"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Montag, 22. Juni 2015

Wie kommen Lachse eigentlich den Niagara-Fall hinauf?


„Als Linkshänderin machst Du das ja mit rechts. Ein Klacks.“


Zwanzig Klackse später klackste immer noch nichts. Wackelte nichts. Ratterte nichts. Schnackelte nichts. Flusensieb raus, Flusensieb entflusen, Flusensieb rein. Bullauge auf, Kopf reinstecken, Augenblicken. „Aua!“ War es immerhin eine Idee, den Kopf in die Waschmaschine zu stecken. 

Verhakten sich jetzt aber die langen Haare mit den Löchern in der Edelstahl-Trommel. Anna hockte auf nackten Knien, Karohemd vom Boyfriend,  Socken mit Stewie-und-Brian-Print. Der Boyfriend kam erst in Stunden wieder.

„Argh!“

Anna zupfelte an den Strähnen.

Zipfelte, knippelte, schniddelte. Lösten sich die Haare nicht. Versuchte es jetzt mit Gefühl. Nichts. Dann Zerren.

„Au-ah!“

Drehte sich die Trommel nur dabei. Wollten sich einfach nicht lösen. Stützte das Kinn auf die Hände ab. Die Finger angewinkelt. Sah mal ins Innere.

„Toll. Jetzt habe ich mal ‘ne Waschtrommel von innen gesehen.“

Sah mal nach rechts, sah mal nach links. Sah mal nach oben. „Gaaanz toll.“ Sah mal nach unten. „Oh.“ Da hinten. „Eine Münze.“

Sie steckte die Hand hinein und fingerte danach. „Deshalb immer das blöde Klackern.“ Bekam sie nicht gleich zu fassen. Aber jetzt Ehrgeiz. Zunge zwischen den Lippen. Fitzelstöhnen. „Komm‘ her…“ Dann. „…hab‘ ich Dich, ha!“ Wollte schon den Kopf aus der Waschmaschine ziehen, aber.

„Au!“

Wollten ihre Haare nicht mitziehen. Aber wenigsten die Münze. „Ah, nur’n oller Groschen.“ Wohl vom Vorbesitzer. Hatte die Waschmaschine schon ein paar Jahre auf dem Buckel. „Ach, was soll’s.“ Sie drehte jetzt den Kopf, ganz vorsichtig, und konnte sich tatsächlich umdrehen. Saß jetzt auf dem Hintern, der Kopf im Nacken und sah so gut es ging an die Decke. Was man an einer Decke eben so sah.

„Gaaanz toll.“

Zog das Hemd unter die Backen, hüllte sich ein. War kalt auf dem Boden. So mit nichts an und nichts dran. War schon eine halbe Stunde so vergangen, dann eine Stunde. Dann nach einer Stunde und einer halben fiel ihr der Wäschekorb auf, der brav neben ihr auf dem Boden wartete. Sie zog ihn mit der Linken heran. Wühlte. Wäsche der halben Woche. Und der Meßbecher für das Waschpulver. Sie überlegte, hielt ihn in die Höhe, vors Licht. Er leuchtete.

Sie drehte sich um. „Aua!“ Und versuchte mit dem Becher die Haare aus der Trommel zu lösen. Die Spitzen zu schneiden. Immer schneller. Schneller. Noch schneller. „Scheiße!“ Entnervt schleuderte sie den Meßbecher durch die Küche. Er traf eine Flasche auf dem Tisch. Die Flasche wackelte, ratterte, schnackelte. Fiel dann herunter. Natürlich war der Deckel nicht drauf. Klebriger Saft gluckerte sich aus dem Hals und floß über den Boden. Immer näher zu Anna hin. Erreichte die Füße, sie zog sie zurück, angehockt, suchte sich ein Eckchen, waren die Haare dagegen und saß nun in einer Plörrepfütze.

„Na, toll.“

Zweieinhalb Stunden verharrte sie schon so in ihrer Lage. Five-to-go. Sie erinnerte sich, daß sie ja noch den Groschen in der Hand hielt. Sie warf ihn hoch, fing ihn. Warf ihn hoch, fing ihn. War ganz geschickt. Sie lächelte. Und noch mal. Und noch mal. Sie machte eine Kunst daraus. Mal so werfen, mal anders. „Hey!“ Und schneller. Und schneller. Immer schneller. „Hey, hey!“ Fing ihn dann mit einem Platsch. Ballte die Faust drum. Öffnete die Hand, die Münze hatte einen Abdruck hinterlassen. Hielt sie sie jetzt hoch, ins Licht. Die Jahreszahl. „Oh. Mein Geburtsjahr. Mein Glückstag.“ Sie lächelte breit. Und wirklich, sie freute sich ehrlich.

Nach vier Stunden bekam Anna Durst. „Nei-hein, keine Angst. Dich schleck‘ ich nicht!“, sagte sie zur Pfütze der Saftplörre. Und zeigte der Plörre die Zunge.

„Scheih-ßäh!“

Sie hob den Arm, die Hand schlackerte an der Waschmaschine. Ditschte. Schlug dann dagegen. Bekam den oberen Rand der Maschine zu fassen und hielt inne. Sie zog ihren Kopf soweit es ging aus der Trommel. Sah den Rand von hier unten. Machte sich jetzt lang. Die Hand verschwand hinterm Rand. War da nichts. „Muß doch.“ Griff nach etwas. Weichspüler. Er fiel herunter. Als nächstes ein Lappen. Ein Handtuch. „Na warte.“ Wäscheklammern. Alles fiel herunter. Und.

Die Haustür öffnete sich mit der Belanglosigkeit gesegnet, wie sie sich nur öffnen kann, wenn man endlich Zuhause ist und die Tür nur zwischen den Belangen steht, lästig, geschlossen, offen, dann wieder geschlossen, von innen. „An-nah!“ Der Schlüssel fand seinen Platz am Haken. Noch einen Blick in den Spiegel.„An-naah!“ Durch den Flur, Blick hinein ins Wohnzimmer. „Anna?“ Klopfen am Klo, keine Antwort, Tür auf. Keine Anna. Jacke aus. „Bin früher da!“ Tür zum Schlafzimmer, Tür auf, Klamotten vom Verabschiedensmorgenknutschen noch auf dem Boden. Keine Anna. Schuhe aus. Umdrehen.

Stand Anna in der Küchentür. Stewie-und-Brian-Socken, nackte Beine, Karohemd, das tropfte. Der Kopf versteckte sich. Wieder. Ein Arm erhoben, zwischen den Fingern der Groschen, zittrig.

„Stell. Keine. Fragen.“

„Gut… siehst Du aus.“

„Stell' K e i n e  F r a g e n !”



Wie Anna sich befreien konnte?

Na, wie kommen wohl Lachse den Niagara-Fall hinauf?












*





Mittwoch, 3. Juni 2015

Ein Mann auf der Lippe: Der Esel und ich

Ich bin däumlingsklein. Zaubergewirk hat mich geschrumpft. Ich sitze auf der Lippe einer Frau. Zwischen ihren Lippenwulsten. Meine Beine baumeln herunter Richtung Kinn. Oben und unten könnten mich jederzeit zerquetschen. Ihr Lippenstift ist bräunlich rot. So dort zwischen den Küssen begleite ich ihren Tag. Ich erlebte mit ihr schon so einiges. War schon mit ihr in der S-Bahn. Wenn meine Füße drohen einzuschlafen, stehe ich auf und laufe auf ihrer Lippe hin und her. An den Zahnreihen vorbei. Ich habe dabei die Hände in meinen Hosentaschen. Ich bewege mich so auf den Lügen, kippelnd, ihrer Lippen. Meine Füßchen hinterlassen Spuren im Lippenstift. Man werfe das mir nicht vor. Ich kam durch Zauberfall in diese mißliche Lage. Manchmal rattere ich auch gegen ihre Zahnlatten. Heute war es schön. Heute gingen wir in den Zoo...


Der Esel nennt sich stets zuerst.

Nun war es nicht unüblich in Anbetracht von Wesen, die einem ähneln, über Trennendes nachzudenken, da die Ähnlichkeit ja schon gegeben war, derer wegen man sich die dadurch ausgelösten Gedanken überhaupt erst machte. Der Esel machte „I-aaah!“, und ich wunderte mich nicht, daß er mich so lautstark begrüßte, weil er in mir offensichtlich einen Leidgenossen erkannte. Ich i-aaahte zurück. Soviel zum Trennenden. Obschon es eher meiner Höflichkeit geschuldet war, Grüße – und waren sie noch so banal – mit ebensolcher Hingabe zu erwidern. Wer sich von vorne grüßt, der kann sich schon mal nicht von hinten in den Rücken fallen.

„Ich bin dynamisch, selbst wenn ich verharre.“, schien er zu mir zu sprechen. Und ich verstand ihn nur zu gut.

Zumindest machte er gerade keine Anstalten, die Koppel zu verlassen, obwohl der Pfleger im Zoo Berlin sich noch so mühte. Alles Schieben, Drücken, Fluchen zum Trotz und Schwanzgezerre. Der Esel bewegte sich nicht ein winzig kleinen Willen von der Stelle. Und dazu kam noch das Wollen. Das des Pflegers übrigens. Keine verbindlichen Attribute, die beiden: Willen und Wollen. Nun könnte man meinen, der Esel sei dumm, vielleicht stur. Und da erkannte ich das Verbindende – das Trennende: Er war ein Esel, ich ein Mann; auch wenn manch eine Frau, die lippenlog, beim besten Willenwollen darin keinen Unterschied erkennen mochte, sehr zu meinem Unverständnis der Zusammenhänge wegen –, während die Frau, die log, auf deren Lippe ich mich nun schon eine Weile befand – weil ich mich ja auf den Lippen ihrer Lügen bewegte –, und noch die Hasenohren des Esels für seine Aufgestelltheit bewunderte, und das Zottelige, selber stand, verharrte. Stur und dumm nun eben nicht. Das war das Verbindende. Ob dynamisch, nun ja, ließ sich derzeit nicht erkennen. Stur und dumm nun aber nicht. Waren Esel doch klug. Und besaßen vier Hufe. Und vier Gründe, sich eben diese zu brechen. Jeden einzelnen davon. Und man hörte nie mehr von Eseln, die sich die Hufe brachen, nie wieder. Sah man auch nie wieder welche. Waren also nur vorsichtig. Schauten sich um. Und wenn die hübschen Augen des Esels mit dieser weißer Umrandung, die sie so liebevoll für den Betrachter machten, auch nur ein Stöckchen in weiter Entfernung witterten, über das sie hätten stolpern können, bereitete ihnen das störrisches Unbehagen. Nun, es kam, wie es kommen sollte: Ein zweiter Pfleger kam, klaubte das befremdliche Stöckelchen vom Boden, und der Esel setzte sich in Bewegung.

Warum weint sie denn jetzt schon wieder? Tränen liefen aus ihren Augen, mit dieser Umrandung, die sie so liebevoll für den Betrachter machten, aber doch nur Augen waren mit einer Umrahmung, bei objektiver Betrachtung, in zwei Rinnen entlang der Nasenscheidenwand, daraus noch mehr und stürzten in den aufgerissenen Mund. Naß ich nun, und keine Hemden zum Wechseln in meiner mir unangenehmen Lage, dort auf der zitternden Unterlippe, schlug ich gegen den Lippenwulst oben und beschwerte mich laut i-aaahend für dieses Betragen. Wenigstens nun dynamisch. In der Hand hielt sie einen Apfel und schwang den Arm bis zum Ellenbogen nach oben, nach unten, nach oben, als ob sie mit einer Hantel den dünnen Bizeps trainieren wollte. War aber nur der dümmste Apfel, den man für Geld erwerben konnte: Braeburn. Wußte sie nicht, daß man fremdem Pferdengetier keine fremden Äpfel ins Maul geben sollte? Führten nur zu Koliken. Warum allerdings vertraute Äpfel, vornehmlich die von Pflegern hinein durften, erschloß sich mir nicht zur Gänze. Wollte mir bei Gelegenheit den Unterschied zwischen fremdem und vertrautem Obst noch mal zu Augen führen, da führte sie schon den Apfel davor und wollte gerade abbeißen, wohl erkennend, daß man Tränen nicht essen konnte. Woher dann dieser Hunger kam?

Der Esel blickte sich noch mal um und nickte wissend in meine Richtung. Ich beneidete ihn für seine Duldungsstarre, die er noch im Gehen zu Haupt und Stolze trug, dann ersparte ich mir die Essensvorgänge, die vorgingen, wenn man in einen Apfel biß. Waren keine schönen. Zumindest nicht, wenn man dazwischen auf der Lippe um sein Leben hüpfte – und dann erst diese Knirschgeräusche! Nun, irgendwann kam jeder Hunger auch mal zu Ende und sie lief nun weiter durchs Gehege. Nun, erklärlicherweise auf dem Pfad zwischen diesen. Wir waren zwar im Zoo, aber sie war ja nicht im Zoo. Das waren die anderen Tiere. Sie hatten wohl ihre Gründe. Wer wußte das schon? Der Nächstliegende: Beizeiten in Freiheit eingefangen zu sein und nun zur Begaffung der Besucher und Belustigung zu sorgen. Ob sie einsam waren? Niemand machte sich wohl Gedanken darüber, wie es den Tieren, Bestien und Mäuschen in ihren Unterkünften so erginge. Wie fühlten sich die Löwen, die Langweiligen, die es immer in Zoos gab? Die kaum mehr brüllten, nur mehr gähnten. Die ein Zoo nur heranschaffte, um zu beweisen, daß man das Animalische vermenschlichen konnte. Die Giraffen mit ihren Flecken. Stießen die sich ihren langen Hals an den Zwängen? Die Ziegen, Gnus, Hyänen und der Esel. Was dachten sie über die Besucher, Hände, Finger, die winkend, schmutzig, sauber oder abfällig, aufgeregt auf sie zeigten?

Die Einsamkeit der Schönen.

Im Gehege, und keine Wege. Führten nicht heraus. Und war ich noch so klein, ein Däumling, und selbst ja auch in einem Zwinger – der der Frau, auf ihren Lippen, Wulst und Zähne –, so verstand ich nicht die Einsamkeit der Tiere, schönen. Diese herrlichen Felle, die der Tiger, Muster, Gefieder, Laute. Auch nicht die der weniger schönen, Hyänen. War sie mir nicht geläufig. Seit Jahrzehnten nicht. Dem Leben zum Trotz. Und doch verstand ich nun, warum sie weinte. Und vielleicht brauchte es einen Zoobesuch, einen Esel, einen Apfel und einen Frühling, um das alles zu begreifen, als Kleinster unter den Kleinen.

Rückte ich mich nun ein wenig näher an die Lippen, die so gerne logen, und tröstete ich. Nicht aus Mitleid. Mitgefühl war das Wort, das ich in ihren Rachen pustete, auch wenn es ungespürt blieb, doch war nicht dumm – nur dreimal in meinem Leben –, nichts würde sie aus ihrer Einsamkeit befreien, würde es mich nicht befreien und auch nicht all die anderen Kreaturen, groß und klein. Die Schönen und die Hyänen. Gab es keine Gelegenheiten. Von Möglichkeiten ganz zu schweigen. Und dann?

Wenn einem nichts mehr einfällt, dann schreibt der erfahrene Autor ‚Und dann?‘, las ich mal in einem Buch von einem erfahrenen Autor geschrieben. Es muß ein guter gewesen sein. Denn es fiel ihr nichts mehr ein.


Und dann war der Tag rum. Wieder einer.







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Wie es weiter geht: Borniert kommt nicht von Borneo







Montag, 1. Juni 2015

Handläufe


„Handlauf und Läufe… Und… wenn ich ein halbes Jahrhundert zurückblicke… erkenne ich im Auf und Ab des Treppenlaufs Schemen an der Wand, die mich an meine Ängste erinnern lassen. Und… wenn ich ein halbes Jahrhundert zurückblicke – im Auf und Ab dieses abgenutzten Treppenlaufs –, erkenne ich in mir das, was mir am meisten Angst macht:
Die… Erinnerung. Weil sie mich heimsucht…“

„Und… wenn ich im Auf und Ab dieser Treppe stehenbleibe, erkenne ich an den Stufen, dort, wo sie benutzt sind und dort, wo sie es nicht sind, und dort, wo sie es sein sollten, die Dinge, die mich erinnern lassen, warum ich diesen Weg wählte:
Um im Auf und Ab eines Schrittes, um im Auf und Ab einer Erinnerung nach den Albernheiten eines Handlaufs zu greifen. Diese Albernheiten nenne ich… Leben.“

„Und…wenn ich ein halbes Jahrhundert vorausschaue und all das erkenne:
Was sich für Treppen mir in den Weg stellen, welche Handläufe es zu greifen gibt, welche lohnen, welche nicht, welche es zu fassen gibt, und welche nicht, und ich mich erinnere, wie es mir erginge, ohne all diese Treppen, diese Handläufe, diese Schritte, diese Schemen, diese Ängste, diese Griffe, diese Fehlgriffe, diese Leben – dann würde ich keinen einzigen Schritt mehr wagen. Keinen. Einzigen. Mehr.“

„Also albere ich mich lieber durch Leben. Durchs Leben. Und bewirke. Und albere.
Und sei es nur, einen dieser Handläufe zu fassen. Und lasse zu. Nach ihm zu langen. Ihn zu fassen. Ihn zu lassen. Zu befassen. Ihn zu nutzen. Abzunutzen. Zu erneuern. Zu bewirken:
Und befasse diesen Boden.


Was wäre der Untergang ohne schöne Worte?“







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(aus: Der Liebhaber der Sonne – ein Märchen)