"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 11. November 2017

Was sie verloren haben


"Ihr kennt nur noch Menschen, die ihr in Cafés trefft.", könnte man Menschen vorwerfen.

"Und die kennen auch nur mehr Menschen, die in Cafés sitzen."

Aber das wäre ja ein Vorwurf, und ein Vorwurf ist nie gut.
Denn er ist ja ein Verwurf, der zu einem Verlust führen kann. Und Verlust ist schlimm.

Verlust beinhaltet ja erst mal Besitz. Verlieren kann man ja erst etwas, was man besitzt.
Und besitzen tut man schon mal viel. Im Zweifel: Andere Menschen.

Die lassen sich gut besitzen. Das ist ja das Praktische an Menschen.
Daß man die gut besitzen kann. Die kann man gut in die Tasche packen.
Und in der Tasche versteckt sich mitunter der gesamte Besitz eines Menschen.

Ob der gesamte Besitz in eine Birkin-Bag paßt? Aber sehr wohl! Schau mal nach.

Wohnungsbrand? Birkin-Bag! Da paßt der gesamte Besitz schon mal rein.

Zurück zum Vorwurf. Dem guten, besitzergreifendem Fürwort: Verlust.
Da wird der Verlust schon zuerst beschrieben, bevor man erst etwas besessen hat:

"Aber, ich hätte Dich ja besitzen können!"

Das Internet macht Dinge.


Kofi, also Kofi besitzt nicht viel.

"Ist der Tabak aus dem Müll? Nicht im Müll wühlen.", sagt er und sagt meinen Namen.
Ich zeige Kofi die versiegelte Tabakdose von Lidl. Ich schwenke sie. Kofi schaut sie sich genau an.
"Danke.", sagt Kofi dann. Und sagt meinen Namen. Dann geht er.

"Und sonst, Kofi? Alles gut?"
"Alles gut.", sagt Kofi. Und sagt meinen Namen.

Im Verlust steckt die Lust, die man verloren hat. Deshalb heißt es ja Ver-Lust.

"Ich hätte jetzt gut Lust, Dich zu besitzen." sagen Menschen, die talken, wenn sie schmollen.

Rolf will mir immer Dinge andrehen. Aber eigentlich will er nur mit mir einen Zigarillo rauchen.
Sein Zigarillo geht immer wieder aus. "Ich kann ja nicht gleichzeitig reden und ziehen."

Es zieht sich immer mit Rolf. Aber er raucht auch nur einen Zigarillo. Und den will er auskosten.
Dann geht Rolf.

Herr W. gibt mir die Hand. Wir reden. Herr W. ist nett.
Herr W. ist immer nett. Wie mein Inder. Der ist auch immer nett. Der fährt immer Rad. Wir geben uns immer die Hand. Wir treffen uns im Aufzug. Ich gebe Rolf auch die Hand.

Es hat lange gedauert, bis Rolf wieder jemandem die Hand geben konnte.
Kofi gebe ich selten die Hand. Er mag das nicht.

Ich legte ihm mal eine Tüte Chips vor seine Tür. Kofi klingelt.
Er sagt meinen Namen. "Hast Du hingelegt?" Er zeigt mir die Chipstüte. Er schwenkt sie.
Ich schaue sie mir genau an. "Nicht auf den Boden legen." Und er sagt meinen Namen.
Er gibt mir die Tüte zurück.
Ich legte ihm mal zu Weihnachten einen Schoko-Weihnachtsmann vor die Tür. Er klingelte. Er sagte meinen Namen. "Hast Du hingelegt?"
"Ja, Kofi. Es ist doch Weihnachten."
"Nicht hinlegen. Nicht auf den Boden legen." Er gab mir seinen Weihnachtsmann zurück. Dann ging er.

So ist Kofi.

Du nötigst mich, zu sagen, daß Kofi schwarz ist. Du bist Rassist.

Ich höre von talkenden Menschen, die Menschen Dinge vorwerfen.


Im Sommer hielten wir unsere Arme zusammen. "Kofi.", sagte ich lächelnd. Ich besitze Humor.

"Wir haben beide dieselbe Farbe."

Kofi schaute mich an. Kofi schaut immer lange. Ich zeigte auf seine Augen.

"Wir haben beide dasselbe Weiß im Auge. Wir sind gleich." Kofi schaute lange. Dann zeigte er mir lange lächelnd seine weißen Zähne.

"Du bist verrückt." lachte er. Und sah mich kopfschüttelnd an. Und lachte meinen Namen.


Kennst Du eigentlich Deine Nachbarn beim Namen? Ich kenne auch nicht alle.

Und Susanne ist die gute Seele. Aber Peter, Peter hat mir schon mal auf die Augenbraue geschlagen.

Ich saß. Er kam, und wollte mir die Hand geben. "Ich geb' Dir die Hand nicht.", sagte ich.
Er hielt sie noch mal hin. "Nein, geb' ich Dir nicht."

Dann haute er mir mit der Faust auf die Braue. Ich blieb einfach sitzen. Ich bin ich. Und Peter ist Peter.
Letztens gaben wir uns wieder die Hand. Peter ist nun mal Peter.

Mit Rolf war ich auch mal in einem Café. Ich lud ihn ein. Er aß sehr schnell die Torte. Dann wollte er schnell wieder gehen.
Rolf mag es nicht gerne, unter Menschen sein. Es hat lange gedauert, bis Rolf wieder in ein Café gehen konnte.
Es war eine Bäckerei. Er will mir immer Dinge schenken.

Der Frühling umarmt mich.
Ich kenne noch nicht einmal ihren Namen. Aber immer, wenn wir uns sehen, umarmen wir uns.
Ich mag den Frühling sehr. Wir lächeln, und umarmen uns noch einmal mehr. Ich nenne sie den Frühling.
"Du bist der Frühling.", sage ich ihr. Und sie lächelt wie der Sommer.

Jan gibt mir auch immer die Hand. Er lacht auch immer. Er sagt immer meinen Namen mit Ch. Er ch-chzt immer. Ich muß auch immer lächeln. Werner tadelte mich mal, während wir uns die Hand gaben: "Merk' Dir mal meinen Namen!"

Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis.

Bennys Namen vergesse ich immer. Er heißt auch nicht Benny. Er grüßt mich auch nicht mehr.

Benny braucht sehr viel Wärme. Ich habe ihn mal nicht reingelassen. Er kam zu häufig vorbei.
Benny hat das verletzt. Benny mag nicht mehr mit mir sprechen. Aber wir grüßen uns wieder.

Ich höre von Menschen, die nur mehr Menschen kennen, die sie im Café treffen. Oder sie schauen diese Serien.
Oder sie beten junge Frauen der Göttlichkeit wegen an, wenn sie singen. Oder sie bereden die Welt.
Theoretisch. In Cafés. Und haben diesen vergöttlichten Glanz in den Augen dabei, wenn sie talken.
Theoretisch.

Was sie verloren haben.


Besitz kann ich in meinen Nachbarn nicht erkennen.

Manchmal schreibe ich. Manchmal schaue ich, was andere in ihre Birkin-Bag stecken. Immer neide ich nicht.

Was hast Du verloren, was Du noch nicht besessen hast?


Was auch immer.


Es paßt in eine Tasche.


Einmal gab es Feueralarm. Es roch nach Qualm. Ich schaute mich um. Ich packte eine Tasche.
Dann sagte ich meinen Nachbarn Bescheid. Das Haus brannte nicht ab. Ich packte die Tasche wieder aus.



Es war nicht viel in meinem Leben. Aber ich kenne ihre Händedrücke.







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