"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 31. Juli 2014

Mannipulativ


Auch wenn es eitel ist:


Schöne Frauen lächeln mich öfter an. Warum? Weil sie sich an mich erinnern… Psst… Der Moment, wenn sie erkennen, daß sie wach sind, läßt den Mund aufspringen:


Weil ich der Mann* aus ihren Träumen bin.


Auch wenn es viele Träume gibt: Bin ich doch real ...und genauso schnell vergessen. An Orten, wo man Träume nicht erwartet, tauche ich auf – als déjà vu. Als Ahnung dessen, was sie schon vergessen haben. Auch wenn es selbstherrlich ist: Erfüllt sich ihr Traum für den Moment

 …weil es nur ein Moment ist, in dem Träume keine Zeit haben, zu platzen. Bin ich perfekt? Bin ich schön? Kein Traum ist perfekt, keiner nur schön. Darum träumen wir ja. Um das Perfekte passend zu machen …damit es auch in den Alltag paßt: In ein Schminktäschchen. In einen Einkaufswagen mit Pizza für die Woche und Joghurt für das Gewissen. In ein Auto mit noch zwei Monaten TÜV.


Ich bin ihre Plakette für das Leben.


Ich gebe ihnen zwei weitere Jahre Hoffen mit auf den Weg ins Alter. Auf den Weg. Der mit Kreuzungen lockt. Abzweigungen, Versprechungen, roten wie grünen Ampeln, die man überfährt, an ihnen hält oder wartet. Wartet… wartet… wartet…

…bis ich an der Ecke stehe – unerwartet – und ihnen ein Lächeln auf die Lippen zaubere.


Weil ich der Grund fürs Träumen bin…



Warum folge ich dann diesen schönen Frauen nicht?


Weil ich gefesselt bin, nicht gebunden, gefesselt bin:



Für jeden Traum, den ich erfülle, platzt ein eigener.




*




*[ersetze ‚Mann‘ durch jedes beliebige Wort, solange es ‚Frau‘ ist]


Tu‘s doch…



Ich habe eine Bekanntschaft gemacht.

Ich habe Bekanntschaft mit der Straße gemacht…

Ich… wollte die Straße wechseln, an vorgesehener Möglichkeit, als das Licht der Regelanlage von grün auf rot überging. Ich hielt. Womöglich hätte ich es noch schaffen können. Doch die Erinnerung, die vage Erinnerung an einen Vorfall mit der Buslinie 7 hielt mich wie ein leichtes Schnippen, Zupfen zweier Finger, die mich am Kragen lupften und nichts Böses wollten, zurück. Und tatsächlich kam ein Auto hervorgeschossen, das ich übersehen hatte, mit tiefen Schlappen, dumpfen Bässen und Kennzeichen ländlicher Provenienz. .

Und entschuldigte mich bei der alten Dame, die neben mir erschrak, für deren Benehmen. Und sah, wie sie zitternd zwei Flaschen Korn in ihrer karierten Tasche verstaute, die sie soeben am Kiosk erworben hatte. Und deshalb erschrak, weil ich sie bei ihrer Trunksucht ertappte. Wie dem auch sei. Ich dankte dem Ampelmännchen für seine Hilfe. So gesehen verdankte ich ihm ja mein Leben.

Und als ich da so hochstarrte. Ins rote Licht. Und die Striche sortierte, die schwarzen Striche des Männchens. Und seinen Kopf mit Hut. Da blickte er plötzlich zur Seite und zwinkerte mich an. Einfach so. Und wieder. Damit ich nicht denke, ich träume. So als wolle er mir sagen:

Tu‘s doch…

Der Verkehr raste inzwischen vorbei. Und wirkte näher als gewollt. Trotzdem spürte ich den weißen Strichen auf dem Asphalt nach. Und lehnte mich vor. Ausgefranst an einigen Stellen, überrollt von schweren Wägen und ausgelaugt lagen sie mir zu Füßen. Sie trennten und verbanden beide Seiten. Doch dann sah ich genauer hin:

An einer Stelle schien es, als führte ein Strich nach unten.

War dort ein schmaler Abstieg ins Innere der Straße. Wirkte der weiße Strich aus erster Perspektive so, als laufe er geradeaus fort, erkannte ich den Eingang nur, weil ich der anderen Sichtweise der Dinge folgte.

Das Männchen zwinkerte mir zu, ich solle mich beeilen. Ich hob meinen Fuß über die Bordsteinkante – doch zögerte. Zu gewaltig war der Sog der vorbeirauschenden Busse, der LKW‘s, der Blechkarossen. Zu gewagt das Vorhaben, jetzt die Straße zu überqueren. Wollte auch nicht das Schicksal von Neurose 5* erben. Und niemals wieder diesen Namen erwähnen!

Hatte ich mich in ihr geirrt? Hatte auch sie den Durchgang dort entdeckt? In den weißen Strichen. Und war bloß nur gescheitert? Ich blieb stehen. Die Ampel sprang von rot… auf grün. Und…


…von dem Einstieg war nichts mehr zu sehen.




*






Mittwoch, 30. Juli 2014

Sie kommen in friedlicher Absicht


Sie schrieb mir eine Mail.

Sie schrieb nicht viel. Nur „Hallo“ und Banales. Ich notierte mir die Nachricht mit der Aufmerksamkeit eines im unverlangten Mailerhalten Erprobten auf die Innenseite meiner Hand. Mit einem blauen Kugelschreiber. Nach der nächsten Dusche wusch es sich ab.

Ich muß dazu sagen, daß ich laufend Mails erhalte, und diese sehr zu meiner allgemeinen Enttäuschung von Menschen beitragen. Und diese allgemein sehr zu meiner Enttäuschung von Menschen beitragen. So müßte es richtig lauten. Und meine Meinung sehr von Menschen bestätigen. Sie schreiben dieses, sie schreiben jenes, sie schreiben dass mit Doppel-S und verwechseln Worte wie „Ich finde Dich interessant“ mit „Ich will nur das Eine“. Ich bin aber keiner, den man leicht rumkriegt. Sind alles Maurer. Ihre Mails sind Mauersteine, und mit jeder neuen Mail, die ich erhalte, mauert sich meine Schutzmauer ein Stückchen höher ein. Obwohl ich doch nur den freien Ausblick aufs Meer oder eine grüne Wiese genießen wollte. So mauert mich mein ‚Erfolg‘ (definiere Erfolg) selbst ein.

Sie wollte wohl nur meine Aufmerksamkeit.

Nichts Aufdringliches. Nur mit dem „Hallo“ der Höflichkeit geschuldet, etwas zu erwidern. Ich schrieb nicht zurück. Ich weiß nicht, wie es ihr ergeht. Ob ich sie mit meinen Allüren verstört habe? Unter erwachsenen Menschen gehört es sich, freundlich zu grüßen. Man begegnet sich zufällig auf der Straße, lupft den Hut und sagt „Moin“, dort wo ich lebe. „Guten Tag, guten Weg.“, wo ich herkomme. So war sie es wohl auch gewohnt.

Schon landet die nächste un/erwünschte Mail im virtuellen Papierkorb. Meine Mauer wächst. Und wächst. Und wächst weiter.

Damit man mich nicht falsch versteht. Ich bin kein schlechter Mensch. Ich will ja angeschrieben werden. Vielleicht verbirgt sich dahinter ein Schrei um Hilfe. Auch wenn ich mir natürlich schon selbst helfen kann. Darauf muß ich bestehen. Ich bin da fachlich kompetent. Aber man kann ja nie wissen. Es ist wohl ein Vorher-Schreien. So, daß ein Echo daraus entsteht und auf aufmerksame Ohren trifft, wenn es mal keine Kraft gibt, dann in genau dem Moment zu rufen, wenn ich Hilfe benötige, weil ich verstummt bin und nicht mehr schreien kann. Oder doch nur Aufmerksamkeits-Gedudel, um mich meiner eigenen Belanglosigkeit zu erwehren? Bin ich nicht toll? Bin ich nicht kompetent? Bin ich nicht qualifiziert? Ist mein Leben nicht perfekt? Bin ich nicht beneidenswert? Die Fragezeichen des Lebens darf niemand sehen.

Ich schrieb ihr nicht zurück.

Vielleicht ist ihr Leben nicht perfekt. Vielleicht ist es nicht beneidenswert. Vielleicht ist es sub-normal, normal-normal oder uber-normal. Ich weiß es nicht. Ich hätte gerne ihre Gedanken gelesen. Aber vom Gedankenlesen allein kann ich nicht meine Todeslangeweile kurieren. Mir ist  t o d l a n g w e i l i g ! Selbst wenn ich das Badezimmer putze. Sterben die Bakterien an Langeweile. Selbst, wenn ich meine Arbeiten mit summa cum laude abschließe. Was mich auch schon wieder langweilt – ich mich richtig reinschmeiße. Mich engagiere. Ist mir langweilig. Ich weiß auch nicht. Woher das kommt. Ich kann meine Erfolge nicht genießen. Ich bin einfach zu klug.

Ich interessiere mich einfach für zu viel. Und weil ich mich einfach zuviel für etwas interessiere, ist es so, daß ich Angst habe ich könnte etwas verpassen, andere könnten etwas von mir verpassen und schlimmer, ich könnte schon so viel gesehen haben, daß ich Angst habe, daß mir etwas nicht gefällt, wenn ich mich dafür interessiere, und das Neue mich dann schon wieder nicht interessiert, auch wenn es mir gefällt, daß ich dann etwas verpasse. Ich brauche Neues. Neues. Neues. Ich bin eine Dampflok, die auf Kohle fährt. Auf voller Flamme! Ich brauche ständig Nachschub. Kohle, Kohle, Kohle! Das ist mein Stoff. Aber ich bin eine Dampflok. Eigentlich mag ich es gemütlich. Aber ich habe es im Griff. Ich verweigere mich für Zeiten. Ich zwinge mich, nicht interessiert zu sein. Nicht interessant zu sein. Wie ein Magersüchtiger, der sich der Nahrung verweigert. Bin aber nur Teil-Zeit-magersüchtig.

Ich schrieb ihr nicht zurück. Ich habe ihre Mailadresse. Sie schrieb mir ja.

Sie meldet sich jetzt bestimmt nicht mehr. Wohl weil sie es als Unfreundlichkeit erachtet, sich noch einmal zu melden, wenn ich schon auf die erste Mail nicht geantwortet habe. So läuft das ja. Man erhält eine Mail, man schreibt zurück, man erhält eine Mail, man schreibt zurück… So geht das unter Erwachsenen. Eine weitere Mail zu schreiben, wenn schon die erste nicht beantwortet wurde, ist aufdringlich. Ich hielt mich nicht an die Spielregeln. Wohl, weil ihre Mail, so einfach und banal sie auch war, Angst bereitete. Ahnte ich hinter dieser Mail doch etwas, vor das ich mich am meisten fürchte: mich selbst. Mich selbst zu erkennen. Ja, ja. Ich kenne mich ja. Ich bin der einzige Mensch auf Erden, der mich wirklich, ich meine, wirklich kennt. Kein anderer kennt mich wirrrklich wirklich. Aber mich selbst durch jemand anderen zu erblicken macht mir furchtbare Angst. René Magritte, den ich bewundere, weil ich gerne Surrealist wäre, aber doch nur Wissenschaftler wurde, malte dies in Die gefährlichen Beziehungen auf: http://www.famous-painters.org/Rene-Magritte/Magritte/5.jpg

Es ist mir ein Graus auf eine fremde Frau zu treffen, die mir einen Spiegel in die Hand drückt, in dem ich mich so sehe wie ich bin. Und erkenne, was ich verdränge. Deshalb macht sie mir ja Angst. Diese blöde Mail. So banal sie auch war. Ich wünschte, sie hätte mir nie geschrieben.

Ich schrieb ihr nicht zurück. Ich habe ihre Mailadresse. Sie schrieb mir ja. Aber sie schreibt mir ja nicht noch einmal, weil ich ihr nicht zurückschrieb.

Es ist kompliziert.

Obwohl sie mich interessiert. Nein. Das wirkliche Interessieren. Nicht der Zwang, sich zu interessieren. Ihre Mail, so kurz und banal sie klang, war doch das erfrischende Anders unter all den Trottel-Mails, die hervorstach. Sie hatte so etwas Nichtsverlangendes. So, als wolle sie gar nichts von mir. Nichts Bestimmtes. Nur als wolle sie sagen, Huhu. Hey, guck‘ mal. Hier ist was für Dich. Ein Placebo für das Ego: Ich werde gefallen. Wollte sich wohl nur inspirieren lassen. Und dadurch mich inspirieren. Auch ein Lob. Aber ich kann nur spekulieren.

Ich habe ihre Mailadresse. Sie schrieb mir ja. Aber ich schreibe ihr nicht.

Aus Trotz.

Sie könnte ja meinen, ich interessiere mich mitunter für sie, wenn ich es täte. Dazu muß man wissen, ich bin selbstunsicher. Sehr sogar. Darf nur keiner wissen. Bin immer der Starke. War schon immer so. Mußte ich sein. Der Erwartungsdruck. Ach, das ist eine andere Geschichte! Meine Eltern. Egal. Ich will selbstsicher wirken. Auch wenn ich alles andere bin als das. Wenn ich doch nur sein könnte, wie ich bin! Aber ich kann nicht. Ich habe mir eine Illusion geschaffen, ein Spiegelbild, dem ich nun krampfhaft versuche, zu entsprechen. Nicht wie das von Magritte. Einen übermalten. Äußerlich ich, aber in anderer Fassung. Manchmal blättert die Farbe ab. Und man kann etwas anderes darunter erblicken.

Erkenne ich mich überhaupt, wenn mein Selbst mich auf der Straße anspricht? Ich denke nicht. Ich bin so Vieles. Und so Vieles wiederum nicht. Ich kann mich schon selbst analysieren. Doch, doch. Ich bin Fachmann. Nur hilft es mir nicht. Sie ist wahrscheinlich nur mit gelebter Erfahrung gesegnet, das lassen ihre banalen Worte vermuten. Keine Fachfrau. Nur ein Mensch, der sich einen unbefangenen Blick bewahrt hat. Eine Gabe. Oder eine Plage. Je nach Sichtweise. Ich weiß es nicht.

Werde wieder wütend!

Während ich das hier schreibe. Aber sie liest das ja Gott!Sei!Dank! nicht.

Warum ich wütend werde? Will nicht gerettet werden! Komm‘ mir nicht zu nah! Warte, ich hab mir in den Finger geschnitten. Ich halte ihn mal in die Höhe. Will, daß alle pusten. Will aber nicht gerettet werden! Will schon gar nicht von fremden Frauen gerettet werden, die mich meinen, zu kennen, obwohl auch sie nur ein Image von mir haben, auch nur eine Illusion, einen Spiegel, in dem sie sich hoffen, wiederzuerkennen, aber wenn sie es täten, nur dieses Bild mit sich versperren, so daß mein eigenes Selbst nicht mehr sichtbar wäre. Ich will mich aber sehen können! Was mich nur noch wütender macht! Ich bin häufig wütend. Na ja. Ganz für mich. Wenn keiner guckt.

„Man kann nur seine eigene Welt erobern. Die anderen sind schon belagert.“, schrieb ich mal irgendwo.

Ach!

Aus Trotz schreibe ich ihr keine Antwort.

Ich bin ja erwachsen. Ja. Sehr.

Ich habe immer Angst gehabt, als nicht erwachsen genug zu gelten. Nun, das Alter regelt das bekanntlich von alleine. Irgendwie, irgendwann. Aber ich war immer zu ungeduldig. War schon in der Schule so. Dann später auf der Uni. Dann bei der Stelle. Wollte immer dazu gehören. Nein. Mehr als dazu gehören. Wollte mit den ganz Klugen reden können. Sie beeindrucken. Obwohl ich noch so jung war. Auch wenn sich die wahren Klugen darauf geeinigt haben müssen, sich dumm zu stellen. Denn die ganz, ganz Klugen haben sich als dumm herausgestellt, weil sie die Klugheit in alltäglichen Menschen gar nicht entdecken können. Sie gar nicht vermuten würden irgendwo dort im Bus, im Alltag, zwischen all den Schulkindern, den Rollatoren und den Kinderwagen. Während sie sich im Taxi durch das Leben chauffieren lassen. Aber ich hab echt was drauf! Doch, doch. Ich hab Zeugnisse! Aber jetzt mal im Ernst. Ich bin wirklich fachkompetent. Könnte jeden auseinanderklamüsern. Daß bei all diesen Egos nichts mehr übrig bleibt. Nur noch Staub. Den ich zur Seite fege. Nur. Ich brauche die Anerkennung. Leide ich einerseits an Boreout, so leide ich andererseits an Anerkennitis. ICD-10 werde ich dafür noch selber beschreiben. Die Wechselwirkung zwischen den beiden. Ich bin ehrgeizig. Mit 25 habe ich es geschafft. Nein. Geschafft habe ich es nie. Muß immer weiter. Schlafen? Träum‘ weiter. Schon seit Jahren nicht mehr. Muß immer weiter. Bin gehetzt. Wer hetzt mich? Ich mich? Sie mich? Meine Eltern? Der Status?

Ihr ist der Status wahrscheinlich egal. So banal klang ihre Mail. Fügt sich wahrscheinlich ein.

„Wer ausbricht, gelangt nur in ein größeres Gefängnis.“

Schrieb ich mal in einer anderen Geschichte, in einer der ‚Miniaturen des Absurden‘, wie ich diese Schreiben hier gerne nenne. Vielleicht hat sie es mal versucht. Ich werde es wohl nie erfahren.

Sie schrieb mir eine Mail. Ich schrieb nicht zurück. Sie war bestimmt eine ruhige.

Sie ist nicht auf Twitter oder Facebook. Habe schon geguckt. Vielleicht hat sie sich einen Ort geschaffen, der nur für sie ist. In den sie mich eingeladen hat. Vielleicht nur wenigen bekannt. Aber genügend, daß sie es freut, wenn jemand diesen Ort aufsucht. Komm‘ herein. Sieh‘ Dich um. Mach‘ es Dir gemütlich. Sonst will sie von mir wohl nichts. Keine Telefonate, bestimmt keine Besuche. Lebt ihr eigenes Leben. Wie auch immer es sich gestaltet. Will in ihrer Ruhe, die ihre banale Mail ausstrahlte, nicht gestört werden. Nur intellektuell gefordert. Doch ein klitzekleiner Ausbruchversuch aus dem Gefängnis, das immer ein Gefängnis bleibt? Ein kleiner Kitzel eben. Gefordert werden. Auch so ein Kompliment. Sie hätte es mir gesagt, aber ich kann nur spekulieren.

Ich schrieb ihr nicht zurück.

Zuerst nicht. Nun ja, weil. Und jetzt, nun ja, aus Trotz. Aus Angst. Aus. Egal.

Ich bin erwachsen. Ja. Sehr.


Ich nehme mir jetzt vor, bei jeder Mail, die ich bekomme, zu sagen:


Sie kommen in friedlicher Absicht!




Sagen sie.






*



Dienstag, 29. Juli 2014

Montségur


Im Fallen griff er nach seinem Blaster, fand ihn im Holster, zog und ballerte was das Zeug hergab. Plasmablitze durchlöcherten die Luft, Wassertropfen zerplatzten, Kaskade. Doch diesen Sturz täuschte er nicht vor.

Vom Zync-Tower schossen grimmige Männer zurück, in die Tiefe. Eine Meile schwarzes Ungeheuer. Und je mehr er sich von deren Mündungsfeuer entfernte, desto näher kam er der Erde. Er würde auf dem Asphalt zerplatzen, wie einer der Wassertropfen. Soviel stand fest.

Er traf einen der Schergen. 2000° Hitze strahlten sich durch das Auge, ließen den Argwohn darin bersten und gruben einen Tunnel durch den Schädel. Sah man den Mann ohne Namen dadurch in die Tiefe fallen. Weiter feuernd. Die Zähne zum Beißen gezeigt.

Die Grimmigen holten einen Berserker hervor, ein Hochleistungsstrahlenmaschinengewehr. Halo-Ringe zuckten auf. Die Energieladung erreichte ihr Maximum. Feuer! Warum das Geballer hinterher schicken, wenn er eh auf dem Boden zerschellte? Für die Sekunden. Die er noch lebte. Darum. Und schickten ihm die Hölle hinterher. Auf dem Tower lagen die Körper der Belege.

Wird es keine Rettung geben. Metallisches Geklicke ersetzte das Pah-zung! der Plasma-Projektile. Das Magazin leergeschossen. Wird er keine der Männer mehr treffen. Heute. Auch sie hatten Leben. Regengeprasselnarben in entschlossenen Mienen zeugten von ihren Wegen. Rotzten ihm hinterher. Fluchten, weil sie ihn auch so nicht trafen.

Die Waffe entglitt ihm aus der Hand. Löste sich, wie ein Händedruck nach der Verabschiedung. Gab nun frei, was freigegeben werden mußte. Der Mann ohne Namen zog sich ein Lächeln an. Es gesellte sich als Schmuck zu einer schmutzigen Jacke. Auf Höhe des 205. Stocks, er hatte noch 7 Sekunden zu leben, begann er zu erzählen:

„…von allen Eigenarten des Menschen… von den Möglichkeiten mal abgesehen… und den Einsichten, zu denen man gelangt, die ja doch nur auferlegte sind, unterstellte man Absicht, …und den Gegebenheiten, die man vorfindet, aufspürt oder auftreibt, seien es die, für die man selbst verantwortlich zeichnet, oder jene die einem zugetragen wurden, …und den Gewohnheiten, die man unterhält wie eine Hure und nicht von ihr ablassen kann, weil man sie dafür bestellt, das Übrige aus dem Üblichen zu wählen, oder bei anderen für läßlich verdammt, …den Regeln, Sitten und Gebräuchen, die zu Bestellungen an das Universum, aber das Sollwert-gebende Selbst führen, wären nicht die gängigen Abwandlungen dagegen, …den Ablehnungen und Enthaltungen, die man für andere wertet, …den Fürsprachen und Fürbitten, die zu Gesprächen steuern, oder Stummheit erfahren, …den Verdächtigungen und Verwendungen, seien es jene, die man aus Trotz oder Verblendung in die Welt entläßt wie faule Kinder oder jene, die man aus Schutz, den man sich zulegt, und Trutz, den man sich aufbaut, vergeudet, …den Beweggründen und Standpunkten, die einem zum Laufen regen oder zum Verharren befehlen, …den Ansichten und Betrachtungen, die jene Blickwinkel bestimmen, die einem den Blick auf die Lage zulassen oder behindern, unter der Maßgabe, daß man über Augen verfügt, die nicht nur das Naheliegende beschauen, …den Bedenken und der Beklommenheit, die sich unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu Fragen trauen, …der Furcht und der Feigheit, Verlegenheit und Unentschiedenheit, die für das Betragen ein schlechtes Zeugnis haben, …den Zweifeln, die sich aus den Antworten, allen Antworten ergeben, zu allen vorherigen Fragen, …und mit der Unbefangenheit beschlagen, aus den Einsichten, Absichten, Gegebenheiten, Gewohnheiten, Gebräuchen, Ansichten und Betrachtungen mit Einbildung und Täuschung ein Lächeln zu basteln, das sich gegen die Schwerkraft erhebt, wenn man zu Erden fällt, um sich unten angekommen seiner eigenen Größe bewußt zu werden und wie klein sie aus der Entfernung wirkt, eine Meile im Fallen…, …von allen Eigenarten des Menschen…

…erstaunt mich doch eine immer wieder aufs Neue:


Daß sich jeder Narr für witzig hält.“



Schon bei „…von den Möglichkeiten mal abgesehen…“ schlug er auf.

Fuu-mmb.

Sein Körper zerplatze wie eine Wassermelone. Zu Tausend roten Stücken.

Trugen sie ihn. Die Worte. Für den Moment. Länger als die 7 Sekunden, die ihm noch blieben.

Rotzten sie ihm hinterher: Fluchten die grimmigen Männer, weil sie ihn auch so nicht trafen.



Trug die Regenspucke seine namenlosen Worte fort.







*






Statistisch gesehen bin ich glücklich


Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich arbeite für eine bekannte Fluggesellschaft. Ich fliege die Strecke New York-Frankfurt-Bangkok zweimal die Woche. Ich habe einen Facebook-Account, einen Twitter-Account und einen Flickr-Account. Ich habe zusammengenommen 348 Freunde. Mein Strahlen-Wert beträgt 2,1 Millisievert. Ich habe eine um 6,6 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Ich werde durchschnittlich 1,3 Kinder haben. Mein Mann wird zu 53 % ein Pilot meiner Fluggesellschaft sein.

Ich sitze an der Flughafenbar. Ich bestelle mir einen doppelten Whiskey. Ich schlucke die Hälfte herunter, die andere Hälfte leistet mir für den Abend Gesellschaft. Ich verfolge auf dem Flat-Screen der Bar Nachrichten. Ein Flugzeug mit aufgeblasener Notrutsche, ein Steward in Handschellen. Er lächelt in die Kamera. Er kündigte. Ich schlucke die andere Hälfte des Whiskeys herunter. Ich bestelle mir einen zweiten. Die Flasche leistet mir für den Rest des Abends Gesellschaft.

Ich besitze ein iPhone5, eine 12-Megapixel-Pocketkamera und ein Netbook mit 1 GB RAM und 250 GB-Festplatte. Ich besitze zu 23 % einen Kleinwagen und zu 8 % eine 2-Zimmer-Eigentumswohnung. Bevor ich 13 % der Wohnung erworben habe, werde ich zusammen mit meinem Piloten, der durchschnittlich 45,1 Jahre alt ist, ein Haus mit 5,2 Zimmern und 167 m² beziehen. Ich werde in der Woche 23 kg Abfall produzieren, 761 Liter Wasser verbrauchen und in den ersten 3 Jahren unserer Beziehung 1,9 mal Sex in der Woche haben. Zu 48 % werde ich 6,7 Jahre verheiratet sein.

Die Tresenhocker der Bar sind zu 7/8 besetzt. 2-mal Business Class, 3-mal Economy, 1-mal Stopover. Der Flat-Screen zeigt jetzt Naturkatastrophen. 2 Überschwemmungen, 1 Erdrutsch und 1 Erdbeben der Stärke 5,9 auf der Richter-Skala. Pro Nachrichtensendung kommen durchschnittlich 63,5 Menschen ums Leben. Weitere 137,3 kommen zu Schaden. 2 wundersame Rettungen. 269 Angehörige, die auf Mitteilung warten. Es ist ein busy Tag. Am Ende des Abends wird mein Blutalkoholwert 1,75 mg/g betragen.

Ich besitze 22 Paar Schuhe, 6 Hosenanzüge, 5 Sommerkleider und 9 Paar Jeans. Zu 64 % trage ich meine Flug-Uniform, 33 % meiner Freizeit-Kleidung ist ungetragen und 18 meiner Paar Schuhe sind Fehlkäufe. Ich gebe im Monat durchschnittlich 11,6 % meines Netto-Einkommens für Kleidung, 5,7 % für Kosmetik und 7,9 % für Nahrung aus. 71 % meiner Kleidung versteigere ich nach durchschnittlich 2,3 Monaten auf eBay. Meine Handy-Rechnung beträgt zwischen $ 178 und $ 295. 1,7 mal pro Woche telefoniere ich mit meiner Mutter, 4,6 mal mit meiner besten Freundin, 8,3 mal mit Kollegen. Die durchschnittliche Redezeit mit meiner Mutter beläuft sich auf 24,9 Minuten, mit meiner Freundin 42,6 min und mit Kollegen 3,8 min.

Ich habe mich beeilt, um mein Flugzeug zu erwischen. Ich habe dem Taxifahrer 25 % des Fahrpreises als Trinkgeld gegeben. Die Strecke vom Hotel bis zum Terminal betrug 11,7 km. Ich habe meinen Arbeitsplatz rechtzeitig erreicht. Ich habe gelächelt und jedem Fluggast beim Boarding einen Guten Tag und eine angenehme Reise gewünscht. 

Der Flat-Screen der Flughafenbar bringt jetzt Breaking News. Mein Flugzeug ist abgestürzt.

Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich werde zu 47 % ein glückliches Leben haben.




*


Montag, 28. Juli 2014

Unter Gleichen




Sie war angehende Akademikerin.

Neurose 5*.

Das arme, dünne Ding, das ich bei Aldi traf.

Schlimme Sache.

Habe eben davon erfahren.

Wurde von einem Bus angefahren.



Ich bin noch etwas geblieben…

…lagen schöne Rosen dort. Hab mir eine genommen.

Trage sie jetzt im Knopfloch…

Kommen aus Marokko. Na, ja. Gibt schönere.


„…kommet zu mir, Kinder, und werdet glücklich. Seid willkommen in meinen Armen…“


Die Eltern.

Auch Akademiker. Zumindest der Vater. Sie Angestellte. Er hat nach unten geheiratet. Realschule. 

Wirtschafts-Abi… Na, ja, abgebrochen.

Könnten ruhig mehr weinen.


Der Schuh vom Vater ist offen…


Das Ganze hat für sie auch was Gutes. Müssen nicht viel Bafög zurückzahlen.

Ob es morgen wieder regnet?

Ich hätte einen anderen Stein genommen.

Sandstein. Ich hätte Sandstein genommen. Hat so was Vergängliches.

Die Kinder jaulen rum, wie die Tölen...


„Haltet endlich Eure Fresse! Hier wird beerdigt!“


Kann die Eltern nicht verstehen.

Ein schöner Sarg.

Mit Fenster. Um den Kopf zu sehen.

Ob das jetzt Mode wird?

Was heute plastisch möglich ist…

Ob früher alles besser war?


Warum sie keinen Mann bekam?


Heute leben die Frauen homogam.

Hab ich irgendwo gelesen.

Ob es morgen wieder regnet?


Wußte nicht, was ich den Eltern hätte sagen sollen.

Als ich an der Reihe war, sagte ich einfach, was mich am meisten störte:


„Ihr Schnürsenkel ist offen...

Nein, der linke.“


Der Vater von Neurose 5 fing gleich an zu weinen. Er umarmte mich.

Wie warm er war.

Daß ich der einzige bin, der ihn verstünde.

Eine Frage des Status. Eben.

Bin Arbeiter.


Die Gärten trocknen, die Menschen welken…


Hat sie sich jetzt homogam nach unten gebettet.

Gleiche unter Gleichen.

Gleiche unter Leichen.



Bin noch was geblieben…




*





*[Kunststudentin, 23, Borderline, bi, analfixiert]


Beginners


Neben all den Filmen, die ich im Laufe meines Lebens schon gesehen habe, von Action bis Blut, von hart bis Gedärme, The Walking Dead bis Game of Thrones, Sherlock bis The Returned, The Deer Hunter bis Die sieben Samurai, fand ich Trost nur in T. R. Baskin (wunderschön einsam: Candice Bergen) und Beginners mit Mélanie Laurent und Ewan McGregor.

War ich der schlaflose Jeff Goldblum in Kopfüber in die Nacht, um Worte ringend brutal wie Arnold Schwarzenegger in Conan der Barbar, spitzbübisch wie Tom Selleck in Magnum, p. i., war ich The Hustler wie Paul Newman in Haie der Großstadt, Cary Grant in all seinen Filmen und wie er verliebt in Priscilla Lane in Arsen und Spitzenhäubchen, war ich immer nur wie James Dean in Rebel Without a Cause, …denn sie wissen nicht, was sie tun.

Begleitete mich die Musik bei meinen Schritten, in allen Milieus, die ich besichtigte.

Fleetwood Mac von Songbird über Storms bis Landslide, Vanessa Carlton von Paradise bis Rinse, Tindersticks’s Travelling Light, Fiona Apple’s Across The Universe, The Eagles’s Pretty Maids All In A Row, Pink Floyd’s Wish You Were Here und Lionel Richie’s Sail On, Nick Drake’s Place To Be und Debussy, Debussy, Debussy, doch nur Dan Fogelberg’s Same Old Lang Syne, Neil Diamond’s I Am I Said und If You Could Read My Mind von Gordon Lightfoot beschrieb mein Sein.

Untermalte alle meine Rollen.

Die man nicht beachtet. War ich der Komparse in Deinen Filmen. Im Hintergrund. Kaum sichtbar für die Aufnahmeleitung. Machte ich einen Schritt zur Seite, wo andere nach vorne traten. Besah die Szene von der Seite, während andere frontal in die Kamera strahlten. Wechselte die Perspektive, wo andere nur ihren Standpunkt vertraten. Bis ich eins mit der Requisite wurde.

Bin ich anwesend. Aber nicht vorhanden.

Niemand, dem man die Hauptrolle anbietet. Werde niemals den Helden spielen. Niemals in ein brennendes Haus rennen und die Hauptdarstellerin retten. Werde mir die Oscars im Fernsehen anschauen.

Aber ich war da. Am Rande eine Szenerie. Nicht im Scheinwerferlicht. Nicht sichtbar für die anderen. Immer einen Schritt zur Seite. Immer der, der freiwillig aus dem Bild geht. Und dadurch seine Perspektive wechselt. Aufmerksam. Freundlich. Höflich. Meist mit einem Lächeln auf den Lippen. Du würdest Dich nicht an mich erinnern. Unscheinbar. War ich nur Teil der Requisite.

Und als ich mir alle meine Rollen wieder vorspielte, die mich mein Leben lang begleiteten, all die Milieus, die ich besichtigte, ohne Teil dieser zu sein, nur Gast zu sein, der sie beobachtete, bemerkte ich, daß mir nur die eine besonders gefiel:

Die des Filmvorführers.

Der, der die Rollen wechselt, oder den Digitalfilm einlegt, damit sich in diesen Leben, übergroßen Leben, diesen gespielten Leben auf der übergroßen Leinwand, keine Rücke ergeben.

Ich bin kein Held, kein Star, keine Diva mit Allüren, kein Feuerwehrmann, der Katzen von Bäumen rettet, kein Gentleman, kein Lover.

Ich bin nur für mich da.

Es würde niemanden beeindrucken.
Und gemessen daran bin ich schon ganz zufrieden mit meinem einfachen Leben.

Mit meiner einfachen Rolle.

Schon andere Rollen sorgen für die Unterhaltung.


„Neben all den Filmen, die ich im Laufe meines Lebens schon gesehen habe, fand ich Trost nur in T. R. Baskin und Beginners…“





*


Sonntag, 27. Juli 2014

The Bangal Tiger Handkerchief


An diesen Enden zweimal umschlungen,

Einmal gewunden, Halt gab's dennoch nicht,

Rutschte herunter in feinen Bahnen,

Seidenhaut, ja zu sagen, geziemt sich nicht,

Auf Rücken noch zu blicken,

Im Gegenlichtgewissen,

Nur das Tuch zu küssen mit den gepaarten Augenlippen,

Nein, zur Hälfte, in Sperlingsgröße, ja zur Hälfte

Eines Kissens im Sitz auf spitzer Ferse,

Lag dort nun als Nachlaß rum,

Auf dem Sprunggelenk, im Versuche



 – das bengalische Tigertaschentuche.








*


Raketenhände


Orbiteraugen umkreisten in Niedervoltspannung die grüne Welt, die blauen Meere, die weißen Wolken, erfassten den silbernen Schweif, der sich aus der Atmosphäre löste, und dockten an die bevorstehende Landung der Space Explorer an. Supertramp’s Cannonball schoß auf die Tür, und sie öffnete sich mit einem unwirschen Zisch im Sauerstoffnebel der Verspätung. Zu den Orbiteraugen gesellte sich ein Satellit namens Mike, der sich die Zeit notierte. Niemand lachte zur Begrüßung, der Ernst der Lage ließ dies nicht zu. Die Mission war verloren.

Die Crew verteilte sich auf die Unterkünfte. Deren Köpfe unter den Achseln geklemmt wie die Raumschiffhelme. Man trennte sich wortlos. Sechs Duschen später und in enge Overalls gekleidet lagen sie auf den Pritschen. Zwölf Augen suchten in den Decken der Kabinen nach den Gründen für ihr Versagen. Unruhige, zuckende, glasige, starre, fragende, dumpfe. Die Orbiteraugen suchte man vergebens. Nach und nach, nach langem Ringen, legten sie sich schlafen.

Eve meldete sich nach fünf Stunden. „…Guten Morgen. Es ist jetzt 23:00 h. In 30 Minuten ist Besprechung. Ich wünsche einen angenehmen Tag…“ Eve war das automatisierte Computerprotokoll, das jedem Mitglied der Mannschaft von der Agency zur Verfügung gestellt wurde. Sie wurde so programmiert, daß sie Vertrauen allein durch ihre Stimme erweckte, die doch nur aus Bits und Bytes bestand, und sonst nur aus Schaltkreisen und Routinen. Doch jeder liebte sie. Tat sie doch nicht mehr, als das Gefühl zu vermitteln, anwesend zu sein. Und das war schon mehr als es andere vermochten, die auf der verlorenen Erde auf ihr Ende warteten.

Die Crew nahm im Besprechungsmodul Platz. Elektrodynamische Stühle stützten mit ausfahrbaren Zylindern die Rücken und Köpfe, Interfaces surrten sich vor die Gesichter. Computerzeilen erwarteten Befehle. Die Augen rauschten durch die Stellen, Lidschläge klickten enter. Große Monitore erwachten aus dem Schlaf. Die Erde erschien als Hologramm. Sie drehte sich um die Pole. Die Orbiteraugen riefen Eve.

„…Ich bin da, Commander…“

Schauten sich um. Jeder der Verlorenen gab sein Okay. Auf dem großen Monitor erschien eine Kapsel. Sie löste sich von der Station und beschleunigte, als die Raketen zündeten. Dann schlug sie auf der Erde ein. Ein kurzes Blitzen. Ein Warten. Dann implodierte die Welt ins Nichts. Die Antimateriebombe funktionierte.

„Eve.“

„…Ja, Commander… Ich bin da…“

„Spiel‘ Musik. Irgendwelche.“

„…Ich suche… Eintrag gefunden… Gaye, Marvin… Mercy Mercy Me… Haben Sie noch einen weiteren Wunsch?...“

„Nein.“

„…Vielen Dank, Commander, ich wünsche einen angenehmen Tag…“

Lag ein jeder auf seiner Pritsche. Fixierten Augen die Decke. Fragten, suchten, versagten, klagten, harrten der Lage und starrten.

Mike, der Satellit, notierte die Uhrzeit. Die Orbiteraugen spielten sich die Erde noch mal als Hologramm vor und hielten sie in beiden Raketenhänden. Umschlossen sie. Bis sie kleiner wurde und verging. Und nur ein Glitzerfunken übrig war. Bis auch der verschwand.

„Eve.“

War Eve so programmiert, daß sie Vertrauen allein durch ihre Stimme erweckte, die doch nur aus Bits und Bytes bestand, und sonst nur aus Schaltkreisen und Routinen, und keinen Gefühlen. Tat sie doch nicht mehr, als den Eindruck zu vermitteln, anwesend zu sein. Zu jeder Zeit. Und das war schon mehr als es andere vermochten, die auf der verlorenen Erde weilten, als die Orbiteraugen die Raketenhände schickten, sie in den Schlaf zu streicheln.

„…Ja, Commander…“

War Eve da.

„…Ich bin da…“



Immer da.






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