"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Dienstag, 29. Juli 2014

Montségur


Im Fallen griff er nach seinem Blaster, fand ihn im Holster, zog und ballerte was das Zeug hergab. Plasmablitze durchlöcherten die Luft, Wassertropfen zerplatzten, Kaskade. Doch diesen Sturz täuschte er nicht vor.

Vom Zync-Tower schossen grimmige Männer zurück, in die Tiefe. Eine Meile schwarzes Ungeheuer. Und je mehr er sich von deren Mündungsfeuer entfernte, desto näher kam er der Erde. Er würde auf dem Asphalt zerplatzen, wie einer der Wassertropfen. Soviel stand fest.

Er traf einen der Schergen. 2000° Hitze strahlten sich durch das Auge, ließen den Argwohn darin bersten und gruben einen Tunnel durch den Schädel. Sah man den Mann ohne Namen dadurch in die Tiefe fallen. Weiter feuernd. Die Zähne zum Beißen gezeigt.

Die Grimmigen holten einen Berserker hervor, ein Hochleistungsstrahlenmaschinengewehr. Halo-Ringe zuckten auf. Die Energieladung erreichte ihr Maximum. Feuer! Warum das Geballer hinterher schicken, wenn er eh auf dem Boden zerschellte? Für die Sekunden. Die er noch lebte. Darum. Und schickten ihm die Hölle hinterher. Auf dem Tower lagen die Körper der Belege.

Wird es keine Rettung geben. Metallisches Geklicke ersetzte das Pah-zung! der Plasma-Projektile. Das Magazin leergeschossen. Wird er keine der Männer mehr treffen. Heute. Auch sie hatten Leben. Regengeprasselnarben in entschlossenen Mienen zeugten von ihren Wegen. Rotzten ihm hinterher. Fluchten, weil sie ihn auch so nicht trafen.

Die Waffe entglitt ihm aus der Hand. Löste sich, wie ein Händedruck nach der Verabschiedung. Gab nun frei, was freigegeben werden mußte. Der Mann ohne Namen zog sich ein Lächeln an. Es gesellte sich als Schmuck zu einer schmutzigen Jacke. Auf Höhe des 205. Stocks, er hatte noch 7 Sekunden zu leben, begann er zu erzählen:

„…von allen Eigenarten des Menschen… von den Möglichkeiten mal abgesehen… und den Einsichten, zu denen man gelangt, die ja doch nur auferlegte sind, unterstellte man Absicht, …und den Gegebenheiten, die man vorfindet, aufspürt oder auftreibt, seien es die, für die man selbst verantwortlich zeichnet, oder jene die einem zugetragen wurden, …und den Gewohnheiten, die man unterhält wie eine Hure und nicht von ihr ablassen kann, weil man sie dafür bestellt, das Übrige aus dem Üblichen zu wählen, oder bei anderen für läßlich verdammt, …den Regeln, Sitten und Gebräuchen, die zu Bestellungen an das Universum, aber das Sollwert-gebende Selbst führen, wären nicht die gängigen Abwandlungen dagegen, …den Ablehnungen und Enthaltungen, die man für andere wertet, …den Fürsprachen und Fürbitten, die zu Gesprächen steuern, oder Stummheit erfahren, …den Verdächtigungen und Verwendungen, seien es jene, die man aus Trotz oder Verblendung in die Welt entläßt wie faule Kinder oder jene, die man aus Schutz, den man sich zulegt, und Trutz, den man sich aufbaut, vergeudet, …den Beweggründen und Standpunkten, die einem zum Laufen regen oder zum Verharren befehlen, …den Ansichten und Betrachtungen, die jene Blickwinkel bestimmen, die einem den Blick auf die Lage zulassen oder behindern, unter der Maßgabe, daß man über Augen verfügt, die nicht nur das Naheliegende beschauen, …den Bedenken und der Beklommenheit, die sich unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu Fragen trauen, …der Furcht und der Feigheit, Verlegenheit und Unentschiedenheit, die für das Betragen ein schlechtes Zeugnis haben, …den Zweifeln, die sich aus den Antworten, allen Antworten ergeben, zu allen vorherigen Fragen, …und mit der Unbefangenheit beschlagen, aus den Einsichten, Absichten, Gegebenheiten, Gewohnheiten, Gebräuchen, Ansichten und Betrachtungen mit Einbildung und Täuschung ein Lächeln zu basteln, das sich gegen die Schwerkraft erhebt, wenn man zu Erden fällt, um sich unten angekommen seiner eigenen Größe bewußt zu werden und wie klein sie aus der Entfernung wirkt, eine Meile im Fallen…, …von allen Eigenarten des Menschen…

…erstaunt mich doch eine immer wieder aufs Neue:


Daß sich jeder Narr für witzig hält.“



Schon bei „…von den Möglichkeiten mal abgesehen…“ schlug er auf.

Fuu-mmb.

Sein Körper zerplatze wie eine Wassermelone. Zu Tausend roten Stücken.

Trugen sie ihn. Die Worte. Für den Moment. Länger als die 7 Sekunden, die ihm noch blieben.

Rotzten sie ihm hinterher: Fluchten die grimmigen Männer, weil sie ihn auch so nicht trafen.



Trug die Regenspucke seine namenlosen Worte fort.







*






Statistisch gesehen bin ich glücklich


Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich arbeite für eine bekannte Fluggesellschaft. Ich fliege die Strecke New York-Frankfurt-Bangkok zweimal die Woche. Ich habe einen Facebook-Account, einen Twitter-Account und einen Flickr-Account. Ich habe zusammengenommen 348 Freunde. Mein Strahlen-Wert beträgt 2,1 Millisievert. Ich habe eine um 6,6 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Ich werde durchschnittlich 1,3 Kinder haben. Mein Mann wird zu 53 % ein Pilot meiner Fluggesellschaft sein.

Ich sitze an der Flughafenbar. Ich bestelle mir einen doppelten Whiskey. Ich schlucke die Hälfte herunter, die andere Hälfte leistet mir für den Abend Gesellschaft. Ich verfolge auf dem Flat-Screen der Bar Nachrichten. Ein Flugzeug mit aufgeblasener Notrutsche, ein Steward in Handschellen. Er lächelt in die Kamera. Er kündigte. Ich schlucke die andere Hälfte des Whiskeys herunter. Ich bestelle mir einen zweiten. Die Flasche leistet mir für den Rest des Abends Gesellschaft.

Ich besitze ein iPhone5, eine 12-Megapixel-Pocketkamera und ein Netbook mit 1 GB RAM und 250 GB-Festplatte. Ich besitze zu 23 % einen Kleinwagen und zu 8 % eine 2-Zimmer-Eigentumswohnung. Bevor ich 13 % der Wohnung erworben habe, werde ich zusammen mit meinem Piloten, der durchschnittlich 45,1 Jahre alt ist, ein Haus mit 5,2 Zimmern und 167 m² beziehen. Ich werde in der Woche 23 kg Abfall produzieren, 761 Liter Wasser verbrauchen und in den ersten 3 Jahren unserer Beziehung 1,9 mal Sex in der Woche haben. Zu 48 % werde ich 6,7 Jahre verheiratet sein.

Die Tresenhocker der Bar sind zu 7/8 besetzt. 2-mal Business Class, 3-mal Economy, 1-mal Stopover. Der Flat-Screen zeigt jetzt Naturkatastrophen. 2 Überschwemmungen, 1 Erdrutsch und 1 Erdbeben der Stärke 5,9 auf der Richter-Skala. Pro Nachrichtensendung kommen durchschnittlich 63,5 Menschen ums Leben. Weitere 137,3 kommen zu Schaden. 2 wundersame Rettungen. 269 Angehörige, die auf Mitteilung warten. Es ist ein busy Tag. Am Ende des Abends wird mein Blutalkoholwert 1,75 mg/g betragen.

Ich besitze 22 Paar Schuhe, 6 Hosenanzüge, 5 Sommerkleider und 9 Paar Jeans. Zu 64 % trage ich meine Flug-Uniform, 33 % meiner Freizeit-Kleidung ist ungetragen und 18 meiner Paar Schuhe sind Fehlkäufe. Ich gebe im Monat durchschnittlich 11,6 % meines Netto-Einkommens für Kleidung, 5,7 % für Kosmetik und 7,9 % für Nahrung aus. 71 % meiner Kleidung versteigere ich nach durchschnittlich 2,3 Monaten auf eBay. Meine Handy-Rechnung beträgt zwischen $ 178 und $ 295. 1,7 mal pro Woche telefoniere ich mit meiner Mutter, 4,6 mal mit meiner besten Freundin, 8,3 mal mit Kollegen. Die durchschnittliche Redezeit mit meiner Mutter beläuft sich auf 24,9 Minuten, mit meiner Freundin 42,6 min und mit Kollegen 3,8 min.

Ich habe mich beeilt, um mein Flugzeug zu erwischen. Ich habe dem Taxifahrer 25 % des Fahrpreises als Trinkgeld gegeben. Die Strecke vom Hotel bis zum Terminal betrug 11,7 km. Ich habe meinen Arbeitsplatz rechtzeitig erreicht. Ich habe gelächelt und jedem Fluggast beim Boarding einen Guten Tag und eine angenehme Reise gewünscht. 

Der Flat-Screen der Flughafenbar bringt jetzt Breaking News. Mein Flugzeug ist abgestürzt.

Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich werde zu 47 % ein glückliches Leben haben.




*