"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 3. August 2014

„Wer dem Stein ausweicht, der wird über die Berge stolpern.“ - Oder: Base-Jump


11. Tag: Perlfluß


„Ein Feind stößt einem das Messer in den Rücken.

Ein Freund stößt einem das Messer mit einem Lächeln in den Rücken.“


Der gelbe Chinese lächelte. So gelb war seine Bananenhaut vor dem Schälen und so groß sein Lachen, als entspränge ersteres gerade einem cartoon über Mikado-zählende Cage People, die ihre Käfigstäbe schon vorher nach Punkten sortierten, um sie nicht berührend aus der Verankerung lösen zu müssen, weil sie Angst hatten, sie würden sie allein dadurch schon verlieren – die Punkte wie die Freiheiten, sich einzusperren zu lassen – und so nach neuen Begrenztheiten ausschauen mußten – für 1250 Hongkong-Dollar den Monat –, wenn es ihnen denn gelänge ohne sie zu berühren, zu entfernen, und letzteres, als genügte es ihm einfach so, nur so, frische Luft einzuatmen in einer Stadt, die nach ihrem Duft benannt wurde, und das besser unterlassen hätte.

Jeder wählt die Sonderverwaltungszone, die ihm liegt. Dachte ich. Ich stehe lieber.

Während ich noch mühselig damit beschäftigt war, meinen Parachute-Overall einzusammeln, der in die Hände des Perlflusses gefallen war. Was dem erst recht nicht behagte. Er schmatze auf den blauen Hosenbeinen herum, nicht mit den Händen, aber mit ebenso blauen Zähnen – wie Tintenkiller-Stifte, die sich die Farbe von der verfehlten Schrift besorgten –, ließ dann los, weil ihm wohl der Geschmack der Fasern nicht behagte, und gab dann frei, was ihm eh nicht gehörte. Mühselig, aber selig immerhin. So waren wir schon zu zweit.

„Wie komme ich wieder hoch?“ Fragte ich und setzte mein Small-Talkmaster-Gesicht auf.

„Was führt sie denn runter?“

Ich wußte, das wird schwieriger als erwartet. Derweil wrang ich das Wasser aus den Beinen. Das Ufer sammelte es begierig auf. War wohl durstig. Von all dem Wassersehen.

„Wieder nach oben zu gelangen. Base jump.“

„Haha, eine komische Art, zu reisen. Diese Ausländer.“ Seine Zähne schälten sich aus der Hülle eines freundlichen Gesichtes, wie es nur Chinesen hatten, wenn sie freundlich lachten, wie das Fruchtfleisch aus der Banane, wenn man plante, es auch aufzuessen. Ich biß hinein. Indem ich ebenfalls lachte. Cary Grant grüßte selig vom Mount Rushmore. Nachdem er Eve-Marie Saint in sein Hochschlafwagen-Abteil gezogen hatte.

„Reisen…“, ermahnte der gelbe Chinese, der – wie jeder weiß – wie jeder Chinese weise war wie Konfuzius, „…beginnt man mit der Socke. Dann erst kommt der Schuh. Barfuß laufen nur die, die keine Füße haben. Oder verloren haben.“

Ich prüfte gleich nach, ob ich welche hatte. Diese Chinesen. Machen einem immer Angst, sie hätten sich auch die lean Produktion für Füße gleich unter den Nagel gerissen. Der Werkbank der Welt traue ich alles zu. Zumindest hatte er teilweise Recht. Ich hatte gerade keine Füße. Sie waren im Uferschlamm eingesunken.
„Gehört zu meinem Auftrag.“ Kramte aus meiner Sakko-Tasche meinen Laufzettel. Nein. War der falsche. War die Quittung aus dem Bujumbura Spa*. Dann fand ich den richtigen. Dann zu dem richtigen Lächeln. Der gelbe Chinese lächelte mich wie eine U-Bahn an. Mußte nur noch die Fahrkarte lösen.

„Dann nehmen Sie doch den Weg, den sie gekommen sind.“

Er deutete mit seinen Wok-Händen nach oben, nach Tate’s Cairn. Hongkongs Hausberg. Ich notierte auf der Rückseite meines Zettels: Weg nehmen, den man gekommen ist. Punkt. Ließ zu wenig Platz zwischen Weg und nehmen, so daß die Wörter wie ein Wort aussahen: Wegnehmen. Ich öffnete meinen Trolley und stopfte meinen Overall hinein wie ein trotziges Kind in den Wagen, der auf dem Parkplatz parkte, nach dem Einkauf im Supermarkt, nachdem es an der Quengelware drinnen nicht zu seinem Recht kam, alles auf das Kassenlaufband zu legen, was man als Kind gerne auf das Kassenband legte, ohne zu überlegen, ob man das auch alles Essen könne, was man da auf das Kassenband legte, und jetzt versuchte, zu seinem zu kommen, wenn es dem Anschnallen auf dem Kindersitz trotzte. Wie gut, daß Flachmänner und Zigaretten gleich daneben lockten – an der Quengelkasse –, wie der Wink des Alters, der sagte, daß alle quengeligen Kinder auch erwachsen werden. Zumindest erwachsen. Auch keine Garantie, das Quengeln zu unterlassen.
Der gelbe Chinese ließ mich jetzt stehen. Ich winkte ihm noch einmal hinterher, dann drehte ich ihm den Rücken zu. Ich konnte sein Lächeln nur ahnen.

„Ein Feind stößt einem das Messer in den Rücken.

Ein Freund stößt einem das Messer mit einem Lächeln in den Rücken.“

Flüsterte ich in meine Erwartung und blickte nach oben. Zum Hausberg.


„Wer dem Stein ausweicht, der wird über die Berge stolpern.“, hätte Konfuzius wahrscheinlich gesagt. Er kannte ja den Himalaja.


Aber kannte er auch seine Sorgen?




*



(Fortsetzung folgt… irgendwann. Wenn ich wieder oben angelangt bin.)



*[Ort einer vorangegangenen Episode]





Notiz an mich: Gerade „Wir sind die Millers“ gesehen. Es geht doch nichts über gute, alte Familienwerte. Vielleicht sollte ich auch mal so eine Familie gründen:„Kenny, sei ein Mann und laß die Hose runter.“ – „Gibst Du mir Bescheid, wenn er Superkräfte entwickelt?“ Was davor, dazwischen und danach geschieht? = J

Ach so… Etwas ist mir noch aufgefallen: Wenn kluge, selbstbewußte, selbstbestimmte, emanzipierte Frauen sehr selbstunsicher sind, dann vergleichen sie Männer gerne mit Hunden, die ihr Stöckchen apportieren. Ich bin dumm.  Nicht sehr selbstbewußt. Nicht selbstbestimmt. Unemanzipiert. Vielleicht sollte ich mal darüber was schreiben nachdenken.




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