzte er mich auf den Sand, der ein Pflaster dämpfte, und tippte er härter seine Buchstaben in die Tasten seiner Schreibmaschine, so spürte ich das Dröhnen eher, das er durch die verwinkelten Gassen unstoppbar zu mir leitete, während ich auf meinen bunten Stiften die Farbe kaute, die er für seine Szene brauchte. Hob mich im letzten Augenblick aus dem Gedränge, bevor mich seine Gabe zertrampelte, drückte mich so an seine Wärme, daß ich nie mehr eine andere fühlen wollte und gab sie dann doch wieder seiner Schreibmaschine.

Setzte er mich ins Gras und war es Sommer und schrieb er im Garten und warf er mir seine Kapitel zu, die ersten Absätze, die er mit diesen zerknüllten Blättern nur mir widmete, so setzte er mich auf die Hitze eines flirrenden Feldes inmitten seiner Landschaften, die er vorher schon bereiste, und zwinkerte mir mit den Kommas, die er spärlich zeichnete, zu, mit schwachem Druck auf die Schreibmaschine, so daß ich mit meinen bunten Strichen Vögel auf die Rückseite seiner Eindrücke malte, aus deren Flügelschlag er sein Knattern für seine Geschichte lieh, und hob mich im letzten Augenblick mit beherzten Händen aus der Schußlinie dieses fremden Landes, das er mich nie besuchen ließ. Und war seine Nähe keines seiner Worte fähig.

Setzte er mich auf den Steg zu unserem kleinen See, so schrieb er auf dem Trockenen feuchte Sätze in seine alten Augen, und sah in mir den Fisch, den er fangen wollte, nur weil es mich gab und dafür lohnte, ein schmales Boot bei Sonnenschein zu besteigen und bei Sturm mir diese Liebe zu beweisen, während ich mit den bunten Stiften seine zerknüllten Enden auf Papier in das Wasser schubste. Und nur einmal, als ich eine junge Frau wurde, ließ er mich vor der Tür alleine, stehend, ohne seine Wärme und las sein eigenes Buch zu Ende.


Setzte er mich zu Boden, setzte er mich nie zu mir in seine Worte.





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Montag, 24. November 2014

Atemlos (Originalversion)


Mr. Probz singt sein Nothing Really Matters, Richard Gere hat schon längst Valérie Kaprisky verlassen, Jerry Lee Lewis auf den wippenden Hüften, den Colt in der Hand, Atemlos den Silver Surfer aus der Galaxie entlassen und Galactus zum Trotz darf die Welt einen weiteren Tag ihre müden Bahnen um die Sonne ziehen. Kein „Jesse, ich liebe Dich!“. Kein „México, Baby!“. Kein rosa Pony-Car. Einhörner sucht man an diesem Tag vergebens.

Zu den Zeiten gesellen sich Veränderungen, die sich wechseln, wie bunte Kleider, die man am Abend zuvor zurecht legte, nur um sich am Morgen darauf doch für das dunkle Unauffällige zu entscheiden. Nur nicht aus der Rolle fallen als Lidschminke, der Dreitage-Bart fürs Wochenende fällt der Naßrasur zum Opfer. Die Krawatte gebunden, der Blazer geordnet. Die Gedanken sortiert.

Aus Breathless von Jerry Lee Lewis ist Helene Fischer’s Atemlos (durch die Nacht) geworden. Kein Silver Surfer wacht über uns. Kein Galactus kreuzt unsere Bahnen. Jede Welt verdient den Atem, der ihr gerecht wird. Die Erde schutzlos der Lunge des Universums ausgeliefert.

Mr. Probz singt sein Nothing Really Matters, Richard Gere hat schon längst Valérie Kaprisky verlassen, Jerry Lee Lewis auf den wippenden Hüften, den Colt in der Hand.

Die Erwartungen der anderen die Haut, die man sich überstreift. Von fremden Blicken entblättert. Wäre sie nur so silbern glänzend, wie die des Silver Surfers. Käme man sich dann nicht so nackt vor.

Manchmal gibt es Gelegenheiten. Aber keine Möglichkeiten.

Kein „Was willst Du eigentlich, Jesse?“, kein „Alles oder nichts, Baby!“

Die Frisur geordnet. Der Hemdkragen gebügelt. Die Gedanken sortiert. Das Gesagte entspricht den Erwartungen. México nur ein Land mit einer hohen Mordrate.

Bleibt zu hoffen, daß da doch noch etwas Jesse Lujack in kleinen Jungs da draußen ist, etwas Monica Poiccard in kleinen Mädchen. Etwas Verrücktes, als Zukunft nur ein anderes Wort für Unmögliches war.


Und „México, Baby!“ für alles andere.






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Sonntag, 23. November 2014

Der Platz der Wunder


Englische Touristen. „…und Future Bonds. Schnüren. Schnüren. Schnüren. Immobilien? Shooting blanks. Money reinschießen. Kommt nichts raus.“

Französische Touristen. „…und die Kochschürze. David. Schniedel. Schniedel. Schniedel. Hi. Hi. Hi. Damit amuse gueule. Bocuse im Negligé. Bon appétit kommt von klein. Schnute ziehen. Nicht vergessen. Wir sind Franzosen. Damit kommen wir beim Essen groß raus.“

Schweizer Touristen. „…Italiener. Diebe. Für den Duomo bezahlt. Was heißt zu kurz? Nein. Schultern sind nicht frei. Der Rock hat normale Länge. Italiener. Diebe. Da kommen doch auch andere raus.“

Amerikanische Touristen. „…und nochmal. Und jetzt gib Dir Mühe. Damit die Zuhause sehen, daß wir hier waren. Die Hand höher. Setz doch endlich den Fuß vor! Leaning tower. Smile. Smile jetzt endlich. Damit die Zuhause sehen, wie great es hier ist. Great! Ja, so. Great! Great! Great! Jetzt come mal aus Dir raus!“

Deutsche Touristen. „…und sei nicht so laut. Muß keiner wissen. Daß wir Deutsche sind. Schau Dir mal die Amis an. Ami-Teenies laufen nur in Old Europe so rum. Nackter geht’s ja gar nicht. Glauben wohl, daß hier alle nackt rumlaufen. In den Duomo wollen die bestimmt nicht. Keine Fotos. Nur der Schiefe Turm. Die dürfen mal raus.“

Japanische Touristen. „…und versuchen Sie es ruhig mal. Lächeln. Lächeln. Lächeln. Nehmen Sie die Hand vom Mund. Wie die Europäer. Ja, so. Nein, das sind Amerikaner. Die lächeln nicht. Sind gelangweilt. Viel für die Zähne bezahlt. Aber dürfen nicht raus. Die Väter nicht. Fotos für zuhause. Haben viel gezahlt, daß sie die Fotos zeigen können. Zähne. Zähne. Zähne. Konnichiwa. こんにちわ。Ja. Ja. Ja! So! Hier dürfen die mal raus.“

Chinesische Touristen. „…und den Schirm nicht aus den Augen verlieren. Halte ihn höher. Immer nach. Immer nach. Ja, nur von außen sehen. Nicht rein. Nicht rein. Schneller knipsen. Schneller. Schneller. Heute noch Siena, dann Flolenz. Da hinten Bus. Schirm. Schirm. Schirm. Ich halte höher. Da geht es raus.“


Der Platz der Wunder in Pisa war für die Welt gemacht wie der Reisepaß für Touristen, die ihrer Kleinstaaterei der Heimat entreisen wollten und diese hier her mitbrachten. Um den Stempel der Einreise bereichert und um ihre Reisekosten erleichtert. Und ihre Kleinstaaterei hier her mitbrachten. Nur Amerikaner reisten visafrei. Und in Anbetracht der Gesichtskontrolle betrachteten sie ihren Reisepaß, den sie beantragen mußten, um visafrei zu reisen, als besonderen Vermerk, den sie mit anderen sammelten und in das Familienalbum USA goes to the Old kopierten samt Fotokameraknopfdrucklächeln samt berechtigter Erwartung, Zuhause beneidet zu werden bei cookies und apple pie.

Was für Engländer berechtigte Erwartung weckte, den Umrechnungskurs ihrer Währung im Auge zu behalten, Pfund zu Euro, gegen das sie selbst so gerne wetteten, um sich weltläufig auf dem Platz der Wunder nach Stand des Empire zu erkundigen – würdigten den Sehenswürdigkeiten kaum eines Blickes – und mutmaßten, wenn sie Schiffbrüchige wären, müßte die Insel ihre Heimat sein auf der sie check balance den Stürmen ihrer Finanztransaktionen trotzten, nur schwimmen konnten viele Engländer nicht.

Was den Chinesen bekannt vor kam. Daß viele nicht schwimmen konnten, aber das Wasser liebten und mit diesen begrenzten Fähigkeiten an ihrem eigenen Imperium bastelten, indem sie klüger über das Wasser Stege spannten, nachdem ein früherer Kaiser es erst mit einer großen Flotte versuchte, und vielleicht nasse Füße bekamen, was sie leidlich dennoch daran erinnerte, daß sie nicht schwimmen konnten und besser doch die wenigen guten Schwimmer, deren Können sie fehlsichtig ignorierten und denen sie die Schwimmlehrererlaubnis gleich entzogen, wieder mit einzubeziehen, weil ein Volk, das Stege über die Ozeane spannte, doch besser schwimmen lernen sollte, als Versicherung sozusagen des Unbehagen nasser Füße wegen.

Was den Franzosen gleich war. Die waren so egal, daß sie selbst in ihrer Grande Nation, die sie mißmutig unter den Sohlen ihrer Petit Bateau  mitschleppten, so klein auf dem Platz der Wunder wirkten, so daß selbst Schweizer großmäuliger nach der Eintrittsberechtigung in den Duomo verlangten, freien Schultern und nackten Beinen zum Trotz, und sich – unverstanden sowieso – heimlich dafür schämten, irgendein Ausland je betreten zu haben.

Was für die Deutschen wohl hieß: erst recht.
Und die Japaner ließen sich sowieso alles vormachen. 
Vom Lächeln.

Der Platz der Wunder war für die Welt gemacht wie der Reisepaß für Touristen. Jeder brachte seine Grenzen mit.


Wie gut, daß wir alle wieder abreisten.





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Sonntag, 16. November 2014

Seltsamer Attraktor


Tommytommy-Two-Chances war so ein Seltsamer Attraktor.

Aus seiner Sicht der Dinge so glaubte er, und nur aus seiner Sicht glaubte er, weil auch seine Mutter ein Seltsamer Attraktor war, die ein eigenes System außerhalb seines darstellte, so war er sich sicher, Attraktor zu sein, und doch war er nur ein Punkt des Phasenraums eines dynamischen Systems, eher ein Komma, das nicht selbst auf sich zustrebte, auch wenn er noch so sehr daran glaubte, Attraktor seines eigenen Chaotischen Systems zu sein, wenn er Schutz erpresste und dafür Schutzgeld als Nutzen für beide – Punkt und Attraktor – erbat zum Nutzen aller und zum Nachteil beider Freiheiten, die sich beide nahmen, indem sie in Beziehung zueinander standen.

Der in Beziehung zu seiner Rabimmel-Laterne und Francine stand – inmitten einer Dynamik, dem St. Martins-Tag – und sein Ende fand, als der Attraktor – die Sweeties – den Weg in seine aufgeblasene Plastiktüte fand.  Vielleicht war die Tüte der eigentliche Attraktor. Der banale Grund: sie zu befüllen, einfach nur zu befüllen.

Der Keiler war auch so ein Seltsamer Attraktor.

Aus seiner Sicht der Dinge so glaubte er, und nur aus seiner Sicht glaubte er, bevor man ihm ein Auge nahm, die ihm das räumliche Sehen verweigerte, so denn Schweine räumlich sehen konnten, weil auch seine Aufzucht durch den Vater ein Seltsamer Attraktor war, die ein eigenes dynamisches System außerhalb seines eigenen darstellte, so war er sich sicher, Attraktor zu sein, und doch war er nur ein Punkt des Phasenraums eines chaotischen Systems, eher ein Bindestrich, der nicht auf sich selbst zustrebte, auch wenn er noch so sehr daran glaubte und zweifelte, nachdem er zu viel Licht auf dem Weg nach oben zu sehen glaubte – was seine Richtung umkehrte –, wenn er sich als Beute betrachtete einer Meute zum Nutzen beider – Punkt und Attraktor – und zum Nachteil beider Freiheiten, die sich beide nahmen, indem sie in Anziehung zueinander standen.

Der in Beziehung zu seiner Schwarte und der Tafel stand – inmitten einer Dynamik, dem Mahl – und sein Ende fand, das der Anfang für ein Urteil war, der Jagd, als der Attraktor – der Hunger – den Weg in leere Mägen fand. Vielleicht waren die der eigentliche Attraktor. Nicht der Hunger, die Mägen. Der banale Grund: sie zu befüllen, einfach nur zu befüllen.

Und das Wollen. Das Wollen war auch so ein Seltsamer Attraktor.

Ich könnte einen ganzen Roman schreiben über das Wollen – und das Scheitern.

Aus dessen Sicht der Dinge, und nur aus dessen Sicht, glaubte man, bevor man alles Begehren auseinander pflückte, Worte verdrehte, mißverstand zum eigenen Nutzen deutete, verklärte, verbrämte, verurteilte – ohne die Sicht der Dinge eigentlich zu kennen, noch deren Motivation, sich in Bewegung zu setzen: einfach sich dem Licht zu stellen, das durch die Pupillen strömte –, weil man nicht durch die Augen eines anderen blicken konnte, so sehr man auch wollte, und nur der eigene Blick sich auf das andere richtete – und nur das konnte einen wirklich richten – Attraktor zu sein gravitätischer Systeme, und doch war es nur ein Punkt des Phasenraums Phantasie, purer Phantasie, ohne Hintergedanken  – das war die eigentliche Motivation, überhaupt etwas auszudrücken, nur etwas auszudrücken, nur die Grenzen auszuloten, wieviel Vorstellungskraft ausdrückbar war, wenn man sich nur bemühte, bemühte nur um des Bemühen Willens, sich etwas vorstellte, und nur darum ging es dem, der wollte –, mehr eine Parenthese, die sich nicht selbst befüllte mit den Worten anderer als Attraktor deren Sehnsüchte, wenn es – das Wollen, das Bemühen, die Phantasie, pure Phantasie, manche sagen Magie – sich abnutze wie ein Messingknauf beim Begreifen durch Gier, dem eigentlichen Seltamen Attraktor dynamischer chaotischer Systeme, zum Nutzen keines – Parenthese und Attraktor – und zum Nachteil aller, die nur wollten, in Beziehung zueinander zu stehen, weil sie einen Anspruch nicht nur gegen die Worte, die sie lasen, vertraten, sondern gleich gegen den, der sie schrieb, gegen den sich aber kein Anspruch erwirken läßt.

Das in Beziehung zu seinem Vermögen stand und dem Phasenraum, der es mehren sollte – inmitten einer Dynamik – und sein Ende fand am Nabel eines Teufels, der eine Witzfigur war, der nur so sein konnte – eine Witzfigur –, wollte man das eigentlich Böse vorstellen, an dessen anderen ein Narr, und sich beide fragten, wie man sich lösen konnte, und nur Wahn eine Schere fand. Vielleicht war das der eigentliche Attraktor. Nicht das Wollen, das Scheitern, der Anspruch, die Sehnsucht, der Hunger, der Durst, die Dinge oder das Bemühen, das Urteil, der Wind, die Sterne, das Begehren oder gar das Verlangen. Die Schere. Die Schere. Der banale Grund: sie zu benutzen, einfach nur zu benutzen.


Wem sie nützt.






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Samstag, 1. November 2014

Der Zug ist abgefahren – Sie rennt hinterher


Der Zug – sagen wir mal, es ist ein ICE, ein TGV wäre sicher zuverläßiger, sagen wir mal, es ist nicht Winter, also ist es nicht besonders kalt, und es ist nicht Sommer, also ist es nicht besonders heiß – ist abgefahren. Sie rennt hinterher. Ich überlege, ihr hinterherzuwinken. Scheitere aber an der Zuglok am Ende, die wohl mit anschieben muß, damit ein ICE überhaupt, wenn nicht vom Fleck, so wenigstens vorwärts kommt. Die hat kein Fenster mit Ausblick. Das Abteil schon, blickt aber durch die schnatternde Tür nur auf die Loklichter. Die sind ausgeschaltet – darauf komme ich später zurück. Sehr viel später.

Ich schicke ihr dennoch einen Gruß mit besten Wünschen – er findet einen Ausgang – und lasse diesen auf die Gleise poltern. Sie rennt hinterher. Angezogen – gerade noch rechtzeitig, sie kämpfte mit ihrer Puste – vom Pol-pol-poltern kommt sie wieder näher – es ist ein ICE, denken Sie nicht – und aus ihrer Sicht mag es wie ein Winke-Winke, wie ein Fünf-Finger-Nasennarren, wie eine ausgestreckte Hand erscheinen. Egal. Mein Grinsen ist universal – es paßt für jedes dieser Zwecke –, verschwindet in der Landschaft, als es am Seitenfenster aufgefressen wird. Sie klopft an die Scheibe – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, dann zieht der Zug wieder an. Langsam, aber wieder an. Mein Grinsen prägt wieder die Landschaft. Sie rennt hinterher.

Ich mache es ihr jetzt etwas schwerer. Ich schlendere durch die Abteile. Und aus ihrer Sicht müßte es jetzt so erscheinen, als entfernte ich mich mehr. Könnte sie mich so sehen. Ich mache mir das Reisen bequem und setze mich auf einen der Plätze. Schlage meine Beine übereinander, was für Verwirrung unter den anderen sorgt, flitsche einen Fussel vom Schenkel, was für Gelächter sorgt, wende mich von deren Unterhaltung ab, suche die im Fenster. Sie klopft an die Scheibe – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, sie kämpft mit ihrer Puste, wedelt mit etwas herum, dann zieht der Zug wieder an. Ich denke an einen Vogel. Weil gerade ein Vogel den Zug begleitet, nun überholt – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, nun entschwindet. An einen anderen, der für sich eine Weise entdeckt hat, wie man Nüsse knackt. Satt dann war, aber nicht gewußt hat, wie er sein Wissen mit seinen Artgestalten teilt. Er dann zum Himmel flog, mit ihm all sein Wissen. Ich bestelle bei der wandelnden Reiseapotheke namens Zugbegleiter, überteuert – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, eine Tüte Nüsse, Freundlichkeit obendrauf. Kaue alle auf, werfe, weil ich kein Abfalleimerchen am Sitzplatz finde, das Tütchen aus dem Fenster, es ließ sich kippen – denken Sie nicht – und geleite sein Schnattern – als wär’s ein lieblich‘ Vöglein – nach hinten. Denke, das war’s, schlage meine Beine übereinander, flitsche einen Krümel durch die Aussicht. Sie klopft an die Scheibe.

Sie hält das Tütchen nun in Händen, wedelt in der anderen mit etwas herum – zählen Sie die Hände nicht –, als wäre es ein Liebesbrieflein und liest nun daraus vor. Ich lese von ihren Lippen. Wie gut, daß Zugfenster keine Worte zulassen. Und aus ihrer Sicht müßte der Abfall samt Zutatenliste auf der Rückseite – das sind die Worte – wie ein bengalisches Tigertaschentuche aussehen. Die Ansichten variieren. Der Zug fährt an. Sie rennt hinterher. Ich schicke ihr ein O aus offenem Munde hinterher. Sie langt nach dem Buchstaben, schlüpft hinein, irgendwie bleibt er an zu schmalen Hüften hängen, kreist dort nun. Sie rennt nun hulahuppend hinterher. Ich vergesse sie. Ich nummeriere die Landschaft nach den Gleichstrommasten. Fotografiere die Abschnitte dazwischen mit meiner Klimperknipse, die Ausschnitte überlappen, setzen sich zu einem Film zusammen. Ich entscheide mich für einen anderen und tippe mich durch die fahrenden Zahlgäste, die meisten stehen, der Zug ist überfüllt – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, tausche die Batterien meiner Fernbedienung aus, Infrarot nun tot, schicke einen Photonenschwarm stattdessen – wie und auf welche Art bleibt mir überlassen, denken Sie nicht –, bedenke die Gravitation, die von den Mitreisenden ausgeht, daran heften sich meine Blicke, halte jede Zicke, die mich mit ihren bemängelt, für eine mit einem Knall, einen gehörigen – jede für sich ein Urknall, denken Sie nicht –, halte den einen nun für Unsinn, zumindest den, die mir die Blondine von gegenüber mit den wackelnden Moskitostichen nun in meine Penis-Pupille übermittelt – können Pupillen hören? Denken Sie nicht –, berechne die Ausdehnung mit dem Maßstab des Schwellkörpers, zweifele an deren Linearität, stoße mich nun selber ab, abgestoßen nun von den Möglichkeiten einer Reiseromanze, mehr von deren Folgen – mäh-määh, denken Sie nicht –, bleibt nur das Fenster. Sie klopft an die Scheibe.

Ich sinke nun nieder. Tiefer in meinen Sitz hinein – eine Frau, die einem Mann hinterherrennt, die einem Zug hinterherrennt: der Tod des kleinen Mannes –, sehne mich nach der Zigarette danach, zünde mir gleich eine an – es ist ein ICE, denken Sie nicht –, beschwere mich über den Qualm bei den anderen Fahrgästen – das hilft immer –, flitsche sie in erstaunte Gesichter, das sorgt für Glut, zünden sich die ersten ihre damit an, das sorgt für Gelächter, die Stimmung nun gelassen, mehr und mehr, die gelassene Stimmung nun heiter, zücken sich Feuerzeuge in die Nähe von Affären, von denen die Reisenden – Mann und Frau, denken Sie nicht – nicht mal wußten, daß sie möglich waren – Handynummern tauschen sich in SIM-Speicherherzen, einige bleiben ein Leben –, bevor es Züge ohne Zigaretten gegeben. Die Züge nun bequem – der Zug, nun ja, es ist ein ICE, denken Sie nicht –, bald in Berlin. Außer Puste, hulahuppend, in Händen wedelnd mit einer leeren Tüte Erdnüsse, in der anderen – denken Sie nicht – etwas anderes, rennt sie hinterher.

Ich steige aus dem Zug. Verabschiede die Glücklichen, die sich Lungenküsse geben, in ein vergnügliches Leben, die piefigen Paffer in ihr Smog-Leben, schlendere mich entlang der Bahnsteigkante, dann mittels Rolltreppe nach unten, durch den häßlichsten aller Bahnhöfe – Wartebänke für die Auf-die-Verspätung-Wartenden sucht man in den Köpfen der Architekten vergebens, denken Sie nicht, die reisen in langen Limousinen –, bewundere die Abwaschbarkeit der Edelstahl-Ruine – wenn man Menschen als Schmutz betrachtet, so ergibt das sogar Sinn, denken Sie nicht – und wähne mich schon in Ruhe, als ich mich endlich auf den Ausgang zu bewege. Nehme den zum Leben hin. Hinter dem anderen steht eine Waschmaschine – wenn man Menschen als Schmutz betrachtet, so ergibt das sogar Sinn, denken Sie nicht –, die ist gerade kaputt.  Als mich ein Atem von hinten überrennt.

War für den Augenblick abgelenkt von all den langen Seidenbeinen, die mir Berlin in Baggies oder Blue Jeans entgegenstreckt, mit Flip-Flops gegen den Asphalt bewaffnet und leicht gezeigten Fußsohlen gegen den Alltag – entblößt eine Frau ihre Fußsohlen, bewußt oder unbewußt, so ist sie zum Liebesakt bereit, denken Sie nicht –, als mich ein Grabschen von hinten an der Schwelle hält. Sie wedelt mit der leeren Tüte Erdnüsse in den Händen, liest daraus vor, als wäre es ein Liebesbrief – ich höre nur Nüsse, Salz, Glutamat, in der Abfolge der Menge –, ich übersetze aus ihrer Sprache – „Weil ich Dich liebe, liiiebe.“ –, und dann kommt zum Tragen, was sie mir die ganze Zeit über hinterhertrug. Etwas Ausgeklügeltes? Etwas Cleveres? Etwas Hintersinniges? Nein. Etwas Banales. So enden nun mal solche Geschichten mit solchen Frauen, die einem Mann hinterherrennen, die einem fahrenden Zug hinterherrennen, die nicht wissen, daß man zu Beginn einer Reise den Zug an einem Bahnhof besteigt: Sie enden ohne Zuspitzung. Zittrig drückt sie sie mir in die Hand. Sie ist noch ganz warm. Von all den Mühen, mir hinterherzurennen. Vielleicht die erste Wärme, die sie tauschte.


„Du hast Deine Fahrkarte vergessen.“

„Der Zug ist abgefahren.“

„Nein. Ist. Er. Nicht!“



Meine Sorgen möcht‘ ich haben.






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