"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 18. September 2014

What to do in a regular Pawn Shop


Noch einen Schritt weiter…

…blätterte ich in einem Buch, abgegriffen nur an den Ecken, was ich nicht deutete.

Der Titel “What to do in a regular Pawn Shop, what to take, what to not, and what really shakes”, 6 Bucks.

Ich besah den Einband, Seiten brachten Wind gegen meinen Atem, mein Atem gewann, und dann beurteilten jede Züge das Buch nach der Titelseite, was mir nicht gelang, doch die Abfolge beschleunigte, oder verlangsamte, als ich gelegentlich einatmete. Ziemlich teuer. So blies ich gegen Frau Ming wunderschön hinter ihrem Ladentresen an. Was mir auch nicht gelang, aber Leben in das Handbuch hauchte – leblos fielen zwei Seiten stumm. Dort – hinter den Regalen, neben mir – stand:


“Twice, hers to stir

I take the coat...
And... the warmth...
And... the glance...
I take the coat,
The warmth, the glance
And on the...

I take

For the One
Once I took:
A world on shoulders
To small on chance,
A word on coulds
To taste the mints
in Fall of woods.
I took on woulds.

Would I take

I take
The warmth,
The glance,
My shoulders,
Back
And on the...

I would

For the One
Twice I took:
A case
To suit
From fit to fault,
A maze,
A maze
In Iris pattern
Twice, hers to stir,
Stolid mine.

I take, I took, could I make on shoulds...”


„Sankt Martins Kälte.“

Ungefragt pustete sich ein Regenmantel zwischen Frau Ming und mir, und mir, und mir und dem Buch. Er nickte mir zwischen den Regalzeilen zu, Finger am Hut, Lesereisenaugenrücke am Revers, als wollte er sich vorstellen, oder entschuldigen, oder mich um das Handbuch bitten:

“What to do in a regular Pawn Shop, what to take, what to not, and what really shakes”, 8 Bucks.

Er lächelte wissend, zeigte Streichholzzähne, die noch auf ein Zünden warteten, doch ließ mich nicht wissend zurück, als er sich auf die der Suche nach einem Feuerzeug machte, schnalzte sich aber übend, mit gleichen Fingern, die sich eben noch vorstellten, entschuldigten oder baten, in die Regalwaren zurück, aus denen er sich entlieh – wenn ich es recht betrachte –, gab so endlich den Blick frei, auf mich, auf Frau Ming, auf mich und Frau Ming, auf den Tresen.
Wäre der nicht leer gewesen. Und Herr Goldschmit?

Klappte das Handbuch zu, mit einem klabb!, und entschied, während ich mich noch fragte, ob ich daraus – kommend – etwas gelernt habe, einen Schritt weiter zu gehen.

Noch einen Schritt weiter...

...stand ich in der nächsten Reihe. Und das Buch befand sich still in meiner Hand.






*





Mittwoch, 17. September 2014

Reißverschlüsse bedienen sich nicht selbst


Als ich nach dem Dollar griff – für mich war es schon einer – besah ein anderer auf selben Fuß den Wert seiner Betrachtung, er trat aus den Regalreihen, und, als ich wieder danach griff, bückte er sich, vielleicht allein, weil der Dime durch mein Greifen schon glänzte, während ich widerstand, während Frau Ming so verschwand, durch mein Verlieren eher, nein, eher durch mein Spielen glitt er mir durch die Finger, und nahm ihn beanspruchend für sich ein, was er durch plumpes Sohlendraufsetzen andeutete.

Als ich nach dem Dollar griff – für ihn war es sicher keiner – drückte er den ganzen Schuh nach. Was mich dazu bewegte, ihm 90 Prozent meiner Bemühungen in Rechnung zu stellen. Ich wollte ihn am Ausgang daran erinnern, entschloß mich aber, zuvor ihm den Dime zu lassen – als kurzfristige Anlage etwa, damit er sie mehren könne, oder als Anleihe –, und ihm so das Darlehen zu gewähren. Ich bin nicht sonderlich mißtrauisch, entsann mich allerdings einer gewissen Vorsicht, die – so mein Vater mir beibrachte, Vorsicht sei eine Höflichkeit unter Fremden, die sich nie begegneten – und so merkte ich mir sein Gesicht vor.

Vorgesicht sozusagen – so brachte ich mir selbst einst bei, war die Höflichkeit unter Fremden, die sich nie wieder begegnen wollten – schien an sich ein gebrochener Mann zu sein. Ob sein Fußdraufsetzen seinem Rücken einen Knacks versetzte oder ob es Ausdruck seiner Unwissenheit über Besitz und Lage des Dollars in meinen Händen war, vermochte ich nicht beurteilen. Mochte nicht, was er tat, gewährte ihm – auch auf Rückgesicht seines Alters, das, so mein Vater mir ebensolch beibrachte, die Höflichkeit unter Fremden war, die sich im Jenseits wieder nie begegnen wollten – Halt, nein, auch nicht. Aufschub, nachdem schwarzer Rauch auch aus seinen weißen Haaren aufstieg, nachdem er Hut und Kragen durch Gier nach Gier verlor. Schob sich vorbei, auch am Tresenblick, in der Hand auch einen Gegenstand des Gefallens, und verließ ohne zu zahlen Raum wie Laden, aber mit Schuld und – aus meiner Sicht – doppelten Schulden. Ich erinnerte mich, daß ich ihn am Ausgang erinnern wollte, erinnerte mich – gerade, als ich mich an die Leere erinnerte in Tasche und Händen – Frau Ming an ihr bauchiges Lächeln, die und das sogleich, als ich mich an beides erinnerte, hoch geschossen kam.

So stand ich vor den Regalen, war aber noch keinen Schritt weiter. Ein Klingeln an der Tür ließ sie mir ständig, und so entschloß ich mich, ungenutzt der Regale auf sie zuzugehen. Und zu meiner Überraschung kam sie mir entgegen. Sie – und das war der Teil der Überraschung, der mich am meisten überraschte – schwang ihre Beine über den Tresen wie bei einem Pauschpferd, stützte sich mit durchgestreckten Armen ab, trug noch immer ihre Ming-Vase vor sich her – woher sie die Hände nahm? –, ging in die Hocke, die gesteckten Arme zur Decke, die Hände dabei abgeklappt, die Finger gespreizt, vor eingebildeten Turnerpublikum in Erwartung der Wertung, dann auf mich zu, suchte nach einem Gedanken, fand aber weder einen in den Taschen noch in den Handflächen, dann – und das kam mir doch etwas komisch vor – entwertete sie unsere gemeinsame Zukunft vor Regal Nr.2 mit Aufschrift Klaviersonaten bis Lampenschirme, K bis L, indem sie die Richtung in Richtung Geläut änderte, zur Tür, die, wie ich mich nun entsann, über gar keinen Klingelton verfügte, bei mir jedenfalls nicht.

Wie ich herausfand, war der schuldige Herr gefallen. Gleich längs vor der Schwelle beim Hinaus-à-gieren. Lenkte ihn neckisch ab. Das Glänzen, das seinem Haar etwas Tönung verlieh. Entließ den Dime wohl aus der Umklammerung – beim Stolpern –, der klimperte –daher das Klingen –, und kreiselte, wie mir Frau Mings Miene berichtete, über einem mongolischen Gullideckel: Down-Syndrom – weg war er. Dennoch bestand ich, als Gläubiger, auf meine Schuldeintreibung.
Auge um Auge nicht, aber Dollar für Dime. Nur… Frau Ming war so lieblich in ihrer Aufreizung, gerade mehr, da sie diesem hilflosen Dieb ihre volle Vase als Stütze darbot, daß ich nicht umhin kam, ihr im Gegenzug meine volle Blase als Bekundung in Erwartung freudiger Leere zu überantworten, die mich erwartete, wenn ich sie mit Mutaufguß zu zwei Tassen Kaffee entführte. Ich wartete, bis sie ihre Ladenpflicht in beide Schöpfkellen legte, als besorgte sie schon das Brühwasser – die Fäuste in weichen Hüften –, den Dieb schon umrührte und ihn nun so freundlich aus der Gosse schüttete wie einen Teeguß aus Kosters Munde:

Spucke.

 Ja, Frau Ming. Ich musterte sie, ein, zweimal, und es fiel mir auf, daß Herr Goldschmit selbiges mit meinem Rücken machte. Sie kam zurück, bediente die Tür, querte meine Blase, in Händen ihr, nun, sagen wir mal, Ding, das sie wägte, und befreite den Tresen von seiner Leere. Nachdem Herr Goldschmit schon diesen wienerte. Keine Pauschakrobatik, keine Hockovationen, keine Wertungen. Nur, diese kleine Musterung. Des Kleides. Diese erinnerte mich. Erinnerte mich an das Muster meiner Sakkotasche, mehr das Muster des Innenfutters, an das ich mich vorhin nicht erinnern mochte, als Herr Goldschmit Licht durch seine Stehgarderobe hinein mit seinen Flügeln brachte. Sie erledigte ihre Sachen, legte Blätter in Ordnung – bezahlte und unbezahlte Rechnungen, so meinte ich Herrn Goldschmits Augenteleprompter entlesen zu können –, und tat, was sie am besten konnte: Nichts. Nichtsdestogleichen, nichtsdestotrotz, nichtsdingsdabumms.

Ab und zu rollten ihre Pupillen, nickte sie Neins in die Luft. Ich zählte sie. Dann pauste sie. Vielleicht war es ihre Größe – ich entschied mich, nun doch eines der Regale aufzusuchen, täuschte Interesse bei einer Hutschachtel vor, öffnete sie, darin Murmeln, kunterbunte Murmeln, ein Zettel mit Kindernamenunterschrift, darunter der Rekord mit Zahlen und Strichliste, und Namen anderer Kinder –, sah aber hindurch. Ihre Größe – ich beobachtete sie – war mit der meinen zu vergleichen. Etwas höher vielleicht, aber im Rahmen der Erotik eines gleichhohen Augenstichs und Atemteilens verweilend. Vielleicht wollen große Frauen in den Arm genommen werden. Wollen beschützt sein, doch glaubte ich daran noch vor Jahren, so war ich mir nun sicher, daß sie dadurch nur auf den Arm genommen werden würden. Beschützt sein als Ausgleich zur fehlenden Brust der Mutter. Nein, Augenreiz wie Reißverschlüsse, wobei sich beide Zackenreihen in das andere Sehen ziehen, das war der Hosenschlitz, der Begehren mit der Sicherheitsnadel der Befangenheit und der Unbekümmertheit des Fallenlassens einkleidete – und Atem, ausgetauschter Atem, der benommen machte, weil zwei Züge aus nicht für zwei Züge ein reichten, aber für beide einer reichte.

War so groß, wie ich das wollte. Auch kleiner – gern. Auch größer – gern. Nur sollte die Frau dabei bequem noch stehen. Kein gekrümmtes Rückgrat brechen, wie ich es vor kurzem bei einer Bedienung in einem billigeren Diner sah. Bequemer latschen. Halsader, pochendes Insekt, das sticht und sticht und sticht und gerne in dieser Nähe ist, und Schläfen, so nah, daß sie schon vom Hinsehen in Ohnmacht wollen. Beschützt sein bei dieser Höhe ist alles andere.

Zu streicheln. Nur leicht.

Ich ließ einen Regenmantel vorbei, legte die Schachtel ohne Hut zurück, wo ich sie fand, lenkte mich zur Wand, wo ich eingangs den Durchgang zum Photolabor erdachte, und las in freier Ecke in verschiedenen Pfandleihsachen wie in Mings verschiedener Beharrlichkeit, kaum Interesse zu wecken sei. Pfandleihsachen.

Nun, was gab es über Frau Mings Vase zu berichten? Ich ertappte mich ja bei ihrer Turnertätigkeit, also ihren vielen Bauchgeschäften zu wenige Hände gezählt zu haben. Pfandleihsache, eben. Ertappte ich mich ein weiteres Mal. War kein Grund für schlechtes Gewissen. Arbeitete schließlich in einer Pfandleihe.

Obschon ich dieses seltsame Gefühl glaubte bei ihr beobachtet zu haben, gegenüber Herrn Goldschmit nicht, mehr dem Kunden gegenüber, vielleicht. Herr Ming... war sicher kleiner. Dachte ich. Dachte ich eine Menge. Auch eine in meine Hände herbei, wobei ich mich davon überzeugte, daß ich keinen Topflappen, sicher keinen benötigte, auch wenn im Etikett Paris und in der Herkunft hbg eingestickt war, und auch für keine Rattanflöte aus Indien Verwendung finden werde – anbei die Gebrauchsanleitung: Gut blasen, gut icken; einer dieser typischen Übersetzungsfehler, die schon mal zwischen zwei fehlenden Welten passierten; ein Buchstabe fehlte obendrauf, sollte wohl gut blasen, gut tuten heißen –, eine merkwürdige Art der Beschreibungsfindung, eine Menge Kleiderstoff für eine Vase und noch mehr für einen Körper. Sie war schwanger, ohne Zweifel. Und ich dachte an all die Erotik, die es noch zu erleben gab, all die Reißverschlüsse, die noch zu öffnen waren, und all die Atemblasen, die noch zu teilen, daß mir schon hustelig vor lauter Zipp und Zipperlein wurde, ehe ich noch zu ihrem Immunsystem vorgedrungen war. Ich wußte nicht viel. Aber ich wußte, daß ich ein Mann war. Und ich wußte, daß ich als Mann in ihrer Nähe, die Nähe eines Kindes, das nicht meines war, kompensieren müßte. Ohne es zu wollen. Ich wußte, daß ich dieses annehmen und lieben würde. Und daß ich sie noch während ihrer Schwangerschaft, und das legte unglückliche wie neugierige Gefühlsmanschetten an mein Sakko an, penetrieren müßte. Um einen Scheinsamen über das bereits befruchtete und gedeihende Wesen zu legen, auch wenn dies so kaum für mehr als Unsinn auf der Käseschmiere reichte. Was macht ein Samen?

Ein Samen macht erst mal nichts. Was macht ein Ei? Ein Ei macht erst mal nichts. Was machen Ei und Samen zusammen?

Sorgen.

Erst besorgen, dann Sorgen. So einfach ist das. Ich wußte, daß ich es ihr nach der Schwangerschaft besorgen müßte. So richtig. Ich als Mann. Das zweite Kind. Gleich – hopps – nach dem ersten. Daß, kaum waren die Entbindungssorgen geboren, die neuen von morgen.

Was Herr Ming wohl dazu sagen würde?

Und Frau Ming?

Und Herr Goldschmit?

Und die Erotik?

Und die Reißverschlüsse?

Und meine Sakkotasche?

Zwei Kinder in einem Jahr verkraftet keine Hose.

So stand ich vor dem Schaufenster, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor der Tür, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich im Eingang, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor dem Dime, war aber noch keinen Schritt weiter.

So stand ich vor Frau Ming – hinter Regalen – und war noch keinen Schritt weiter.



  
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