"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 20. August 2014

Geräusche in den Windungen


Überlegte kurz, nur kurz. Kurz nur, obschon alles überlegt war.


Die Teile zurecht aufs Bett drapiert, die Folien für den Atem, das Bettlaken für das Spüren, den Tauchsieder geliehen, um aus dem Becher, wenigstens diesem Becher zu fliehen.

Ordnete ihre Habe. Zu Besuch kam keiner mehr. Versprachen es. Aber kamen nicht. Damit die Nachbarn nicht tuschelten. Zu viel verloren. Blieb das blanke Entsetzen über das eigene Leben.

Und war nicht mehr davon übrig. Auf 8 Quadratmetern vielleicht, die Dinge auf dem Bett geordnet, von früher, als sie es noch gewohnt war, Dinge geordnet vorzufinden und geordnet zu hinterlassen.

Zu hinterlassen.

Ja. Das nahm sie sich vor. Wenigstens für den Gefängniswärter. Daß er sie vorfand. Geordnet.

Und die Geräusche in den Windungen machten den Atem schwindelig. Sie schluckte die Folie herunter, damit der schneller zum Erliegen kam, der Strick aus dem Bettlaken war schon um den zarten Nacken gespannt wie ein Biberspannbettlaken auf dem Bett zuhause, auch das geordnet, der Tauchsieder machte aus Wasser und Instant Kaffee für den Wärter.

So daß er mit dem Duft in den Windungen hereintrat. Als er öffnete, die Zellentür, mit dem Schlüssel und sich ihr Aroma für immer verstreute.

Zu entlassen.

Geräusche in den Windungen.
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Dienstag, 19. August 2014

Die peinlichsten Fragen der Inquisition


Nun, wer auf die Idee kam, die Inquisition peinlich zu befragen, ließ sich im Nachhinein nicht mehr beantworten. Hier folgt nun ein kleiner Auszug.


Die Inquisition war vertreten durch einen leicht nach vorne gebeugten Mann, der sein Leben lang nach vorne gebeugt ging. Vielleicht um Demut vorzugeben bei seinen Gängen. Oder – und das war wahrscheinlicher –, weil sein Aktenkoffer mit all den Unterlagen ihn aus dem Gleichgewichte zu rutschen drohte bei jedem Schritt. Der erste an diesem Tage, der diesen Mann grüßte, sagte „Guten Tag“ und bekam eine Antwort als Frage, die der Inquisitor – oder heißt es Inquestor? – zu fragen beliebte: „Darüber entscheidet der liebe Gott.“

Nur Punkt. Kein Ausrufungszeichen. Kein Fragezeichen. Nur gesäuselt. Der Inquisitor war es gewohnt zu säuseln. Seine Fragen zu säuseln. Seine Antworten schwieg er. Er antwortete selten in seinem vorgebeugten Leben. Aber vielleicht antwortete er nur anders. Seiner Aktentasche vielleicht. Der sicherlich. Sicherlich hatte er sie nicht selbst ausgewählt. Art und Zweck, der sie zu entsprechen hatte sicherlich schon. Aber sicherlich nicht selbst aus der Starre eines Aktenkofferlebens eines Aktenkofferladens in die geschmeidigen Hände eines Inquisitors gezahlt und gelegt. Dafür gab es Fragen. Fragen, die der Inquisitor anderen stellte. „Passen die Unterlagen hinein? Erfüllt die Pein ihren Zweck? Ist von einem Ende der Befragung durch den lieben Gott auszugehen? Woran erkennt man den lieben Gott in seiner Güte beim Eingreifen in die peinliche Befragung und mit welcher Fußnote ist solches zu versehen?“ Lakaien besorgten die Aktentasche.

Der zweite Mensch, dem der Inquisitor heute begegnete, war eine Frau, die mit vollen Einkaufstaschen ihren Autoschlüssel aus der umgeworfenen, übergroßen Handtasche, die jetzt modern waren, jonglierte. Einkaufstaschen, Inhalt und Flüche rutschten vom Unterarm, Tomaten rollten auf den Inquisitor zu: Eins, zwei, drei, vier. Eine Fünfte blieb unschlüssig.

„Scheiße!“ Stauchte die Frau die Einkaufstüten zusammen. Die sich so auch zusammenfalteten. „Muß das gerade jetzt passieren?!“ Während sie die Dinge aufsammelte und in die Tüten stopfte, tippte sie aus Versehen ihren Autoschlüssel an – ein eitles Möök-Möök und das Aufblinken der Blinker eines Autos in der Nähe waren zu vernehmen und zu beobachten. Der Inquisitor half der Frau bei den Tüten nicht, bei ihrer Frage beim Vorübergehen allerdings schon, indem er seine Antwort als Frage stellte, die der Inquisitor – oder heißt es Inquestor? – zu fragen beliebte: „Darüber entscheidet der liebe Gott.“

Nur Punkt. Kein Ausrufungszeichen. Kein Fragezeichen. Nur gesäuselt. Der Inquisitor war es gewohnt zu säuseln. Seine Fragen zu säuseln. Seine Antworten schwieg er. Er nahm den Schwung seiner Aktentasche auf, die weiterschwang, als er kurz innehalten mußte wegen dem Zwischenfall mit der Frau, stand weiter vorgebeugt in Haltung auch so und ging weiter.

Durch die Gassen einer Stadt kam er einem Ziel näher. Er fand einen Hauseingang. Eine zweiflügelige Kassettentür, ein Klingelschild. Messing. Schöne Schrift. Auf dem Namensschild stand:

Der Liebe Gott

Der Inquisitor befahl seine Aktentasche aus dem Handgelenk in die Achselhöhle seines anderen Armes. Er öffnete die Lasche, den Zungendeckel, kramte. Er feuchtete die Finger an und fischte eine Akte heraus, daraus wiederum ein, zwei Blätter. Er verglich Anschrift und Namen. Der Inquisitor überprüfte beides, er gab seinem vorgebeugten Nacken einen Ruck ins unmerklich Gerade, dann klingelte er.

„Der liebe Gott.“

Nur Punkt. Kein Ausrufungszeichen. Kein Fragezeichen. Nur gesäuselt.

Nach einer Weile antwortete die Gegensprechanlage.

„Herein.“

Nur Punkt. Kein Ausrufungszeichen. Kein Fragezeichen. Nur gesäuselt.


Der Liebe Gott war es gewohnt, nur zu säuseln.







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