"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 29. November 2017

Als es euch gab


Eine typische Familie in Kanada.



Im Berliner Kiez ist die Welt noch in Ordnung.

Auf märkischem Sand gebaut, und kleiner als ein Dorf auf dem Land in der Provinz.
Wo Provinzstädte schon größer sind als Berlin, als ein Kiez allemal.

Und im Kiez ist das Leben noch überschaubar.

Da regt sich noch Widerstand, wenn ein Haus verändert werden soll.
Was natürlich erzkonservativ ist.
Was man natürlich nicht ist, weil man wählt natürlich das Bewahrende.
Man bewahrt nur die Welt, die man kennt - also die Welt im Kiez - vor der großen Welt da draußen, die man nicht kennt. Und die Welt ist so schnuckelig. Bewahren ist Konservendose. Und fuchtel nicht mit dem Dosenöffner. Das ist der Feind der Konservendose.

Im Kiez wähnt man die Welt vom Auto fern.
In der Welt da draußen feiern sie die Welt da draußen jenseits des Konservats - ein Derivat aus Reservat und konservieren - mit Autos in Hunderterstückzahlen in jeweils Millionenhöhe.
Aston Martin mit dem Valkyrie, McLaren mit dem BP23, Mercedes-AMG mit dem Projekt One, die Paganis, und von den LaFerraris, den Centenarios ganz zu schweigen, ganz diskret im Distrikt des Verdrängens: Dem Kiez der Heilsamkeit.

Alles Autos, die so drei Millionen Euro kosten werden. Und ein schnöder Porsche 911R wird auch schon für eine Million gehandelt.
Die Millionäre dieser Welt wollen Auto. Und schon vorgestellt, schon bestellt und Sold-Out. Die wahren Influencer.

Denn bei Mr JWW schreiben sie unter seinen Videos:

"Ich will mein Studium beenden. Ich will reich werden. Ich will Millionär werden, damit ich mir auch diese geilen Autos kaufen kann. Lamborghini Superveloce, yeah!"

Und man antwortet dem anerkennend zu. Nicht ich, die anderen. Die wahren beinfluencten.

Neben Pornos sind Autos die meistgesehenen Seiten im Internet. Vielleicht weil beides geil macht.
Nur im Kiez nicht. Im Kiez ist man nicht geil. Im Kiez liest man Studien.
In Studien liest man wie man geil wird. So ganz in Wörtern. In Studien darf man noch glücklich werden.

Also, wenn sie denn auf einen zuträfen. Dann bewahrt man das Glück auf in den Zeilen.

Und in den Zeilen ist sie da nicht klitzeklein versteckt? Die Hoffnung?

Heather Ballentine mag das ein wenig anders sehen. Pin-Up-Model und Superluxe-Entrepreneur aus Uptown Toronto.
Auch so ein Provinzstädtchen.
Mädchen, die noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag zu Frauen werden wollen, wenn sie ihre Studien im Kiez durchgehen, sollten sich mal Heathers Videos anschauen. Und ist nicht jede Frau noch neunundzwanzig? Und sind Millenials nicht 17-jährige?

Vielleicht machen sich ältere Frauen zu Millenials, weil sie zu den Neunzigern nicht passen wollen. Allein vom Lidschatten nicht, der länger wird bei jeder einzelnen Wimper, wenn die Sonne tief steht und tiefer unterm Fernsehturm und keiner in die geschlossenen Lider so haucht, daß man die Augen auch geschlossen halten will.
Und sie ihren Generationskiez brauchen, um nicht zu den Neunis zu gehören, die keiner mag, der den Verstand für die Achtziger oder die Zweitausender brauchte.
Aber Millenials kennen sich mit Computern aus: Wisch links, wisch rechts.
Und dumme Menschen wie ich kennen sich nur mit Aldi-PCs aus, die man in den Neunzigern kaufte, um ein mühsames Studium von Windows 95 zu beginnen, und mit jedem Untermenü und jedem Systemabsturz und jedem minutenlangem Laden auch erfolgreich zum Abschluß brachte. Das sind unsere Kriegserfahrungen.

Dann zaghaft haben wir unsere glorreichen Erfahrungen gesammelt in Foren, die zu Geschichten inspirierten, mit ihrer Baumstammstruktur, um den anderen mit gewählten Worten in geschliffenen Bon-Mots auszuknocken: Subtil in Bonbonpapier verpackte Beleidigungen, und man schaute genüßlich zu, wie das Bonbonpapier knisternd entwickelt wurde und die Beleidigung gelutscht wurde, als wäre es die süßeste Karamellkamelle, die man je schlutschte.

Dann kamen die Zehnerjahre, die Erniedrigungen. Die Mißerfolge.

Wir steckten diese Bauchschläge ein und steckten sie weg. Wir tragen unsere Verletzungen. Wir zeigen sie nicht vor. Wir lehnen uns auf, wir verstummen wieder. Wir hören dem Geschrei zu.
Fragen werden hervorgebracht, die keine Fragen mehr sind, nur mehr Vokativ, nur mehr Ausrufezeichen.

Wir sind mißerfolgreich. Aber wir werden auch diese überleben.

Letztens hatte ich einen ganz schlimmen Gedanken gehabt:

Trotz Jahrzehnten und Tausender Nachrichtentoten bin ich nicht abgestumpft. Selbst bei Tierdokumentationen kann ich noch immer nicht hingucken, wenn ein Löwe eine Antilope frißt. Ich schaue dann weg, weil ich nicht will, daß sich solche Bilder in meine Festplatte einbrennen.
Aber letztens dachte ich ernüchtert, als wieder mal ein junger Mensch starb, und ich noch sagte:
So jung. Wie schrecklich. Dann, da, dachte ich das Schreckliche:

Auch diesen jungen Menschen habe ich überlebt.

Und es wird noch mehr junge Menschen geben, die ich überleben werde.

Ich bin erfolglos, in dem, was ich tue. Aber das kann ich immerhin: Überleben.

Ich fürchte, es gibt so viele von uns. Wir streben nichts mehr an. Wir sind nicht mehr erfolgreich.

Wir werden nicht mehr glücklich werden.

Wir streben keine Beziehungen mehr an.

Wir sind gar nicht mehr im Bewußtsein.

Wir sind die Generation, die überlebt.

Immerhin.

Vielleicht setzten wir uns vielen Gefahren aus, vielleicht duckten wir uns nur aus Versehen vor tief fliegenden Kugeln. Vielleicht überlebten wir nur aus Gewohnheit, weil wir uns ans Leben gewöhnten.

Aber wir überlebten.

Wir sind eure nächste Generation.
Und ihr werdet sterben.

Und wir werden uns an euch erinnern.

Ihr suchtet uns nicht aus. Ihr wolltet andere haben, die an euch erinnern.
Das macht wütend.
Wütend sind wir schon lange nicht mehr.

Buchhalterisch nehmen wir euer Ableben zur Kenntnis. Wir stumpfen nicht ab. Das tun wir nicht.
Schon seit Jahrzehnten nicht.


Aber wir überleben euch einfach weiter.






*







Dienstag, 21. November 2017

Merkblatt 11.7: "Einsamkeit ist Schmutz!"


Mit Interesse nehme ich zur Kenntnis - und hefte das gleich zwischen Kontoauszügen, leeren Plastik-Haribobeuteln und Mietnebenkostenabrechnung ab -, daß man sich mittlerweile zum 'Allgemeinen Vereinsamungsstand' äußern muß.

Wie jeder Ordnungsbürger halte ich mich bezüglich der Vereinsamungsvorschriften des Landes auf dem Laufenden und ich bekam diesbezüglich einen Brief von der städtischen Behörde zugestellt.

Ich lese da raus:

Der Allgemeine Vereinsamungsstand ist von allgemeinem Interesse... 
Endlich greifen auch die Behörden durch... 
Kaum vergeht ein Tag, an dem nicht ein krasser Fall publik wird...
An dem nicht davor in Warnrubriken vor dem Vereinsamungsstand gewarnt wird...


Sehr geehrte Damen und Herren,

aufmerksame Bürger beklagen diesigen - den Vereinsamungsstand -, und in diesem Zusammenhang möchte ich noch mal auf die Allgemeinen Anforderungen 'Einsamkeitsdelikte' hinweisen, deren Bußgelder sehr hoch ausfallen, damit nicht unvermittelt das hier zuständige Ordnungsamt Abt. 'Allgemeine Vereinsamungsverschmutzung' an die Türe des vermeintlichen Verstoßers klopft.

Damit dies nicht geschieht, beachten Sie bitte Merkblatt 11.7, und unterstützen Sie die Behörden
bei der Einhaltung der 'Allgemeinen Vereinsamungsverschmutzungsbestimmung' ihres jeweiligen Bundeslandes.

"Vereinsamung ist Schmutz!" ist das Merkblatt übertitelt und stellt klar, wie mit diesem Schmutz umgegangen werden muß. Da "Menschen sind Schmutz!" nur knapp nicht durch den Bundesrat ging,
einigte man sich in der Kultusministerkonferenz auf vorbeschriebene Sprachregelung.
"Vereinsamung ist Schmutz!" greift unmittelbar in die kommunalen Hygienevorschriften ein. Halten Sie unbedingt den Namen des für Sie zuständigen Hygieneberaters bereit. Sie finden diese üblicherweise in allgemein zugänglichen Zeitungserzeugnissen im Anhang des Impressums des jeweiligen Ordnungsdekretums. Folgen Sie deren Hinweisen.

"Halten Sie die Umwelt sauber! Seien Sie der Erste!"

Was ist zu beachten, wenn vereinsamungsverschmutzte Menschen auf hygienisch einwandfreie Menschen treffen, fragen Sie sich?

Als erstes: Bewahren Sie Ruhe.

Auch wenn Vereinsamungsschmutz laut der World Health Organisation als nicht unbedenklich
eingestuft wird und stark ansteckungsförderlich wirkt, sollten diese einfachen Tipps Ihnen bei der Reinhaltung Ihres Umgebungsbereiches helfen.

Nachdem Sie Ruhe bewahrt haben, halten Sie Ihre Umgebung vor Verschmutzern rein.

Erinnern Sie sich, daß Schmutz eine Provokation ist. Klären Sie andere Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung auf und verhindern Sie so prä-aktiv eine Ausbreitung des Infektherdes.

"Einsamkeit ist ein Infekt!"

Säubern Sie alle glatten Oberflächen, die in Kontakt mit dem Vereinsamkeitsverschmutzer gekommen sind mithilfe eines handelsüblichen Reinigungslappen. Benutzen Sie dabei nur sterile, neu erworbene Wischmittel. Putzhandschuhe aus Silikon mit CE-Zeichen werden dringend empfohlen. Verwenden Sie ausschließlich keimabtötende Reinigungsmittel auf Obsimochon-Basis. Diese finden Sie in jedem freihandelnden Warengeschäft wie einem Supermarkt. Achten Sie auf die Ätzbarkeit der Inhaltsstoffe, damit Sie auch stark verschmutzte und eingebrannte Vereinsamungsschmutzeherde reinigen können. Führen Sie diese Reinigung bei sich selbst durch.

"Ein Vereinsamungsverschmutzer hat mich angefaßt. Was kann ich machen?"

Wenn ein Vereinsamungsverschmutzer (noch) nicht den zuständigen Behörden gemeldet ist, informieren Sie diese bitte unverzüglich. Bewahren Sie Ruhe! Der mögliche Infekt ist in der Regel nicht sofort tödlich, dennoch sollten Sie die betreffene Körperstelle zügig desinfizieren (z. B. die Hand nach einem vermeintlich harmlosen Händedruck), und sie gegebenenfalls abschneiden falls Komplikationen wie vorübergehende Stummheit bei Vereinsamung auftreten.
Die Vereinsamungsansteckungsfallkräfte sind auf solche Notfälle eingerichtet. Abgeschnittene Gliedmaßen, die mit dem Vereinsamungsschmutz in Berührung gekommen sind, können ohne Weiteres wieder angenäht werden. Legen Sie diese in Eis.
Verlieren Sie nicht den Kopf! Aus Panik abgeschnittene Zungen wegen ungewohnter Ruhelage der Zunge, was bei Vereinsamungsverschmutzern häufig auftritt, können wieder aufgebaut werden, indem 10 Zentimeter lange Hautstreifen aus dem Oberschenkelbereich als Spenderzunge fungieren. Aber: Verlieren Sie nicht den Kopf! 

Sollten Symtome wie Grübelhusten oder Leerer-Blick-aus-dem-Fenster-Langatmigkeit auftreten, oder noch schlimmer: das Florian-Silbereisen-Fernseh-Konsum-Symptom, dann gehen Sie unverzüglich kalt duschen. Das kann die Symtome kurz abmildern. Bitte achten Sie darauf, daß das Wasser gesondert gesammelt werden muß, da es durch den Vereinsamungsschmutz kontaminiert ist.
Kontaminiertes, einsames Wasser, so die offizielle Bezeichnung, darf nie ins Grundwasser gelangen!
Unterlassen Sie aber nicht, den Notruf zu wählen.
Schnelle Einbindung der Notfallkräfte ist unabdinglich für eine gedeihliche Genesung!

"Es wird von schweren Fällen in den Medien berichtet. Besteht Gefahr für Kinder? Und wo kann ich mich impfen?"

Verfolgen Sie die Berichterstattung. Bewahren Sie Ruhe.
Ausgewiesene Experten und Expertinnen kümmern sich um Ihren Fall.

Ratgeber beschreiben ausführlich Vereinsamungsschmutzimpfimplikationen. Meiden Sie Menschenansammlungen!
Darunter könnte sich ein versteckt Vereinsamter befinden!
Gehen Sie nicht alleine auf die Straße, damit man Sie nicht mit einem Vereinsamungsverschmutzer oder einer Vereinsamungsverschmutzerin verwechselt! Bei Alleinstehenden besteht eine höhere Verwechslungsgefahr. Geben Sie sich gleich in die Obhut der Behörden! Die können den Sachverhalt abschließend klären.
Auf Antrag kann Ihnen ein Vereinsamungsverschmutzerunbedenklichkeitsausweis erteilt werden.
Tragen Sie den immer gut sichtbar in einer klarsichtfolierten Außenjackentasche!

Meiden Sie alle potentiellen Vereinsamungsüberträger. Bleiben Sie im Haus. Bleiben sie allein.
Verklagen Sie mittels Online-Vordruck alle, die Ihnen vorwerfen könnten, vereinsamt zu sein.
Das ist ein schweres Vergehen!
Der Gesetzgeber hat großzügige Entschädigungszahlungen für Denunziationsdelikte vorgesehen.

Doch seien Sie gewiß: Nichts ist heutzutage so schlimm, wie der Vorwurf, vereinsamt zu sein.
Sie nehmen sich damit aus dem öffentlichen Gefüge, dessen wertvolles Mitglied Sie sind und dieses Sie um diesen Wertgehalt mindern. Diese Provokation wird nicht toleriert. Die Behörden greifen hart durch. Es herrscht die Null-Schmutz-Toleranz-Schutz-Politik.

"Einsamkeit ist Schmutz!"

Sie könnten damit auch potentiell andere beschmutzen.

Der beste Schutz vor Schmutz ist: Legen Sie sich eine Zweitpuppe zu.

Wenn sie sich zuhause aufhalten, halten Sie das Licht gelöscht.
Lassen Sie sich durch einen Telefon-Bot anrufen, aber gehen Sie nicht dran. Lassen Sie es klingeln.
Erzeugen Sie den Eindruck bei Ihren Nachbarn, sie seien unterwegs.
Benutzen Sie in 12-Stunden-Schichten öffentliche Verkehrsmittel.
Achten Sie darauf, daß andere Busbenutzer Sie bemerken und Ihre Anwesenheit zum Zwecke des Wertgehalts der öffentlichen Sichtbarkeit bezeugen. Hüsteln Sie, wenn Sie einen Bus oder die Bahn besteigen. Nicken Sie sich gegenseitig zu. Man wird sich darunter gegenseitig erkennen und gegenseitig bezeugen.
Zur Not lassen Sie sich den Vereinsamungsverschmutzerunbedenklichkeitsausweis zeigen.
Zeigen Sie den auch dem/r Busfahrer/in vor.

Bewahren Sie Ruhe! Verfolgen Sie die Berichterstattung. Lesen Sie dieses Merkblatt durch.
Verschmutzen Sie durch Ihre Einsamkeit nicht andere!

Sind Sie alleinstehend? Fordern Sie das Merkblatt "Alleinstehende" an.
Darin sind weitergehende Verhaltensmuster aufgeführt, wie Sie mit der Situation der Verwechslungsgefahr umgehen können.

Und bedenken Sie: "Schmutz ist plural! Immer."

Also gehen Sie nie allein.

Verlassen Sie nur mit einer Gummipuppe - Ihrer Zweitpuppe -, die das Aussehen eines unbedenklichen Verwandten hat, das Haus. Diese erhalten Sie in zertifizierten Fachgeschäften.
Sind Sie zuhause und das Licht brennt, stellen Sie zwei Gummipuppen vor das Fenster.
Die Nachbarn werden es nicht ahnen, daß Sie alleine sind.

Ein erfülltes Leben ist so auch für Sie möglich.
Sie müssen sich nur merken, daß Sie für andere leben.

Und für andere sind Sie immer Schmutz.

Heften Sie jetzt das Merkblatt ab.


Mit freundlichem Gruß


Ihr Ordnungsamt Abt. 'Allgemeine Vereinsamungsverschmutzung'



Dieses Schreiben wurde maschinell erzeugt und ist auch ohne Unterschrift gültig.



Im nächsten Merkblatt: "Sinnerfülltes Leben auch ohne Gefühle".

Kontrazeption mittels Spritze oder Nasen-Spray?
Was ist der beste Weg?

Lesen Sie auch dazu:

"Medizinische Sensation! Transplantation: Junge, 9, lebt seit einem halben Jahr mit Spendergefühlen.
Wie er lacht, wie er singt, wie er tanzt. Was ihn von anderen Kindern mit angeborenen Gefühlsorganen unterscheidet, was ihn verbindet. Und warum er seiner Spenderin, Hildegart M., 52, verstorbene Rasiermesserschleiferin aus Idar-Oberstein, immer dankbar sein wird:

"Ich werde ihre Spendergefühle immer in Ehren halten. Sie hatte so viele davon. Jetzt sind sie ein Teil von mir. Ich will auch Rasiermesserschleifer werden. Man kann sich sogar auf Mehrklingenschleifen spezialisieren, hat sie mir vor dem Eingriff gesagt. Jetzt vermisse ich sie. Mein erstes Gefühl war das 'Vermissen'. Das Schleifen wird mir helfen. Ich bin ihr so dankbar."

Und: Warum nur wenige spenden.

Muß ein Gefühlsspendeausweis her? Oder genügt auch Aufklärung?


Der wissenschaftliche Stand heute.








*







Freitag, 17. November 2017

Durchschnittig


Durchschnittlich gibt es nur zwei Autorinnen, die man lesen kann, eine Hausfrau, eine Comedienne, eine, die man lesen könnte, und Marzipankartoffel kann man auch lesen, wenn man mit dem Fingernagel Augen und Mund hineindrückt, dann kann man die auch lesen, bevor man die ißt. Aber nur, wenn man die vorher bei Lidl gekauft hat.

Mit der einen bin ich nie einverstanden, die schreibt ja auch immer, was sie will.
Mit der anderen bin ich immer einverstanden, auch wenn ich nie weiß, was die will.
Die Hausfrau schreibt auch, was sie will, weiß aber nie - also ich -, worauf die hinaus will.
Aus dem Haus vielleicht, denn sie ist ja eine Hausfrau. Deshalb heißt es ja Hausfrau und nicht Gehwegfrau. Ich will auch nicht aus dem Haus. Bin ja kein Gehwegmann.
Die Comedienne schreibt auch immer was. Was auch immer, aber die schreibt komisch.
So, als ob die schreiben will, wie sie schreiben will. Benutzt aber nur Bilder. Und lesen hilft da auch nicht weiter.
Und die eine, die man lesen könnte, könnte man sich auch mal durchlesen.
Ich habe also fünf.

Fünf ist kein guter Durchschnitt.

Fünfzehn Bücher habe ich mal gelesen. Den Faust in der Schule eingeschlossen, den ich in der Klausur gelesen habe: "Interpretieren Sie Seite 26 bis Seite 53."
Dann habe ich den Faust gelesen von Seite 26 bis Seite 56. Ich hatte vier Stunden dafür Zeit. Ich bekam eine drei dafür.
Bücher lese ich nicht, da sind mir zu viele Bilder drin. Ich könnte anfangen damit, ein Buch zu lesen,
aber dann müßte ich es schreiben. Und so viel will ich auch nicht lesen.
Ich habe Marion Zimmer Bradley gelesen, Die Feuer von Troja und Die Nebel von Avalon, weil die dick waren.
Zu der Zeit war ich dünn und lief acht Kilometer und hängte zwanzig Bahnen Schwimmen dran.
Dicke Bücher kann man nur lesen, wenn man dünn ist. Stephen King war auch dick. 'Es' war dick genug für einen dünnen Jungen. Sergeant Maitrel würde dankbar sein. Als es noch die Bundeswehr gab, gab es auch noch den Arrest. Ich war abwesend von der Truppe und las Herr der Fliegen unter Arrest. Auf Englisch. Ein dünnes Buch.
War aber nicht dick. Weißt Du, was wirklich dick macht? Genau. Kleine, französische Baguettes. Also, die Kurzen.
Die so aussehen wie Marzipanbrot - nur ohne Schokolade. Die gibt es in Deutschland nicht, vielleicht, weil die deutschen Bäcker nicht wollen, daß man dick beim Lesen wird.

Zurück. Natürlich darf man niemanden lesen, das ist zu intim. Und die, die ich lese, dürfen das auch nie erfahren.
Nachher schreiben die noch irgendwie anders, und dann hätten es Leser wie ich vermasselt, ihnen
zuzulesen wie Anthropologen, die auf versteckt lebende Urvölker stoßen im Amazonasgebiet, und man will sie nicht mit Zivilisation infizieren, damit sie nicht an einem Heuschnupfen dahinraffen.

Andere zu lesen, habe ich versucht, aber der Versuch war schlecht von mir. Ich bin ein schlechter Leser.
Und der Versuch scheiterte an mir. Ich bin Durchschnitt, was den Versuch angeht.

Ich bin mal zweihunderteinundsechszig auf der Autobahn gefahren. Das ist mein persönlicher Rekord.
Ich bin auch mal Schrittgeschwindigkeit durch eine Fußgängerzone gegangen. Ich ließ andere überholen.
Ich habe zwei Füße, und ich halte auch da einen guten Durchschnitt. Nicht jeder kann dankbar für seine Füße sein.
Ich konnte mal zwei Minuten und 38 Sekunden die Luft anhalten und 50 Meter unter Wasser schwimmen. Ich schwimme jetzt nicht, denn jetzt ist es mir zu kalt.

Ich habe mal Enten gesehen, die im Herbst im Wasser schwimmen. die sind dumm. Warum gehen die nicht in ein Hallenbad und schwimmen dort? Ich habe die Spinne gelesen, die heißt jetzt Spider-Man, und ich habe die Rächer gelesen, die heißen jetzt die Avengers. Ich habe auch den grauen Hulk gelesen.
Ich habe das lustige Taschenbuch gelesen, da war eine Seite immer schwarz-weiß und eine Seite farbig. Ich halte Farbe für fortschrittlich.
Eine Dekade war ich mal in einer Beziehung. Ich halte Beziehungen für fortschrittlich. Ich bin mal
vom 5 Meter-Turm gesprungen, da war kaltes Wasser drin. Ich bin mal von einem 5 Meter-Turm gesprungen, da war kein kaltes Wasser drunter. Für sechs Sekunden war ich zwei Zentimeter kürzer.
Was nicht dumm war, denn wer kleiner ist, hat mehr Platz unter dem Himmel.

Ich habe drei Fernsehsender. Ich könnte mehr haben, wenn ich umschalten würde. Zur Zeit sind Südamerika-Dokumentationen bei mir trendig. Südamerika hat einen Kontinent und einen Berg. Der zieht sich aber in die Länge. Ich habe eine Biographie, aber die zieht sich auch in die Länge. Ich habe mal einen Australier getroffen, der zog sich auch mal in die Länge.

Durchschnittlich trifft man einen Rassisten, einen Nazi und einen Idioten im Leben.

Der Rassist war Bure und nannte Schwarze Kaffa. Der Nazi nannte den Rassisten einen Idioten, sind doch alles Idioten, und beide trafen auf mich den Idioten. Ich habe sehr viele komische Menschen getroffen, deshalb kann ich auch gut mit Enten. Ich habe mal einem Obdachlosen einen Schlafsack geschenkt.
Das habe ich auf der Habenseite.

Ich habe auch mal Enten gefüttert, bevor es verboten wurde. In Deutschland habe ich auch mal eine Schlange gesehen.
Ich habe mal einen blauen Eisvogel gesehen und einen bunten Buntspecht. Einen Iltis habe ich mal gesehen, und Glühwürmchen habe ich mal als Kind gesehen, bevor die verboten wurden.

Ich habe mal weiße Beeren zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht.
Das hat Spaß gemacht. Rote Vogelbeeren zerquetsche ich nicht zwischen den Finger, weil das eine Sauerei gibt. Ich habe viele Schmetterlinge im Sommer gesehen. Zweimal habe ich verliebten Pärchen, die mir beim Spazierengehen begegneten, gesagt: "Was ist schneller als Licht? Die Liebe! Sie erreicht einen schon, bevor man sie erblickt." Der junge Mann, der mir begegnete, war nicht angetan, die junge Frau strahlte.
Beim zweiten Pärchen habe ich gesagt: "Die Liebe ist wie ein Schmetterling. Fange einen, dann ist euch die ewige Liebe sicher. Doch Obacht! Verletzte nicht dabei den Flügel. Sonst werdet ihr ewig Unglück haben. Traust Du Dich? Fange einen Schmetterling. Doch verletz' den Flügel nicht." Der zweite junge Mann zeigte mir daraufhin seinen Bizeps.
Die zweite junge Frau strahlte. Ich glaube nicht, daß junge Männer Romantik können.

Ich spreche auch üblicherweise nicht mit Menschen. Einmal habe ich einem älteren, grüßenden Pärchen am See gesagt: "Der See ist rund. Wenn man einmal rum ist, ist man wieder da, wo man mit der Aussicht anfing. Warum also rumgehen?"
Ich muß mich trauen, fremden Menschen etwas zu sagen. Aber wenn sie mich schon anlächeln, kann ich nicht anders, ihnen meine Meinung zu geigen. Aber sowas von.

Denn üblicherweise spreche ich nicht mit Menschen. Es sei, sie laden mich zur Torte ein. Ich habe durchschnittlich eine Ausrede.
Oder sie fragen mich, ob ich ihnen Geld leihen könnte. Durchschnittlich hat man fünf Euro Schulden bei mir.

Fünf ist ein guter Durchschnitt.

Vielleicht lese ich deshalb nicht mehr als fünf, weil ihre Geschichten - also die der anderen - keine Biographie haben.

Mit meinen fünf Autorinnen bin ich zufrieden.

Sie sollten es nur nicht mit den Wörtern übertreiben.

"Wenn Du anfängst zu schreiben, achte darauf eine Biographie zu haben.", würde ich jedem Baby sagen.

"Hat mal studiert..." ist keine Biographie. Das lesen nur Menschen, die mal studiert haben.

"Hat mal, während sie studierte, Enten gefüttert..." ist schon mal eine gute Biographie.

Ich kann mich gleich in die Ente hineinversetzen. Das ist meine durchschnittliche Begabung.


Ansonsten halte ich Distanz zu denen, die schreiben.


Leser sollten das Gesamtwerk beim Erschaffen nicht stören.







*






Sonntag, 12. November 2017

Es war einmal ein Topf, der war auf einem Kopf


"Liebe Kassandra, es ist nicht Aufgabe der Menschen, zu glauben, daß die Welt untergeht.
Deine Aufgabe, liebe Kassandra, ist, beim Weltuntergang zu sagen:

'Hab' ich's doch gewußt. Immer dann hat man Lockenwickler in den Haaren.'", sagte Kassandra zu sich und entlockte ihren Locken jeden einzelnen Lockenwickler, während die Kinder zankten, was einem Weltuntergang glich, wenn man nicht Kassandra war.

Wenn zwei Kinder sich streiten, sollte eine erfahrene Mutter anwesend sein und ihnen mit gekochten Maiskolben den Mund beschäftigen lassen:

Man nehme gesalztes Wasser, bringe dieses zum Kochen, hebe zwei Maiskolben am Stück hinein, man warte.
Dann nehme man heraus - Vorsicht heiß! - und bestreiche die Kolben mit Butter.
Man nehme in vier Kinderhände, man knabbere nun, dabei drehe man den Kolben.
Eine erfahrende Mutter ist immer anwesend und gewitzt. Die Kinder geben Ruhe. Nur mehr Schmatzen in Finderhänden. Man wiederhole den Vorgang nach Kräften. Erfahrene Mütter meistern jede Gefahr.

Kassandra war eine Mutter in den Mittzwanzigern. Das war sie natürlich nicht. Denn wie jede Mutter, die Maiskolben kochen konnte, damit Kinder Ruhe geben, und die in den Mittzwanzigern war, war Kassandra sechsundzwanzigeinhalb.

Mit sechsundzwanzigeinhalb konnte man noch jeden Feldherren aus der Küche schlagen, sie war ihr eigener Herr.
Kassandra war klug und beschlagen.
Und auch die Schwiegermutter berichtete von Zermürbungen. Denn Kassandra konnte jeden noch so starken Ratgeber bändigen. Und sei es eine Löwenbändigerin, so war Kassandra ein Zirkuszelt unter denen beide - Bändigerin und Löwenratgeber - gebändigt werden konnten.
Kassandra hatte ihr Leben im Griff. Und jeder, der sein Leben nicht im Griff hatte, konnte von ihr lernen. Wofür sie jeder ehrlich bewunderte.

Wie man zum Beispiel Griffe für Töpfe herstellte, wenn denn wieder einer mal abbrach.
Denn Kassandra hatte stärke Hände:

Man nehme zwei Topflappen, Sekundenkleber, klebe die Topflappen an die gegenüberliegenden Wände des Topfes, warte Sekunden, dann stecke man Kassandras Hände in die Topflappen und hebe den Topf an.
So hatte man den Topf im Griff, und zumal noch warme Hände.

Eine befreundete Freundin nähte ihr Topflappen in Form von Ohren.
Großen Ohren. Die klebte Kassandra an einen zweiten, kleinen Topf. Dann hatte man einen Topf mit zwei Ohren.

Und warme Hände dazu.

Kassandra setzte sich mal den Topf mit Ohren auf den Kopf mit Ohren.
Dann hatte sie große Ohren. Und einen Topf auf dem Kopf. Was sehr kleidsam war.

Warum auch nicht?

"Man muß neue Hüte erfinden.", sagte Kassandra und überlegte. Und überlegte, jetzt im Herbst, mit dem Topf auf dem Kopf und den großen Topflappenohren das Haus zu verlassen.
"Dann hätte der Kopf einen Topf.", sagte Kassandra.
"Und man hätte warme Ohren. Und das hätte Sinn."
Und wer Kassandra kannte, wußte, daß sie das auch tat.
Man bewunderte sie auch dafür. Und die Bewunderung war ehrlich.

Sie ging also mit dem Kopf auf den Schultern, den sie schon kannte, und dem Topf auf den Ohren, und es waren große Ohren am Topf, aus dem Haus, den sie noch nicht so gut kannte.

Menschen grüßten Kassandra und sagten: "Topf, Topf!"

"Klopf, klopf!", antwortete Kassandra den freundlichen Menschen und klopf-klopfte an den Topf.

Man begegnete, verabschiedete sich anerkennend. Und bewunderte sie ehrlich dafür. Sie hatte, sagten sie nickend, ihr Leben im Griff.

Kinder, die ihr bummellaternig entgegen kamen, ließ sie mal selber klopfen.

"Klopf, Klack." Sie narrte die Kinder neckisch lächelnd.

"Ihr habt ja Finger aus Holz."

Die Kinder guckten, aber dann lachten sie.

"Nee. Du hast das nur gesagt." Und sie kicherten.

Sie kam auch an einem Bettler vorbei, der sein Leben nicht im Griff hatte.
"Der hat sein Leben nicht im Griff.", murmelte Kassandra. "Der hat ja auch nicht einen Topf, Topf."
Dennoch gab sie ihm eine Münze. "Hier! Krieg' mal Dein Leben in den Griff."
Dann klopfte sie an den Topf. "Klopf, Klopf."

Aber der Bettelmann war kein Edelmann. "Häh?", hähte er.
Er war nicht gerade der birnste unter den Äpfeln des Herbstes.

"Mein Leben hat keinen Griff. Aber ich habe eine Münze. Danke."

Undankbarer Idiot, dachte Kassandra und ging absatzkehrtmarsch klopftopfend weiter.

"Idiot. Der hat ja auch keinen Topf."

Es wurde kalt. "Ich habe ja zwei Hände.", fiel Kassandra ein, daß sie zwei Hände hatte.
Denn Kassandra war gewitzt.

Gewitzter als alle anderen.

"Und zwei Ohren. Die hab' ich auch. Ich hab's gut." Sie lächelte. Als ihr einfiel, daß sie zwei Ohren hatte.

Sie steckte ihre zwei Hände in die Topflappenohren des Topfes auf ihrem Kopf und ging mit warmen Händen so nun weiter.

"Wer keinen Topf auf den Ohren hat, hat keinen Kopf auf den Ohren obendrauf."

Kassandra war sehr weise. Denn sie war ja eine erfahrene Mutter mit sechundzwanzigeinhalb Jahren.
Das 'Einhalb' sagte man ihr jedenfalls nach. Vielleicht waren es auch sechsundzwanzigzweidrittel.
Und ein Fitzelchen.

Aber sie war sehr, sehr weise. Nicht so weise, wie die böse, nörgelnde Schwiegermutter.
Oder der Bettelmann, der jetzt eine Münze hatte.

"Der hat ja auch nicht sein Leben im Griff. Ich hätte ihm auch eine zweite Münze gegeben.
Vielleicht auch eine halbe. Idiot."

Sie schnömpfte die Nase.

"Und die Schwiegermutter hat keinen Topf. Die hat nur einen Wok. Wie soll man sich denn den auf den Kopf setzen?"

Aber das brachte Kassandra auf eine weitere Idee.

"Den Wok könnte man für Regen nehmen. Wenn es regnet.
Dann könnte man den Wok für Regen nehmen, wenn es regnet. Es muß nur regnen, wenn es regnet.
Man setzt sich den Wok auf den Kopf. Und hält den mit den beiden Händen fest.
Aber dann werden die Hände nicht warm. Und die Hände werden naß.
Doofe Idee. Stammt ja auch von der Schwiegermutter."

Wie gesagt. Kassandra war sehr weise.

Kassandra kam wieder sehr weise nach Hause. Natürlich hatte sie die waisen Kinder nicht allein gelassen.
Die hatte sie kurz bei der leisen Schwiegermutter gelassen. "Aber die hat ja nur einen Wok."
Sie klopfte. "Wok, Wok. Ist jemand da?" Die Kinder werden schon wiederkommen zum Topf.

"Erst kommt der Topf, dann das Fressen.", sagte Kassandra weise.
"Aber vorher kommen noch Gabel und Löffel, Tischdecke und Platzdeckchen, und Stuhl und Tisch und Küche und noch eine ganze andere Menge."

Dann brachte die Ratgeber-Schwiegermutter die Kinder wieder, die sich vorher gezankt hatten, und ließ sich auch den Topf mit Ohren nicht anmerken.
"Die hat ja auch nur Ohren auf den Augen. Aber auf den Augen hat sie keinen Topf. Nur einen Wok."

Die Schwiegermutter bemerkte das auch nicht. Die hatte ihr Leben ja auch nicht im Griff:

"Die hat ja auch nur einen Wok."
"Wie bitte?"
"Ach, nichts."

Dann ging die Schwiegermutter wieder.

Kassandra konnte jeden bändigen. Ob Maiskolben, ob Mäuse. Ob Mais, ob Memm'.

Dann, die Kinder schliefen friedlich, holte sie ihr Tagebuch hervor.
Sie schrieb viel, die Kassandra. Absätze um Absätze. Worte und Poesie.
"Auch mal Komma.", sagte Kassandra. Denn Komma waren ihr sehr wichtig. "Komma sind wichtig." Dann noch mal Worte, und sie schrieb viel.

Aber das zeigte sie niemandem. Sie behielt ihre Geschichten für sich.
Doch besser als der Bettelmünzenmann und die Schwiegermutter konnte sie allemal schreiben. Das stimmte wirklich. Und man bewunderte sie ehrlich dafür.

"Die haben ja auch nicht einen Topf. Und meiner hat sogar Ohren.
Aber meine Ohren sind weise. Meine Geschichten behalte ich für den Kopf.

Und dann hat man schon mal einen Kopf für den Topf. Und dann hat man schon mal mehr für sich.
Und den Kopf sollte man für sich behalten. Dann hat man sein Leben im Griff, dann hat man auch Topflappen, selbst wenn der Topf keine Griffe hat. Dann macht man sich welche.

Und dann kann einem auch kein Topf auf den Kopf fallen. Denn der fiele ja auf den Topf.
Und dann macht es nicht klopf, sondern klongf. Und klongf ist nicht klock.
Und dann stimmt das schon alles wieder nicht vom Ton her. Und dann müßte man noch Komma erzählen.
Und in jedem Komma steckt eine Geschichte.
Es ist ein kleines Zwergchen, das zwischen den Sätzen kichert und die Arme ausstreckt.
Und dann kommen die Buchstaben, die alle kleine Bauarbeiter sind, dazu, und kitzeln das Kommachen in der Mitte.
Und dann läßt das Komma die Buchstaben links und rechts los, weil es kitzlig ist.
Und dann gibt es ein ganz großes Buchstabendurcheinander. Und wer räumt die wieder weg?
Na, ich. Kenne ich auch von Legos.
Und das ist schon mal weiser, was andere so machen, denn die haben ja keinen Topf auf dem Kopf. Und meiner hat sogar Ohren.
Bei denen macht es andere Geräusche. Aber das behalte ich für mich."

Und so schlief Kassandra weise ein. Mit ihrem Topf auf dem Kopf. Und sie schlief fest.
Mit sechsundzwanzigeinhalb Jahren.
Und ein Fitzelchen.

Aber das Fitzelchen behielt sie für sich. Daran konnte man sich immer noch festhalten.
Kassandra war sehr weise. Und sehr waren andere es nicht. Die waren sich noch nicht mal einig mit sich.


ENDE



Und die Moral von der Geschicht'?
Die gibt es nicht.

Kassandra verrät es uns nicht.
Psst, sie schläft jetzt leise.


Und ihr Topf hält dicht.







*







Samstag, 11. November 2017

Was sie verloren haben


"Ihr kennt nur noch Menschen, die ihr in Cafés trefft.", könnte man Menschen vorwerfen.

"Und die kennen auch nur mehr Menschen, die in Cafés sitzen."

Aber das wäre ja ein Vorwurf, und ein Vorwurf ist nie gut.
Denn er ist ja ein Verwurf, der zu einem Verlust führen kann. Und Verlust ist schlimm.

Verlust beinhaltet ja erst mal Besitz. Verlieren kann man ja erst etwas, was man besitzt.
Und besitzen tut man schon mal viel. Im Zweifel: Andere Menschen.

Die lassen sich gut besitzen. Das ist ja das Praktische an Menschen.
Daß man die gut besitzen kann. Die kann man gut in die Tasche packen.
Und in der Tasche versteckt sich mitunter der gesamte Besitz eines Menschen.

Ob der gesamte Besitz in eine Birkin-Bag paßt? Aber sehr wohl! Schau mal nach.

Wohnungsbrand? Birkin-Bag! Da paßt der gesamte Besitz schon mal rein.

Zurück zum Vorwurf. Dem guten, besitzergreifendem Fürwort: Verlust.
Da wird der Verlust schon zuerst beschrieben, bevor man erst etwas besessen hat:

"Aber, ich hätte Dich ja besitzen können!"

Das Internet macht Dinge.


Kofi, also Kofi besitzt nicht viel.

"Ist der Tabak aus dem Müll? Nicht im Müll wühlen.", sagt er und sagt meinen Namen.
Ich zeige Kofi die versiegelte Tabakdose von Lidl. Ich schwenke sie. Kofi schaut sie sich genau an.
"Danke.", sagt Kofi dann. Und sagt meinen Namen. Dann geht er.

"Und sonst, Kofi? Alles gut?"
"Alles gut.", sagt Kofi. Und sagt meinen Namen.

Im Verlust steckt die Lust, die man verloren hat. Deshalb heißt es ja Ver-Lust.

"Ich hätte jetzt gut Lust, Dich zu besitzen." sagen Menschen, die talken, wenn sie schmollen.

Rolf will mir immer Dinge andrehen. Aber eigentlich will er nur mit mir einen Zigarillo rauchen.
Sein Zigarillo geht immer wieder aus. "Ich kann ja nicht gleichzeitig reden und ziehen."

Es zieht sich immer mit Rolf. Aber er raucht auch nur einen Zigarillo. Und den will er auskosten.
Dann geht Rolf.

Herr W. gibt mir die Hand. Wir reden. Herr W. ist nett.
Herr W. ist immer nett. Wie mein Inder. Der ist auch immer nett. Der fährt immer Rad. Wir geben uns immer die Hand. Wir treffen uns im Aufzug. Ich gebe Rolf auch die Hand.

Es hat lange gedauert, bis Rolf wieder jemandem die Hand geben konnte.
Kofi gebe ich selten die Hand. Er mag das nicht.

Ich legte ihm mal eine Tüte Chips vor seine Tür. Kofi klingelt.
Er sagt meinen Namen. "Hast Du hingelegt?" Er zeigt mir die Chipstüte. Er schwenkt sie.
Ich schaue sie mir genau an. "Nicht auf den Boden legen." Und er sagt meinen Namen.
Er gibt mir die Tüte zurück.
Ich legte ihm mal zu Weihnachten einen Schoko-Weihnachtsmann vor die Tür. Er klingelte. Er sagte meinen Namen. "Hast Du hingelegt?"
"Ja, Kofi. Es ist doch Weihnachten."
"Nicht hinlegen. Nicht auf den Boden legen." Er gab mir seinen Weihnachtsmann zurück. Dann ging er.

So ist Kofi.

Du nötigst mich, zu sagen, daß Kofi schwarz ist. Du bist Rassist.

Ich höre von talkenden Menschen, die Menschen Dinge vorwerfen.


Im Sommer hielten wir unsere Arme zusammen. "Kofi.", sagte ich lächelnd. Ich besitze Humor.

"Wir haben beide dieselbe Farbe."

Kofi schaute mich an. Kofi schaut immer lange. Ich zeigte auf seine Augen.

"Wir haben beide dasselbe Weiß im Auge. Wir sind gleich." Kofi schaute lange. Dann zeigte er mir lange lächelnd seine weißen Zähne.

"Du bist verrückt." lachte er. Und sah mich kopfschüttelnd an. Und lachte meinen Namen.


Kennst Du eigentlich Deine Nachbarn beim Namen? Ich kenne auch nicht alle.

Und Susanne ist die gute Seele. Aber Peter, Peter hat mir schon mal auf die Augenbraue geschlagen.

Ich saß. Er kam, und wollte mir die Hand geben. "Ich geb' Dir die Hand nicht.", sagte ich.
Er hielt sie noch mal hin. "Nein, geb' ich Dir nicht."

Dann haute er mir mit der Faust auf die Braue. Ich blieb einfach sitzen. Ich bin ich. Und Peter ist Peter.
Letztens gaben wir uns wieder die Hand. Peter ist nun mal Peter.

Mit Rolf war ich auch mal in einem Café. Ich lud ihn ein. Er aß sehr schnell die Torte. Dann wollte er schnell wieder gehen.
Rolf mag es nicht gerne, unter Menschen sein. Es hat lange gedauert, bis Rolf wieder in ein Café gehen konnte.
Es war eine Bäckerei. Er will mir immer Dinge schenken.

Der Frühling umarmt mich.
Ich kenne noch nicht einmal ihren Namen. Aber immer, wenn wir uns sehen, umarmen wir uns.
Ich mag den Frühling sehr. Wir lächeln, und umarmen uns noch einmal mehr. Ich nenne sie den Frühling.
"Du bist der Frühling.", sage ich ihr. Und sie lächelt wie der Sommer.

Jan gibt mir auch immer die Hand. Er lacht auch immer. Er sagt immer meinen Namen mit Ch. Er ch-chzt immer. Ich muß auch immer lächeln. Werner tadelte mich mal, während wir uns die Hand gaben: "Merk' Dir mal meinen Namen!"

Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis.

Bennys Namen vergesse ich immer. Er heißt auch nicht Benny. Er grüßt mich auch nicht mehr.

Benny braucht sehr viel Wärme. Ich habe ihn mal nicht reingelassen. Er kam zu häufig vorbei.
Benny hat das verletzt. Benny mag nicht mehr mit mir sprechen. Aber wir grüßen uns wieder.

Ich höre von Menschen, die nur mehr Menschen kennen, die sie im Café treffen. Oder sie schauen diese Serien.
Oder sie beten junge Frauen der Göttlichkeit wegen an, wenn sie singen. Oder sie bereden die Welt.
Theoretisch. In Cafés. Und haben diesen vergöttlichten Glanz in den Augen dabei, wenn sie talken.
Theoretisch.

Was sie verloren haben.


Besitz kann ich in meinen Nachbarn nicht erkennen.

Manchmal schreibe ich. Manchmal schaue ich, was andere in ihre Birkin-Bag stecken. Immer neide ich nicht.

Was hast Du verloren, was Du noch nicht besessen hast?


Was auch immer.


Es paßt in eine Tasche.


Einmal gab es Feueralarm. Es roch nach Qualm. Ich schaute mich um. Ich packte eine Tasche.
Dann sagte ich meinen Nachbarn Bescheid. Das Haus brannte nicht ab. Ich packte die Tasche wieder aus.



Es war nicht viel in meinem Leben. Aber ich kenne ihre Händedrücke.







*







Donnerstag, 9. November 2017

"Im Hausaufgabenheft - im Alter von 7 - malte ich am liebsten Tiere."


"Ich darf Dich nicht lesen, hat meine Mama gesagt. Du verdirbst die Jugend. Was meinte sie damit??" (Stefan, 7 Jahre alt, Hobbys: Malen. Und Eichhörnchen. Ich erreiche bald den Stimmbruch, sagte Mama noch. Was ist Stimmbruch?)


Ich erreichte Nachrichts Kunde im Munde kauend ein Salami-Brot.
Ein Kind, in Wagnis-Not, erklagte Antworts Gehör. Ich eilte an das Seelsorg-Klavier.
Ich tippte: Ein Kind in Not! In der Hand ein Brot! Was antwort' ich bloß?!
Das Kind stellte Fragen. Wie soll das Kind erst werden?! Ich biß zuerst. Ins Brot hinein.
Dann in die Not hinein.
Das Kind schrieb und schrieb und schrieb erklärend seine Lage. 

Zittrig fasse ich zusammen, noch immer kauend:

Es trug sich zu. In Baden-Württemberg. Dem vergessensten aller Bundesländer.
Im Winkel eines Waldes. Dort! Ein Ort. Des Lernens.
Schwarzwald und Schwarzbrot. In der Pausendose: Klagenswertes.
Zur Not in Rot geschrieben. Sind Baden-Württemberger nur zu bedauern?
Oder sind die auch manchmal tot?

"Hallo, Herr Bravo. Ich bin Stefan aus der 1b. Und die Sibylle. Die ist doof.
Die geht in die 1a. Und die ist klug. Was ist 'klug'? Und was soll ich machen?"

Ich subsummierte, was Stefan schriebte. Ich schluck' in Kaffeeschlicken.
Ich biß ins Brot, ein Wiedermal. Ich kaute kaum vor Hoffnung.
Der Stefan schrieb, der Stefan, 7 mit Hobby Malen, aus der 1b. In seinen Worten.
Er vernichtet die doofe Sibylle aus der 1a wortgewaltig.
Ein Kinder-Sal, und ohne Schick, aber Lab: 

"Selber doof! Und immer einen dooofer alf Du! So." Der Stefan lifpelt.

Ich, noch schluckend, Brot, Salami und die ganze Not, sublimierte, was Stefan, 7, hier schrieb.
Ein Dialog entbrannte über die Frage, was von Kindesbein vom Kindessein so übrigblieb.
Denn die kluge 1a-er Schülerin Sibylle antwortete: 

"Man kann Dich nicht ernst nehmen."

"Was ist ernstnehmen, Herr Bravo? Und kann ich es werden??", schrieb Stefan verzweifelt mit Herzchen auf dem 'i'.

Ein Kindgericht! Hier wird ein Kind gerichtet!
Schrie ich in meine Notfallverordnung. Ich las und brach und brichte brach, was dann noch und dort geschah:

Der Doofi-Stefan aus der 1b, und es entbrannte: "Dann habe ich daf erreicht, waf andere anstreben.
Klug ift doof. Nochmal 'so'. Und außerdem: Mädchen können gar nicht richtig popeln.
Sollen sie erft mal beweisen."

Ich überflog die Zeilen, Ton und Rhythmus, mit dem kein Kind mütt muß.
Und fand: Die ganze Qual. In Durchschlagpapier.

Anbei der Bericht der Schulbehörde:

...und so kam es, daß die kluge Sibylle den ganzen Tag mit dem Zeigefinger im Nasenloch herumlief.
In der Schule. Dann nachher noch im Supermarkt. Dann noch auf dem Fahrrad fahrend. Dann noch beim Klavierunterricht. Dann danach noch am Abendbrottisch. Später dann - sie gähnte - im Heia-Bett, bis sich das Licht für Kinder löschte um 7 Uhr.
Morgens wachte sie auf und stellte erschrocken fest, daß der Zeigefinger nicht im Nasenloch war. Schnell spitzte sie ihn hinein. Beim Zähneputzen. Beim Anziehen. Beim Weg zur Schule. Im Flur vor der Klasse. Dort, da traf sie auf den doofen Stefan von gestern. Sie sagte: "Ich bohre nicht. Ich insistiere."

Da war der Stefan ganz platt. Mit offenem Mund stand er da. Und dachte schon, Sibelle steckt jetzt den Finger rein. Boah, dachte er. So klug war sie. Die Sibylle hat aber tolle tiere.

"Trotzdem doof.", sagte er noch. Und ging in seine geliebte 1b. Während Sibylle in ihre 1a ging.
Die Türen schlossen sich. Und so trennten sich ihre Wege.

Und so - man kann es nachlesen - kam Schüttelbier auf seine berühmte Geschichte, und nannte sie 'Stefan und Sibylle'. Wenn Klassenzimmer Clan-Familien sind, und das zarte Band der Nähe der beiden Kinder, Mädchen und Junge, zerschnitten wird. Mit einer Kettenlaubsäge aus buntem Argwohn. Und dem Türkrachen der Schultüren der 1a und der 1b, das wie Dolch und Gift klang: Das A und das B.

Vereint und doch nicht verbunden. Und doch verbunden. Aber nicht vereint.

"Herr Schüttelbier war Lehrer an der Bibi-und-Tina-Grundschule.", fügte die Behörde in ihrem Bericht noch an. Und den weiteren Werdegang der Unglückskinder:

Sibylle starb eines erwartbaren Todes: Im Winter ihres 100. Sommerjahres.

Stefan heiratete eines dieser gelangweilten Super-Models. Sie hatten zwei Kinder.
Eines nannten sie Sibylle. Es war ihr Sohn. Ihr zweites Kind nannten sie 'Selfish Bloom Bitsh'.
Das Standesamt hatte damit keine Probleme.
Nur heimlich weinte der Stefan noch. Bitternestea umgab seine Kinderseele.

"Hätte Herr Bravo doch nur geantwortet. Im Hausaufgabenheft - im Alter von 7 - malte ich am liebsten Tiere." stand auf seinem Grabritualstein.

Der Brief erreichte mich um Jahrzehnte zu spät, notierte ich in meinem Büro und zeichnete gegen:

"Herr Bravo von der Sachverwaltung. Vermögensdelikte."

Noch heute beiße ich spät abends zur Not in ein Salamibrot.

Zwei Kinder verloren. Bleiben nur noch Millionen.
Bei den nächsten Millionen gebe ich mir mehr Mühe.
Was Kinder wohl vermögen.

"Wenn Vermögen zu einem Delikt wird." steht auf einer meiner Kaffeetassen.
Und "Tassen mögen Kaffee." auf der Rückseite.

Es ist mir eine Warnung.

Und auf dem Außenboden der Tasse steht:

"Häh-häh. Und Hemden auch. Jetzt mußt Du Dir ein neues anziehen."


Hätte ich mal die Tasse nicht umgedreht, glaube ich, ist die Botschaft. Das ist, glaube ich[*] die Lebensweisheit, die nützlich ist.

Das Schicksal der beiden Kinder: Wie Kaffee und Tasse.

Irgendetwas verschüttet sich immer.


Den Kaffee hätte ich gut trinken können, denke ich noch.

Die Welt da draußen ist und bleibt mir ominös.


Man muß nur stehenbleiben - und man sollte nicht lange darüber nachdenken - und man bewegt sich doch. Denn die Welt dreht ja einen mit. Und wer einmal um die ganze Welt läuft, kommt auch nur da an, von wo er vorher loslief. Ich verstehe so Vieles an Kaffee nicht.









*






(Ode/r an die Distanz: 

"Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von dem obig Geschriebenem. 
Es entspricht weder inhaltlich noch sprachlich meiner Lesewelt. Noch nicht einmal dem Bundesland. Noch nicht einmal dem Landkreis. Noch nicht einmal der Menschlichkeit. Noch nicht einmal der Mitmenschlichkeit. Und bei der Mitmenschlichkeit hört bei mir schon die Menschlichkeit auf. Ich distanziere mich. Andere tanzen. Ich distanze. Ich schrieb es zwischen zwei Tassen Kaffee. Anders läßt sich die Wirkung von Koffein nicht erklären. Es ist bedauernswert.")


*["Da fehlt ein Komma." - "Es fehlt vorübergehend. Es drückt das 'Vermissen' aus."]



Ich beschreibe, wie sich durch unterschiedlichen Klassenbesuch die einen zu Erwachsenen entwickeln - das sind die Klugen - und die anderen sich ihr Kindsein bewahren - dazu gehöre ich.

Die Klugen schreiben einem vor, wie man zu sein hat. Viele davon werden mentale Bundesverfassungsrichter und -richterinnen. Das ist leider so. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen.

In alleinigem Vorsitz. In Absolutheit. In Alleingewalt. Über andere Menschen. Und behandeln Menschen wie absolute Dinge.

Über die sie absolut verfahren können.

Das brachte ihre Karriere vielleicht so mit sich. Schritt für Schritt. Urteil für Urteil. Und merkten es gar nicht mehr, wie sie sich entfernten. Wobei sie sich doch noch ganz sicher an den ersten Schritt erinnerten. Der war doch gerade eben erst geschehen. Hundert Schritte sind auch nur immer ein Schritt. Und einer. Und noch einer.

Wenn man - als Kind, das gar keine Karriere anstrebt und nur so ein bißchen rummalen will - ihre Absolutheit bezweifelt, werfen sie einem gerne den Status vor: Kind zu sein.

Oder daß man trödelt. Oder man soll den Bus nicht verpassen. Oder man soll gleich so sein, wie ein Bus: Ein Ding sein, das man bepacken kann. Mit ihren Erwartungen. Mit ihren Erwartungen.

Und drohen mit Liebesentzug. Wenn man es nicht tut.

Das Kind wird dann nicht mehr geliebt.

Sie stecken sich auch noch in der Nacht den urteilenden, mahnenden Zeigefinger in die Nase. Darum. Auch wenn er in der Nacht rausflutscht. Sie wollen sich gar nicht mehr mit ihrer Differenziertheit beschäftigen. Sie wollen sich gar nicht mehr differenziert mit Menschen beschäftigen.

Das finde ich absurd: Denn das Absolute ist schon das Kind an sich.

Das Differenzierte ist das Erwachsene.

Differenziert scheinen manche Erwachsene nicht mehr zu sein.

Sie machen sich zu absoluten Erwachsenen - und sind eigentlich wieder wie Kinder, denen sie das Kindsein aber schon vorwarfen. Das beschämt.

Sie sollten es sich mal selbst vorwerfen. Vielleicht haben sie den Spaß an der Karriere verloren.

Vielleicht sollten sie sich mal selbst vorwerfen, wo sie den Vorwurf erheben. Und nicht so tun, als wäre das Internet ein einheitlicher Ort:

Es besteht aus großen Städten und kleinen Dörfern.

Dies hier ist noch nicht einmal ein kleines Dorf.

Es ist ein Ort.

Manche schreiben, als schrieben sie aus einem Ort, aber schreiben aus Großstädten.


Ich schrieb es, es erheiterte mich.


Es ist müßig über Beweggründe zu urteilen:

Daß ein Kind seine Zeit besser nutzen sollte. Ich schrieb es, es erheiterte mich.

Das ist Beweggrund für mich genug.

Die sinnvolle Zeit nutzt sich nicht. Sie ist.

Da frage ich mich, wer hier eigentlich der differenzierte Erwachsene ist. Und wer das absolute Kind.
Und wer seine Zeit besser nutzen sollte, um wieder Spaß am Leben zu haben. Und sei es, einen Ort wie diesen zu erschaffen.

Bei vielen tollen Menschen denke ich, Ach, schade, daß sie nicht schreiben. Vielleicht, weil man es ihnen nicht zutraut. Ich würde es lesen. Es gibt zu wenig zu lesen von Menschen, die sich nicht verbarrikadisieren. In ihren Großstädten. In ihren Karrieren. In ihren Erwartungen. Und wenn sie schreiben, verbarrikadisieren sie sich wieder. Da wird die Stadt zum Dorf, und das Dorf zur Einöde.

Großstädter - und Kleinstädter - sollten diesen Ort verlassen. Er wird ihnen keinen Nutzen bringen.

Dieser Ort erfüllt keine Erwartungen. Und will auch nicht abgeholt werden. Wie ein kleines Kind.
Ich nutze meiner Zeit, wie ich will.

Ich bitte darum.


Sonntag, 5. November 2017

Die 5-Minuten-Terrine


"Oh, schöner Busen.", sage ich.

Ich bin Mann, und ich darf das sagen.


Denn ich sag' das ja nicht öffentlich.



Die Frau in mir, die Frau in mir, die nicht zuhört, schümpft:

"Du schaust nur auf den Busen! Na, klar!"


...und dann kommen Worte aus ihrem Mund - aus der Frau in mir -, und aus ihrem Mund kommen Worte, die wohl aus ihrem Mund kommen.

Denn sie kommen ja aus ihrem Mund.

Und darüber ist die Nase. Und da sind noch zwei Augen und was zwei Augen so mit sich bringen und da ist noch die Stirn und da gibt es noch die Worte, die irgendwas in ihre Haut schrieben, die sich faltet und verwerft, die jemand zu ihr schon vorher sagte. Und was da jetzt so geschrieben steht.

Das weiß ich. Denn ihren Mund kenne ich.

Na, klar... hört sie nicht zu. Denke ich. Typisch Frau. Denke ich. Frauen hören nicht zu.

Daß ich 5 Minuten lang mir ihr Gesicht angeschaut habe - und dabei nichts gesagt habe -, hört sie nicht.

5 Minuten hört sie nichts.

Und ich denke darüber nach, was man so alles in 5 Minuten nun so machen kann:

Die 5-Minuten-Terrine. Die 5 Weisheiten des Lebens nachschlagen. Die 5 Tiere in Afrika googlen.
Die 5 Must-Haves der Saison. Die 5 Finger nach Vollständigkeit hin nachzählen.
Die 5 Farben malen, die ich am meisten mag.
Die 5 Gemälde der Geschichte unter anderem Malernamen veröffentlichen lassen: Was für ein Durcheinander!
Die 5 Dinge am liebsten machen, die ich am liebsten mache: Nämlich nichts, nichts, nichts, nichts und am allerliebsten nichts.

Natürlich schaue ich nicht 5 Minuten öffentlich ein Gesicht an. Da gibt's eh nichts zu sehen, denke ich. Das geht mich nichts an.

Weil ich aber nun damit beschäftigt bin - mit ihren Worten -, damit beschäftigt bin, lieber nichts zu sagen, und ich mich lieber noch mal vergewissere, woher denn ihre Worte kommen, schaue ich lieber noch mal nach, woher ihre Worte kommen: Ja, eindeutig aus ihrem Mund.

Und der bewegt sich und bewegt sich und bewegt sich und: Bewegt er sich? Und ja, er bewegt sich und bewegt sich und bewegt sich...

Und daß ich deshalb weiß, daß ihre Worte aus ihrem Mund kommen - den kenne ich ja schon fünf Minuten - und nicht aus ihrem Busen - den kenne ich nach fünf Minuten erst seit fünf Sekunden.
Und für fünf Sekunden bin ich normalerweise nicht gesprächsbereit. Selbst für 1 Sekunde bin ich nicht gesprächsbereit.

Dann denke ich mich lieber weg.

Vielleicht sollte ich einfach mit dem Busen reden, denke ich dann lieber doch.

Und nicht mit dem Mund.

Der Busen, also, ist mir seit 5 Sekunden vorgestellt. Das reicht, denke ich, für Small-Talk.
Das ist lustig, denke ich. Small-Talk im Zusammenhang mit Busen.
Das ist dem Zusammenhang geschuldet. Denke ich. Ein Gespräch unter kleinen Leuten: Das ist der Zusammenhang. Deshalb Small-Talk.
Das sage ich aber nicht, sonst spricht der Mund der Dame wieder mit mir, den ich ja schon 5 Minuten kenne, und erkennt den Zusammenhang nicht:

Daß ich jetzt mit dem Busen spreche. Und nicht mit ihr. Und der braucht meine Aufmerksamkeit:

Dem geht es nicht gut.

"Na, Busen. Wie geht es Dir?", frage ich ihn stattdessen.

"Ach, geht so. Kannst Du etwas herunterkommen, ja? Dann können wir auf Augenhöhe miteinander sprechen."

"Ja, klar.", sage ich und setze mich hin, während der Mund spricht ...und spricht ...und spricht.

"Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber mir kannst Du es sagen. Ich höre Dir zu."

"Das ist nett von Dir, Kumpel."

"Kein Problem. Dafür bin ich ja da."

"Danke. Also, es ist so. Ich weiß auch nicht, warum ich immer Probleme bereite. Ich will doch einfach nur meine Dinge machen. In Ruhe."

"Das verstehe ich nur zu gut."

"Alle beurteilen mich nach dem Mund. Aber mit dem Mund pflege ich nur eine lose Verbindung."

"Wie oft tut man Dir weh."

"Oft."

"Nimmt man Dich nicht ernst?"

"Es ist alles schon sehr kompliziert. Aber eigentlich ist alles ganz einfach. Es fing damals in der Schule an."

Und dann erzählte mir der Busen seine Leidensgeschichte, und ich nickte, und ich versuchte, ihn mit besänftigen Blicken aufzubauen und versicherte ihm, seine Geschichte vertraulich zu behandeln und dem Mund nichts zu sagen.

"Das ist schlimm.", sagte ich ihm, als er nach 5 Minuten verstummte. Wir schwiegen.

Dann, nach weiteren 5 Minuten, sagte ich:

"Weißt Du. Ich schaue Dich meistens gar nicht an. Ich habe Dich eigentlich immer übersehen. Ich schaue mir das Gesicht an, doch der Mund, der redet und redet und redet.
Aber der redet nicht mit mir. Der redet mit sich. Und der redet mit anderen Mündern. Und die reden dann auch. Und reden mag ich auch nicht so gerne. Ich will auch nur meine Ruhe haben.
Ich will mich auch nicht immer ständig rechtfertigen müssen. Eigentlich will ich nur in Ruhe meine Autos gucken.
Und Du willst nur in Ruhe Deine Dinge machen. Mußt Dich aber immer dafür rechtfertigen. Ich verstehe Dich nur zu gut.
Ich habe auch keine Lösung für Dein Problem. Ich will auch gar nicht mehr sprechen."

"Ich spreche auch nicht gerne über meine Probleme.", sagt der Busen noch leise. "Aber danke, daß Du mir zugehört hast, Kumpel."

"Ich habe zu danken. Man wächst über sich hinaus, wenn man sich einfach nur zuhört. Dann traut man sich, auch wieder was zu sagen.
Und dann ist auch gut. Und dann braucht man auch nicht mehr über uns reden. Uns kleinen Leuten. Laß die anderen reden: Münder, die über Münder reden.
Sollen die ruhig reden. Und wir hören uns nur selber zu."

"Ja.", sagt der Busen noch, bevor wir uns verabschieden. "'Wir müssen reden' sagen immer nur die, die immer reden müssen, weil die einen Mund haben...

...aber keine Ohren."

"Kenne ich. Das sind dieselben, die immer schreiben, aber immer nur gelesen werden wollen. Zugeben, daß sie lesen, tun sie nicht. Deshalb schreibe ich's mir hinter die Ohren. Um es nicht zu vergessen. Ich höre auf meine Ohren."

"Kein Wunder,", sagt der Busen noch hinterher, seinem redenden und redenden und redenden Mund folgend, "daß wir keine Lust mehr haben, mit anderen zu sprechen. Wir bleiben still. Du hältst still, ich halte still. Aber, das ist gut. Dann haben wir drei endlich unsere Ruhe. Tschüss, war schön. Und mach's gut."

"Mach's besser Kumpel. War schön mit Dir.", rief ich noch nach, ihm viel Glück wünschend. Er bog um die Ecke.

Und dann schaute ich ihn nie wieder an.

Niemand soll den Verdacht äußern, wir hätten miteinander gesprochen. Das bleibt unser Geheimnis.

Warum wir dann unsere Ruhe haben:



Wir Kleinen halten zusammen.







*








Mittwoch, 1. November 2017

Das absolute Gehör


Ich will beichten.

Zu beichten ist immer der Ort, wo Tränen nicht ausreichen.
Ein Beichtstuhl zum Beispiel. Der besteht aus Holz. Oder ein Beichtstuhl am See zum Beispiel:

Dort am Wasser reicht kein Wasser aus...


...kein See reicht aus.

Der See will kein fremdes Wasser. 

Sein Wasser läßt sich nicht wässern.

Meine Tränen rinnen in Furchen über meinen Wangen.

Sie trotzen gegen.

In schmalen Flüchen.

So schmal kann kein Meer sein, wie ich als Rinnsal - wie der Englische Kanal zum Beispiel -, 

kein Krug so tief.

Kein krug so dunkel.

Meine Tränen fallen.

Und fallen, und fallen. 

Und fallen nicht ins Tief. Denn ich beichte (aber ich tu's nur heimlich):


Ich hörte Musik.


Solange es Luft gibt, trägt der Schall alles, denke ich noch dimmend.

Dann schnief.


Nein, das ist nicht lustig.

Musik ist nicht lustig. Dazu ist Musik viel zu ernst.

Musik ist viel zu ernst, um Musik lustig zu nehmen.

Wer Musik nicht spürt, der fehlt für die Welt.

Und wer für die Welt fehlt, der fehlt für die Welt der Musik.

Und wer für die Musik der Welt fehlt, wird besungen.

Und es werden so viele besungen. Wer vermißt soviel?

Wo sind die alle hingegangen? Zum See? Zum Schniefen?


Hier, in der Nähe ist ein See. Der hatte mal 'ne Bank.

Die Bank ist verschwunden. Haben sie die Bank gleich mitgenommen?

Beim Date am See mit Pods und Repeat und Shuffle?


Nachdem ich in Erfahrung brauchte - ich bin noch immer erschüttert, daß die betroffene Variante 'Alkohol' beinhaltet, wodoch ich doch gar nicht trinke -, daß die besoffene Variante von "Wadde-Hadde-Du-De-Da?!" "Walle-Halle-Lule-La?!" heißt, widme ich mich im Einvernehmen mit meinem Psychiater nun der Belletristik des gesungen Wortes.

"Rebel Yell" und "White Wedding" kannte ich schon von einer Frau:

Frauen hören sowas, Mädchen hören's nicht.

Weiß ich. Denn die haben das gar nicht verdient.

"Rebel Yell" und "White Wedding" haben Mädchen gar nicht verdient.

Und meine Tränen fallen. Und - schnief - fallen.

Mädchen hören's nicht.

Das Fallen der Tränen hören sie nicht. Trotz absolutem Gehör:


Denn Mädchen hören Musik.


Die hören was wie "Schnick-schnack-schnuck - ich wünsche mir Luck". Denn Luck (sprich: Lack) haben Mädchen sich verdient. Wie selbstverständlich. Haben die Luck verdient.

Zugegeben, wenn es um Musikgesang geht, bin ich der schlechteste unter denen, die keine Ahnung von Musik haben.

"Ich habe keine Ahnung von Musik.", sage ich dann immer. "Aber ich habe Ahnung von meinen Ohren.", banause ich dann immer.

"Aber Mädchen können singen. Denn Mädchen können klingen.", wagt mein inneres Erinnerungs-Tindersticks - Travelling Light und neckt und probt den Aufstand gegen die Musik der Mädchen:

"Aber Frauen kann man hören. Denn Frauen können röhren."

Auch wenn das natürlich natürlich ein Klischee ist: "...denn Frauen können röhren."

Musik-Mädchen dagegen mögen Prince-Musik mögen. Aber keine Musik, die man hören kann, sondern Musik, die man anziehen mögen kann. Mit einem Brautkleid zum Beispiel:

In der Musik werden Märchen, Märchen werden wahr.

Jedes Mädchen kann sich als Prinzessin in weißem Kleid daneben stellen, Volume Max und Lider schatten, wenn Prince George of Cambridge in St. Pauls zu seiner Thronbesteigung singt:

"Weil - mir - im Siegerkranz - der Mieder wamst."

Im Original:

"Rail - me - in hither glance - to wither, hence." - Featuring Prince Gee One introducing Flora Schmidt, ehemals Grundschülerin und Absolventin der Malklasse mit Buntkreide.

Ich wünsche Flora Schmidt allen Luck der Welt mit ihrem populären Princen.

Verständlicherweise brauchen sie auch nicht meine Erlaubnis. Mädchen brauchen keine Erlaubnis, wozu haben wir Mädchen? Aber meine Ohren, meine Ohren brauchen Erlaubnis!

Es ist bekannt, daß der Maler Edvard Munch auf seinem Platten-Cover "Der Schrei" feat. Farbe mit beiden Händen seine AirPods an seine Ohren preßt und laut Paramore mitsingt:

"Ah, und uh-hu. Wo ist mein Schuh."

Musik-Mädchen behandeln mich wie eine Baby-Born-Puppe, denke ich mit der Selbstgewißheit von Leitartikeln. Als wäre ich das Liebesereignis aus Flora Schmidt und Prince Gee. Sie singen (Die Band heißt 'Baby-Born', das Lied heißt 'Trink!', und das sind echte Lyrics!):

"Trink! Ich will sehen, daß Deine Tränen echt sind! Trink! Sie sollen aus Deinen Augen fallen!
Ja. Aus beiden!"

Lalala.

Und:

"Wenn 2 Liter Tränen nicht ausreichen, mußt Du unter Bäumen weichen."

Und:

"Du bist doof.", reimen sie dann immer. Weil, - doof - das reimt sich immer: Auf Love.

Nur wenigen ist bekannt, daß Edvard Munch sein Bild nicht "Der Schrei" nennen wollte, sondern "Love" nachdem seine Tochter eine Baby-Born-Puppe mit 2 Liter Leitungswasser fütterte und seinen "Schuh" nach einem von beiden werfen wollte. Was ich sehr einleuchtend finde.

Denn:

"Ich will Deine Tränen quietschen hören! 2 Liter reichen nimmer!" So singen Mädchen. Immer.

Dann bin ich fix und foxette und roxy:

"2 Liter Tränen reichen nicht? Ich bin doof? Du bist Dover.", schniefe ich dann, wenn ich das höre und sage wimmernd meiner verschwundenen Bank am See ab.

Und meine Tränen fallen, denn meine Tränen fallen schief.

Schniehiefend sage ich (denn beschniefen hält die Lebenswunde wie mit Kleber verbunden. Aber nur mit Muhusik):

"Und: 'Dover' ist wie 'Rover', nur mit 'D'. Bäh!"

Ich habe mich babybornisiert:

"Und ohne 'D' nur 'Over'", sage ich dann. Und sage noch:

"'Alles noch Rodscha in Kambodscha?!
Aber 'Roger' ist ein 'Oger'. Und der wartet nicht in 'Dover'.

Der watet in Schampanja.
In Mañana.

Und 'Lover' reimt sich noch auf 'Over'.
Wenn die 'Mother' Lack hat, ist sie Fakt.

Die Toffi-Fee. Die Toffi zaubert Schnee.
Und der 'Roger', der 'Roger' wartet nackt im See.

Schal-lala, Sham-bala!

Zitter-zatter.
'Roger' klappert.

Aber lange klackert er nicht. Mach' Dich auf.
Er wartet nicht auf Dich.

Und Anja trinkt schon Konjack.
In Hai-Heels.

Denn er muß noch untergehen.
Dann kannst Du ihn von unten sehen.

Und Pipi aus seinen Augenseen.
Anja flitzt auf Wheels.

Und mit Füßen an den Pilzen kannst Du oben stehen. Tack, tack, tack."


Dann bähe ich und strecke konstruktiv die Zunge heraus: Bääähhh! Und wische mir konstruktiv die Tränen aus den Augen. Musik baut auf..., denke ich,

...dem Prinzipat des Sich-Verbündens. Babybornisiert unter Baby-Born-Puppen.

Ich verbünde mich natürlich mit Baby-Born. Und proklamiere: Keiner wahrt die Musik-Rechte von Baby-Born!

Konstruktiv mit Zunge verbünde ich mich auch noch solidarisch mit meinen Augen. Die verbünden sich - 2 Liter Solidarität. Mit Zunge wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht.

"Definitiv bin ich erwachsen.", denke ich dann rebellisch erwachsen wie Menschen mit Abiturhintergrund beim Selbstfindungstrip in Kamschatka, während ich es nur nach Südfrankreich schaffte - aber trampend! - und klammer' mich an "Rebel Yell" fest.

Definitiv singen Mädchen dann, denn sie kennen keine Opfer:

"Verflucht seist Du! Und alle Deine Kinder. Und seien alle Inder, Deine Kinder, seist Du!
Verflucht ist so 'ne ganze Milliarde. Du. Und alle Deine Kindes-Inder. Herznarbe."

"Herznarbe? Wieso 'Herznarbe' denn?"

Sage ich dann.

Dann klinke ich mich aus und verstehe Youtube nicht mehr.

Warum hat man Youtube nicht einfach für Zoo-Besuche erfunden?, frage ich mich ernsthaft und suche erfolglos nach Zoo-Videos.


Doch Youtube singt noch weiter:

"Mädchen können nicht reimen. Alle kommen aus Heimen.", sagt Youtube mir und nennt sich Vevo.

"Wir kommen in Herden. Nicht aus Heimen, wir kommen aus Verden. An der Aller!", singen wir und wir alle sind mit Vevo hier.

Ein zweiter Vevo antwortet:

"Triller-Traller! - Youtube ist da sehr einfallsreich - Zum Werden aller kommt man nicht auf Pferden:
Gerda kommt zu Fuß. Die von iii-hr sind voller Ruß.
Denn Gerda geht nicht durch den Fluss. Zu reiten ist kein 'Muss'.
Und Shambala ist nur Stuss."

Ich wippe wieder mit.

Doch - man ahnt es schon - der Böse kommt:

"Mädchen sollen sich mal Mühe geben. Dann könnten sie ohne Mühe leben.", aber-vevo-singt ein Prince.

Aber nicht Prince Gee of Cee. Und Flora tanzt.

"Hey.", aberprinct der Prinz in mir, "Prinzessinnen müssen sich das nicht leisten lassen! Sie leisten sich die eigenen Tassen!"

Doch zum Luck, Mädchen singen und klingen nach und klingen danach:

"Männer sind wie Kühe: Sie kommen in der Frühe. Und gehen als Kälber in der Nacht."

Dann - hell-yell endlich - singen sie wie Frauen in den Auen, denke ich phallisch anerkennend mit mitgegebener Blockflöte aus dem Musikunterricht aus Grundschulzeiten.

Mein indischer Nachbar, der immer einen warmen, weichen Händedruck hat, und der zweitnetteste im ganzen Haus ist, und netter ist nur mein Nachbar, der aus Kaliningrad stammt, weil er mir schon mal ein Halbes Hähnchen geschenkt hat, und ein halbes, warmes Hähnchen ist nun mal mehr als ein warmer Händedruck, ahnt nichts von meinem Drama. Meine verheulten Augen erkläre ich mit dem Regen. Die Tränennarben auf meinen Wangen mit dem Narben vom Grill auf dem Hähnchen. Mit 'Rebel Yell' im absoluten Gehör drücke ich seine warme Hand etwas fester. Etwas fester drückt er zurück.

Musik verbündet.

Er hört wohl heimlich auch Musik. Wir beichten - schnief - es uns nur heimlich.






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