Heinrich.
Heinrich
war auch so ein komischer Kauz.
„Die Bomben! Die Bomben! Wo warst D u ?!“
Sagte er
immer. Raunzte er immer. Rotzte dabei. Weil er das ‚Du’ so auseinanderzog. Ein Schluck aus dem Flachmann. Und dann
dieses Husten. Tja, Heinrichs Welt.
Das auch. Darüber müßte ich mal schreiben. Über den ollen Nazi. Wasser in den
Beinen. Die Waden, dick und knautschig wie beim Michelin-Männchen. Kurz vor seinem Tode sah ich ihn wieder. Wie er
da auf dem Sofa saß. Mit dem grünen Samtbezug. Und den Bommeln. Mit den ‚Kumpels’. Draußen. Im Hof. Ein schöner
Tag war es eigentlich. Die Sonne schien. Frühlingsluft. Wie still er mich
anschaute. Keine Bomben, kein „Wo warst D
u ?!“. Kein Flachmann. Kein Husten. Nur Heinrich.
Der olle Nazi. Der Mensch. Und die große Flasche Korn.
Ach, Heinrich. Da war ich doch noch gar nicht
auf der Welt...
Heinrichs
Welt. Wie habe ich sie gehaßt! Tagein, tagaus. Und dann? War sie weg. Einfach so. Und habe sie vermißt.
Komisch, nicht?
Oder der olle Seebär?
Der sich
immer die graue Brust kratzte. Mit Fingernägeln so lang wie Brotmesser. Das
Ratschen durch diese spröden Haare werde ich nie vergessen. Habe seinen Namen
vergessen. Nun. Ich sah ihn wieder. Glaube ich. Jahre später. In der anderen
Stadt. Seine dreckschneefarbenen Haare. Erkannte ihn daran. Dreckschneefarben.
Das habe ich gleich übernommen. Eingebaut. Das einzige, was er mir schenkte.
Nein. Nicht ganz. Ein weiteres: Er zeigte mir, wie weit ein Mensch gehen kann,
um dann am Ende eines Weges aufzuhören, ein Mensch zu sein. Oder aufhörte,
etwas vorzugeben. Wie er in dieser Mülltonne wühlte. Fand dort keine
Flachmänner. Nur Dosen. Kramte diese grüne unter all dem anderen Unrat hervor
und setzte sie an. Ohne zu zögern. Ich konnte das Glucken sehen. Aus der Ferne.
Wie ich ihn gehaßt habe! Weil ich ihn nicht erkennen wollte. Deshalb kam ich
nicht näher. Weil er nicht zögerte. Weil er glücklich war. In diesem Moment,
der keiner war.
Komisch, nicht?
Oder der falsche Monegasse?
Der
eigentlich Franzose war. Aber kein Franzose sein durfte. Weil er ja Franzose
war. Wie war noch sein Name? Ach,
mein Gedächtnis. Läßt mich wie immer auf dem Trockenen verdursten. Vielleicht
erinnert es sich nicht mehr an die Namen, weil es die Menschen verdrängen will.
Aber was macht das für einen Unterschied, wenn man jung ist! Und Sommer! Und
die Pyrenäen so nah! An diesem Tag, der so seltsam war. Weil auch diese Sonne
wieder schien. Wie an Heinrichs Tag im Hof auf dem Sofa. Und der Monegasse, der
eigentlich Franzose war, besoffen war. Und alles mulmig war. Und ich mir fast
vor Angst in die Hosen geschissen habe. Nein, das ist nicht wahr. Daß ich mir
in die Hosen geschissen habe. Daß mir angst war. Weil mir mulmig war. Weil es
seltsam war. Weil alles anders war.
Komisch, nicht?
*
Für das nächste Leben vormerken: Weniger erlebt zu
haben, mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen. Oder gleich mit verschränkten
Armen auf der Fensterbank aus dem geöffneten Fenster in die Welt hinausschauen.
Am besten gleich mit geschlossenen Augen. Sich dann selbst vorstellen, wie man
mit verschränkten Armen auf der Fensterbank aus dem geöffneten Fenster
hinausschaut und dem Menschen, der dort in der Vorstellung vor dem Fenster
steht von hinten mit den Handflächen die Augen zuhalten, damit die
geschlossenen Lider auch geschlossen bleiben, und dann ins Ohr flüstern, was
man vor dem Fenster sieht, wenn Menschen darunter vorbeiziehen, wobei diese
sich beim Gehen selbst die Augen von hinten zuhalten, der Hintermann dem Vordermann,
und abwarten, was geschieht, wenn sie gegen andere prallen, die sich ebenso die
Augen zuhalten. Könnte so ein Bild von Magritte
aussehen.
Oder mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen.