Lisa hat ein Problem.
Nun, da Laura dasselbe hatte und der Sommer sich
dort zeigt, wo er am schönsten ist – am
Eisbecherstand, oder im Fernsehen –, sollte ich Lisa jetzt mehr
Aufmerksamkeit widmen.
Lisa – die
dasselbe Problem wie Laura hatte, das zweite war, daß sich eine Dame nie mit
einer zweiten verglichen sehen will; aber das ist aus meiner unbefangenen
Sichtweise, die sich mir im Laufe der Zeit ausgeprägt oder eingebildet hat, nun
wirklich vernachlässigbar – ist entzückend. Das stammt nicht von mir. Das
Wort. Entzückend. Und es war auch nicht für Lisa bestimmt, aber es stimmt. Lisa ist nun mal
entzückend.
Und während ich mir schon vorstelle, wie wir unsere
Kinder aus den Tagesbeschäftigungsstätten des Bildungsangebotes wechselseitig
abholen, unseren geregelten Tagesalltag organisieren, um müde am Tage oder am
Abend zwischen den vielfältigen Beschäftigungsfeldern wie Schreiben und
Fernsehen hin und her zappen, als wäre dies bei Menschen so ohne weiteres ohne weiteres
so einfach möglich, nagt ein kleines bißchen, klitzekleines bißchen Lisas
Problem an meiner Kopfhaut.
Ein fast nicht verspürbares Jucken. Nicht weiter
wichtig. Aber vorhanden. Und so kratze ich es. Nur ein bißchen. Ein
klitzekleines bißchen kratze ich an meiner Kopfhaut. Hm, nur das Jucken bleibt.
Während also unsere Kinder heranwachsen, uns stolz
über den Kopf wachsen und uns in weiterer Hinsicht – dieses Wort kommt entzückenderweise verhäuft vor – auch nicht
allzu peinlich sind, wir ihnen selbstredend vor ihren Freunden natürlich auch
nicht, während wir unserer Beschäftigung nachgehen, stemme ich mich gegen den
schon ausgeprägten Juckreiz, den ich mit den Jahren allerdings erfolgreich – also vor ihren wunderschönen Augen – zu
unterdrücken versuche. Wären sie nicht so wunderschön, so unterdrückte ich ihn
wohl weniger ausgeprägter, aber umso effektiver, damit Lisa sich keine Sorgen
darum machen müßte, was denn nun Lisas Problem, klitzekleines Problem sei.
Nun, daß sie dasselbe Problem wie Laura hatte, das
ist offenbar kein großes Geheimnis mehr. Und für unsere Beziehung spielte das
im weiteren Verlauf auch keine weitere größere Rolle. Aber es juckte. Mit der
Zeit. Erst die Kopfhaut. Dann am ganzen Körper. Und während ich mich vermehrt
duschte, nachdem ich Lisa zur Begrüßung drückte, nachdem sie von ihrem
Fernsehjob zurück in unser behagliches Nest zurückflog oder zur Verabschiedung,
wenn sie zu ihrem Job flatterte – und ihn
asymmetrisch gut beherrschte, wobei ich mir ihre Asymmetrie wohl eher einbildete,
weil sie ihre Kopfhaut samt Frisur so asymmetrisch schön trug, daß ich sie bei
ihrer Arbeit vor der Kamera kontrollierte, es ihr aber verschwieg, daß ich es
tat, damit sie sich nicht so ohne weiteres kontrolliert vorkam, auch wenn es
sich nicht vermeiden ließ, daß noch zwei, drei andere Zuseher den Fernseher
einschalteten, um ihr bei der Arbeit zuzuschauen –, versuchte ich, dieses
Jucken eher auf mich zu schieben, mir also ein Problem zuzuschreiben, daß
zweifelsohne nicht meines war – nämlich Lisas
– und dieses so auf mich nahm, damit sie eines weniger hatte und ich
endlich mein Jucken loswürde.
Während also unsere Kinder studierten und in dieser
Zeit der Praktika, Auslandssemester und Umbrüche ihre Partner wechselten,
häufiger als ihre Facebook-Freunde, und sich für sie alles zum besten ihrer
Eltern – also uns – entwickelte, nahm
ich Lisas Problem, die sich mehr und mehr in das Sommerprogramm der Wetterschau
entschuldigte, an. Sie kam zu einem schreibenden, sich ständig waschenden
Hausmann, der sie alsbald, als sie zur Tür herein kam, zur Seite nahm, ihr
einen Knutscher auf die Wange drückte, nachdem er dieses schmale Persönchen
lange drückte – und rubbelte sie ab, kratzte sie am ganzen Körper, fing mit den
Oberarmen an, arbeitete mich zu den Handgelenken vor, dann beide Seiten des
Rumpfes, dann den Rücken, dann die Oberschenkel und so weiter. Dies wiederholte
ich einige Jahre.
Bis Lisa – die
dasselbe Problem wie Laura hatte – sich endlich ihr Problem eingestanden
hatte.
*
Es gibt auch noch Lor, Lia, Linda. Irgendwelche Vorschläge, welche Baby-Vornamen ich sonst noch nicht verwenden darf, hm?
Ich habe wohl eine Vorliebe für Namen mit L, Chloe, Balia. Und wer sonst noch?
Amateurhaft beschreibe ich, wie schamlos intim Fernsehen geworden ist:
Frontales Gesicht, Großaufnahme, lange Blicke.
Und wie Fernsehen in die eigenen intimen Wohnräume eindringt, schon in körperlicher Nähe, als simulierte es eine private Beziehung mit dem Fernsehzuschauer und täuschte sie ihm vor samt gemeinsamen Einzug ins Lebenszimmer, um dranzubleiben beim Lebenskuscheln. Das Gesicht ganz groß und lange Blicke:
Hey, vielleicht wird ja noch was draus zwischen uns beiden. Dir und mir, süßer Flat-Screen.
Frontales Gesicht, Großaufnahme, lange Blicke kennt man aus privaten Beziehungen.
Die sind sehr intim. Und interagierend.
Üblicherweise wendet man den Blick ab, um intime Blicke abzumildern, wenn fremde Menschen sich gegenübersitzen. Fernsehgesichter wenden sich nie ab. Gleiches gilt für Instagram-Gesichter, die sich nur frontal zeigen. Nah. Näher. Noch näher.
Daher schon fast das Körperliche. Als Zuschauer ist man dem ausgeliefert.
Also warum daraus nicht gleich eine Beziehung machen?
Verschriftet. Juckend. Netzhaut an Netzhaut.
Fernsehen geht mittlerweile weit über das 'Gesicht-Zeigen' hinaus.
Es nutzt Reiz- und Silhouetteneffekte schamlos aus, die man sonst nur aus der Brutpflege und Paarbildung kennt.
Fernsehakteuren fällt das zu Intime gar nicht mehr auf.
Nur, wenn man drüber schreibt und sie damit ironisch konfrontiert.
Dann empfinden sie es als zu intim und beschweren sich. Und fühlen sich im Recht.
In einer rechthaberischen Paarbeziehung.
Kann Literatur intim sein?
Während man sich selber ob dieser erzwungenen Nähe schon kratzt.
Läuseküsse nenne ich das. Läuseküsse mit L.
Vom Fernsehen übertragen. Juckt es einen schon. Beim Hinsehen schon.
Beim Netzhautkuscheln. Dieser Nähe wegen.
Juckt es Ihnen nicht auch schon?
Es sind halt empfindsame Gesichter.
Also lieber nicht zu lange bei einem verweilen und umschalten.
Sonst erröten sie noch.
Und wer will schon Rotstich auf seinem Fernseher?
Natürlich mag es auch reflektierte Menschen unter ihnen geben. Die sind rar:
Und umso toller.
Die machen sich auch schon längst Gedanken, wie sie ihre Beziehung mit sich führen wollen, während andere ihnen dabei zusehen. Vielleicht besitzen sie Humor und Biographie. Und haben sich eine oben erzählte Abreibung verdient. Humor und Biographie reibt Blicke ab. Wo sonst nur Verwünschungen anhaften.