"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Montag, 14. Juli 2014

Der Bus, der fliegen wollte

Vielleicht. Vielleicht steige ich ein. Vielleicht in den Bus der Linie 314. Und wundere mich, als ich sie dem Busfahrer vorzeige, daß mich meine Fahrkarte nicht dahin bringt, wohin sie mich bringen will. So stecke ich sie wieder weg. Vielleicht träumt der Busfahrer davon, zu fliegen, wenn er sich geschützt vor den Augenblicken der Fahrgäste wähnt, und auf den roten Knopf für die Türen drückt.

Vielleicht setze ich mich in eine der Reihen. Vielleicht gefällt mir das Fenster, aus dem mein Blicken entfliehen will, es mich aber nicht dahin bringt, wohin ich will. Sehe immer dieselben Straßen, dieselben verschlafenen Häuser, gerade aufgewachte Autos. Vielleicht träume ich am Morgen. Vielleicht träumen die Schulkinder vom Morgen. Nicht vom Mathe-Unterricht, Deutschunterricht, Erdkundeunterricht. Vielleicht träumt die Frau in abgenutzten Kleidern von neuen. Die der Bus zur Arbeit und diesen neuen Dingen bringen soll, aber niemals Neues nach Hause bringen läßt. Vielleicht träumen wir alle. Und wissen es nicht.

Wären nicht die Scheiben dagegen, so könnten wir die Arme hinauslehnen, den Wind spüren, dann strecken. Gäben diesem Bus Flügel. Könnten spüren. Den Aufwind spüren. Und würden uns nicht mal wundern, wenn es uns gelänge, selbst den Wind mit unseren Händen zu fangen. Vielleicht würden wir über die Stadt hinaus zu unseren Zielen gelangen. Fernab aller Straßen, Ampeln oder Zwängen.

Wären, ja, wären da nicht die Bushaltestellen dagegen. Stiegen nicht neue Seelen und Gesellen ein zu neuen Zwischenhaltestellen. Fuhr der Bus nicht ständig an, um ständig wieder zu stoppen. Hülfen auch nicht alle ausgestreckten Hände, um abzuheben. Bräuchten mehr Anlauf. Müßten Fahrt aufnehmen. Das Nicken des Busses durch das Beschleunigen und Abbremsen zwischen den Haltestellen entlockt meinem Kopf einen Kommentar. Sage zu allem Ja und Amen, nicke bejahend, obwohl mich die Unterhaltung langweilt und gar nicht zustimme, nur, um meine Ruhe zu haben. Meine Ruhe in diesem Bus. Beim Träumen. Am Morgen.

Merke gar nicht wie jemand zusteigt. Schaue nach links vom Fenster mit seinen Straßen weg. Wendet sich mein Kopf, nur, weil er sich mal wenden muß. Schaue plötzlich in zwei Augen. Zwei. Sehr. Schöne. Erahne ein hübsches Gesicht. Schauen uns zu lange in die Augen. Zu lange für flüchtiges Blicken.

Erinnere mich. Vielleicht an einen anderen Morgen. An anderes Träumen. Setzte sie sich in die leere Sitzreihe direkt vor mir. So nah, daß ich sie hätte berühren können wiegte sie ihren Kopf vor meinem. Drehte ihn zur Seite. Konnte ihre Augen sehen. Von der Seite. Mit diesen getuschten Wimpern, die ich so mag. Weil sie verraten, was eine Frau zu verheimlichen mag. Vielleicht hätte ich sie ansprechen sollen. Was man nicht macht. Nicht im Bus. Nicht beim ersten Mal. Bei dem man nicht mal weiß, daß es ein zweites geben wird.

Betrachtete ihre Haare, ihren Zopf. Lange Minuten. Von Haltestelle zu Haltestelle. Wo sie wohl aussteigen wird? Der Bus bremste ab. Sie stand auf. Der Busfahrer drückte den roten Knopf für’s Öffnen der hinteren Türen. Sie stieg aus. Ich sah ihr noch lange nach. Und es gefiel mir, was ich sah. Wäre es nicht das erste Mal gewesen, wäre ich nicht am Träumen.

Vielleicht träume ich. Auch beim zweiten Mal. Als wir uns zu lange für einen flüchtigen Blick in die Augen schauen. In das Dahinter trauen. Zu weit für einen frühen Morgen. Zu nah für eine Busfahrkarte, die uns weiter bringen soll. Vielleicht am nächsten Morgen.

Sie steigt aus an selber Stelle. Blicke ihr zu lange hinterher. Es gefällt mir, was ich sehe. Und wären nicht die Scheiben dagegen, ich streckte ihr meine Arme entgegen. Von hinten. Um sie zum Halten zu bewegen. Um sanft ihren Kopf mit diesen schönen Haaren zu streicheln. Drehte sie sich im Lächeln halb geschlossener Augen der Erwartung eines guten Bekannten, den sie lange nicht mehr getroffen hatte, zu mir, diesen Händen entgegen. Öffnete nun die Augen voll.

Am nächsten Morgen steige ich in den Bus. Vielleicht. Vielleicht träume ich. Das Nicken des Busses durch das Beschleunigen und Abbremsen zwischen den Haltestellen entlockt meinem Kopf einen Kommentar. Sage zu allem Ja und Amen, nicke bejahend, obwohl mich die Unterhaltung langweilt und gar nicht zustimme, nur, um meine Ruhe zu haben. Meine Ruhe in diesem Bus. Beim Träumen. Am Morgen.

Bei einer bestimmten Haltestelle wache ich auf, schaue ich auf.

Wie ein Falter seine Flügel öffnet der Bus der Linie 314 seine Eingangstüren, um zu fliegen.

Egal wohin. Irgendwo hin. Wohl, weil der Bus fliegen will.








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