"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 24. August 2014

Tommyknockers Sweeties


„Tommytommy, Tommytommy … nein… nicht…“


Tommytommy–Two–Chances war einer dieser Burschen aus dem ‚Viertel’, zwischen Cemetery and Baptist, denen man besser kein ‚Nein’ in das düstere Gesicht eines Treppenflures hauchte. Schon gar nicht ein mit fauligem Mundgeruch versehenes, wenn er den schweren Cut einer dominikanischen Batista Conquador zwischen drei seiner insgesamt acht Fingern hin und herrollte, langsam, so nah am Mund, um 300 Grad, ohne zu paffen, nur um das Aroma aus den knisternden Blättern in seine Hakennase zu locken. Aire Caribéenne. „Kaltes Parfümieren“ nannte man das unter Kennern. Oder Blue Xtasy. Nun, wie man es nannte, war Tommy-Two-Chances scheißegal. Er nannte es „riechen“.

Im dritten Stock. Billige Absteige, dünne Wände, Fernseherstöhnen hinter schmutzigen Türen und Ohren so groß wie Klodeckel, die auf ein Spülen warteten.

„Tommytommy, Tommytommy… nein… Du weißt…“

Zwei Scheinwerfer erhellten den Eingang. Unten. Ein schwerer Wagen auf dem Parkplatz. Der Motor heulte auf. Finstere Finger in braunen Lederhandschuhen klapperten am Lenkrad im Takt des Gasstoßes. Noch einmal. Kurz. Doch bis hier hin, nach oben, traute sich das bewegliche Licht nicht.

„Tommy… nicht…“

Francine. Wie in Benzin. Eigentlich Franko. „Madame“, wie ihn seine Freunde nannten, hielt sich an der Kette fest und gab dem Türspalt Leben. Eine merkwürdige Art davon. Eher. Zumindest Bewegung. Nervös machten sich seine geschminkten Lider mit der Erwartung vertraut.

„Du weißt… sie…ich darf nicht… hat es verboten…“

Der Motor heulte auf. Zweimal kurz. Das vereinbarte Zeichen, sich zu beeilen. Dreimal – und dann sollte man sich schon verabschiedet haben. Von seiner merkwürdigen Art. Seinem „Eher“. Seinem Leben. Wenn Tommy schon mal an die Türe klopfte. Mit den verhornten Knöcheln seines Kleinen und Ringfingers der rechten Hand. Klingelte nur dann, wenn er sich nach seinem Besuch auch wieder verabschiedete. Und seine „Aufgesuchten“ es auch konnten.
Hatte stets eine Plastiktüte dabei für die lästigen Spuren der anderen. Die seinen Anzug schützte. Nein. Heute wollte sich Tommytommy nicht verabschieden. Auch bei drei Gasstößen nicht. Heute nicht. Nicht an diesem Abend. Nicht an dieser Tür. Nicht in seinem ‚Viertel‘. Dafür war die Luft zu rein.

„Du stinkst.“

Zweimal heulten Francines Augenlider auf. Tommys Mund formte ein stilles „Tadaa“ wie ein Zauberer – seine drei Finger spreizten ein „W“ wie in „Warum“ – und ließ die teure Zigarre fallen. In Zeitlupe platzte die kalte Glut auf den Boden. Dort lag sein Handwerkszeug. Sein „Baby“. Wie er es liebevoll nannte. Das er nur zu besonderen Anlässen aus seinem „Keller“ herauskramte. Nur zu diesem Zweck und zu diesem speziellen Abend. Heute Abend. Einmal in einem verdammt langen Jahr. Sich den „Spaß“, wie er es spöttisch nannte, erlaubte. Als Anerkennung seiner „Leistung“. Ein Geschenk, das er sich selbst machte. Francine zuckte zusammen, als die Kippe den Boden stippte, ein zweites Mal, als Tommy in die ausgebeulte Reverstasche langte. Armani, feinste Nadel, Turkey Blend – wenn man versteht.
Nein. Tommy war keiner, der ein „Nein“ mit einem einfachen Nicken beantwortete.

Dafür war er zu gut.

Seine Finger nippten am dunklen Stoff. Sie zogen ein glänzendes Etwas heraus.
„Zipp“.
Wieder „Zipp“. Das dumpfe Klackern aus Metall und Fingerfertigkeit machte den betrunkenen Francine nüchtern.

„Tommy… nicht…bitte… ich.“

Ein Rascheln. Die freie Hand zog die Plastiktüte heraus. Tommy öffnete die Stille.

„Ich mag es, wie Du >Bitte< sagst, Francine.“

„Bittebitte…bittebitte… Tommytommy…“
Zipp-zipp…
„Bittebitte, Tommy… sie… hat es verboten…“
Zipp-zipp… machte benommen.
„Bitte…“

Francine – wie in Benzin – verlängerte das „Bitte“ wie in „Biete“ und ratschte die Türkette aus dem Schloß.
Zipp-zipp.

„Biete…biete… Tommy, ich biete Dir alles, was ich hab… nur… hör auf, ja?“
Er kramte im Dunkeln.
Das Zipp stoppte abrupt. Tauschte gegen ein „Zing!“

Die Flamme des Sturmfeuerzeuges erhellte die Gemüter zu zwei Fratzen. Der Motor heulte auf. Einmal, zweimal – dreimal. Nein. Heute nicht. Nicht hier. Nicht an diesem, seinem Abend. Tommy-Two-Chances ließ sie züngeln. Leckte sie über das verheulte Gesicht von Francine, seinen stoppeligen Hals, den aufgeklebten Silikon-Titten, den Miederbund hinunter zu den lila Strapsen, den Strumpfhaltern und den weißen Tennissocken. Bis zu Tommys „Baby“. Ein zylinderartiger Körper, bunt bedrucktes Papier, eine Schnur, eine Stange. Er holte es hoch, nahm es in den Arm und entzündete die Kerze im Innern. Erhellten Sterne den Flur und die Decke.

„Die Sterne… ich glaube, es sind die Sterne…“

Klappte das Zippo ein, steckte es weg, raschelte die Plastiktüte zu Volumen, schob sie durch den Türspalt, kam ganz nah an Francine heran, spitzte seine Lippen und begann:

„Rabimmel, Rabammel, Rabumm…
Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…
Da oben leuchten die Sterne, hier unten, da leuchten wir.
Ein Lichtermeer zu Martins Ehr’…
Mein Licht ist aus, ich geh’ nach Haus’.
Rabimmel, Rabammel, Rabumm.“



„Francine…“ Wie in Benzin.

„Die Sweeties… mach’ schon. Schmeiß sie rein. Mama wartet nicht gerne.“


Der Motor heulte auf. Einmal, zweimal. Dreimal. Das verabredete Zeichen, sich zu beeilen.


Nein. Nicht heute. Nicht an diesem Abend.




*



Samstag, 23. August 2014

Sarg-Tide


Eine Frau geht ins Wasser… in Frankreich, irgendwo.


1266, Ocean Drive, Blick aufs Meer, Freitag-Nacht, Nieselregen, Frisco in der Nase. 



„Sarg-Tide...“

Sarg-Tide würde van Saint sagen. Wegen der Maserung. Weil das Wasser sich so glatt anfühlte wie ein Oak Tree von Barrin's in der 23., Ecke ‚Voluptuous‘.

Die besten T-Bone-Steaks der Stadt. Das halbe Council ging dort essen. Der Police Chief und der stellvertretende Bürgermeister. Der Besitzer Ona

Ein Japs, der nach der Importation den Laden von Artie Shaw übernahm. Weil der sich übernommen hatte. Mit dem heimlichen Boss der Stadt: Double-Day Jay.

Der Dying Dutchman. Beide steak-besessen. Und nur er nicht ohne konnte. Und der Japs Ona flink mit seinen Seppuko-Messern.
Keiner löste das Fleisch so schnell aus den Keulen heraus wie er. Und so sauber.

Immer freitags fuhr der Dying Dutchman im Duesenberg vor. Mit seinen Gorillas.
Und lieferte. Nachschub. Wenn er einen Double-Day bestellte, dann zuckten die Serviererinnen in ihren rosa Uniformen, hip-Style, slipless. 

Die T-Bones waren nicht der einzige Grund, warum der Laden so gut lief. Sandy war seine beste Stute: Spitzname ‚Arkansas' – Ah–can–soah. 

Er war vernarrt in ihr ‚ah', in ihr ‚can', in ihr ‚so–ahh'. Und nicht ohne Steak konnte. Er ließ sich bedienen. Dann die Gäste.

Was nur Ona, Double-Day und ganz wenige wußten:
Er löste die Keulen aus dem Fleisch der ‚Angelegenheiten' heraus. À la Carte.
Als erstes tischte er so Artie Shaw auf:

Der Chief ließ ihn sich schmecken.

„Sarg-Tide...“

Sarg-Tide würde van Saint sagen. Wegen der Maserung des Meeres.

„Marl. Sie wird nicht kommen.“

Green-H, H wie in ‚Age‘ – oder ‚Greenwich‘ irgendwo in Europa – spuckt mir mit seiner Taschenlampe ins Gesicht. Ich nehme sie ihm ab. Leuchte seines aus.

Das lag irgendwo zwischen Westcoast und Nebraska. Green-H. Ein Green-Horn. Mein neuer Partner. Ging sogar aufs Collage. Wie in ‚Age'. Daddy brachte das Geld ein.

Versuchte sich erst als Pathfinder, dann als Cop. Ich sammelte ihn von der Straße. Er steckte nur die kleinen Scheine ein. Einer der guten.
Den ‚George' fürs Weggucken rührte er nicht an. So landete er auf dieser vor dem Meer.

„Marlowe. Sie wird nicht kommen. Hier.“

Etwas flattert in seiner Hand. Er faltet die Welt auseinander. Eine Karte.

„Wenn sie aus Frankreich kommt, dann schwemmt sie der große Teich zur Ostküste.“

Ich schubse ihn weg und reiße ihm die Welt aus den Händen!

Ich ziehe an meiner Kippe. Schiebe sie über trockene Lippen von einer Küste zur anderen.

„Where the fuck is... Frankreich..? Biarritz..?!“

Die Karte flammt auf. Im Scheinwerferlicht wird das ganze Ausmaß der Biscaya sichtbar.
Orte, von denen ich noch nie was hörte. Berge, Highways.

Die Gorillas stellen sich vor den Duesenberg. Gamaschen heben sich aus dem Fond. Jay.
Der Dying Dutchman.

„Sie-wird-nicht-kommen, Marlowe.“, sagte er in seinem abgehackten Dutch-Slang.

„Sie wird nicht kommen.“

Er gibt den Gorillas ein Zeichen und nestelt an seinem Bulbury, den er immer trug, wenn er wieder für Ona ‚lieferte‘.

„Falsche Küste.“

1266, Ocean Drive, Blick aufs Meer, Frisco in der Nase.


Sarg-Tide, würde van Saint sagen...






*