"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 28. März 2015

Paarweise abstoßend


„Österreich. Aus Österreich. Österreich ist das Land mit den Bergen. Die träumen noch vom zweiten Anschluß.“

„Die Berge?“


Nun, was gab es über Sebastiane zu berichten?


Nun, Sebastiane hat ein Problem.


„Ich habe ein Problem.“

Hatte sie nicht. Aber Sebastiane war so augenschmeichelnd, daß ich mir all ihre Probleme, die sie nicht hatte, beginnend von ihren Abfahrtsbeinen, ihrer Sanduhrtaille, ihrem Skipaßlächeln ausgiebig ausmalte. Daß ich sie mir gleich après-ski, après vous, dann âpre erst auf den Loipen, dann im Sessellift, dann vor der Hütten, dann so in den Pisten, dann schon auf einer schneeweißen Leinwand vorstellte. Sorgsam mit Malerbogen abgeklebt, der ein Loch im Panorama erlaubte – ohne sich auf den Rand zu konzentrieren –, die mir Bob Ross zur Verfügung stellte, und der mir sogleich seine ganze Palette und seine Spachtel in die Hände drückte – titanium white, tap, just tap – und highlightete – und wie ich sie highlightete –, als gäbe es keinen Kitsch mehr und die Schatten hinzufügte – Prussian blue, just cross – und den mist – create the illusion of distance, with almost no pressure – und dann den ganzen Seekram und – a tree? what the heck – endlich signierte – thinner, Malerbogen ab – und mir nun überlegte, an welche Wand und an welchen Nagel ich die Malerei nun hängen wollte, und mir nun meine Augen rieb, als sie mir mit ihren Zungenworten den blauen Dunst meiner gerade entzündeten Zigarette in diese blies.

„Ich rauche nicht.“

„Ich auch nicht.“

Ich suchte nach einem Aschenbecher – ein anderer Be-cher fiel mir in den Sinn –, fand aber nur den Boden und, nun ja, wozu der Boden gut war.

„Habe gerade aufgehört.“


Sebastiane hatte noch eines.

„Ich habe noch ein Problem.“

Hatte sie nicht.

„Ich habe Freunde. Die werden Dir nicht gefallen.“

Aber Sebastiane war so augenschmeichelnd, daß ich alle ihre Probleme färbte. Und während ich noch so malte und so rührte – mit meinen Spachteln – und nun merkte, daß ich mit einem Löffel in meiner Latte rührte und in dem Milchschaum schon neue Berge ritzte und schon nach dem Bon schielte, der unser Miteinander bezahlte, und die Rechnung in die Kullerkellneraugen signierte, der gelangweilt seine eigenen Panoramen in den Tresen polierte, löffelte ich den Schaum aus dem Becher, schnappte nach Sebastianes Mund, öffnete diesen mit einer Hand, wie man Bälger fütterte, und stopfte Löffel samt Milchschaum samt Berge samt Kitsch samt der ganzen Palette, die mir Bob Ross gönnerhaft schenkte, eben dort hinein.

„Iff hafe noff ein Prrroppleem.“

Hatte sie nicht.

Und während ich schreiend aus dem Café stürmte und während ich fluchte, je im Leben eine Bob Ross-Sendung gesehen zu haben, und während Sebastiane noch an diesem Lattelöffel nuckelte, rannte ich in den nächsten Supermarkt, gleich in den erst besten Haushaltswarengang, riß alle Messer, Gabeln, Löffel aus ihren Packungen, fand endlich, wonach ich suchte, hielt triumphierend einen Korkenzieher in der Faust – ha-hah! –, rammte ihn erst in eines, dann ins andere und zog beide Augen heraus. Plopp-Plopp! Das Schmeicheln sowieso.


Was. Für. Ein. Geiles. Gefühl.







*




Sonntag, 22. März 2015

Die Verlorenen





Die Einsamkeit der Verlorenen schüttet Salz in alle Poren. Sie tanzen im Nebel, doch sind alle keine Bewegungen. Sie schneiden sich ihre Haare, in Händen die Tränen der Jahre. Sie verletzen sich und zeigen ihre Wunden vor. Zum Zeigen trauen sie sich heraus. Im Licht betrachtet ist keiner wund zuvor. Im Haus, die Feigen, ins Zimmer eingegossen, wünschen sie sich zertrümmerte Vasen. In manischen wie depressiven Phasen. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Unruhe der Verlorenen hält ihre Welt in Bewegung. Zynisch und verbittert imitieren sie Regung. Brüllen sich in Rage. Halten sich die Ohren zu. Halten Brüllende für eine Plage. Sie wollen gehalten werden, gestützt werden, gespürt werden auf Tausend Meilen Entfernung, doch meiden die Millimeter der Nähe. Sie kaufen nicht ein, sie führen einen Krieg mit dem Draußen. Im Markt sind sie Kopien von Gestalten. Erkennbar an dem Scheitern an der Kasse freundlich zu grüßen. Sie versagen sich. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Stille der Verlorenen etikettiert, sie kokettieren damit, verloren zu sein, sie geben sich Adjektive dazu. Sie sind sie, sie sind bi, sie sind politisch, sie sind grün, sie sind vegan, sie sind so, sie sind quer, sie sind hoch, sie sind mehr, sie sind eckig, sie sind rund, sie sind offen, sie sind verschlossen, sie sind anders, sie sind nicht Du. Sie sind Tausend Richtungsschilder, alle auf sich gerichtet, darauf geschrieben: Fahr‘ woanders hin! Aber komm‘ zu mir. Sie sind sensibel, zu. Und im höchsten Maße unzufrieden. Mit Dir. Sie empören sich über Petitessen, haben die Weisheit gefressen und geben Fehler nicht zu. Sie lassen sich nicht hereinlegen, mit ihren zwanzig Jahren haben sie alles schon mal gesehen, irgendwo stand’s geschrieben. Sie lassen sich leicht beeinflussen, irgendwo wurd’s behauptet. Und jetzt kommst Du! Sie sind ungerecht. Nicht ausgewogen. Nicht zu überzeugen. Vom Himmel gefallen. Sie beklagen sich. Man höre ihnen zu! Wehe, wenn nicht. Dann duschen sie nicht. Dann bestrafen sie sich. Dann lächeln sie nicht. Dann verwehren sie sich. Dann schlafen sie nicht. Dann halten sie sich das für später vor. Sie klammern sich an die Verlorenen.

Ich beschaue sie. Und fühle nichts.

Die Verlorenen wollen, daß Du seist wie sie. Nicht, daß Du bist wie Du seist. Und nennen das Vielfalt dreist. Sie erklagen sich andere zu ihrem Ebenbild. Sie klonen sich eine Erträglichkeit. Am Ende gibt es nur noch einen Menschen. Aber macht sie das glücklich? Die Verlorenen schauen sich an. Sie schreien, sie schlucken. Manche erkennen. Vor dem Leben gibt es kein Entrinnen. Dann gibt es eine weniger, dann noch einen. Dann sind sie wieder bei Sinnen, nach der Trauer. Die Einsamkeit der Verlorenen schüttet Salz in alle Poren. Sie tanzen im Nebel, doch sind alle keine Bewegungen. Sie schneiden sich ihre Haare, in Händen die Tränen der Jahre. Sie verletzen sich. Sie versagen sich. Sie duschen nicht. Sie lächeln nicht. Sie verwehren sich. Sie schlafen nicht. Sie halten sich das für später vor. Und schon werden wieder neue geboren. Sie imitieren, sie kopieren, sie kokettieren, sie etikettieren. Und fühlen dabei: Nichts.


Sie klammern sich an die Verlorenen.







*





Donnerstag, 19. März 2015

Archerlandia


„Man kann sich nur selbst beleidigen.“

Stoisch ertrug er die Schelte und flüsterte nur die Worte. Depressionsaugen und Bulimiezähne, die so waren, weil sie von der Magensäure angegriffen wurden. Neunundzwanzig Jahre alt und zu schlaksig für einen Mann seines Alters. Er tat alles, um in diese engen Outfits zu passen. Er tat alles, um in diese Zeit zu passen. Nicht abgehängt zu werden von den Moden und dazuzugehören, zu den Zirkeln seiner Zunft. Die Zähne waren nicht das Problem. Dagegen half gelegentliches Bleachen. Gegen das andere Schminke.

„Menschen wollen auch nur geliebt werden. Nur nicht von jedem.“

Redete er sich ein. Andauernd. Um in sein Kostüm zu passen, das er für andere anfertigte, wie in das Taillensakko und in die Röhrenhosen, die ihm Kraft beim Bügeln kosteten, in die er aber frisch hineinschlüpfte, wenn er bereit sein mußte. Er würde sich bei einer Folge Archer abreagieren. Sich Mann sein anfressen. Selbstekel auskotzen. Bei Frauen könnte man es thematisieren. Bei ihm das tausendste Tabu.

Das Rotlicht ging an. Fehlerfrei sprach er seinen Text in die Kamera. Die machte fünf Kilo dicker. Das wußte er. Jeder wußte es. Sie sehen es mir nicht an. 


Nein, sie sehen sie mir nicht an.








*




Donnerstag, 12. März 2015

Menschen in der Negativzone


Auszug aus dem Gedächtnisprotokoll


Er war negativ, auf einem dieser Portale im Internet und schrieb die Hälfte seiner Dinge in Großbuchstaben. Ein Up-Link war zu dieser Zeit nicht gegeben. Und es würden Stunden vergehen, bis die Verbindung wieder steht.

Sie war schon bei der Arbeit. Sie brüllte die Kunden an, hielt aber dabei den Mund geschlossen. Sie würde das später mit einem Log-in nachholen. Dabei würde sie sich beschweren, über dies und das, Verachtung ausdrücken gegenüber allen, die nicht ihrer Norm entsprachen, gegen Dicke und besonders gegen die Alten; Leuten, die Gerüche mit sich brachten.

Er kam schon negativ auf die Welt. Die Geburt geriet für alle zur Qual. Nicht nur für die Mutter. Er schrie die Ärztin an und machte klar, daß er nicht einverstanden mit dem Klaps auf den Po und der Welt im Besonderen war. Seitdem trug er die Mundwinkel unten und als Baby schon die Zornesfalte.

Sie fuhr mit dem Bus zurück nach Hause. Sie verschaffte sich Platz auf einem der Sitze und beschimpfte mit den Augen die anderen Fahrgäste. Dicke, besonders die Alten; Leute, die Gerüche mit sich brachten. Sie würde sich später öffentlich darüber beschweren.

Er war dreizehn, als er es zum ersten Mal bemerkte, daß je negativer er war, desto beliebter wurde er. Er würde nie wieder eine Sekunde an einen positiven Gedanken verschwenden, den er zumal nie hatte. Trotzdem gab es immer mehr, bei denen er sich unbeliebt machte.

Sie öffnete die Tür und rief wie üblich. Meckernd über den Tag noch im Hausflur und verschweigend, daß der sich über sie beschwerte, aber niemand ihn nach seiner Meinung fragte. Provokation war für sie alleine, daß es schon Menschen gab.

Er kam aus dem Arbeitszimmer entgegen, fluchte, daß das Internet noch immer nicht klappte und wollte, wenn es ihn nicht, dann wenigstens sie umarmen. Beide standen voreinander. Sie stießen sich ab. Es war ihnen unmöglich, sich zu berühren. 15 Zentimeter trennten sie. Wie bei zwei starken Magneten.

Sie richteten ihr gemeinsames Leben darauf ein. So kam es vor, daß beim Schlafen er sich drehte und sie dadurch aus dem Bett gestoßen wurde. Man besorgte sich Gitterrohre für die Seitenwände, damit das nicht weiter geschah. Sie kochte und wollte ihm das Essen mit dem Teller reichen, er griff danach, sie stießen sich ab, der Teller fiel zu Boden und zersplitterte. Sie stellten Regeln für die Handreiche auf, damit er die Scherben nicht vom Boden aufklauben mußte. Sie gewöhnten sich daran, daß sie sich nicht berühren konnten. Mit der Zeit stieg die Negativzone von 15 auf 30 Zentimeter an. Dann schon auf einen Meter. Sie brauchten eine größere Wohnung.

Er wollte Cola in ein Glas schütten. Bevor die Flasche 15 Zentimeter davor war, fiel das Glas um und die Cola verschüttete sich auf den Couchtisch. Bei ihr begannen die gleichen Symptome. Sie fingen an, auch Dinge abzustoßen.

Sie gingen zu einem Arzt. Der sagte, er könne ihnen nicht helfen. Sie müßten lernen, damit zu leben. „Es gibt Menschen, die sind so negativ, daß sie alles um sich herum abstoßen.“ 50 € für den Rat.

Sie leben jetzt am Rand der Stadt. In getrennten, leeren Zimmern. Unter offenem Dach. Nackt. Die Regierung plant, Nahrung aus der Luft abzuwerfen. Mal sehen, ob es klappt.


Die ersten Versuche verliefen nicht vielversprechend.








*




Montag, 9. März 2015

Zwiesprache




Ich hörte ihm gar nicht mehr zu. Aber er war so süß. Daß ich ihm die schönen Augen machte, die jeder Mann so mochte, um sich besser zu fühlen. Oder wichtig. Oder niedlich. Hihi.

„Feministinnen gehen zum Lachen in den Bunker. Die schließen sich dort ein und feuern aus allen Rohren. Sollte man ihnen sagen, daß der Krieg vorbei ist?“

Ich stützte mein Kinn auf der Hand ab. Den Ellbogen auf dem Restaurant-Tisch. Die Kerze dazwischen ließ meine Augen funkeln. Ich entließ meinen Lippen ein Lächeln.

„Bemerkenswert ist, daß diese weißen Feministinnen nur in weißen Medien bei ihren weißen Filter-Follower-Freundinnen stattfinden, nie in der Lebenswirklichkeit. Oder bei dunkleren Frauen. Oder bei ärmeren Frauen. Oder in Ländern, wo sie ihre Billig-Fashion herhaben. Aber im Traum nicht daran denken, je KFZ-Mechatronikerin zu werden. Auch da kann man Werkstattleiterin werden. Oder Autohaus-Chefin. So gesehen ist ihr Kriegsgebaren mit Bunkermentalität eher ein Counterstrike in einem virtuellen Leben. Ein Ballerspiel um Holding-the-Flag. Und wenn sie diese dann in Händen halten, verteidigen sie die dann um jeden Preis. Ohne zu merken, daß sie nur Pixel auf einem Computer-Bildschirm in Händen halten.“

Ich trank jetzt aus meinem Glas. Ich schluckte so verführerisch, daß er sich ab und zu verhaspelte. Wie cute. Hihihi.

„Was mich und die meisten Menschen abstößt, ist, daß weiße Feministinnen normale Frauen, die selbstbestimmt, selbstbewußt, selbstständig, mündig, emanzipiert und aufgeklärt sind als Dümmerchen darstellen, für die sie ihre Stimme erheben müßten, weil die ja zu dumm und devot seien, das selbst zu tun. Und als dunklere Frau kommst Du nie in deren Zirkel. So sind weiße Feministinnen die wahren Frauenfeinde, frauenfeindlich ohne Ende. Nur hören sie das nicht gerne. Sie hören auch nur das, was sie hören wollen. Selbstkritik ist ihnen fremd. Sie sind so mega-sensibel, aber pissen mit ihrer verbalen Gewalt jeden an und empören sich, wenn ihre Pergamenthaut ein Spritzerchen abbekommt. Alle andere müssen das ja abkönnen. Ich bin ja sensibel, sagen sie dann. Sie sind so prüde und puritanisch, daß Haut schon zu einem Problem wird, wenn sie in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Da reicht schon eine Hand, die eine Cola-Dose in die Kamera hält. Sie sind der Bund Deutscher Mädel des 21. Jahrhunderts und genauso rassistisch religiös. Inklusive Zwangsmitgliedschaft: Wer nicht eintritt, wird geächtet. Man müßte sie eigentlich Islamistische Feministinnen nennen: Sozialer Tod allen Ungläubigen! Als nächstes sprengen sie die Kunst in die Luft, die nicht ihrer Sekte religiös-konform erscheint. Sie fangen mit Malerei an, und dann nehmen sie sich Gedichte vor.“

Ich strich jetzt mit den Fingern über die Tischdecke. Glättete Falten, die nicht vorhanden waren. Ich führte seine Augen mit meinen Fingern. Er blinzelte unkontrolliert. Wie putzig. Hihi.

„Es könnte ja ihre Karriere in den Medien sabotieren. Das muß es ja immer sein: Irgendwas mit Medien. Und ihre eigentliche Motivation, sich in Bewegung zu setzen, enthüllen. So gesehen ist ein Playmate viel ehrlicher. Die haben nie verheimlicht, daß es ihnen nur darum ging, in den Medien zu sein, um ihre Fresse in die Kamera zu halten, um jeden Preis. Weiße Feministinnen wollen dasselbe. Irgendein Buch schreiben und promoten. Vorlesungen halten. Eingeladen werden, von einer Fernsehkamera interviewt werden. Und weiße Follower auf ihren Kanälen haben. Aber natürlich nicht für das eigene Ego, nur für ‚die‘ übergeordnete Sache. Fasces gab es schon einmal. Ist es nicht seltsam, daß in den weißesten, nordischen Ländern wie Norwegen, Schweden und auch Deutschland mit der höchsten Durchsetzungsrate bei Gleichberechtigung der lauteste Protest geäußert wird? Warum gehen die nicht mal nach Indien, China, Afrika, Südamerika? Sind die Frauen da zu minderwertig für ihren Social-Media-Account? Im Grunde ihrer weißen Haut sind sie rassistisch und träumen von einer weißen Frauen-Rasse, die Macht über andere Frauen ausüben kann. Sie würden es nie zugeben. Wie heuchlerisch.“

Ich griff jetzt nach seinem Ärmel und entfernte ein Härchen. Zog die Hand schnell zurück. Wollte er schon danach greifen? Er stieß beinahe sein Glas um. Hihi. Wie tollpatschig süß.

„Weiße Feministinnen sind ja zu beschäftigt. Sie sitzen im Wehrmachts-Bunker, humorlos, und müssen diesen Krieg gewinnen. Sollte man ihnen sagen, daß ‚jung‘ ein vergängliches Attribut ist? Eher nicht. Es ist so amüsant, sie dabei zu beobachten, wie sie altern. Wie ihre junge, weiße Haut Falten bekommt. Das Lustige ist: Sie wissen es nicht mal. Das macht es ja so komisch.“

Ich strich mir jetzt eine Strähne hinters Ohr. Ich tat es langsam. Ich entblößte etwas meinen Hals. Etwas halb den Nacken. Der Genickbiß wie bei Löwen. Er wollte wohl schon hineinbeißen. Hihihi. Der Unterwürfigkeits-Trick.

„Außerdem betonen sie, man düüürfe Menschen nicht nach dem Aussehen oder ihren Macken beurteilen. Lästern aber über jeden, der ihnen begegnet. Lästern über Bäuche und Geheimratsecken und Schwänze. Und teilen das unvermittelt mit, über alle Medien, die sie von Zuhause mit ihrem Smartphone bedienen können, und sei es nur, daß jemand ein Karo-Shirt trägt. Das fängt dann immer an mit „Menschen, die…“. Und endet immer mit „Wa-rum?!“ Aber wehe, man macht mal einen Witz.“

Ich nahm jetzt die Serviette und tupfte meine Lippen ab. Er war wie ein Spiegel für meine Bewegungen. Wie hübsch. Hihi.

„Und kommen sie nicht mit Argumenten weiter, werfen sie einem etwas vor: Sexist. Und bei Frauen: Sexistinnen. Oder: Bullshit. Oder: Halt's Maul! Gleich die ganze Verleumdungskeule. Oder ein Wort und noch eins dahinter mit ’-Verdacht‘. Das geht immer. Verdacht. Und die Männer, die sich mit ihnen empören, so verständnisvoll für ‚ihre‘ weiße, kolonialistische Sache sind und zu ihnen halten, die halten sich nur in ihrer Nähe auf, weil sie die ins Bett kriegen wollen oder wenigstens davon träumen, daß die ihnen auf ihrem Social-Media-Account folgen. So gründet man eine Colonia Dignidad. Am weißen Wesen wird die Welt genesen. Die sind noch heuchlerischer. Reduzieren sie doch die Feministinnen nur auf ihre weiße Attraktivität. Aber das merken diese auch nicht.“

Und das war es jetzt. Er war so süß. Und so niedlich. So cute und so adrett. Ich reduzierte ihn nur auf seine Attraktivität. Und wollte ihn nur ins Bett. Egal, was er so von sich gab. Hihi. Ich bin wohl emanzipiert. Aber das merkte er nicht.


„Das Lustige ist: Sie wissen es nicht mal. Hihihi. Das macht es ja so komisch.“, sagte ich.








*




Donnerstag, 5. März 2015

Ein Mann auf der Lippe: Die beiläufige Gelassenheit der Farbe Rot


Ich bin däumlingsklein. Zaubergewirk hat mich geschrumpft. Ich sitze auf der Lippe einer Frau. Zwischen ihren Lippenwulsten. Meine Beine baumeln herunter Richtung Kinn. Oben und unten könnten mich jederzeit zerquetschen. Ihr Lippenstift ist bräunlich rot. Als hätten ihre Lippen schon andere Däumlingskörper zerquetscht. So dort zwischen den Küssen begleite ich ihren Tag. Ich erlebte mit ihr schon so einiges. War schon mit ihr beim Zähneputzen, war schon mit ihr in der S-Bahn. Wenn meine Füße drohen einzuschlafen, stehe ich auf und laufe auf ihrer Lippe hin und her. An den Zahnreihen vorbei. Ich habe dabei die Hände in meinen Hosentaschen. Ich bewege mich so auf den Lügen, kippelnd, ihrer Lippen. Lüppeln geschminkte Lippchen nicht? Meine Füßchen hinterlassen Spuren im Lippenstift. Man werfe das mir nicht vor. Ich kam durch Zauberfall in diese mißliche Lage. Manchmal rattere ich auch gegen ihre Zahnlatten. Heute war es schön. Heute gingen wir in den Club...



Der Kuß war innig und deep

Die Gesichter griffen ineinander wie gut geölte Walzen eines Automatikgetriebes. Sie gingen nun in den nächsthöheren Gang über. Aber das mechanische Gefühl ließ sich nicht verbergen. Dann trennten sich die Lippen wieder. Adaptive Voll-LED-Scheinwerferaugen leuchteten den Club nach Verkehrszeichen aus. Ich trat aus der Spalte zwischen der Lippe der Frau, auf der ich ja nun wohnte, während  sie lippenlog - sie entließ ein Gewohnheitslächeln in Richtung Gegenverkehr -, dann konnte ich endlich wieder atmen. 
Dann kollidierten die Lippen wieder, ich kämpfte mit dem Zungenverkehr des unbekannten Mannes auf der Gegenspur und bereitete mich auf den nächsten Erstickungstod vor.

Wie viele Tode auch vorgesehen waren, als es auf die Verteilung ankam, ich dachte nur: 
„Nur ein Tod pro Leben!“ 
Dann verging auch der Tod wieder. Atmen war etwas Feines. Man sollte es nicht als gegeben ansehen. Manchmal erstickt man nicht am Leben, manchmal nur an Atemnot.

Sie umklammerten sich jetzt und sie legte ihr Kinn auf seiner Schulter ab. Und nun könnte man meinen, daß sie im Nebel des Clubs die Augen geschlossen hielt, um sich noch näher dem Mann zu wähnen. Was der fremde Mann wohl wähnte. Doch sie hielt die Augen offen – ich prüfte auf der Lippe nach, indem ich mich weit herauslehnte – und suchte schon nach der nächsten Mitfahrgelegenheit, während der unbekannte Mann sich sicher innerlich schon zu zweit und fummelnd im von ihm bezahlten Taxi sah. Was mich dazu veranlaßte, mir vorzunehmen, falls ich je wieder aus dieser für mich unangenehmen Lage herauskäme – auf ihrer Lippe zu verharren –, und ich selbst die Schulter wäre, an der sich eine Frau wärmte, Rückspiegel dort anzubringen, um nach hinten zu gewährleisten, daß kein anderer mir in die Parade hineinführe. Käme es mir albern vor, aber nach der Erfahrung mit dieser Frau, auf deren Lippe ich mich nun streckte und gähnte und mir ein hartes Bett herbeisehnte, weil die Nacht sich in die Länge zog, während sie lippenlog, wäre ich mir nicht sicher, wäre kein Mann sicher, zu glauben, eine Frau hielte an der Schulter eines Mannes nur die Augen zu. 
Erinnerte ich mich, einen Bericht gesehen zu haben, daß auch Primatenweibchen stets nach anderen Männchen Ausschau hielten und der gemeinsame Augenblick des Lausens nur dem Zwecke diente, das eine Männchen zu bevorraten, bevor das andere nützlicher erschien, um sich zu paaren, um zum ersten zurückzukehren, um sicherzustellen, das das zweite sich mit dem Nachwuchs herumplagte. Waren meine Gedanken keinem Vorwurf geschuldet. Gab es sicher Gründe für Frauen so egoistisch-evolutionistisch vorzugehen, zumindest sich nicht von einem schnöden Schimpansenweibchen zu unterscheiden, obendrein unterschied sie nur der Lebensraum Urwald und ein Master in Witschaftsingenieurswesen nebst ein paar Tausend Jahre Evolution und Verdrängungspsychologie. Aber sonst. Sie lauste jetzt den unbekannten Mann – sie fitzelte ein paar Fusseln von seinem Hipster-Motto-Shirt – und brachte ihn schon mal so als Versorger in Erwägung. 
Immerhin. Ob er der biologische Vater ihres einzigen Kindes werden würde, sei dahingesagt. Am Morgen war ich Zeuge, wie sie die Pille nahm. Als sich der Abend näherte, um zum Club aufzubrechen, wie sie vier abgezählte Kondome in die Handtasche zu ihren Absichten legte.

Sie ließ ihn jetzt stehen und nahm mich mit auf ihrer Lippe auf die Toilette. Nun, sie stand davor. Vor ihr eine Schlange. Davor eine nächste. Davor noch eine Schlampe. So verächtlich musterte sie die Schimpansenweibchen vor der Damentoilette, daß sie es bereute, sich eingereiht zu haben, obschon sie dringend mußte. Und es kam ihr umso herabwürdigender vor, daß der Eingang zur Herrentoilette gleich nebenan war und die Schimpansenmännchen beim Herausgehen oder Hineingehen gleich viele mögliche Arten von Weiblichkeiten auf einen Blick im direkten Abgleich vergleichen konnten. Der Alptraum einer Frau. Grausam. Wofür man den Männchen gleich die Schuld fürs Glotzen gab. Aber nicht grausam genug, um sich nicht jede Stunde am selbigen Ort einzufinden und sich diesem Vergleich zu unterziehen.

Drinnen in der Damentoilette wurden meine Illusionen erschüttert. Nicht in Bezug zu den immerwährenden Vergleichen, die Frauen untereinander zogen – und immerzu betonten, wie wichtig es sei, „Sei Du selbst!“ zu betonen,  b e v o r  man das Aussehen der Konkurrenz von 1 bis 6 innerlich benotete; Mädchen lernten schon früh, wie man vom Lehrer gute Noten bekam fürs Betragen, auf dem Pausenhof sah das schon anders aus –, das ahnte ich schon, als ich noch nicht auf der Lippe dieser Frau lebte, die lippenlog, weil ich mich ja auf den Lippen ihrer Lügen bewegte und kippelte, und groß war, sondern im Anblick des Grauens des Inneren der Damentoilette, die ich mir vorher im Gegenzug zur Herrentoilette immer vorstellte als reinen Quell der Freude mit Wasserfällen, Regenbogen, Bassin, Harfenmusik und jungfräulich hellem Juchzen, doch versifft war wie die dreckige Lache einer Hafendirne, die für einen Zehner ihren Schlüpper lupfte. Rot stellte ich ihn mir vor. Rot deshalb, weil, nun ja, rot die Farbe des String-Tangas war, der Frau, mit der ich nun in der Kabine hockte. So rot, wie der Hintern eines Pavianarsches. Und auch wenn ich jetzt mit den Primatenarten durcheinanderkam – erst Schimpansen, dann diese –, so kamen mir gleich die verfickten Bonobos in den Sinn. Und auch das ergab für mich Sinn in diesem Club, der für seine artgerechte Anmachverfickung bekannt war.

Nach Dutzenden prüfenden Blicken im Toilettenspiegel, ob noch alle Vorsätze am richtigen Platze waren, verließ sie den Affenhügel, und drang wieder in die Zivilisation der Parkplätze mit ihren Drums und Beats und diversen Verkehrsvorhaben ein. Wo hatte sie den Mann geparkt? Ah, da. 
Oh, er unterhielt sich gerade mit einer billigen Blondine. 

Wozu es Waffenscheine gab? Nun, um nicht die Art in Gänze auszulöschen. 

Blieben die Fäuste. Für eine Frau hieß das: Blieben die, die auf der Zunge eine gesamte Boxmannschaft ergaben: Sie trat von der Seite ran, stellte sich in Position und. Sie schwieg. 

Schlug ihn aber mit den Augen nieder. Für die Blondine blieb der Technische K.O.:
Sie fuhr sich mitteilsam über die Brüste.

„Ah, da bist Du ja. …‘ne alte Bekannte aus der Agentur. Warst aber lange auf dem Klo. Wohl voll da.“

„Ja. ‘Ne Schlange.“ 

Sollten Frauen sich in die Augen blicken? Nur, wenn danach nicht die Augäpfel an Fingernägeln klebrig herunterhängen sollten.

„Will nach Hause. Geh’n wir?“

„Äh… ja.“

Sollte man zu einer Blondine „Wir sehen uns.“ sagen, wenn eine Dunkelhaarige danebensteht?

„Wir sehen uns.“

Der Mann im Allgemeinen ist ein Explosionsmotor. Die Zündabfolge bestimmt die Motorsteuerung. Sie erfolgt im Allgemeinen automatisch. Oder auf Gaspedaldruck.

Sollte man nicht.

Aber das war wohl der Unterschied zwischen Mann und Frau. Daß die Frau ein Affenweibchen ist und der Mann ein Auto. Daß ein Auto einen Affen zwar transportieren konnte, aber auf einen Baum klettern konnte ein Auto nicht.

Mir auf meiner Lippe war es gleich. Ich war ein Däumling, der darüber nachdachte, was ihm mehr nutzte: Die Nacht auf den Lippen einer Frau zu verbringen. Oder die Nacht auf den Lippen einer Frau zu verbringen, die von Männerlippen zerknutscht wurden, mit mir dazwischen und ich nur schlafen wollte.

Er brachte sie im Taxi nach Hause. Er bezahlte. Sie ließ es zingerfeigisch geschehen. Mit heraufkommen durfte er nicht. Das Taxi brauste wütend davon. Die Rücklichter leuchteten rot wie ein Pavianarsch. 

Sie schminkte ihn sich ab. Die Kondome landeten in der Betttischschublade. Den roten String tauschte sie gegen eine Pyjamahose mit Schafen. Er landete schmüppelnd im Wäschekorb. Ob mahnend, konnte ich nicht mehr überblicken. Ich schlief auf ihrer Lippe ein. Vielleicht selig. Aber das wußte ich auch nicht mehr. Ich wußte nur, ich träumte und schlief deep.

Wie ein sheep. Nur ohne Pyjamaschafen. War nett von ihr, mich auf ihrer Lippe zu verschonen. Rötlich braun schmatzten ihre Lippen im Schlaf. Ich fühlte mich träumend wie ein Mundersatz. Wie Lakritzschnecken. Fürs fehlende Küssen Mundersatz. Immer hin und her zwischen ihren Lippenwüsten. Immer muß was dazwischen dafür herhalten. Was zu schnabbeln waren immer andere Lippen. Selbst im Schlaf. Loppen, die mich zwischen den Wulsten hin und her lutschten. Süßigkeiten wurden für erwachsene Frauen erfunden, damit sie was zum Küssen haben. Alles konnte man lutschen, was klein genug war. 

Ich war klein genug, um mir keine Gedanken zu machen. Dann, endlich, schlief ich wirklich mit ihrem Schnarchen ein. Ich tröstete mich damit, daß ich keine Kalorie war, weil man mich nach dem Zähneputzen einnahm. Und die zählen nicht. Weil Kalorien nach dem Zähneputzen selber einschlafen.







*






Wie es weiter geht: Es tanzen immer die häßlichsten Frauen mit den kürzesten Röcken auf den wackeligsten Tischen, dafür umso lauter





Sonntag, 1. März 2015

The Past is our last monster




From a distance the dragon is common to the sword.

The hand that holds it swifts gently through air like
A million butterflies to their way to greener courts.

From the clearance the dragon spots and spits fire.

The friend of meaner commons shifts the shire's pike.
Our last monster is the least, more fearless than we thought.

A stomp from the past and the bravery falls into grass.

A million lies shattered to broken bones by dragon's desire.
Not the beast, the past is our last monster. Spots and spits fire.

Our least monster is the beast.



Zum ersten Mal starb ich in einem Meer aus Begehrlichkeiten. Gaben deren Hände vor, meine Haut zu sein. Zerrissen sich. Die Abdrücke verblassen nach und nach. Welche Eindrücke sie hinterließen? Zähle sie an den eigenen Fingern ab.

Zum zweiten Mal starb ich an der Luft aus Habseligkeiten. Gaben deren Zungen vor, mir sie zu spenden. Spalteten sich. Die Geschmäcker verblassen nach und nach. Welche Worte sie hinterließen? Zähle sie an den eigenen Lippen ab.

Zum dritten Mal starb ich auf dem Boden der Fahrlässigkeiten. Gaben deren Füße vor, mich zu bewegen. Brachen sich. Die Spuren verblassen nach und nach. Welche Wege sie hinterließen? Zähle sie an den eigenen Blasen nach.

Einmal kam ich zu dem Ort der Verheißung. Sand und Dünen. Ein Mann kam mir entgegen und sagte: „In der Wüste glauben Menschen, wenn sie einen Tropfen Wasser finden, sie würden das Meer sehen.“

Einmal kam ich zu dem Ort der Verschmelzung. Schnee und Wehen. Ein Mann kam mir entgegen und sagte: „In der Kälte glauben Menschen, wenn sie ein Streichholz finden, sie entfachten damit die Sonne.“

Einmal kam ich zu dem Ort der Aufgaben. Fragen und Antworten. Ein Mann kam mir entgegen und sagte: „Wenn Du ausatmest, dann sind Dir alle Antworten gegeben.“


Ich vertrocknete.

Ich zitterte.

Ich hielt den Atem an.


Dreimal starb ich. Dreimal lebte ich auf. Dreimal suchte ich Deine Orte auf.


Die Vergangenheit ist unser letztes Monster.





The past is our last monster.
Our least monster is the beast.









*