9.9.:
„Mein erster Tag an der Front. Im Schützengraben gelegen. Alles ruhig
geblieben. Habe beinahe einen Daumen verloren. Der Sanitäter sagt, die
Pfeile wird den Nagel richten. Habe 'Feinde' statt 'Pfeile'
verstanden. Die erste Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen
durch.“
10.9.: „Mein zweiter Tag an der Front. Hermann kam vorbei. Er brachte Dosenfutter mit. Wir aßen. Er stand auf. Die Büchse vor dem Bauch. Ein Peng. Meine zweite Kriegsverletzung, meine erste, beste Uniform versaut. Ob die Flecken mit normaler Seife rausgehen? Nein. Geht nicht. Das Stück steckt noch in Hermanns Bauch. Der Sanitäter meinte, das sollte vorerst die Blutung stoppen. Ob sein Blut jetzt reiner ist? Es tropft so glasig auf den Boden des Grabens nieder. Die zweite Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“
11.9.: „Mein dritter Tag an der Front. Heute Vorstoß hinter feindlichen
Linien: Sah nur Striche in der Landschaft. Bäume, sagte der
Korporal. Bäume. Die Pfütze im Schützengraben spannte einen Regenbogen. Tauchte
meine Zahnbürste darin ein. Am Morgen. Seife. Will nicht an Karies
sterben. Zäune, sagte ich dem Korporal. 'Zäune' habe ich
verstanden. Er lächelte mich wie ein Wasserfarbmalkasten an. Zähne,
verstand der Korporal. Zähne putzen nicht vergessen. Er holte seine Zahnbürste
heraus. Die dritte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen
durch.“
12.9.:
„Mein vierter Tag an der Front. Meinen ersten, echten Toten gesehen. Er war
ganz in weiß gekleidet. Er wandelte über das Schlachtfeld, als wäre er
nicht er selbst gewesen. Der Korporal sagte, er kam geradewegs vom Himmel. So
leuchtete er. Der Sanitäter sagte, er sei ein Fallschirmspringer. Er stand
so da. Ganz ruhig, nur die Arme etwas erhoben. Sein Schirm schwebte wie eine Qualle
hoch über dem Geschehen. Einfach so da. Als wollte ihn der Wind
nicht hergeben. Fäden. An Fäden. Das hielt ihn am Stehen. Die Arme
leicht erhoben. Der Korporal meinte, jemand müßte sie abschneiden. Meinen
ersten, echten Toten gesehen. Er wandelte über das Schlachtfeld. Hell
erleuchtet, in weißer Nacht. Die vierte Nacht überstanden. Hoffentlich
stehe ich das Liegen durch.“
13.9.: „Mein fünfter Tag an der
Front. Wir alle waren zum Schwimmen. Die gesamte Kompanie, nein, kein Trupp. Die
gesamte Kompanie, sagte der
Kapitän. Wir sollten unsere Badesachen einpacken. Ich weiß nicht. Fritze
sprang vom Turm. Gleich von erster Stufe. Wie ein Springer. ...habe noch
nie so einen eleganten Köpper gesehen. Die Hände schwangen nach außen,
dann weiter zur Mitte. Er lächelte. Er sah so glücklich dabei aus. In
seiner Schwebe. Gegen den Himmel. Dann tauchte er in den Boden ein. Auf ganzer
Länge. Dann auch sein Gewehr. Hat ihn einfach verschluckt. Einfach
so. Danach sprangen wir alle
aus dem Schützengraben – und schwammen hinterher. Schwimmen. Wir alle waren zum Schwimmen. Die
fünfte Nacht überstanden. Hoffentlich stehe ich das Liegen durch.“
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