"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 3. August 2014

Wer ausbricht, gelangt nur in ein größeres Gefängnis


7.  bis 9. Tag: Im Niemandswann zwischen Zeiger und Rattrapante


Nun, das war so. Noch am Flughafen. Dort. Da ist es passiert. So kam Ursula in mein Taxi.

Wie? Nun, das ist eigentlich eine andere Geschichte. Und wenn man eine Geschichte erzählt, ist es immer gut, sie zu beginnen und zu beenden, bevor man eine neue erzählt. Ursula aber dachte nicht daran, sich an Regeln zu halten. Zumindest nicht an einfache. Vielleicht aber tat ich Ursula Unrecht. Vielleicht tat sie sich selbst Unrecht. Vielleicht tat ich aber besser auch nichts.

Als Ursula ausbrach. Dort. Am Ausgang des Hong Kong International Airports Chek Lap Kok. Nein, etwas weiter. An der Ausfahrt zum Highway. Ich saß schon in meinem Chamäleon-Taxi auf den Weg in die New Territories, als die Rücklichter einer schwarzen Limousine vor uns aufbrannten wie die Feuer von Troja, die Fondtür sprang auf, als klappte ein Wal seine Schlagflosse auf, fiel eine Frau vom lederbesesselten Fauteuil auf die von Arthrose gezeichneten Knie, die Hände vorgestreckt, als drückten sie ihren Ruhm vor Grauman‘s Chinese Theatre in Hollywood in den frischen Zement, hinterließen tatsächlich Spuren, in den von der Mittagshitze aufgeweichten Bitumen der Zubringerstraße – die machte ihrem Namen Ehre – flogen ein Handtäschchen – Gucci – hinterher, ein Schminkspiegel – der zerbarst –, ein Ausdruck darin in den Splittern des vermeintlichen Werfers – verächtlich –, eine Plastiktüte, die sie später in meinem Taxi wieder aus den Bauchfalten kramen wird, so als wäre es eine Geburt, das Verlegenheitsknistern die Wehen. 

Ein sonnengebräunter Arm, schmale Finger, gepflegte Nägel, eine Armbanduhr von Audemars Piguet blitzte am Gelenk auf – Grande Complication, Foudroyante, Stop für Stunden, Minuten, Sekunden, Schleppzeiger, Rattrapante, Großdatum, Silizium-Schnickschnack und Réserve de Marche –, langte sogleich nach dem Griff, als packte er in die wütenden Hörner einer Färse, und zog die Fondtür zu. Ein schattiertes Zeichen durch die abgedunkelte Heckscheibe an den Chauffeur und die schwere Limousine brauste mit quietschenden Reifen davon. Ein anderes Quietschen lag vor uns auf der Straße nun und blockierte den Verkehr. Mein Toyota Crown Comfort verlor seinen Comfort und hupte. Und mit ihm der Stau hinter uns, der sich bildete und als Stau auch so entstanden wäre ohne Ursula.

Nur eben ohne Ringelshirt. Und den goldenen Sandalen, die sich um Haftung bemühten. Und den Bermudas, die sich so sehr nach den Bermudas in ihrem Blau sehnten. Ursula kratzte sich vom Asphalt auf, schleuderte das Gucci-Täschchen auf selbigen und trat es in den Straßengraben zu den Grillen. All jene Dinge, die das Leben einer Frau, all jene Dinge, die das Leben einer Frau um die Sechzig erleichterten purzelten heraus und verstreuten sich als Abfallprodukte eines High-Society-Lebens, Ablebens über kurzgehaltenes Gras – Lippenstifte waren darunter, ein mit Glitzersteinchen versetztes Vertu-Handy, Tabletten gegen das Alter, Tabletten gegen das Gewissen und Tabletten gegen die Ohnmacht all dessen. Hätte ich sie stehen lassen sollen? Ursula? Als Ursula ausbrach.

Wer ausbricht, gelangt nur in ein größeres Gefängnis. Dachte ich.

Und als ich noch darüber nachdachte, wer gefangen war und wer nicht, wer in einem Taxi saß und wer nicht, schlugen schon verdreckte Hände gegen meine Seitenscheibe. Brüllten etwas, wie aufgelöste Hände es nur tun konnten, wenn sie etwas taten, was sie nicht tun sollten, und wischten den ausgehauchten Atem mit einem Wisch weg wie nichts, wenn er gegen Klimakonditionen kondensierte. Ich suchte nach dem Schalter, so schnell konnte ich gar nicht suchen, da fand ich ihn in der Konsole und die Scheibe surrte herunter. Pupillen, so weit geöffnet wie Einschußlöcher, ein Mund, der nichts anderes sein wollte außer Ausgang für Worte. Ursula schrie mich an:

„Man muß nach den Sternen greifen, um auf einen Baum zu steigen! Wer auf einen Baum steigt, um nach den Sternen zu greifen, wird nichts anderes zu fassen bekommen, außer nackte, dünne, leere Luft!“


So kam sie in mein Taxi.

Und ich rutschte auf den Platz hinter dem Fahrer.

Wie es weiter ging?


Nun, davon später mehr.





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