Wollte nicht bei dieser Stadtführung anwesend sein. Stadtführungen
durch die eigene Stadt sind dumm und ergeben wenig Sinn, da man sich selber
schon durch die engsten Winkel dieser gezwängt hatte und es unwichtig war, wer
diese Stadt nun gründete und warum. Welches Haus schon länger stand, welches im
Mittelalter abgebrannt war und welcher Kaufmann sich ein Haus baute, dessen
Namen nun noch Jahrhunderte später auf den Wänden prangte. Kamen mir die Mithörer
dümmer und ungebührlich vor, und ich hatte noch Stolz, der sich in all den
langen Jahren angesammelt hatte. Stolz, den es zu verteidigen galt. Für all die
langen Jahre, die noch zu kommen waren. Und sah weg. Entfernte mich von der
Gruppe. Einen Schritt. Der genügte. Der mich auf die andere Seite brachte – der Stadtführer erläuterte die Geschichte
eines Straßennamens –, zur Seite, zu der, der Vorbeiziehenden.
In der Fußgängerzone, an einer Häuserwand zwischen
zwei Geschäften saß sie auf einer ausgebreiteten Decke und sah genau in dem
Augenblick herüber, in dem ich wegschaute. War sie wohl neugierig, warum sich
diese Gruppe nun dort sammelte. War sie zu jung für eine Obdachlose, und war sie
auch gewissermaßen hübsch. So daß sie nicht dahin gehörte. Und ich sah ein
zweites Mal weg, schnell, damit ich sie nicht in ihrem Leben auf der Straße
störte, obwohl die Straße doch allen gehörte, und man sich auf der Straße auch alles
ansehen durfte. War dies der Stolz, der ihr zustand. Wenigstens, wenn ich sie
nicht weiter beobachte, damit sie im Treiben ihres Lebens eine Nische besetzen
konnte. Wenigstens eine Nische. Dachte nur, während ich sie in meinem DVD-Brenner-Gedächtnis speicherte – nicht mehr als ein Blick reichte –,
daß sie nicht dort sein durfte.
Nicht, wenn sie jung war und auf ihre Art hübsch. Durfte so keine Obdachlose
sein. Von allen Seiten betrachtet. Während junge Frauen ihres Alters durch die
Geschäfte torkelten, betrunken von den Schnäppchen, in den Händen Tüten, neue
Schuhe, neues Make-Up, neue Männer
für den Herbst in ihren Köpfen. Dachte, wie mutig sie war, sich diesen Blicken
auszusetzen. Und wie feige ich war, weil sich so viele Fassaden aufrecht
erhielten. Auch meine eigenen. War das ihr freier Wille. Hätte ich mich dazu
setzen müssen. Aber dann? Neigte sich
der Sommer dem Ende entgegen. Von allem unbemerkt starrten die Schwalben in
leere Nester.
*
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