Marc fand eine Nische.
Ich wollte nicht. Nicht diese. Wollte. Mich setzen. Es dauerte.
An einem Stand mit
Gewürzen, Ingwer und Pfefferschoten in großen Rattankörben und dem Händler aus
dem Augenland, dort fielen uns zwei Stufen ein, gegen eine Häuserwand aus
grauem Putz und Abgestoßenem, ein Schritt zurück vom Strom, auf der Höhe einer
Sohle, wenn ein jemand jünger gegenlehnte, vorgestreckt, das Bein auf oberster
Stufe, im Nachlaßwinkel das andere, hinterm Rücken die Arme, ohne sich zu
verstecken, aufgelegt überm Gesäß die Hände, zwei Fäuste, eine ballte, eine
beließ es am Armgelenk, und vor Kundschaft wartete, überdacht von gewebten
Planen, bestehend neben dem Einwand des Handelsälteren, der hinter seinen
Angeboten auf einem halben Hocker bequemer saß, ein Tischlein mit roten Rauten
als Gesellschaft, geschwätzig, zwei Tässchen des süßen Kaffees vorgelesen, eine
angetrunken, eine in der Gegend, Zigaretten.
Setzte ich mich,
dazwischen, auf die Stufe. Schräg. Mit dem Rücken zu den Schoten. Marc ließ
mich sitzen. Besorgte mir im Gang darauf eine Flasche Wasser. Er zahlte mit
Unwirschscheinen. Kam unlässig. Mit selben Ausdruck nahm ich sie entgegen. Der
Baldachin sperrte mich vor seinen Blicken. Der Mund nur sichtbar. Darauf feine
Perlen. Eine große Flasche Wasser. Das Plastik knackte einmal. Fest. Fitzelte
selbstvergessen am Verschluß. Schraubte mich durch die Windung, nahm den Deckel
ab, Luft entwich, gab im gleichen Maße der Behälter seine Stärke auf, drückte,
ohne es zu wollen, nur, weil ich trinken wollte, hielt in Schräge, das bewegte,
und setze meinen Durst an der engsten Stelle an. War dort der Fluß am ehesten.
Warf die Flasche in den Nacken, schlang, verschwanden auch die Lippen. Blieb
der Schatten unbeteiligt in der Hitze. Wie eine unausgefüllte Hülle. Der noch
die Schwere der Fülle nachschwappte. Vorm ersten. In Gedanken. Trank ich in
großen Schlücken.
Es tropfte. Herunter.
In der Hitze im Innern. Hielt die Augen geschlossen. Und trank. Wie ein Kamel,
ohne abzusetzen. Nach der Wüste, vor der nächsten. In der Oase. Dazwischen.
Spülte den Dreck gleich mit herunter. Spritzten die Tropfen auf eine der
Stufen, zerplatzen. An der Kante. Gegen die Schienbeine, die Füße, meinen
Knöchel. Wie gut das tat. Rann gleich an meinem Kinn herunter, ein zweiter
Fluß, unter meiner Bluse auf selbem Wege. Ließ die Stimmen des Basars, des
Händlers in der Warte, der nun mit seinem Tässchen plauderte, und Marcs
verdeckte in der Ferne der Schlücke, seiner Kehlkopfrücke, als er mir die
Flasche gab, bis es still wurde – wie gut
das erst tat – und ich nichts mehr außer das Glucken des Wassers hören
wollte, spülte herunter in Schüben, beließ die Lippen an der runden Öffnung – Hoffnung – atmete durch die Nase gegen
die Blasen, wollte ein zweites Mal, nie mehr absetzen, die Tropfen sprangen,
rannen, platzten, zwischen oberster Stufe und Boden, dickes, schweres Glucken,
das bereitete ich, kletterte eine Träne aus dem Auge, nicht, weil ich weinte,
weil es sich verkniff, wollte ein drittes Mal, aber nicht fallen, trat an Licht
und klammerte sich jetzt am Unterlid fest, sackte ab, verkrallte sich dort an
die Wimpern. Kühle auch, ja. Versuchte, sie abzuschütteln. Zog und störte. Wie
ein langer Ohrring, der sich in den Haaren verhedderte. Nur an der falschen
Stelle. Kühle auch, platzte weiter gegen meine Schienbeine. Hörte mit ihnen
Stimmen. Immer. Als sie auf die Kante trafen. Hörte ihnen zu. Klang wie
Gewimmer. Öffnete mir die Augen. Ich sah direkt in die Flasche, wo Wellen und
Schübe:
dort drinnen befanden
sich Menschen, durchsichtig, nur an den Rundungen sichtbar, weil dort bläulich
schimmernd, die sich gegen den Sog in der Schräge stemmten, die Kleidung gab
dem Wasser Geschmack, verzweifelt, nun deutliches Schreien – mit dem Kopf
zumeist voran in meinen Schlund verschwanden die, die es nicht schafften,
andere, denen das gleiche Abrutschen drohte, versuchten diese an den Füßen zu
halten, weit aufgerissene Arme, und stemmten sich gegeneinander, das half, und
gegen den Flaschenboden, der jetzt die Decke war, an verborgenen Rillen, die
beim Pressen des dünnen Plastiks entstanden.
Sie gaben Befehle in
dünnen Abständen. Und ich, dumme Kuh, dachte, es wäre das Blubbern. Wieder riß
es einen fort. Ich erschrak noch mehr als die Fallende – erkannte ich am
fliehenden Rock –, einen zweiten, der sie halten wollte, ein
Wassertropfenmann, ich sabberte, als sie an meine Lippen kamen, und entkamen so
meinem Durst, doch stürzten nun aus verlorener Dichtung meines Mundes, wie ein
halbes Dutzend schon zuvor, ich sah sie als Kleckse auf dem Boden liegen,
zerplatzt neben meinen Füßen, oder im ganzen, manche trugen noch ihre Kleider,
als wären sie gerade erst durch die Haustür zur Arbeit gegangen, manche nur
mehr halbe Leiber, manche nur mehr Glieder. Durst.
Klammerte sich gegen
das Fallen, am Augenlid, kam das mir in Erinnerung, ein Wassertropfenmensch
hielt sich mit gestreckten Armen und schwitzte selber Perlen, auch an seinem
Lid klebte ein Leben, versuchte sich an einem Lächeln, schlüpfrig, wehrte mich
gegen das Blinzeln, was mir für Sekunden bewußt gelang, dann für den Rest des
Tages wahnsinnig machte.
„Entschuldigung!“
Ups, er rutschte aus
der Tränenrinne, packte nach dem, was kam, den Wimpern, in jeder
durchscheinbaren Hand ein Härchen, rechts und links daneben ein
Wimperntierchen, ein Kreuzen der Lage – „Guten Tag, guten Weg!“ –,
wollte der noch immer lächeln, aus Manieren oder Höflichkeit, vielleicht
irgendetwas dazwischen, versuchte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, Hoffnung
aus der unteren Etage nach oben zu klimpern, aus Dank zwinkerte er mir zu, es
war ein Wassertropfenmann, gebildet, mit Schlips und Kragen, wahrscheinlich, um
mir Mut zu machen, um mir und ihm keine Umstände zu machen, zwinkerte ich ihm
auch zu.
*
Ein letzter Tropfen
löste sich aus dem Flaschenhals. Jenni streckte die Zunge raus. Platschte.
Daneben. Marc hob den Baldachin. Die Sonne blendete. Der Händler machte seinen
Zug. Der Kaffeespucker flitschte.
„Klar ist der Wunsch
logisch…“, der Händler setzte sich zurück. Er wischte die Hände an den
Oberschenkeln ab. „Du willst deine Frau in dir aufnehmen.
Verschmelzungsphantasien. Eins werden. So bist Du programmiert.“ Die
Kaffeetasse antwortete mit seinem Zug – Springer auf e4, zwei Bauern deckten ihn –, lehnte
sich ebenso weit zurück und verschränkte seine Arme. Der Händler erklärte sein Vorhaben.
Mit erhobener Hand, die immer wieder aufklappte, wie ein Fliegenwedel, und sich
auf das Bett des Unterarmes ausruhte, wenn es Fliegen gab.
„Die blöde Natur macht
uns zu Strichmännchen und Strichmädchen.“ Er ruhte aus. Klappte auf. Der Kaffee
nickte bei jedem Satzzeichen.
„Entfernt alles, was
uns als Individuum ausmacht – Wünsche, Bedürfnisse, Auslegungen – und
läßt uns entblößt – die Welt dreht sich munter weiter – als Stöcke von
einer Poppe zum nächsten Eisprung stakseln.
So einfach ist das.
Und wenn wir ein Mädchen vom Strich der Möglichkeiten auflesen oder ein Strichmännchen, das uns so ähnelt, daß man alle Teile nur vertauschen müßte und könnte aus den Sticks den anderen als sich selbst aufbauen, dann kommt zum Stakseln noch das Verlangen. Im Grunde ist man nicht auf der Suche nach jemand anderen. Im Grunde ist man immer auf der Suche nach sich selbst. Und ist umso trauriger, wenn man das andere Selbst gefunden hat, es einen aber nicht.“ Er hatte die richtige Antwort gefunden, schlug den Springer mit seinem Läufer, der Bauer brachte den zu Fall, Bauer gegen Bauer, entzwei, der c5-Bauer wollte auch, über den kam der Turm auf a.
So einfach ist das.
Und wenn wir ein Mädchen vom Strich der Möglichkeiten auflesen oder ein Strichmännchen, das uns so ähnelt, daß man alle Teile nur vertauschen müßte und könnte aus den Sticks den anderen als sich selbst aufbauen, dann kommt zum Stakseln noch das Verlangen. Im Grunde ist man nicht auf der Suche nach jemand anderen. Im Grunde ist man immer auf der Suche nach sich selbst. Und ist umso trauriger, wenn man das andere Selbst gefunden hat, es einen aber nicht.“ Er hatte die richtige Antwort gefunden, schlug den Springer mit seinem Läufer, der Bauer brachte den zu Fall, Bauer gegen Bauer, entzwei, der c5-Bauer wollte auch, über den kam der Turm auf a.
„Meine Frau kam mit
ihrer Tante aus Manfalût. Vier Cousinen begleiteten sie. Eine aus Bení
Ibeid, eine aus El Minyâ, eine kam aus Atfîh, dort bestiegen
sie den Zug, in Tura stieg die Vierte ein.“
„Ach..!“ Der Händler
spreizte fünf Finger, bot sie Nase und Augen zum Handeln an und schlug beide
Hände zu Gott. Er trat gegen einen Sack.
Das rüttelte Jenni wach. Sie schützte sich vor dem Licht. Kniff die Lider zusammen. Feste. Das drückte eine Träne aus dem Blick. Sie hielt sich an den Wimpern fest. Die Wassertropfenfrau. Die an der Rinne hing. Machte gute Miene zum bösen Spiel. Und schaute, als wäre sie nicht echt. Eine Wimper löste sich. Die Frauen zwinkerten sich zu.
Das rüttelte Jenni wach. Sie schützte sich vor dem Licht. Kniff die Lider zusammen. Feste. Das drückte eine Träne aus dem Blick. Sie hielt sich an den Wimpern fest. Die Wassertropfenfrau. Die an der Rinne hing. Machte gute Miene zum bösen Spiel. Und schaute, als wäre sie nicht echt. Eine Wimper löste sich. Die Frauen zwinkerten sich zu.
*
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