"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Von der Unerläßlichkeit, verrückt zu sein


Was unterscheidet einen Psychiater von seinem Patienten?

Das Ausfüllen des Rezepts.


Neulich, es müssen Sterne zu Boden gefallen sein und neue geboren, saß ich mit drei Spatzen und einer flotten Dame an der örtlichen Bushaltestelle. Einen von Vieren fütterte ich mit Anwesenheit.

Wer einen Verrücken ernst nimmt, muß ein wahrhaft glücklicher Mensch sein.

"Sind Sie verrückt?", besah mich die ältliche Dame, mit der ich mich schwatzend bekannt gemacht hatte.
"Meistens nicht."
"Dann sind Sie ein Philosoph.", lächelte sie glücklich.

Und sie griff schmusend in meinen Arm.
Ältlich armschmusende Damen sind die wahren Damen unter den schmusenden Frauen.
Und wäre ihr Arm dicker gewesen, hätte ich mich auch füttern können.

Die Dinge, die einem selbst nicht am richtigen Platz erscheinen, erscheinen einem anderen wie gut platzierte Dinge zum Befassen.

Ich traf einmal zwei Philosophen, erinnerte ich mich schmusend. Und sie erschienen einem, wie gut platzierte Dinge zum Befassen. Natürlich müßte es Berlin gewesen sein, mit seinen runden, armschmusenden S-Bahnbögen, bei denen es unerläßlich schien, Worte der Liebe gegenüber seiner Dame des Schmerzens oder seinen Pflichten zu beurkunden - auf einem Knie, das andere stützte, und zwischen den Zähnen eine Margerite, oder dagegen zu pinkeln, was sinvoller erschien -, und dann aufzustehen, den Schmutz trotzig von der Hose zu wischen und dann wirklich nach oben zu blicken, um danach im Kopf der Dame, und nicht vor ihren Füßen, zu landen, deretwegen man sich kurz vorher noch kleiner machte:

Im Fernsehturm.

Dort lief ich unweigerlich dem ersten Philosophen in die Arme. Und hätte ich noch die Margerite dabei gehabt und sie nicht achtlos dem hippen Berliner Verkehr als spießiges Verlobungsgeschenk angeboten, dann bieder verschmäht werdend, so hätte ich sie ihm schmusend überreicht.

"Das bin ich auch. Ich bin Philosoph.", sagte er, weil er es sagte.

Und ich vorher an der Bar noch unweigerlicherweise englischen Fußball-Fans mit unweigerlich Berliner Kaffee - deutschen hatten sie nicht - ihrem unweigerlich deutschem Maß Bier zuprostete, während sie auf die Gelegenheit verweilten, noch vor dem Anpfiff, das gegnerische Kriegsgefangenenlager aufzusuchen und von diesem Berliner Wachturm zu beschauen, um die günstigsten Schußpositionen auszuspähen, für das Kleinfeld, grünlich, am Horizont unter unseren Blicken. Und meine mischten sich dazu.

"Wer oben ankommt, hat zwei Möglichkeiten. Philosophen nehmen den Aufzug.", sagte ich ihm. Und verschwieg, daß als Tourist und ohne Feuerausbruch auch nur diese eine Möglichkeit bestand, weil er, als Italiener, auf Englisch darauf bestand, verbürgt einer zu sein. Verbürgt, ein Italiener zu sein, oder Philosoph.

Und mag meinen Glanz in meinen Augen als Licht begriffen haben, ihm im dunkleren Foyer als Feuer im Kopf der Dame den Weg zum Aufzug zu weisen.

"Im Falle des Brandes den Aufzug nicht benutzen" stand da geschrieben, war ich doch selig, so viel Selbstbewußtes im Fremdbewußten eines Fernsehturmkopfes zu erhaschen, im Widerschein.

"Sie könnten ein Philosoph sein.", antwortete ich auf etwas, was sich nicht erinnerte, was er sagte, während er den Aufzug betrat, und war dieser ein Philosoph, weil es sich vergaß, was er sagte, in diesem einen 'Könnte'.

"Könnte er nicht Italiener gewesen sein?", beklagte ich mich. Dann wären alle Worte gelegt. Und man hätte auch Treppen. Und man hätte auch Geländer, auf denen man nach oben rutschen könnte. Was sehr italienisch wäre. Während andere nur nach unten rutschen. Und dann wäre man schon Philosoph. Von Geburt an.

"Alle anderen auch. Nur haben sie keine Möglichkeiten, anders wieder herunterzukommen.", nuschelte ich.

Und sprechen Philosophen alle Sprachen, Nuscheln sprechen sie nicht. Fand der Philosoph aber hinwieder die Möglichkeit hinunterzukommen, als sich die Aufzugtüren schlossen.

Den zweiten Philosophen traf ich, da wollte er nicht mehr sein. "Ich will nicht mehr leben.", wollte er nicht mehr sein. Und wenn ein Philosoph nicht mehr sein will, sei es ihm mißgönnt.

"Das Leben ist doch schön!", widersprach ich dem Sein des Philosophen, einer zu werden.

Er schaute mich an, als wäre ich verrückt. "Und mich nennt man verrückt.", nuschelte ich auch diesmal, denn immer wenn ein Philosoph zugegen ist, sollte man nuscheln, sonst zitieren sie einen noch: "Der und der hat gesagt..."

Und dann ergeben Sätze eines Philosophen auch Sinn.

"Im Brandfall des Kopfes sollte man den Mund geschlossen halten. Sonst entfachen die Winde noch die kleinste Glut," dachte ich. "Ja. Auch die Finger in die Ohren stecken. Da kommt das Feuer wie mit einem Bunsenbrenner herein."

Die ältliche Dame tätschelte mich noch ein Weilchen. Bis unser Bus kam.


Dann stiegen wir in den Dickdarm der Sprache, wo sich Worte bewegend verdauten, während er blinkend in Seitenstraßen einfuhr.





*






(Ode/r an "Der Kopf ist dicker als Blut.")





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