"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 4. September 2014

Frontberichterstatter


14.9.:   „Mein sechster Tag an der Front. Kauten auf der Backe rum. Dann kam Brot. Endlich Brot. Auf einer Karre fuhren sich Laiber durch den Graben. Einer schob, einer verteilte vorher Lob. War noch warm in Händen, beeilten uns. Augenbiß, meinte der Korporal. Wenn die Lider sich vor Hunger schließen. Vorher, wie ein Mund beim Beißen so. Augenbiß, meinte der Korporal. Ich kaute ganz normal. Wußte nicht, was er damit meinte. Vielleicht kaue ich besser mit geschlossenen Augen weiter. Dachte ich. Augenschiß, sagte der Sanitäter und kaute auf dem Brocken rum. Wußte nicht, was er damit meinte. Kaute hungrig weiter. Kaute auf halben Laib ein Frauenhaar frei. Zog es aus dem Mund. So lang und schwarz war es. Daß ich mir die Bäckersfrau beim Kneten vorstellte. Augenbiß, Augenschiß, sagte ich. Und verstand, was beide meinten. Die sechste Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


15.9.:   „Mein siebter Tag an der Front. Waltag. Was sonst? Der Sanitäter und der Korporal winkten schon ab. Ich dachte, sie grüßten. Also grüßte ich. Darauf grüßten mich der Korporal und der Sanitäter, aber da winkte ich schon zurück. Der Wal rummste gegen den Graben, dann prustete er, dann zischte er, dann klappte er sein Maul auf – heraus ächzten sich Stiefel, Knie, Beine und was sonst noch dazu gehörte. Jonas. Jonas. Jonas. Jonas sprang gleich weiter runter, bevor ihn der Lärm der Arme verschluckte. Dann Jonas. Dann Jonas. Die drei Jonasse hießen Adalbert, Ingelhart und Wennemund. Vor- oder mit Nachnamen. Aber, weil sich das keiner merken konnte, nannten sie alle nur Jonas. Nun, der Korporal und der Sanitäter kannten sie schon länger, daher das Winken, aber die drei grüßten die beiden, als kannten sie sie schon näher. Waltag, sagte Meier. Verstärkung, sagte der Leutnant, der den Kapitän vertrat, solange der noch beim Schwimmen war. Panzer, sagte der Korporal. Ralph, sagte Jonas.  Wennemund, sagte ich. Aber, weil sich keiner mehr merken konnte, wer nun was oder wen vertrat, einigten wir uns alle auf ein Schweigen. Saßen so im Schützengraben, lange noch, und lächelten uns wissend an. Im Darm des Wals. Die siebte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


16.9.:  „Mein achter Tag an der Front. Hopp, hopp, hopp! Auf, auf, auf! Der Korporal ging die Reihe durch. Ich stand gerade. Der Sanitäter stand neben mir. Daneben stand der Graben. Nicht ganz gerade. So gerade, daß wir gerade noch die Köpfe einziehen konnten. Der Korporal ging durch, dann wieder gerader. Aber auch nur, da dort ein Sandsack das Abgehen Tiefe verlieh. Er hielt genau dort, Hände am Belt, Daumen in der Koppel. Dann ging der Leutnant die Reihe durch. Dann wieder runter. Da der Korporal den Platz mit dem Sandsack besetzte, hielt er den Kopf am Belt, Ohren in der Koppel. Das Institut, sprach er aus der Hose. Schickt jetzt seinen besten Könner. Kenner, sagte der Korporal. Kann er, sagte der Leutnant. Bitte seine Ruhe haben! Könnt‘ er, sagte der Korporal. Bitte zur Seite treten! Keiner, sagte der Sanitäter leise. Versteht ein Wort hier hinten. Kleiner, verstand ich und duckte mich ein wenig tiefer. Kinder schickt das Institut, stempelte der Graben eine stille Postkarte. Scharfschützen, zischte die Briefmarke, die von anderer Seite gegengeleckt wurde. Treffen. Die achte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


17.9.:    „







                                                                                              !“


18.9.:    „Nach dem Glühen. Mein zehnter Tag an der Front. Endlich wieder spüren. Die Erinnerung noch geschwollen. Benommen. Nach dem Glühen. Das war ein Komet, sagte der Sanitäter. Was für ein Krater. Licht in Ritzen riß sich Bahn um Bahn ab von den Augen. Benommen. Noch geschwollen. Der Kopf ist noch dran, sagte der Sanitäter. Was für ein Schweif. Sein Mund. Wie war sein Mund geformt? Drang nicht weiter. Aber der Hals fehlt, ha, ha. Bäcker, sagte der Korporal. Mein Schwager ist Bäcker. Sah so aus, als werfe jemand Mehl durch die abgedunkelte Backstube. Magnet, sagte ich. Die Erinnerung noch geschwollen, benommen. Standen auf dem Schützengraben und sahen zu, wie das Institut das Licht ausknipste. Bei den anderen. Einer nach dem anderen. Dann warf der Himmel Mehl. Der Komet, sagte der Korporal. Zog die Leute auf dem Schlachtfeld an wie ein... Magnet, sagte ich. Dann dem Leutnant. Der stieß uns in den Graben. Erst an, dann zusammen mit dem Boden. Saugte die Erinnerung aus meinen Augen. Krater. Was für ein Krater, sagte der Sanitäter. Meine zehnte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“





Mittwoch, 3. September 2014

Frontberichterstatter


9.9.:   „Mein erster Tag an der Front. Im Schützengraben gelegen. Alles ruhig geblieben. Habe beinahe einen Daumen verloren. Der Sanitäter sagt, die Pfeile wird den Nagel richten. Habe 'Feinde' statt 'Pfeile' verstanden. Die erste Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


10.9.:  „Mein zweiter Tag an der Front. Hermann kam vorbei. Er brachte Dosenfutter mit. Wir aßen. Er stand auf. Die Büchse vor dem Bauch. Ein Peng. Meine zweite Kriegsverletzung, meine erste, beste Uniform versaut. Ob die Flecken mit normaler Seife rausgehen? Nein. Geht nicht. Das Stück steckt noch in Hermanns Bauch. Der Sanitäter meinte, das sollte vorerst die Blutung stoppen. Ob sein Blut jetzt reiner ist? Es tropft so glasig auf den Boden des Grabens nieder. Die zweite Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


11.9.:  „Mein dritter Tag an der Front. Heute Vorstoß hinter feindlichen Linien: Sah nur Striche in der Landschaft. Bäume, sagte der Korporal. Bäume. Die Pfütze im Schützengraben spannte einen Regenbogen. Tauchte meine Zahnbürste darin ein. Am Morgen. Seife. Will nicht an Karies sterben. Zäune, sagte ich dem Korporal. 'Zäune' habe ich verstanden. Er lächelte mich wie ein Wasserfarbmalkasten an. Zähne, verstand der Korporal. Zähne putzen nicht vergessen. Er holte seine Zahnbürste heraus. Die dritte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


12.9.:   „Mein vierter Tag an der Front. Meinen ersten, echten Toten gesehen. Er war ganz in weiß gekleidet. Er wandelte über das Schlachtfeld, als wäre er nicht er selbst gewesen. Der Korporal sagte, er kam geradewegs vom Himmel. So leuchtete er. Der Sanitäter sagte, er sei ein Fallschirmspringer. Er stand so da. Ganz ruhig, nur die Arme etwas erhoben. Sein Schirm schwebte wie eine Qualle hoch über dem Geschehen. Einfach so da. Als wollte ihn der Wind nicht hergeben. Fäden. An Fäden. Das hielt ihn am Stehen. Die Arme leicht erhoben. Der Korporal meinte, jemand müßte sie abschneiden. Meinen ersten, echten Toten gesehen. Er wandelte über das Schlachtfeld. Hell erleuchtet, in weißer Nacht. Die vierte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“


13.9.:   „Mein fünfter Tag an der Front. Wir alle waren zum Schwimmen. Die gesamte Kompanie, nein, kein Trupp. Die gesamte Kompanie, sagte der Kapitän. Wir sollten unsere Badesachen einpacken. Ich weiß nicht. Fritze sprang vom Turm. Gleich von erster Stufe. Wie ein Springer. ...habe noch nie so einen eleganten Köpper gesehen. Die Hände schwangen nach außen, dann weiter zur Mitte. Er lächelte. Er sah so glücklich dabei aus. In seiner Schwebe. Gegen den Himmel. Dann tauchte er in den Boden ein. Auf ganzer Länge. Dann auch sein Gewehr. Hat ihn einfach verschluckt. Einfach so. Danach sprangen wir alle aus dem Schützengraben – und schwammen hinterher. Schwimmen. Wir alle waren zum Schwimmen. Die fünfte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“