"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Dienstag, 29. Juli 2014

Statistisch gesehen bin ich glücklich


Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich arbeite für eine bekannte Fluggesellschaft. Ich fliege die Strecke New York-Frankfurt-Bangkok zweimal die Woche. Ich habe einen Facebook-Account, einen Twitter-Account und einen Flickr-Account. Ich habe zusammengenommen 348 Freunde. Mein Strahlen-Wert beträgt 2,1 Millisievert. Ich habe eine um 6,6 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Ich werde durchschnittlich 1,3 Kinder haben. Mein Mann wird zu 53 % ein Pilot meiner Fluggesellschaft sein.

Ich sitze an der Flughafenbar. Ich bestelle mir einen doppelten Whiskey. Ich schlucke die Hälfte herunter, die andere Hälfte leistet mir für den Abend Gesellschaft. Ich verfolge auf dem Flat-Screen der Bar Nachrichten. Ein Flugzeug mit aufgeblasener Notrutsche, ein Steward in Handschellen. Er lächelt in die Kamera. Er kündigte. Ich schlucke die andere Hälfte des Whiskeys herunter. Ich bestelle mir einen zweiten. Die Flasche leistet mir für den Rest des Abends Gesellschaft.

Ich besitze ein iPhone5, eine 12-Megapixel-Pocketkamera und ein Netbook mit 1 GB RAM und 250 GB-Festplatte. Ich besitze zu 23 % einen Kleinwagen und zu 8 % eine 2-Zimmer-Eigentumswohnung. Bevor ich 13 % der Wohnung erworben habe, werde ich zusammen mit meinem Piloten, der durchschnittlich 45,1 Jahre alt ist, ein Haus mit 5,2 Zimmern und 167 m² beziehen. Ich werde in der Woche 23 kg Abfall produzieren, 761 Liter Wasser verbrauchen und in den ersten 3 Jahren unserer Beziehung 1,9 mal Sex in der Woche haben. Zu 48 % werde ich 6,7 Jahre verheiratet sein.

Die Tresenhocker der Bar sind zu 7/8 besetzt. 2-mal Business Class, 3-mal Economy, 1-mal Stopover. Der Flat-Screen zeigt jetzt Naturkatastrophen. 2 Überschwemmungen, 1 Erdrutsch und 1 Erdbeben der Stärke 5,9 auf der Richter-Skala. Pro Nachrichtensendung kommen durchschnittlich 63,5 Menschen ums Leben. Weitere 137,3 kommen zu Schaden. 2 wundersame Rettungen. 269 Angehörige, die auf Mitteilung warten. Es ist ein busy Tag. Am Ende des Abends wird mein Blutalkoholwert 1,75 mg/g betragen.

Ich besitze 22 Paar Schuhe, 6 Hosenanzüge, 5 Sommerkleider und 9 Paar Jeans. Zu 64 % trage ich meine Flug-Uniform, 33 % meiner Freizeit-Kleidung ist ungetragen und 18 meiner Paar Schuhe sind Fehlkäufe. Ich gebe im Monat durchschnittlich 11,6 % meines Netto-Einkommens für Kleidung, 5,7 % für Kosmetik und 7,9 % für Nahrung aus. 71 % meiner Kleidung versteigere ich nach durchschnittlich 2,3 Monaten auf eBay. Meine Handy-Rechnung beträgt zwischen $ 178 und $ 295. 1,7 mal pro Woche telefoniere ich mit meiner Mutter, 4,6 mal mit meiner besten Freundin, 8,3 mal mit Kollegen. Die durchschnittliche Redezeit mit meiner Mutter beläuft sich auf 24,9 Minuten, mit meiner Freundin 42,6 min und mit Kollegen 3,8 min.

Ich habe mich beeilt, um mein Flugzeug zu erwischen. Ich habe dem Taxifahrer 25 % des Fahrpreises als Trinkgeld gegeben. Die Strecke vom Hotel bis zum Terminal betrug 11,7 km. Ich habe meinen Arbeitsplatz rechtzeitig erreicht. Ich habe gelächelt und jedem Fluggast beim Boarding einen Guten Tag und eine angenehme Reise gewünscht. 

Der Flat-Screen der Flughafenbar bringt jetzt Breaking News. Mein Flugzeug ist abgestürzt.

Ich bin Stewardess. Ich bin 26 Jahre alt. Ich werde zu 47 % ein glückliches Leben haben.




*


Montag, 28. Juli 2014

Unter Gleichen




Sie war angehende Akademikerin.

Neurose 5*.

Das arme, dünne Ding, das ich bei Aldi traf.

Schlimme Sache.

Habe eben davon erfahren.

Wurde von einem Bus angefahren.



Ich bin noch etwas geblieben…

…lagen schöne Rosen dort. Hab mir eine genommen.

Trage sie jetzt im Knopfloch…

Kommen aus Marokko. Na, ja. Gibt schönere.


„…kommet zu mir, Kinder, und werdet glücklich. Seid willkommen in meinen Armen…“


Die Eltern.

Auch Akademiker. Zumindest der Vater. Sie Angestellte. Er hat nach unten geheiratet. Realschule. 

Wirtschafts-Abi… Na, ja, abgebrochen.

Könnten ruhig mehr weinen.


Der Schuh vom Vater ist offen…


Das Ganze hat für sie auch was Gutes. Müssen nicht viel Bafög zurückzahlen.

Ob es morgen wieder regnet?

Ich hätte einen anderen Stein genommen.

Sandstein. Ich hätte Sandstein genommen. Hat so was Vergängliches.

Die Kinder jaulen rum, wie die Tölen...


„Haltet endlich Eure Fresse! Hier wird beerdigt!“


Kann die Eltern nicht verstehen.

Ein schöner Sarg.

Mit Fenster. Um den Kopf zu sehen.

Ob das jetzt Mode wird?

Was heute plastisch möglich ist…

Ob früher alles besser war?


Warum sie keinen Mann bekam?


Heute leben die Frauen homogam.

Hab ich irgendwo gelesen.

Ob es morgen wieder regnet?


Wußte nicht, was ich den Eltern hätte sagen sollen.

Als ich an der Reihe war, sagte ich einfach, was mich am meisten störte:


„Ihr Schnürsenkel ist offen...

Nein, der linke.“


Der Vater von Neurose 5 fing gleich an zu weinen. Er umarmte mich.

Wie warm er war.

Daß ich der einzige bin, der ihn verstünde.

Eine Frage des Status. Eben.

Bin Arbeiter.


Die Gärten trocknen, die Menschen welken…


Hat sie sich jetzt homogam nach unten gebettet.

Gleiche unter Gleichen.

Gleiche unter Leichen.



Bin noch was geblieben…




*





*[Kunststudentin, 23, Borderline, bi, analfixiert]