"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 11. Juli 2015

Kamera, lat. Kammer


Früher sagte man Indio-Stämmen nach, wenn sie zum ersten Mal auf weiße Besucher aus der Zivilisation trafen und die sie photografierten, daß sie sich davor fürchteten, daß ihre Seele in den Photoapparat gezogen wird.

Diese Kamera war anders. Sie zog gleich den ganzen Menschen hinein.


Mit nachlässiger Begrüßung lud der Japurá ins wackelige Kanu ein, drei Fremde, Gepäck für vier Wochen, Kameras und Stative. Schwüle, Porzellanzähne. Der Motor startete, die Schraube setzte auf dem Wasser auf wie ein Libellenschwanz. Das Dröhnen begleitete die weitere Fahrt. Acht Stunden rechnete man ein. Die Gespräche beschränkten sich aufs Nötigste.

Dichter Pflanzenvorhang. Das Kanu lag zwei Stunden hinter ihnen. Schob man einen Vorhang zur Seite, stand man vor dem nächsten. Mosquitos surrten und saugten, Schweißflecken von den Achseln bis zu den Hüften. Die Träger trugen, die Fremden sich ferner. Diese Nacht verbrachten sie unter keinen Sternen.

Hockten am Tage. Warteten auf Regung. Zogen dann weiter. Nasse Stiefel, Füße wund. Kein Reden. Nur die trügliche Stimme des Regenwaldes, der zu eigenen Dingen keine Stellung bezog, nur für andere bedächtig log. Tranken im Gehen Wasser, das schwefelig roch. Wischten die Stirn mit noch nasseren Halstüchern. Trieb sie die Vorstellung weiter, wie sie sich vorstellten. Mit der Kamera, dem Stativ. Das Motiv. Das nur.

Erste Spuren. Behauenes Gehölz. Leichte Pfade, die sich nicht mehr von den Armen der Bäume umarmen lassen wollten. Dann stahl Licht sich ins Auge der Fremden. Ein Platz, darauf zwei lange Häuser aus Resten, die der Wald achtlos weggeworfen hatte oder die man ihm wie ein Räuber abtrotzte. Erste Kinder, nackt, mit den Fingern im Mund, Hunde, Hühner, Mandiocamehl.

Traten die Jüngeren heran. Mit Penisschutz und gegerbtem Leben. Frauen wechselten Säuglingen die Brust, die Älteren kamen verlegen entgegen, denen, die sie aus ihrer Gewohnheit entnahmen. Traten die Fremden ungebeten ins Leben. Erste Annäherungen. Geschenke, die keinen Sinn ergaben, für eine Zivilisation an eine andere. Die Kamera wurde aufgebaut, Stativ. Kaum Verstehen.

Fand sich der Stamm in einer Reihe wieder. Die Kleineren vorne, die Älteren in der Mitte, die Jüngeren hinten, Kinder, Frauen, Männer, Hütten. Hatten die Fremden geschickt mit Freundlichkeit Regie geführt, sie dorthin gestellt, jenes drapiert, ein unscheinbares Schieben, standen sie nun vor dem Kameraobjektiv.

Nur einmal auslösen. Nur ein einziges Mal. Nur einmal wurde der Auslöser gedrückt. Und war der Stamm auf einmal weg. Weg. Die Hütten blieben, die Hunde, die Hühner. Waren nur die Menschen weg.

Packten die Fremden ihre Sachen. Kamera in die Tasche, Stativ zusammengesteckt. Würdigten dem Orte keinen Blick, durch den Urwald zurück. Stunden. Mosquitos, wunde Füße. Schwerer ihr Gepäck. Ins Kanu. Der Ausleger klatschte ins Wasser. Quirlte. Mit dem großen Boot nach Manaus. Von da zurück.

Dunkelkammer. Photobäder. Abzüge. Wurde das Bild entwickelt.

Ein Schreibtisch. Karten, auseinander gefaltet. Lupe, Stifte. Linien gezogen, Lampe, Bücher über Naturvölker. Die Kamera. An der Wand Bilder in Rahmen. Aberdutzende. Darauf: Menschenstämme. Mal größer, mal kleiner. Mal bunter, mal bleierne Minen. Hängten Hände das neue Bild auf, richteten es aus. Der Stamm am Japurá. Blieb noch Platz für ein Bild. Genau für eines. Genau in der Mitte.

Nur den einen noch. Nur diesen einen Stamm noch. Dann.


Dann war die Expedition, die Kammer vollkommen.












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Mittwoch, 1. Juli 2015

Phanes


Kühle. Wärmende Kühle. Wiederkehrend. Berührend. Nur durch die Nähe verspürend, nicht begehrend. Atmen. Wiederkehrend. Durch den Hauch. Beneidetes Berühren. Wegen der Nähe. Wahrscheinlich. Wahrscheinlich das einzige Fühlen, das ohne Fühlen vor sich ging. Kühle. Wärmende Kühle. Gedankenblasend. Und unangenehm. Angenehm. Und unangenehm. Und angenehm. Sowohl dem Hauchspender, als dem Angehachten. Ins Gesicht gespritzte Küsse bedankten sich für die Nähe. Und das Zehren. Das Kitzeln aufgestellter Strähnen. Haare, die sich im Hauch hoben, im Warten auf den nächsten störten, wo sie sich niederlegten. Kühle. Wärmende Kühle. In der verdammten Hitze.


Der Garten ist der Hort. Der Ort, unbefangen von den Taten, wo es sich bequemlich machte. Das Erwarten, das Hoffen. Das Atmen. Das Ausatmen. Und nichts trieb diesen Wind mehr von der Seite, als das absichtslose Warten. Das Atmen, Ausatmen. Das Hoffen, das Erwarten. Wenn der Wind von der Seite trieb, war der Blick auf das Geschehen klar. Wenn er die Strähne von der Schläfe blies, im Schlafe, und diese dazu streichelte. Und zeigte und pochte, daß es darin noch lebte: Das Erwartete.

Das Pochen. Das Leben. Das andere.

Und dann stieg der Wind auf in absichtsloser Schwere, in diesem Sinne, sich zu tragen, aus dem Pochen ins nächste Leben zu wagen. Nach der Strähne zögerten Finger, strichen sie glatt. Absichtsloses Aufwachen. Verlangten nach der Reife. Nach der anderen, der Schwere: Jedem Warten war das Bangen inne. Auf das nächste absichtslose Aufwachen. Das Atmen, Ausatmen.

Das Leben, das Erwachen. Das Pochen.

Der Garten – ist der Hort. Der Ort des Wartens. Des Wachens. Auch der Ort der anderen Taten…


„Ich bin Phanes. Ich bin der Wind, der von der Seite treibt:

Ich bereite Wohlempfinden. Oder störe. Verschwinde. Wenn es behagt. War nie da. Bin die Art, deren Anwesenheit man nicht bemerkt… wenn man nur das Wesentliche betrachtet. Und bin weg. Einfach so. Hauch, Luft nur. Dessen Verschwinden man nicht bemerkt. Und bin weg. Einfach so. Ich bereite Wohlempfinden, Empfinden… oder störe.

War nie da. Und bin weg. Einfach so… 

Ich bin Phanes. Der Wind, der von der Seite treibt. Ich überblicke grünes Land, Hügel, ein Meer. In der Ferne schlagen Wellen gegen einen blauen Himmel. Ich bereite Wohlempfinden oder störe…


Und bin weg. Oder bleibe… Einfach so.“









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(aus: Der Liebhaber der Sonne – ein Märchen)