"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 27. April 2016

L


Lisa hat ein Problem.

Nun, da Laura dasselbe hatte und der Sommer sich dort zeigt, wo er am schönsten ist – am Eisbecherstand, oder im Fernsehen –, sollte ich Lisa jetzt mehr Aufmerksamkeit widmen.

Lisa – die dasselbe Problem wie Laura hatte, das zweite war, daß sich eine Dame nie mit einer zweiten verglichen sehen will; aber das ist aus meiner unbefangenen Sichtweise, die sich mir im Laufe der Zeit ausgeprägt oder eingebildet hat, nun wirklich vernachlässigbar – ist entzückend. Das stammt nicht von mir. Das Wort. Entzückend. Und es war auch nicht für Lisa bestimmt, aber es stimmt. Lisa ist nun mal entzückend.

Und während ich mir schon vorstelle, wie wir unsere Kinder aus den Tagesbeschäftigungsstätten des Bildungsangebotes wechselseitig abholen, unseren geregelten Tagesalltag organisieren, um müde am Tage oder am Abend zwischen den vielfältigen Beschäftigungsfeldern wie Schreiben und Fernsehen hin und her zappen, als wäre dies bei Menschen so ohne weiteres ohne weiteres so einfach möglich, nagt ein kleines bißchen, klitzekleines bißchen Lisas Problem an meiner Kopfhaut.

Ein fast nicht verspürbares Jucken. Nicht weiter wichtig. Aber vorhanden. Und so kratze ich es. Nur ein bißchen. Ein klitzekleines bißchen kratze ich an meiner Kopfhaut. Hm, nur das Jucken bleibt.

Während also unsere Kinder heranwachsen, uns stolz über den Kopf wachsen und uns in weiterer Hinsicht – dieses Wort kommt entzückenderweise verhäuft vor – auch nicht allzu peinlich sind, wir ihnen selbstredend vor ihren Freunden natürlich auch nicht, während wir unserer Beschäftigung nachgehen, stemme ich mich gegen den schon ausgeprägten Juckreiz, den ich mit den Jahren allerdings erfolgreich – also vor ihren wunderschönen Augen – zu unterdrücken versuche. Wären sie nicht so wunderschön, so unterdrückte ich ihn wohl weniger ausgeprägter, aber umso effektiver, damit Lisa sich keine Sorgen darum machen müßte, was denn nun Lisas Problem, klitzekleines Problem sei.

Nun, daß sie dasselbe Problem wie Laura hatte, das ist offenbar kein großes Geheimnis mehr. Und für unsere Beziehung spielte das im weiteren Verlauf auch keine weitere größere Rolle. Aber es juckte. Mit der Zeit. Erst die Kopfhaut. Dann am ganzen Körper. Und während ich mich vermehrt duschte, nachdem ich Lisa zur Begrüßung drückte, nachdem sie von ihrem Fernsehjob zurück in unser behagliches Nest zurückflog oder zur Verabschiedung, wenn sie zu ihrem Job flatterte – und ihn asymmetrisch gut beherrschte, wobei ich mir ihre Asymmetrie wohl eher einbildete, weil sie ihre Kopfhaut samt Frisur so asymmetrisch schön trug, daß ich sie bei ihrer Arbeit vor der Kamera kontrollierte, es ihr aber verschwieg, daß ich es tat, damit sie sich nicht so ohne weiteres kontrolliert vorkam, auch wenn es sich nicht vermeiden ließ, daß noch zwei, drei andere Zuseher den Fernseher einschalteten, um ihr bei der Arbeit zuzuschauen –, versuchte ich, dieses Jucken eher auf mich zu schieben, mir also ein Problem zuzuschreiben, daß zweifelsohne nicht meines war – nämlich Lisas – und dieses so auf mich nahm, damit sie eines weniger hatte und ich endlich mein Jucken loswürde.

Während also unsere Kinder studierten und in dieser Zeit der Praktika, Auslandssemester und Umbrüche ihre Partner wechselten, häufiger als ihre Facebook-Freunde, und sich für sie alles zum besten ihrer Eltern – also uns – entwickelte, nahm ich Lisas Problem, die sich mehr und mehr in das Sommerprogramm der Wetterschau entschuldigte, an. Sie kam zu einem schreibenden, sich ständig waschenden Hausmann, der sie alsbald, als sie zur Tür herein kam, zur Seite nahm, ihr einen Knutscher auf die Wange drückte, nachdem er dieses schmale Persönchen lange drückte – und rubbelte sie ab, kratzte sie am ganzen Körper, fing mit den Oberarmen an, arbeitete mich zu den Handgelenken vor, dann beide Seiten des Rumpfes, dann den Rücken, dann die Oberschenkel und so weiter. Dies wiederholte ich einige Jahre.


Bis Lisa – die dasselbe Problem wie Laura hatte – sich endlich ihr Problem eingestanden hatte.














*







Es gibt auch noch Lor, Lia, Linda. Irgendwelche Vorschläge, welche Baby-Vornamen ich sonst noch nicht verwenden darf, hm?
Ich habe wohl eine Vorliebe für Namen mit L, Chloe, Balia. Und wer sonst noch?
Amateurhaft beschreibe ich, wie schamlos intim Fernsehen geworden ist:

Frontales Gesicht, Großaufnahme, lange Blicke.

Und wie Fernsehen in die eigenen intimen Wohnräume eindringt, schon in körperlicher Nähe, als simulierte es eine private Beziehung mit dem Fernsehzuschauer und täuschte sie ihm vor samt gemeinsamen Einzug ins Lebenszimmer, um dranzubleiben beim Lebenskuscheln. Das Gesicht ganz groß und lange Blicke:

Hey, vielleicht wird ja noch was draus zwischen uns beiden. Dir und mir, süßer Flat-Screen.

Frontales Gesicht, Großaufnahme, lange Blicke kennt man aus privaten Beziehungen.
Die sind sehr intim. Und interagierend. 
Üblicherweise wendet man den Blick ab, um intime Blicke abzumildern, wenn fremde Menschen sich gegenübersitzen. Fernsehgesichter wenden sich nie ab. Gleiches gilt für Instagram-Gesichter, die sich nur frontal zeigen. Nah. Näher. Noch näher.
Daher schon fast das Körperliche. Als Zuschauer ist man dem ausgeliefert. 

Also warum daraus nicht gleich eine Beziehung machen? 

Verschriftet. Juckend. Netzhaut an Netzhaut.

Fernsehen geht mittlerweile weit über das 'Gesicht-Zeigen' hinaus. 
Es nutzt Reiz- und Silhouetteneffekte schamlos aus, die man sonst nur aus der Brutpflege und Paarbildung kennt.
Fernsehakteuren fällt das zu Intime gar nicht mehr auf.
Nur, wenn man drüber schreibt und sie damit ironisch konfrontiert.
Dann empfinden sie es als zu intim und beschweren sich. Und fühlen sich im Recht.
In einer rechthaberischen Paarbeziehung.

Kann Literatur intim sein?

Während man sich selber ob dieser erzwungenen Nähe schon kratzt. 
Läuseküsse nenne ich das. Läuseküsse mit L.
Vom Fernsehen übertragen. Juckt es einen schon. Beim Hinsehen schon.
Beim Netzhautkuscheln. Dieser Nähe wegen.

Juckt es Ihnen nicht auch schon?

Es sind halt empfindsame Gesichter. 
Also lieber nicht zu lange bei einem verweilen und umschalten.
Sonst erröten sie noch.

Und wer will schon Rotstich auf seinem Fernseher?

Natürlich mag es auch reflektierte Menschen unter ihnen geben. Die sind rar:

Und umso toller. 

Die machen sich auch schon längst Gedanken, wie sie ihre Beziehung mit sich führen wollen, während andere ihnen dabei zusehen. Vielleicht besitzen sie Humor und Biographie. Und haben sich eine oben erzählte Abreibung verdient. Humor und Biographie reibt Blicke ab. Wo sonst nur Verwünschungen anhaften.









Linda läßt sich Norwegen nicht schenken. Dubai wäre ganz Okay.


Linda, muß man wissen, besitzt schon Länder wie Feldherren Armeen. Die besiegten zählen nicht.

„Lind…“, begann ich, und konnte nicht mal ihren Namen beenden, ohne daß sie schon wieder nach einem anderen Kontinent schielte mit Dutzenden Ländern, die man sich noch so schenken lassen könne. „…a. Ich kann Dir Norwegen nicht schenken. Norwegen gehört den norwegischen Menschen, den Wikingern, den Trollen und den Fjorden. Die Fjorde haben sich zur Union der Landschaften zusammengefaßt und gehören jetzt der NUNO an. Das N steht für Natural, nicht für Norwegen. Was die Norweger aber gerne mal Pipifaxen machen läßt, wenn sie untereinander von sich von einer weltumspannenden Organisation sprechen, deren Namen sie sich für sich selbst wählten, während die Trolle in der TUNO sind und gerne mal mit der Wildfangquote der Thunfische in ein Netz geworfen werden, wobei das selbstnatürlich dazu führte, daß die Wikinger Enten auf dem Kopf tragen zum Schutz vor fliegenden Holländern, die einen Hafen suchen, in dem sie anlanden können, zudem diese allerdings nicht wissen, daß die Haarpracht unter den Entenschnäbeln versandet sind bei den Wikingern und deshalb zum ‘Pizza Oildriller‘-Essen Kronen tragen – wie jeder weiß –, um die um langen Spieße gewickelten Spaghetti senkrecht geflochten auf Salami und Basilikumblättern ruhenden runder See aus Steinofenteig gefertigten Meeresbeuten bei Kate und Katalin aufzurüsten, nicht abzubauen beim Essen, aufzurüsten, um dergestalt Ausdruck zu finden und zu geben, Reich eines Landes der Gesellschaft der NOUNO zu sein, wozu NO hier mal den Norwegern dient, konnte ich Linda Norwegen nicht einfach so schenken.

„Du hast Schweden, Finnland, Estland, Litauen wolltest Du nicht, Rußland schlägt Dir aufs Gemüt, Amerika wollen selbst die Engländer nicht mehr, Afrika gehört mir, die Antarktis ist schon für die Schmelzblüte verplant – ich suche gerade nach Co-Investoren, um die freigewordene Landmasse mit Pflanzen zu atmosphärisieren, verscherbel‘ ein gutes Drittel, zwei Drittel des Eisregenwaldes behalte ich unter Naturschutz, verkaufe die Lizenz, den nicht abzuholzen, an die Sahara, die so nicht dorthin gelieferten Bäume sorgen sich um das Klima in dieser trockenen Region der Erde, die mir zu 20% eigentümlicherweise besitzanzeigend und fürsorglich mein ist –, Italien ist befreit, aber Norwegen?
Ich tausche Dein Belgien (eh nix mehr wert) gegen Liechtenstein, poppe Slowenien obendrauf, bündle das Bundle mit Bulgarien, die Donau verläuft zu gut und biete Dir alle drei für den Verzicht auf Skandinavien-links-oben an. Du maulst?“

Linda mault. Linda sieht das immer zu schwarz. Ich schicke sie in die Türkei. Als Zypriotin versteht sie die Spitze. Vielleicht überspannt sie den Bosporus in längsverlaufender Richtung bis nach Kreta und befreit den Minotaurus aus seinem Labyrinth, aber da glaube ich ja selbst nicht dran.

„Hier. Kannst Du haben.“

Sage ich ihr noch zum Abschied. Soll sich dran verschlucken. Und ich schwöre, in ihren Augen zwei Tränen gesehen zu haben – vor Rührung , eine größer als die andere. Asymmetrische Tränen. Einer dieser beiden kann ich einfach nichts abschlagen.

Die andere wischte ich zusammen mit Nasenrotz an meinem Cord-Revers ab.



Gelassen, denke ich.












*