7. bis 9. Tag: Im Niemandswann zwischen Zeiger und Rattrapante
Nun, das war so. Noch am
Flughafen. Dort. Da ist es passiert. So kam Ursula in mein Taxi.
Wie? Nun, das ist eigentlich
eine andere Geschichte. Und wenn man eine Geschichte erzählt, ist es immer gut,
sie zu beginnen und zu beenden, bevor man eine neue erzählt. Ursula aber dachte nicht daran, sich an Regeln zu halten. Zumindest nicht an
einfache. Vielleicht aber tat ich Ursula
Unrecht. Vielleicht tat sie sich selbst Unrecht. Vielleicht tat ich aber besser
auch nichts.
Als Ursula ausbrach. Dort. Am Ausgang des Hong Kong International Airports Chek Lap
Kok. Nein, etwas weiter. An der Ausfahrt zum Highway. Ich saß schon in meinem Chamäleon-Taxi auf den Weg in die New Territories, als die Rücklichter
einer schwarzen Limousine vor uns aufbrannten wie die Feuer von Troja, die Fondtür sprang auf, als klappte
ein Wal seine Schlagflosse auf, fiel eine Frau vom lederbesesselten Fauteuil
auf die von Arthrose gezeichneten Knie, die Hände vorgestreckt, als drückten
sie ihren Ruhm vor Grauman‘s Chinese
Theatre in Hollywood in den
frischen Zement, hinterließen tatsächlich Spuren, in den von der Mittagshitze
aufgeweichten Bitumen der Zubringerstraße –
die machte ihrem Namen Ehre – flogen ein Handtäschchen – Gucci – hinterher, ein Schminkspiegel – der zerbarst –, ein Ausdruck darin in den Splittern des
vermeintlichen Werfers – verächtlich –,
eine Plastiktüte, die sie später in meinem Taxi wieder aus den Bauchfalten
kramen wird, so als wäre es eine Geburt, das Verlegenheitsknistern die
Wehen.
Ein
sonnengebräunter Arm, schmale Finger, gepflegte Nägel, eine Armbanduhr von Audemars Piguet blitzte am Gelenk auf – Grande Complication, Foudroyante, Stop für
Stunden, Minuten, Sekunden, Schleppzeiger, Rattrapante, Großdatum, Silizium-Schnickschnack
und Réserve de Marche –, langte sogleich nach dem Griff, als packte er in
die wütenden Hörner einer Färse, und zog die Fondtür zu. Ein schattiertes
Zeichen durch die abgedunkelte Heckscheibe an den Chauffeur und die schwere
Limousine brauste mit quietschenden Reifen davon. Ein anderes Quietschen lag
vor uns auf der Straße nun und blockierte den Verkehr. Mein Toyota Crown Comfort verlor seinen Comfort und hupte. Und mit ihm der Stau
hinter uns, der sich bildete und als Stau auch so entstanden wäre ohne Ursula.
Nur eben
ohne Ringelshirt. Und den goldenen Sandalen, die sich um Haftung bemühten. Und
den Bermudas, die sich so sehr nach den Bermudas
in ihrem Blau sehnten. Ursula kratzte
sich vom Asphalt auf, schleuderte das Gucci-Täschchen
auf selbigen und trat es in den Straßengraben zu den Grillen. All jene Dinge,
die das Leben einer Frau, all jene Dinge, die das Leben einer Frau um die
Sechzig erleichterten purzelten heraus und verstreuten sich als Abfallprodukte
eines High-Society-Lebens, Ablebens
über kurzgehaltenes Gras – Lippenstifte waren darunter, ein mit
Glitzersteinchen versetztes Vertu-Handy,
Tabletten gegen das Alter, Tabletten gegen das Gewissen und Tabletten gegen die
Ohnmacht all dessen. Hätte ich sie stehen
lassen sollen? Ursula? Als Ursula
ausbrach.
Wer ausbricht, gelangt nur in ein größeres Gefängnis. Dachte ich.
Und als ich
noch darüber nachdachte, wer gefangen war und wer nicht, wer in einem Taxi saß
und wer nicht, schlugen schon verdreckte Hände gegen meine Seitenscheibe.
Brüllten etwas, wie aufgelöste Hände es nur tun konnten, wenn sie etwas taten,
was sie nicht tun sollten, und wischten den ausgehauchten Atem mit einem Wisch
weg wie nichts, wenn er gegen Klimakonditionen kondensierte. Ich suchte nach
dem Schalter, so schnell konnte ich gar nicht suchen, da fand ich ihn in der
Konsole und die Scheibe surrte herunter. Pupillen, so weit geöffnet wie
Einschußlöcher, ein Mund, der nichts anderes sein wollte außer Ausgang für
Worte. Ursula schrie mich an:
„Man muß
nach den Sternen greifen, um auf einen Baum zu steigen! Wer auf einen Baum
steigt, um nach den Sternen zu greifen, wird nichts anderes zu fassen bekommen,
außer nackte, dünne, leere Luft!“
So kam sie in mein Taxi.
Und ich
rutschte auf den Platz hinter dem Fahrer.
Wie es weiter ging?
Nun, davon
später mehr.
*
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