Vielleicht. Vielleicht steige ich ein. Vielleicht in
den Bus der Linie 314. Und wundere mich, als ich sie dem Busfahrer vorzeige,
daß mich meine Fahrkarte nicht dahin bringt, wohin sie mich bringen will. So
stecke ich sie wieder weg. Vielleicht träumt der Busfahrer davon, zu fliegen,
wenn er sich geschützt vor den Augenblicken der Fahrgäste wähnt, und auf den
roten Knopf für die Türen drückt.
Vielleicht setze ich mich in eine der Reihen.
Vielleicht gefällt mir das Fenster, aus dem mein Blicken entfliehen will, es
mich aber nicht dahin bringt, wohin ich will. Sehe immer dieselben Straßen,
dieselben verschlafenen Häuser, gerade aufgewachte Autos. Vielleicht träume ich
am Morgen. Vielleicht träumen die Schulkinder vom Morgen. Nicht vom
Mathe-Unterricht, Deutschunterricht, Erdkundeunterricht. Vielleicht träumt die
Frau in abgenutzten Kleidern von neuen. Die der Bus zur Arbeit und diesen neuen
Dingen bringen soll, aber niemals Neues nach Hause bringen läßt. Vielleicht
träumen wir alle. Und wissen es nicht.
Wären nicht die Scheiben dagegen, so könnten wir die
Arme hinauslehnen, den Wind spüren, dann strecken. Gäben diesem Bus Flügel.
Könnten spüren. Den Aufwind spüren. Und würden uns nicht mal wundern, wenn es
uns gelänge, selbst den Wind mit unseren Händen zu fangen. Vielleicht würden
wir über die Stadt hinaus zu unseren Zielen gelangen. Fernab aller Straßen,
Ampeln oder Zwängen.
Wären, ja, wären da nicht die Bushaltestellen
dagegen. Stiegen nicht neue Seelen und Gesellen ein zu neuen
Zwischenhaltestellen. Fuhr der Bus nicht ständig an, um ständig wieder zu
stoppen. Hülfen auch nicht alle ausgestreckten Hände, um abzuheben. Bräuchten
mehr Anlauf. Müßten Fahrt aufnehmen. Das Nicken des Busses durch das
Beschleunigen und Abbremsen zwischen den Haltestellen entlockt meinem Kopf
einen Kommentar. Sage zu allem Ja und Amen, nicke bejahend, obwohl mich die
Unterhaltung langweilt und gar nicht zustimme, nur, um meine Ruhe zu haben.
Meine Ruhe in diesem Bus. Beim Träumen. Am Morgen.
Merke gar nicht wie jemand zusteigt. Schaue nach
links vom Fenster mit seinen Straßen weg. Wendet sich mein Kopf, nur, weil er
sich mal wenden muß. Schaue plötzlich in zwei Augen. Zwei. Sehr. Schöne. Erahne
ein hübsches Gesicht. Schauen uns zu lange in die Augen. Zu lange für
flüchtiges Blicken.
Erinnere mich. Vielleicht an einen anderen Morgen.
An anderes Träumen. Setzte sie sich in die leere Sitzreihe direkt vor mir. So
nah, daß ich sie hätte berühren können wiegte sie ihren Kopf vor meinem. Drehte
ihn zur Seite. Konnte ihre Augen sehen. Von der Seite. Mit diesen getuschten
Wimpern, die ich so mag. Weil sie verraten, was eine Frau zu verheimlichen mag.
Vielleicht hätte ich sie ansprechen sollen. Was man nicht macht. Nicht im Bus. Nicht
beim ersten Mal. Bei dem man nicht mal weiß, daß es ein zweites geben wird.
Betrachtete ihre Haare, ihren Zopf. Lange Minuten.
Von Haltestelle zu Haltestelle. Wo sie
wohl aussteigen wird? Der Bus bremste ab. Sie stand auf. Der Busfahrer
drückte den roten Knopf für’s Öffnen der hinteren Türen. Sie stieg aus. Ich sah
ihr noch lange nach. Und es gefiel mir, was ich sah. Wäre es nicht das erste
Mal gewesen, wäre ich nicht am Träumen.
Vielleicht träume ich. Auch beim zweiten Mal. Als
wir uns zu lange für einen flüchtigen Blick in die Augen schauen. In das
Dahinter trauen. Zu weit für einen frühen Morgen. Zu nah für eine Busfahrkarte,
die uns weiter bringen soll. Vielleicht am nächsten Morgen.
Sie steigt aus an selber Stelle. Blicke ihr zu lange
hinterher. Es gefällt mir, was ich sehe. Und wären nicht die Scheiben dagegen,
ich streckte ihr meine Arme entgegen. Von hinten. Um sie zum Halten zu bewegen.
Um sanft ihren Kopf mit diesen schönen Haaren zu streicheln. Drehte sie sich im
Lächeln halb geschlossener Augen der Erwartung eines guten Bekannten, den sie
lange nicht mehr getroffen hatte, zu mir, diesen Händen entgegen. Öffnete nun
die Augen voll.
Am nächsten Morgen steige ich in den Bus.
Vielleicht. Vielleicht träume ich. Das Nicken des Busses durch das
Beschleunigen und Abbremsen zwischen den Haltestellen entlockt meinem Kopf
einen Kommentar. Sage zu allem Ja und Amen, nicke bejahend, obwohl mich die
Unterhaltung langweilt und gar nicht zustimme, nur, um meine Ruhe zu haben.
Meine Ruhe in diesem Bus. Beim Träumen. Am Morgen.
Bei einer bestimmten Haltestelle wache ich auf, schaue
ich auf.
Wie ein Falter seine Flügel öffnet der Bus der
Linie 314 seine Eingangstüren, um zu fliegen.
Egal wohin. Irgendwo hin. Wohl, weil der Bus fliegen
will.
*