"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 11. September 2014

Von allem unbemerkt starrten die Schwalben in leere Nester


Wollte nicht bei dieser Stadtführung anwesend sein. Stadtführungen durch die eigene Stadt sind dumm und ergeben wenig Sinn, da man sich selber schon durch die engsten Winkel dieser gezwängt hatte und es unwichtig war, wer diese Stadt nun gründete und warum. Welches Haus schon länger stand, welches im Mittelalter abgebrannt war und welcher Kaufmann sich ein Haus baute, dessen Namen nun noch Jahrhunderte später auf den Wänden prangte. Kamen mir die Mithörer dümmer und ungebührlich vor, und ich hatte noch Stolz, der sich in all den langen Jahren angesammelt hatte. Stolz, den es zu verteidigen galt. Für all die langen Jahre, die noch zu kommen waren. Und sah weg. Entfernte mich von der Gruppe. Einen Schritt. Der genügte. Der mich auf die andere Seite brachte – der Stadtführer erläuterte die Geschichte eines Straßennamens –, zur Seite, zu der, der Vorbeiziehenden.

In der Fußgängerzone, an einer Häuserwand zwischen zwei Geschäften saß sie auf einer ausgebreiteten Decke und sah genau in dem Augenblick herüber, in dem ich wegschaute. War sie wohl neugierig, warum sich diese Gruppe nun dort sammelte. War sie zu jung für eine Obdachlose, und war sie auch gewissermaßen hübsch. So daß sie nicht dahin gehörte. Und ich sah ein zweites Mal weg, schnell, damit ich sie nicht in ihrem Leben auf der Straße störte, obwohl die Straße doch allen gehörte, und man sich auf der Straße auch alles ansehen durfte. War dies der Stolz, der ihr zustand. Wenigstens, wenn ich sie nicht weiter beobachte, damit sie im Treiben ihres Lebens eine Nische besetzen konnte. Wenigstens eine Nische. Dachte nur, während ich sie in meinem DVD-Brenner-Gedächtnis speicherte – nicht mehr als ein Blick reichte –, daß sie nicht dort sein durfte. Nicht, wenn sie jung war und auf ihre Art hübsch. Durfte so keine Obdachlose sein. Von allen Seiten betrachtet. Während junge Frauen ihres Alters durch die Geschäfte torkelten, betrunken von den Schnäppchen, in den Händen Tüten, neue Schuhe, neues Make-Up, neue Männer für den Herbst in ihren Köpfen. Dachte, wie mutig sie war, sich diesen Blicken auszusetzen. Und wie feige ich war, weil sich so viele Fassaden aufrecht erhielten. Auch meine eigenen. War das ihr freier Wille. Hätte ich mich dazu setzen müssen. Aber dann? Neigte sich der Sommer dem Ende entgegen. Von allem unbemerkt starrten die Schwalben in leere Nester.





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