"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 4. Juli 2018

Teller und Sprache



Es heißt nicht mehr ‚Berliner‘, es heißt ‚Berlinende‘. Es heißt auch nicht mehr ‚Schwimmer‘ – und daran werde ich denken, wenn ich gleich im See baden gehe –, es heißt ‚Schwimmende‘. Es heißt ja auch nicht mehr ‚Künstler‘, es heißt ‚Kunstschaffende‘
Helikopterkinder, wenn sie erwachsen werden.

Sprache und Teller. Daran wollen Kinder immer ran. Besonders, wenn es nicht ihre sind. Ich mag Kinder. Sie leben in ihrer eigenen Welt, die nichts mit der Welt der Erwachsenen zu tun hat.
Immer, wenn die nächste Zeitung pleite geht, blicke ich kurz auf und denke: Ach, schon wieder diese dummen Leser, die keine Lust mehr haben, sich jahrelang beleidigen zu lassen. 
Und dann schaue ich lieber Youtube.

Und alle anderen schauen lieber Youtube. Und wo sind eigentlich diese jungen Frauen, an die sich Zeitungen jetzt immer richten? Ach, die gucken auch lieber Youtube. Was? Diese jungen, schönen Frauen, an die sich Zeitungen jetzt immer richten, die kaufen gar keine Zeitung und lesen gar nicht? Warum dann für die schreiben? Ach, wegen Instagram-befreundet sein wünschen.

Und dann geht die nächste Zeitung pleite. Und ich kriege es wohl mit, wenn es in einem Youtube-Filmchen erwähnt wird. Oder auch nicht. Denn für Zeitungen fehlt mir die Zeit und Relevanz. Ich will mir lieber anschauen, wie diese 250 Millionen Dollar teure Hollywood-Villa aussieht. Und wie wenig Geschmack für Einrichtung man haben muß, wenn man 250 Millionen Dollar in andere Hände gibt. Und Zeitungsmacher heulen heimlich, weil keiner mehr ihr Gequatsche und Gelaber lesen will. Oder diese lachhaften Bilderstrecken, bei denen sich bei jedem Klick die Seite neu aufbauen muß. Und sie schauen sich auch lieber das Youtube-Video mit der Villa mit der 5-Meter-Candy-Wall an.

Instagram ist auch schon tot. Coole Leute gucken kein Instagram mehr. Oder Leute, die nie cool waren. Warum 1 Bild ansehen, wenn ich ein ganzes Filmchen sehen kann? Diese Zeiten sind schlecht für junge, aufmüpfige Menschen. Denn sie schauen auch lieber Youtube.

In Verbindung mit Google ist Youtube unschlagbar. Man kann Sprache auch dafür nutzen, sein Suchbegriff-Fachwissen zu vertiefen. Nichts ist befriedigender als solange mit den Suchbegriffen herumzuexperimentieren, daß der Algorithmus das richtige Ergebnis ausspuckt. Klappt auch mit der Bildersuche.

Nichts ist so erlösender als Bilder von Glasschiebetüren im richtigen Contemporary-Design zu finden und sich für die Details der Laufschienen zu interessieren. Laufschienen von Schiebetüren sind nicht gleich Laufschienen von Schiebetüren! Da kommt‘s auch auf die Dicke und Farbe an. Nichts ist so befriedigend wie per Fernbedienung betätigten, elektrischen Glas-Patio-Terrassenschiebetüren beim Auf- und Zugehen zuzugucken. Am besten in Verbindung mit elektrischen Blinds. Elektrischen Sonnenschutzblenden. Die Google-Bildersuche ist das Instagram der Leute, die kein Instagram haben minus Werbung minus cool sein müssen.

Gestern war ein schöner Tag. Gestern habe ich die Photos von dem modern-geilen Haus in Neuseeland wiedergefunden, die ich vor Jahren schon mal gesehen habe. Wie lange ich die gesucht habe! Ich lobte mich für meine Suchbegriff-Hartnäckigkeit: contemporary lakeside house new zealand. Oder: modern lake house clearhouse new york.

Oder schon mal Bilder von dem berühmten Design-Kamin Gyrofocus gesehen? Nichts ist entspannender. Da braucht man gar nicht mehr real vor einem Kamin hocken.

Bei Google klicke ich gleich auf Bilder oder Videos. Nichts ist so nahrhaft wie modernes Kamin-Design.

Diese Sprache lege ich mir auf den Teller. Keiner patscht mit seinen Frust-Fingern drauf. Und quatscht und labert dabei, bis Bröckchen aus dem Mund fliegen.

Das Leben ist schön. Wenn man es sich auf Youtube anschauen kann.






*



(Ode/r an Suchbegriff-Fitting:


Gend )







Freitag, 13. April 2018

Vom Mümmeln: Mümmeln, Millgähnials, mümmeln geh‘n


Du sitzt dann mit 35 bei Markus Lanz als einzige Frau in der Talk-Show und überschlagenden Beinen – Basic Instinct ist ein Film aus einer prüdefreien Zeit – und erzählst, warum Du all die Drogen genommen und gesoffen hast. Während Dein Buch eingeblendet wird und die Bauchbinde sagt: „Ich will aufklären.“ Du wolltest nie so ein Mensch sein. Aber Du brauchst das Geld. Du bist alt, Du brauchst das Geld. Und Du brauchst den Applaus. Und Du willst glauben: Applaus ist Geld. Und Markus Lanz liest von seinem Moderationskärtchen ab: „Sie haben mal den schönen Satz gesagt. Zitat: …“

Du lächelst längst gequält. Dein 25-jähriges Ich hatte das mal gesagt. Du bist nicht mehr 25. Nie mehr. 10 Jahre nie mehr.

Und Du weißt, daß Du das scheiß Pech gehabt hast, bei der Fußballsendung eingeladen zu sein. Und Du sollst jetzt also schnell mal was übers Spiel sagen.

Millenials. Immer.


Nun könnte ich etwas über Millenials erzählen.

Weil ich aber keine Millenials kenne – ich kannte mal eine 17-Jährige, die trug Sneaker-Dekolleté, aber sie war kein Millenial, sie war eine 17-Jährige –, weiß ich auch nichts über Millenials.

Also nur das, was sie über sich sagen. Und sie meckern viel. Also, wenn sie was sagen. Weiß ich. Von Millenials. Die das sagen. Daß sie Millenials oder Melanials (von Melania Trump) oder Kimials (von Kim Kardashian) sind. Weil sie meckern, wenn sie was sagen. Sagen sie, wenn sie denn was sagen wollen würden. Aber die sagen eigentlich nichts. Nur, wenn sie schrei(b)en, sagen sie was. Aber die meisten – also alle – schreiben gar nicht. Also sagen sie auch nichts. Nur hm, ja, nee, klar, hm, ja, doch, hm ja, nee. Das sagen sie. So reden Millenials.

Hätten sie was zu sagen, was könnten sie wohl sagen?

Ich weiß es nicht.

Was könnte ich denn sagen?

„Lohnt sich das?“, könnte ich sagen.

Aber lohnt es sich, das zu sagen?, denke ich.

„Nein.“, sage ich. „Lohnt sich nicht.“

Also erzähle ich lieber nicht von Millenials, sondern von Billenials. Oder lieber gleich vom Mümmeln.

Wenn Millenials eine Million sind, dann sind Billenials eine Billion. Und eine Billion ist schon mal mehr als eine Million. Und das ist besser. Und alles, was besser ist, ist besser. Nur im Englischen nicht. Da ist eine Billion eine Milliarde.

Milliardstel, also der milliardste Teil vom Ganzen, also Billenials wie ich, verdrängen immer mehr. 

Ich schimpfe weniger, ich aufrege mich weniger, ich lese weniger. Kaum ein Artikel lohnt sich noch, angeklickt zu werden. Ob da ein Zusammenhang besteht?

Nutzte ich noch vor drei, vier Jahren die Browser-Registerkartenfunktion und las mehrere Artikel dann hintereinander weg, nachdem ich auf einer Seite herunterscrollte, überspringe ich mittlerweile sogar Teaser-Texte. Diese Appetithappen, die einen ja zu mehr lesen animieren sollen. Grausiges mag ich gar nicht mehr was von wissen wollen. Bluttaten, Schreihals-, Ausrufe!- oder Warum?-Artikel – die überscrolle ich gleich. „Will ich nicht wissen.“

Ich scrolle auf einer Seite auch nicht mehr ganz nach unten. Dort unten, im prekären Milieu von Seiten tummeln sich die Egal-Kinder. Und die sind mir egal. Die ersten Artikel – also die wirklich, wirklich wichtigen – überscrolle ich schon immer. Das sind die politischen Aufmacher-Artikel, die kein Mensch anklickt, aber immer ganz oben stehen. Warum die ganz oben stehen, weiß kein Billenial. Warum stehen die nicht ganz unten bei den Egal-Kindern?

Vielleicht müssen die Egal-Kinder ganz oben stehen, damit die nicht diskriminiert werden.

Ist wie Bertgrecht der Dicke. Der darf nicht diskriminiert werden. Weil er ja dick ist. Also muß er immer vor der Klasse stehen. Während andere von hinten ihm Hasenohren machen.

Immer mehr Billenials klicken immer weniger Artikel. Das weiß ich. Denn ich bin ein Milliardstel. Und ein Milliardstel weniger, dann ist es weniger von der Milliarde. Und von einer Milliarde ein Milliardstel weniger ist keine Milliarde mehr. Immer mehr Milliardstel klicken immer weniger Artikel. Also weiß ich das.

Die, die von Artikeln leben und allen Ernstes glauben, wenn sie in der Zeitung stehen, dann werden sie auch gelesen – ha-ha –, müßten das eigentlich auch merken: Daß sie gar nicht angeklickt werden. Daß die gar nicht gelesen werden.

Erinnert mich an Fernseh-Gestalten, die Kostüme in schreienden Farben anziehen, die man nie in der Fußgängerzone oder im Supermarkt sieht, die einen anschreien: „Schau mich an! Übersieh mich nicht! Ich bin im Fernsehen! Aber keiner sieht mich! Keiner schaut mich an! Keiner schaut den dunklen Anzug mit Krawatte an! Also ziehe ich was Schreiendes an!“

Solche Probleme füllen Arzt-Praxen.

Zurück zu den Schreienden. Also – die Ohnmacht ist verständlich – schreien die Schreibenden noch mehr in der Überschrift, merke ich, was nur noch mehr dazu führt, daß der gemeine Billenial, also das Milliardste, nur weiter überscrollt und den nachfolgenden Artikel auch gleich mitmeidet: Man könnte ja auch da angeschrien werden.

„Hey, Macker! Ich will nicht angeschrien werden!“, intoniere ich. „Hey, Mackmoiselle! Interessiert mich nicht!“

Milliardstel wie ich verdrängen immer mehr: „Will ich nicht wissen. Schadet mir nur. Kriege ich nur schlechte Träume von.“

Ich ertappe mich dabei, heimlich Bilder von Dingen anzuschauen: Möbel und Autos. Ich lerne begierig ihre Markennamen.

Ein Tufty-Time von B&B Italia schreit mich nicht an. Ein Vanity Fair von Poltrona Frau will mich nicht manipulieren. Cassina? Vitra? Zanotta? Cor?
Sie erzählen mir ihre eigene Geschichte, mit denen ich mich einmöbeln will. Einmummeln will. Mümmeln will.

Ihr schreienden, schreibenden Schreihälse: Keiner will mit Euch zusammenleben.

Ist wißt ja gar nicht, was zusammen mümmeln ist!


Billenials wie ich mümmeln halt gern.




*



(Ode/r an die gute, alte Zuschauerbeschimpfung. Die hat noch nie funktioniert. Nein. Noch nie.

Wer Meditatives sehen will, schaut sich am besten sowas an:


Oder sowas:


Oder sowas:



Ich mümmel jetzt einfach weiter. )