"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Montag, 25. August 2014

Es war einmal ein König


Und neben ihn waren viele Könige. So war der König also Kaiser. Und weil der Kaiser nackt war und alle seine Könige auch nackt, so befahl er nun, daß sich alle seine Schloßdiener nackt auszuziehen hatten. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die ihn wählten, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war, so befahl er seinen Dienern, sich die Augen zuzubinden.

Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war, gern reiste, so befahl er seinen Kutschern sich zu entkleiden – es war Winter – und den Pferden ebenso – man schor ihnen den Pelz –, die diese Kutsche zogen. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die mit ihn fuhren, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war, und sie auch, so befahl er seinen Kutschern, sich die Augen zuzubinden, und den Pferden ebenso.

Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war, gern aß, so befahl er seinen Getreuen, ihn und die Könige, die ihn begleiteten und nackt und entblößt froren, zu einem Gasthof zu bringen. Aber da die Kutscher, die ja nackt waren, die Finger klamm vom eisigen Wind und mit verbundenen Augen die Kutsche mit den ebenso nackten Pferden, deren Augen ja auch verbunden waren, nicht mehr auf dem Weg halten konnten, und sie sogar in einen Graben fuhren, und nun nicht mehr weiterfuhren, weil sich die Kutsche ja nun festgefahren hatte, und alles Fluchen und Befehlen auch nichts nützte, so befahl der Kaiser Träger.

Und es kamen viele. Hofträger, Amtsträger, Würdenträger. Aber weil der Kaiser, der ja nackt und entblößt war und auch fror – es war ja Winter – und die Könige, die ihn begleiteten ebenso, hungerte – der warme Gasthof war fern –, so befahl der Kaiser, sie sollten Brot und Belege mitbringen. Und die Hofträger, Amtsträger, Würdenträger taten, wie ihnen das Gehorchen beigebracht wurde. Und beriefen sich auf das Befehlen und nahmen es den Bauern in der Nähe vom Abendtische weg. Aber weil das dem Kaiser, der ja nackt war, und allen seinen Königen, die mit ihn in den Graben fuhren, die ja ebenso nackt waren, nicht genügte, weil er ja entblößt war und fror und hungrig war, und sie auch, so befahl er den Hofträgern, Amtsträgern, Würdenträgern, sich zu entkleiden und sich die Augen zuzubinden, und den Bauern, denen man das Brot aus dem Munde nahm, ebenso.

Aber weil die Bauern eine gewisse Schläue besaßen, obwohl sie nackt nun waren und entblößt und froren und nun auch hungrig waren und die Augen verbunden, schielten sie heimlich durch die Binden, und so erreichten die Brote zusammen mit den Hofträgern, Amtsträgern, Würdenträgern – geleitet von den Bauern – doch noch den Kaiser, der in seiner Kutsche zusammen mit seinen Königen im Graben darauf wartete, den Kutschern davor ebenso und den Pferden, weil der Magen knurrte, er fror, nackt war und entblößt, doch weil man sie bei der Schläue erwischte, weil sie über die Felder zur Kutsche hin kaum stolperten, weil der Kaiser und die Könige ja allsehend waren, die einzigen, die es waren – nackt, entblößt, frierend und hungrig, aber allsehend –, so befahl der Kaiser, ihnen die Augen auszustechen, befahl es ihnen nun gleich selber, weil sie ja nun die einzigen waren – neben den Allsehenden –, die noch etwas erkennen konnten, und nun nicht mehr. Aber weil nun niemand mehr die Brote und die Belege sehen konnte, aber der Kaiser, der ja nackt war und entblößt, fror und hungrig war, nie lernte, wie man Brote selber schmierte, und seine Könige ebenso, und seine Kutscher sowieso, und seine Hofträger, Amtsträger, Würdenträger nun gar nichts konnten, befahl er den Bauern, diese selbst zu belegen.

Aber weil die Bauern eine gewisse Schläue besaßen, obwohl sie nackt waren und entblößt, wie der Kaiser es befahl, und froren und hungrig waren und nun blindem Gehorsam folgten, belegten sie die Brote mit allem, was zum Greifen war. Mit Schnee, mit Steinen, mit Hundekot und Pferdeäppeln, mit Unrat also. Und weil der Kaiser es unterlassen hatte, allen das Hören zu untersagen, hörten alle, wie sie sich die Mägen verdarben. Der Kaiser und die Könige. Die Allsehenden. In dunkler Kutsche, es war Nacht. Und nicht sahen, was sie herunterschluckten. Weil keiner der Allsehenden an eine Kerze gedacht hatte.


Es war einmal ein König.





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