11. Tag: 珠江 Perlfluß
„Ein Feind stößt einem das Messer in den Rücken.
Ein Freund stößt einem das Messer mit einem Lächeln
in den Rücken.“
Der gelbe Chinese lächelte. So gelb war seine
Bananenhaut vor dem Schälen und so groß sein Lachen, als entspränge ersteres gerade
einem cartoon über Mikado-zählende Cage People, die ihre Käfigstäbe schon
vorher nach Punkten sortierten, um sie nicht berührend aus der Verankerung
lösen zu müssen, weil sie Angst hatten, sie würden sie allein dadurch schon
verlieren – die Punkte wie die
Freiheiten, sich einzusperren zu lassen – und so nach neuen Begrenztheiten
ausschauen mußten – für 1250 Hongkong-Dollar
den Monat –, wenn es ihnen denn gelänge ohne sie zu berühren, zu entfernen,
und letzteres, als genügte es ihm einfach so, nur so, frische Luft einzuatmen
in einer Stadt, die nach ihrem Duft benannt wurde, und das besser unterlassen
hätte.
Jeder
wählt die Sonderverwaltungszone, die ihm liegt. Dachte
ich. Ich stehe lieber.
Während ich noch
mühselig damit beschäftigt war, meinen Parachute-Overall
einzusammeln, der in die Hände des Perlflusses
gefallen war. Was dem erst recht nicht behagte. Er schmatze auf den blauen
Hosenbeinen herum, nicht mit den Händen, aber mit ebenso blauen Zähnen – wie Tintenkiller-Stifte, die sich die
Farbe von der verfehlten Schrift besorgten –, ließ dann los, weil ihm wohl
der Geschmack der Fasern nicht behagte, und gab dann frei, was ihm eh nicht
gehörte. Mühselig, aber selig immerhin. So waren wir schon zu zweit.
„Wie komme ich wieder
hoch?“ Fragte ich und setzte mein Small-Talkmaster-Gesicht auf.
„Was führt sie denn
runter?“
Ich wußte, das wird
schwieriger als erwartet. Derweil wrang ich das Wasser aus den Beinen. Das Ufer
sammelte es begierig auf. War wohl durstig. Von all dem Wassersehen.
„Wieder nach oben zu
gelangen. Base jump.“
„Haha, eine komische
Art, zu reisen. Diese Ausländer.“ Seine Zähne schälten sich aus der Hülle eines
freundlichen Gesichtes, wie es nur Chinesen hatten, wenn sie freundlich
lachten, wie das Fruchtfleisch aus der Banane, wenn man plante, es auch
aufzuessen. Ich biß hinein. Indem ich ebenfalls lachte. Cary Grant grüßte selig vom Mount
Rushmore. Nachdem er Eve-Marie Saint
in sein Hochschlafwagen-Abteil gezogen hatte.
„Reisen…“, ermahnte der
gelbe Chinese, der – wie jeder weiß –
wie jeder Chinese weise war wie Konfuzius,
„…beginnt man mit der Socke. Dann erst kommt der Schuh. Barfuß laufen nur die,
die keine Füße haben. Oder verloren haben.“
Ich prüfte gleich nach,
ob ich welche hatte. Diese Chinesen. Machen einem immer Angst, sie hätten sich
auch die lean Produktion für Füße
gleich unter den Nagel gerissen. Der Werkbank
der Welt traue ich alles zu. Zumindest hatte er teilweise Recht. Ich hatte
gerade keine Füße. Sie waren im Uferschlamm eingesunken.
„Gehört zu meinem
Auftrag.“ Kramte aus meiner Sakko-Tasche meinen Laufzettel. Nein. War der
falsche. War die Quittung aus dem Bujumbura
Spa*. Dann fand ich den richtigen. Dann zu dem richtigen Lächeln. Der gelbe
Chinese lächelte mich wie eine U-Bahn an. Mußte nur noch die Fahrkarte lösen.
„Dann nehmen Sie doch
den Weg, den sie gekommen sind.“
Er deutete mit seinen
Wok-Händen nach oben, nach Tate’s Cairn.
Hongkongs Hausberg. Ich notierte auf der Rückseite meines Zettels: Weg nehmen, den man gekommen ist. Punkt.
Ließ zu wenig Platz zwischen Weg und nehmen, so daß die Wörter wie ein Wort
aussahen: Wegnehmen. Ich öffnete
meinen Trolley und stopfte meinen Overall hinein wie ein trotziges Kind in
den Wagen, der auf dem Parkplatz parkte, nach dem Einkauf im Supermarkt,
nachdem es an der Quengelware drinnen nicht zu seinem Recht kam, alles auf das
Kassenlaufband zu legen, was man als Kind gerne auf das Kassenband legte, ohne
zu überlegen, ob man das auch alles Essen könne, was man da auf das Kassenband
legte, und jetzt versuchte, zu seinem zu kommen, wenn es dem Anschnallen auf
dem Kindersitz trotzte. Wie gut, daß Flachmänner und Zigaretten gleich daneben
lockten – an der Quengelkasse –, wie
der Wink des Alters, der sagte, daß alle quengeligen Kinder auch erwachsen
werden. Zumindest erwachsen. Auch keine Garantie, das Quengeln zu unterlassen.
Der gelbe Chinese ließ
mich jetzt stehen. Ich winkte ihm noch einmal hinterher, dann drehte ich ihm
den Rücken zu. Ich konnte sein Lächeln nur ahnen.
„Ein
Feind stößt einem das Messer in den Rücken.
Ein
Freund stößt einem das Messer mit einem Lächeln in den Rücken.“
Flüsterte ich in meine Erwartung
und blickte nach oben. Zum Hausberg.
„Wer dem Stein ausweicht,
der wird über die Berge stolpern.“, hätte Konfuzius
wahrscheinlich gesagt. Er kannte ja den Himalaja.
Aber
kannte er auch seine Sorgen?
*
(Fortsetzung
folgt… irgendwann. Wenn ich wieder oben angelangt bin.)
*[Ort einer vorangegangenen
Episode]
Notiz an mich: Gerade „Wir sind die Millers“ gesehen. Es geht doch
nichts über gute, alte Familienwerte. Vielleicht sollte ich auch mal so eine Familie
gründen:„Kenny, sei ein Mann und laß die Hose runter.“ – „Gibst Du mir Bescheid,
wenn er Superkräfte entwickelt?“ Was davor,
dazwischen und danach geschieht? = J
Ach so… Etwas ist mir noch aufgefallen: Wenn kluge, selbstbewußte, selbstbestimmte,
emanzipierte Frauen sehr selbstunsicher
sind, dann vergleichen sie Männer gerne mit Hunden, die ihr Stöckchen apportieren.
Ich bin dumm. Nicht sehr selbstbewußt. Nicht
selbstbestimmt. Unemanzipiert. Vielleicht sollte ich mal darüber was schreiben nachdenken.
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