"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Dienstag, 22. Juli 2014

Wassertropfenmenschen


Marc fand eine Nische. Ich wollte nicht. Nicht diese. Wollte. Mich setzen. Es dauerte.

An einem Stand mit Gewürzen, Ingwer und Pfefferschoten in großen Rattankörben und dem Händler aus dem Augenland, dort fielen uns zwei Stufen ein, gegen eine Häuserwand aus grauem Putz und Abgestoßenem, ein Schritt zurück vom Strom, auf der Höhe einer Sohle, wenn ein jemand jünger gegenlehnte, vorgestreckt, das Bein auf oberster Stufe, im Nachlaßwinkel das andere, hinterm Rücken die Arme, ohne sich zu verstecken, aufgelegt überm Gesäß die Hände, zwei Fäuste, eine ballte, eine beließ es am Armgelenk, und vor Kundschaft wartete, überdacht von gewebten Planen, bestehend neben dem Einwand des Handelsälteren, der hinter seinen Angeboten auf einem halben Hocker bequemer saß, ein Tischlein mit roten Rauten als Gesellschaft, geschwätzig, zwei Tässchen des süßen Kaffees vorgelesen, eine angetrunken, eine in der Gegend, Zigaretten.

Setzte ich mich, dazwischen, auf die Stufe. Schräg. Mit dem Rücken zu den Schoten. Marc ließ mich sitzen. Besorgte mir im Gang darauf eine Flasche Wasser. Er zahlte mit Unwirschscheinen. Kam unlässig. Mit selben Ausdruck nahm ich sie entgegen. Der Baldachin sperrte mich vor seinen Blicken. Der Mund nur sichtbar. Darauf feine Perlen. Eine große Flasche Wasser. Das Plastik knackte einmal. Fest. Fitzelte selbstvergessen am Verschluß. Schraubte mich durch die Windung, nahm den Deckel ab, Luft entwich, gab im gleichen Maße der Behälter seine Stärke auf, drückte, ohne es zu wollen, nur, weil ich trinken wollte, hielt in Schräge, das bewegte, und setze meinen Durst an der engsten Stelle an. War dort der Fluß am ehesten. Warf die Flasche in den Nacken, schlang, verschwanden auch die Lippen. Blieb der Schatten unbeteiligt in der Hitze. Wie eine unausgefüllte Hülle. Der noch die Schwere der Fülle nachschwappte. Vorm ersten. In Gedanken. Trank ich in großen Schlücken.

Es tropfte. Herunter. In der Hitze im Innern. Hielt die Augen geschlossen. Und trank. Wie ein Kamel, ohne abzusetzen. Nach der Wüste, vor der nächsten. In der Oase. Dazwischen. Spülte den Dreck gleich mit herunter. Spritzten die Tropfen auf eine der Stufen, zerplatzen. An der Kante. Gegen die Schienbeine, die Füße, meinen Knöchel. Wie gut das tat. Rann gleich an meinem Kinn herunter, ein zweiter Fluß, unter meiner Bluse auf selbem Wege. Ließ die Stimmen des Basars, des Händlers in der Warte, der nun mit seinem Tässchen plauderte, und Marcs verdeckte in der Ferne der Schlücke, seiner Kehlkopfrücke, als er mir die Flasche gab, bis es still wurde – wie gut das erst tat – und ich nichts mehr außer das Glucken des Wassers hören wollte, spülte herunter in Schüben, beließ die Lippen an der runden Öffnung – Hoffnung – atmete durch die Nase gegen die Blasen, wollte ein zweites Mal, nie mehr absetzen, die Tropfen sprangen, rannen, platzten, zwischen oberster Stufe und Boden, dickes, schweres Glucken, das bereitete ich, kletterte eine Träne aus dem Auge, nicht, weil ich weinte, weil es sich verkniff, wollte ein drittes Mal, aber nicht fallen, trat an Licht und klammerte sich jetzt am Unterlid fest, sackte ab, verkrallte sich dort an die Wimpern. Kühle auch, ja. Versuchte, sie abzuschütteln. Zog und störte. Wie ein langer Ohrring, der sich in den Haaren verhedderte. Nur an der falschen Stelle. Kühle auch, platzte weiter gegen meine Schienbeine. Hörte mit ihnen Stimmen. Immer. Als sie auf die Kante trafen. Hörte ihnen zu. Klang wie Gewimmer. Öffnete mir die Augen. Ich sah direkt in die Flasche, wo Wellen und Schübe:

dort drinnen befanden sich Menschen, durchsichtig, nur an den Rundungen sichtbar, weil dort bläulich schimmernd, die sich gegen den Sog in der Schräge stemmten, die Kleidung gab dem Wasser Geschmack, verzweifelt, nun deutliches Schreien – mit dem Kopf zumeist voran in meinen Schlund verschwanden die, die es nicht schafften, andere, denen das gleiche Abrutschen drohte, versuchten diese an den Füßen zu halten, weit aufgerissene Arme, und stemmten sich gegeneinander, das half, und gegen den Flaschenboden, der jetzt die Decke war, an verborgenen Rillen, die beim Pressen des dünnen Plastiks entstanden.

Sie gaben Befehle in dünnen Abständen. Und ich, dumme Kuh, dachte, es wäre das Blubbern. Wieder riß es einen fort. Ich erschrak noch mehr als die Fallende – erkannte ich am fliehenden Rock –, einen zweiten, der sie halten wollte, ein Wassertropfenmann, ich sabberte, als sie an meine Lippen kamen, und entkamen so meinem Durst, doch stürzten nun aus verlorener Dichtung meines Mundes, wie ein halbes Dutzend schon zuvor, ich sah sie als Kleckse auf dem Boden liegen, zerplatzt neben meinen Füßen, oder im ganzen, manche trugen noch ihre Kleider, als wären sie gerade erst durch die Haustür zur Arbeit gegangen, manche nur mehr halbe Leiber, manche nur mehr Glieder. Durst.

Klammerte sich gegen das Fallen, am Augenlid, kam das mir in Erinnerung, ein Wassertropfenmensch hielt sich mit gestreckten Armen und schwitzte selber Perlen, auch an seinem Lid klebte ein Leben, versuchte sich an einem Lächeln, schlüpfrig, wehrte mich gegen das Blinzeln, was mir für Sekunden bewußt gelang, dann für den Rest des Tages wahnsinnig machte.

„Entschuldigung!“

Ups, er rutschte aus der Tränenrinne, packte nach dem, was kam, den Wimpern, in jeder durchscheinbaren Hand ein Härchen, rechts und links daneben ein Wimperntierchen, ein Kreuzen der Lage – „Guten Tag, guten Weg!“ –, wollte der noch immer lächeln, aus Manieren oder Höflichkeit, vielleicht irgendetwas dazwischen, versuchte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, Hoffnung aus der unteren Etage nach oben zu klimpern, aus Dank zwinkerte er mir zu, es war ein Wassertropfenmann, gebildet, mit Schlips und Kragen, wahrscheinlich, um mir Mut zu machen, um mir und ihm keine Umstände zu machen, zwinkerte ich ihm auch zu.



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Ein letzter Tropfen löste sich aus dem Flaschenhals. Jenni streckte die Zunge raus. Platschte. Daneben. Marc hob den Baldachin. Die Sonne blendete. Der Händler machte seinen Zug. Der Kaffeespucker flitschte.

„Klar ist der Wunsch logisch…“, der Händler setzte sich zurück. Er wischte die Hände an den Oberschenkeln ab. „Du willst deine Frau in dir aufnehmen. Verschmelzungsphantasien. Eins werden. So bist Du programmiert.“ Die Kaffeetasse antwortete mit seinem Zug – Springer auf  e4, zwei Bauern deckten ihn –, lehnte sich ebenso weit zurück und verschränkte seine Arme. Der Händler erklärte sein Vorhaben. Mit erhobener Hand, die immer wieder aufklappte, wie ein Fliegenwedel, und sich auf das Bett des Unterarmes ausruhte, wenn es Fliegen gab.

„Die blöde Natur macht uns zu Strichmännchen und Strichmädchen.“ Er ruhte aus. Klappte auf. Der Kaffee nickte bei jedem Satzzeichen.

„Entfernt alles, was uns als Individuum ausmacht – Wünsche, Bedürfnisse, Auslegungen – und läßt uns entblößt – die Welt dreht sich munter weiter – als Stöcke von einer Poppe zum nächsten Eisprung stakseln.

So einfach ist das. 


Und wenn wir ein Mädchen vom Strich der Möglichkeiten auflesen oder ein Strichmännchen, das uns so ähnelt, daß man alle Teile nur vertauschen müßte und könnte aus den Sticks den anderen als sich selbst aufbauen, dann kommt zum Stakseln noch das Verlangen. Im Grunde ist man nicht auf der Suche nach jemand anderen. Im Grunde ist man immer auf der Suche nach sich selbst. Und ist umso trauriger, wenn man das andere Selbst gefunden hat, es einen aber nicht.“ Er hatte die richtige Antwort gefunden, schlug den Springer mit seinem Läufer, der Bauer brachte den zu Fall, Bauer gegen Bauer, entzwei, der c5-Bauer wollte auch, über den kam der Turm auf a.

„Meine Frau kam mit ihrer Tante aus Manfalût. Vier Cousinen begleiteten sie. Eine aus Bení Ibeid, eine aus El Minyâ, eine kam aus Atfîh, dort bestiegen sie den Zug, in Tura stieg die Vierte ein.“

„Ach..!“ Der Händler spreizte fünf Finger, bot sie Nase und Augen zum Handeln an und schlug beide Hände zu Gott. Er trat gegen einen Sack. 

Das rüttelte Jenni wach. Sie schützte sich vor dem Licht. Kniff die Lider zusammen. Feste. Das drückte eine Träne aus dem Blick. Sie hielt sich an den Wimpern fest. Die Wassertropfenfrau. Die an der Rinne hing. Machte gute Miene zum bösen Spiel. Und schaute, als wäre sie nicht echt. Eine Wimper löste sich. Die Frauen zwinkerten sich zu.









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