"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 27. September 2014

RAL 6000




Vorbemerkung

Man kann dem Menschen alles nehmen.
Sein Habe, seine Hoffnung, seine Heimat, sein Heim. Kriege böten sich da an.
Selbst wenn er nichts mehr besitzt, selbst das eigene Leben nicht mehr, also tot ist, so besitzt er doch immer noch eine Sache: Farbe.
Ich habe nie verstanden, warum es Photographen gibt, die in schwarz-weiß photographieren. Dadurch nehmen sie dem Menschen noch das letzte, was ihm immer bleibt. Selbst wenn er nichts mehr besitzt, alles verloren hat, tot vielleicht sogar ist. So als wollte man für immer auslöschen, was einen Menschen ausmacht.

RAL 6000

Irgendwie geben mir Bilder, die nur aus zwei Farben bestehen – schwarz und weiß –, das ungute Gefühl der Vergänglichkeit.
Ich betrachte sie.
Und wenn ich sie betrachtet habe, dann habe ich ein Gefühl im Magen – und einen riesengroßen Hunger auf heißquietschbunte Beize.

Wäre ich eine Farbe und wäre mir bewußt, diese bis ans Ende meines Lebens für alle sichtbar außen als Haut zu tragen, dann wäre ich glänzend unsichtbar.
Ist Zauberfarbe, die mit jedem neuen Wischen an Händen abfärbt, an all denen da, die nach mir greifen. Als wäre ich unsichtbar, nur da, zum Begreifen da, weil ich Angst erzeuge, ich könnte schon den Raum verlassen haben. Und greifen um sich. Wild. Um sich zu vergewissern, daß ich noch da bin. Und greifen nach allem, was ich habe.

Ob ich will, ob nicht.

Stille meinen Hunger. Stillen ihren an mir. Und frage mich oft selber, welche Farbe sich im Magen ergibt, mischte man das Unsichtbar mit dem bunten Wirrwarr zusammen, das eine ganze Palette ergibt.
Wäre ich so zumindest nicht unsichtbar und hätte keine Angst vor all diesen Pinselfingern, die nach mir langen und ihren damit betunken, damit sie selber malen können, solange der Vorrat reicht, und nicht merken, daß sie mich in Fetzen reißen, weil sie immer gierig nach zuviel verlangen.

Wäre ich eine Farbe und könnte ich mir eine wählen, ohne sie zu sehen, dann wäre ich RAL 6000 – Patinagrün.

Wie komisch. Ist das doch die Signalfarbe für Rettung. Und für Gefahrlosigkeit.
Mische heimlich RAL 2003 hinzu, nur ein schneller Schluck Pastellorange. Man kann nie wissen. Das ist die Kennfarbe für den Durchfluß von Säuren.

Fragt sich – ob ich will, ob ich nicht –, wer die Rettung ist, wer die Gefahrlosigkeit, wer die Säure ist – und wer es nicht.

Welches RAL wohl farblos ist.




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Freitag, 19. September 2014

Schnappverschlüsse – schnapp–schnapp: Pupillen


„Nur ein Satz. Laß mich nur einen Satz sagen.“

Die Drücker noch zu finden, davorstehend, an beiden Oberarmen…

Epauletten, so buschig, daß sie einem Walross gut zu Gesicht ständen, kämmten sich gegen den Strich gebürstet auf, als Wimpern oder Zwinkern, oder Wägen, und Herr Goldschmit erwartete mich wie einen Sortierungsvorgang dort – schon –, was ich umso mehr schätze, da ich Lob erhoffte für meine Wahl, die ich vor mein Sakko in Motion hielt, höher ein wenig, um mich nicht aufzudrängen, ein wenig tiefer, um mir keine Blöße zu geben, dann doch lieber in einer Haltung nur: am Hosenbein hängend, meine Linke suchte ihre kosend in der Bundtasche, dann schon etwas dahinter, dann hielt ich meinen Fund doch vor, im Vau der Unschlüssigkeit beider Arme, meinen Schoß schützend, während er gekonnt Handberge neuer Waren durch Regalfächer jonglierte, was nicht einfacher war, aber wieder mal blickte, da sich noch Regenmäntel durch die begrenzte Auslage aalten – quietschend, da sich deren Gummiüberzug des Stoffes über die blanken Metallstreben an beiden Seiten küßten –, auch der mit der Streichholzschachtel zwischen den Zähnen – hatte inzwischen von irgendwo her Feuer gefunden –, und ein zweiter, der nicht weiter vorkam – aber die Enge nutzte und sich in den Winkel zwischen Regalende und Wand verkriechen wollte –, ließ schüchtern fallen, was er in unbeobachteten Momenten für sich auswählte, nur für sich selbst – einen Einkaufszettel als Spickzettel zwischen Lebenslinie und Daumenbeuge buntgestiftet, als Auftrag zu erfüllen, als schlechteres der Gewissen, weil fremdgestiftet, darunter die Furchen dagegen, worauf man malte als Ausflug zu den Wiesen im Innern des Ertastens, die man lieber ungemäht läßt, so man bequemer liegen wollte zwischen all den Kritzeleien, den Abschweifungspusteblumen, den Krakelkadavern und den Schwalbenmustern, die man noch hinzufügte, besser als zwischen irgendwelchen Luftballons oder Blätterflügeln, vor denen jeder Sommer, und sei er nur gemalt, flüchten mußte –, da er sich ertappt sah, obschon er doch nur Attrappe war, wie man ihm verordnete, sich trotzdem noch mal schnell in die Handfläche schickte – vielleicht, um eine eigene Regung zu spüren, wer weiß das schon? –, und wartete darauf, daß man sein Ungeschick aufhob, wohl – wer weiß das schon? –, weil er sich bedienen lassen wollte, aber nur gerechte Unbeachtung liegen ließ, über die man zuweilen stolperte, da sich die Enge in Portionen teilte, oder stieg – einfach so.

 „Das waren schon zwei.“

Nach den Schlüsseln zu angeln, da sich nichts bewegte.

Ich entschied mich, diesen Gang nun doch zu meiden. Wollte nicht unhöflich erscheinen, und Herrn Goldschmit bei seiner Arbeit stören. Drei Augenköder – die Stehgarderobe, der Gang zwischen Tresen, und Frau Ming in ihrer Mustergültigkeit. Entschied mich, den letzten Gang zu meiden, an der Garderobe würde ich beim Hinausgleiten noch vorbei kommen, und legte das Buch zum Zahlen auf den Tresen. Sie tippte ihren Wert in die Tasten der Kasse mit spitzen Fingern, deren Nägel so rot waren, weil sie sich die Farbe vom                stahlen.

Bujumbura, 28°, 4°. Out of Africa. Zwischen Lake Victoria und dem Faden Tanganyika.

Das Innenmuster der Garderobe öffnete sich wie Schnappverschlüsse eines Koffers auf Reisen und legte sich wie ein Blatt Papier als Karte auf meine Faust. Und indem ich sie herauszog, meine Faust, glättete ich gleich meine Befangenheit an den Fugen des Schaufensters in der Starre. Zwischen Restaurants, Galerien und Boutiquen. Wäscheleinenampeln. Augenblicksgerempel. Eine Farbpfütze erinnerte an den frischen Auftrag. Ich ging in Hocke, stippte meinen Finger hinein, dann schrieb ich auf die Versprechen hinter Glas, hinter Stein:

‚Hallo‘ ist das Pfandleihhaus des ‚Auf Wiedersehen‘.

Wolken... Wolken. Köpfe in den Wolken. Bewegte Stämme, nicht minder die Blätterpracht.
Wolken... Wolken. Ein Wald in Regung.
Bujumbura, 28°, 4°. Out of Africa. Zwischen Lake Victoria und dem Faden Tanganyika.
Tränen... Tränen. Regenwald. Tränengas verflüssigt sich gerade...






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