Ich sagte „Hallo“,
sie schwieg.
Was
sollte ich darauf erwidern?
Nun,
zuerst mal gar nichts. Vielleicht
sollte man sich besser vergewissern, daß alles, was schon gesagt wurde, zuviel war, um es noch zu bereden.
Vielleicht
sollte man aber auch gar nicht weiter darüber nachdenken und sich schöneren Dingen widmen, als den weniger
schönen nachzuhängen und gibt sich dem hin, wozu man
ersteres überhaupt in Erwägung brachte: Inspiration
zu finden.
Inspiration
ist erst mal ein großes Wort mit einem
kapitalen und zwei kleinen i’s. Bei
zweien wird es schon knapp, mit dreien ergibt sich daraus schon eine
Geschichte.
Und da ich gerne Geschichten erzähle – mit oder ohne i’s –, und sie beginne, und auch Wert darauf lege, sie zu beenden, obwohl ich nicht weiß, wohin sie
mich bringen, während ich da so loslege –
ich mich also treiben lasse –, unterlasse ich übliches Unterfangen und
fange mit dieser Geschichte hier in
der Mitte an. Das erfordert natürlich
Struktur. Und da Struktur nicht meine Stärke ist, zumindest nicht dem ersten
Anschein nach, obschon ich mich im Innern für einen sehr strukturierten Menschen
halte, beginne ich in der Mitte mit
einem Wort, einem wahllosen. Hier: Handgabelhubwagen.
Das war das erste, wahllose Wort, das mir eingefallen ist. Nicht ganz. Ich mußte erst
in das Innerste meines Gehirns vordringen –
eine Dachluke auf der Oberseite meines Schädels bot sich da an, ich öffnete sie
–, die vorhandenen Treppen hinuntersteigen, fluchen, weil ich mir den Kopf
gestoßen hatte, die Treppe wieder ganz nach oben steigen, das Licht anknipsen,
die vorhandenen Treppen wieder hinuntersteigen, den Kopf einziehen, damit ich
mir den Kopf nicht ein zweites Mal stoße, eine mit Spinnweben versetzte Tür
öffnen – sie knarrte –, einen leeren
Keller vorfinden – erbärmlich –, nach
einem verborgenem Schalter tasten –
Grobmotorik –, mich erinnern, wo der an der Wand verborgen war – dafür mußte ich erst in das Innerinnerste
meines Gehirns vordringen, eine Dachluke auf der Oberseite meines Schädels im
Innern meines Schädels öffnen, die dort vorhandenen Treppen hinuntersteigen,
den Schalter in einem Kästchen finden, drücken, wieder die Treppen hochsteigen,
aus dem Innerinnersten ins Innerste klettern, die Dachluke schließen –, die
sich nun öffnende, geheime Pforte
durchqueren, in gebückter Haltung – und da fand ich dieses Wort dann – neben all dem Unrat, der sich in all den
Jahren hier unten angesammelt hatte, war wohl Vieles, Murmeln, Gummibänder,
Poesiealbum, schimmliges Brot und Verdrängtes – in einer knarzenden Truhe,
die sich staubig und widerwillig aufplatzte:
Handgabelhubwagen.
Nun muß man Vorlieb nehmen mit dem, was man
vorfindet. Ich hätte mir schönere Worte gewünscht:
Mangoldaugen zum Beispiel. Oder Mistralflüsterlippen.
Oder Wünschelrutenfingerkuppen.
Aber, nun gut. Ist es also Handgabelhubwagen geworden. Wäre also immerhin schon mal das erste
Wort der Geschichte gefunden. Das in der Mitte.
Bleibt der Anfang und das Ende. Die beiden Dinge, die die Mitte in Zusammenhang bringen, damit es
auch im Ganzen einen Sinn ergibt. Hier bietet sich Folgendes an:
„Handgabelhubwagen.
Der Handgabelhubwagen erstaunte mit der Genügsamkeit, mit der er seine Lasten
trug. Ertrug?“
Das wäre soweit schon mal der mittlere Teil der Geschichte. Nun ergeben sich daraus zwei
Probleme. Fahre ich mit dem Anfang
der Geschichte fort oder beginne ich mit dem Ende?
Was nicht dasselbe wäre, so man einen Sinn in dem
Ganzen erkennen möge. Ich werfe also eine Münze. Soweit müßte man mir dann schon vertrauen, daß ich das tue, und dann so
fortfahre, wie das Schicksal oder das chaotische Gefüge es so wollen mögen. Ich
habe gerade die Münze geworfen. Sie entschied: Ich solle mit dem Ende der Geschichte fortfahren. Man muß
mir da schon vertrauen.
Fehlt nur noch die Wahl der Protagonisten. Einer ist
bekannt. Der Handgabelhubwagen. Als
weitere böten sich da an: Palette. Kisten. Supermarktangestellte oder
Supermarktangestellter.
Die Wahl des Geschlechts ist nicht so ohne. Schreibe
ich aus der Sicht der Angestellten, müßte ich meine Perspektive wechseln – ich bin ein Mann –, was einen gewissen
Reiz ausmacht. Schreibe ich aus der Sicht des Angestellten, so bestünde die
Gefahr, ich würde mich von Erlebtem aus Sicht eines Mannes leiten und wäre
nicht unbefangen. Schreibe ich aus
Sicht des Handgabelhubwagens könnte
ich die Rolle des neutralen Beobachters einnehmen – oder ich beschriebe seine
Gefühle, wenn er auf die anderen Protagonisten der Geschichte träfe. Münze. Ich
werfe also wieder eine Münze – man muß
mir Vertrauen –, sie entscheidet:
Handgabelhubwagen.
Die Paletten und die Kisten interessieren mich
nicht.
Handgabelhubwagen
also. Wieder.
Was ein bißchen langweilig ist, da er ja schon den
Platz in der Mitte einnimmt. Mir wäre
es lieber gewesen, aus Sicht der Supermarktangestellten zu erzählen, braune
Haare, etwas Übergewicht, vielleicht 31 Jahre alt, ledig, alleinerziehend, 400
Euro-Job, leicht abwesend, Träumen nachhängend, als sie 19 war und sich das
Leben noch zu ihr öffnete wie eine knospende Blume, sich fügend. Aber jetzt
konnte ich es nicht lassen und habe schon über sie geschrieben, was nicht Sinn
der Sache war, obwohl es doch um den Handgabelhubwagen
ging, aus seiner Sicht zumindest. Vielleicht pflegt er in seiner Genügsamkeit
ja Gefühle, und ich hätte sie dadurch schon verletzt, daß ich ihn an den Rand
der Geschichte gedrängt habe und nicht in die Mitte gesetzt. Und sich die Geschichte doch darum dreht, daß er
Nichtbeachtung erfährt, allein dadurch, daß er genügsam, gelb, zwei Gabelzinken
anhebend auf Anlaß, seine Lasten hebend, Paletten durch den Supermarkt zieht,
vom Lager zu den Getränkekisten, von den Getränkekisten zu den Bananen, von den
Bananen zum Zucker und wieder zurück und sich nicht beschwert. Aber, nun gut,
auch er muß mir vertrauen.
Was mich zum Anfang der Geschichte führt.
Vertrauen.
So häufig kam das Wort schon vor, hat sich
reingeschmuggelt, daß ich es nicht mehr streichen kann.
Also gut. Am Anfang steht das Vertrauen.
Die Protagonisten sind gewählt, die Exposition
ergibt sich aus dem Gefüge, der Ort ein Supermarkt, der Handgabelhubwagen in der Mitte, Vertrauen
am Anfang, das Ende genehm. Die Geschichte erzählt sich wie folgt:
Hallo,
in den Sommern, in den Märkten
Ich sagte „Hallo“,
sie schwieg.
Was
sollte ich darauf erwidern?
Nun,
zuerst mal gar nichts. Vielleicht
sollte man sich besser vergewissern, daß alles, was schon gesagt wurde, zuviel war, um es noch zu bereden.
Sie zog den Handgabelhubwagen
durch den Supermarkt. Vorbei an den erstaunlichen Preisen für Lebensmittel
aller Art und den Kunden, die sich ein Erstaunen nur noch in der Erinnerung an
alte Kindertage erlaubten, als sie sich mit der Wasserpistole in heißen Sommer
bespritzen. Und sich wunderten, daß sie es heute nicht mehr taten. Daher das
Erstaunen. Und daß es Kinder nicht mehr machten. Weil es kaum mehr Pistolen
gab, die man in Kinderhände legte, da es sich nicht mehr gehörte, Pistolen in
Kinderhände zu legen, der vielen Kriege wegen. Obwohl es damals in diesen
heißen Sommern genauso viele gab wie heute. Oder zu Karneval Cowboy und
Indianer spielte. Mit den Knarren und den Knallplättchen, die so schön
knallten. Und man sich gegenseitig jagte, durch all die heißen Sommer seiner
Kindertage. Auch diese Sommertage würden enden, was sie als lachende,
knallende, spritzende Kinder noch nicht wußten. Und wäre nicht das
Erwachsenwerden dagegen, würden sie es heute noch machen. Klatschnaß bis auf
die Knochen und Lachen. Und käme es nicht darauf an, zu gewinnen. Nur in heißen
Sommern zu lachen.
Er sortierte frische Salatköpfe ein. Eisbergsalate.
Aus dem Lager. Gekühlt, damit sie nicht vorher in der Auslage verdarben. Auf
der Palette lagen noch Steigen mit Tomaten und Steigen mit Äpfeln aus
unbestimmten Landen. Er beachtete nicht die Kunden. Schon zuviel, die er sah.
Gab es wenig, das er noch beachtete.
Sie ging ins Lager, setzte den Handgabelhubwagen an der Palette mit dem Zucker an, pumpte, zog,
rangierte und kam zurück in den Supermarkt. Sie stellte die Palette so, daß
noch genügend Platz war für die Einkaufswagen, die gefüllt wurden mit all den
Dingen fürs Grillen oder Alltagswahl, mit marinierten Nackensteaks oder
Tiefkühlware. Die Wahl des Essens wie die Gefühle. Sie griff häufig zu TK.
Mitarbeiterrabatt. Erwärmtes nur für die Gefühle zu ihrem Schlüsselkind zuhause.
Ein Kunde beschwerte sich mit einem Schnauben. Die
Palette stünde im Wege. Die in der Obst- und Gemüseabteilung. Er würde sie beiseite schieben.
Er hole nur eben den Handgabelhubwagen.
Er fand ihn im Gang mit dem Zucker. Sie sortierte den gerade ein, als er die
Hand auf die Handgabel legte und sich den Hubwagen nehmen wollte. Mit Mistralflüsterlippen formte er ein „Hallo“. Mit Wünschelrutenfingerkuppen strich sie über den Zucker. Mangoldaugen fragten nach. „Brauchst Du den noch?“
Sie schwieg.
Vielleicht
sollte man sich vergewissern, daß alles, was schon gesagt wurde, zuviel war, um es noch zu bereden.
Was
sollte ich darauf erwidern?
Fragte sie sich.
War es dem Handgabelhubwagen
egal, wer ihn brauchte.
Er nun in der Mitte der Geschichte.
Der Handgabelhubwagen erstaunte mit der
Genügsamkeit, mit der er seine Lasten ertrug.
Mit seinen gelben Gabelzinken hob er seine Lasten
auf Anlaß. Verrichtete seine Dienste.
Ließ sich ziehen, wohin man ihn wollte.
Rutschte das Vertrauen
vom Anfang der Geschichte ans Ende.
Nun, dies ist natürlich eine banale Geschichte.
Etwas zuviel Zucker, etwas zuviel Brauchen. Hier und da könnte man noch
die Auslagen des Supermarktes füllen. Den Supermarktangestellten und die
Supermarktangestellte sich um den Handgabelhubwagen
streiten lassen. Ein, zwei Twists
einbauen, daß sich die Palette in den
Handgabelhubwagen verliebt, großes
Aufschreien beim Trennen der beiden, die Kunden den Supermarkt niederbrennen.
Undsoweiter, undsoweiter.
Aber darum ging es mir nicht.
Mir geht es hier nur um die Inspiration.
Ein kapitales, zwei kleine i’s.
Okay, hab‘ schon Besseres geschrieben.
Eine schlechte Geschichte ist wie ein verlorener
Tag.
Und ein verlorener Tag ist wie eine ausgestorbene
Tierart:
Vertrau‘ mir, beide kommen nicht wieder.
Ich überlasse das Schreiben besser anderen.
*