„Jürgen, Du mußt das locker nehmen. Hier.“
Sonnengolden klackerten die Welten aneinander. Am Seegrund. Zwei
Männer lagen in ihrer Ausgangslage.
„Prost!
Jürgen ließ die Hand von seiner Angel.
„Ich weiß... Ich! Weiß!“ Er saugte. „Ich weiß...“
„Wie lange... ist es jetzt her? Zwei, drei Wochen?“
„Zwei.“ Dann schluckte er beides. Schaum und Wissen herunter. Eines
von beiden kam in die falsche Röhre.
„...ich weiß...“
Die Angeln erinnerten ihn an gespreizte Kalashnikows im Liegen. Zum Vau ausgeklappte Stützen zum Schießen.
In den Bergen. Aus seiner Zeit noch aus Afghanistan. Als er diese Reportage
schrieb, die ihm die Türen öffnete. Mit ‚Knopp’,
seinem besten Photographen. ‚Knopp’
deshalb, weil Jürgen immer ‚Knopp’
schrie, wenn er was haben wollte. Und Knopp, der eigentlich Berthold hieß, dann
schnell den Knopp an der Kamera drücken mußte. Schneller als die K-47 selber
rattern konnte. Sein bestes Bild. War das, was einen Mudschah beim Abknallen zeigte. Im Visier. Nur sein Gesicht, der
Kolben plusterte die Wange, die Siebensiebenvierer-Hülse sprang aus ihrer Höhle
– und genau auf das Auge zu. In diesem Augenblick schrie Jürgen ‚Knopp!’ Aber
meinte eigentlich den getroffenen auf der anderen Seite. Das Bild ging weg für
70.000. D-Mark noch. Sie teilten 40-25. Vierzig Jürgen. 25 Knopp. Dem Alter
entsprechend. Der Rest ging an die Agenturen. Schon damals verbrachten sie mehr
Zeit miteinander als mit ihren Frauen.
Knopps Ehe mit Martha – schon
immer einige Jahre den anderen voraus, also ewige 39 und geschätzte zwanzig
Umläufe älter – ging nach 11 Jahren in die Brüche. Nach 11 Jahren mit
Jürgen. 5 in Afghanistan, drei im Libanon, vorher drei in Hollywood. Daher
kannte Jürgen auch seinen Angelkameraden. Eher aus dem ‚Valley’. Wo sie sich
beim Drehen kennenlernten. Er beim Cruisen.
Unter nackter Sonne.
Von Martha, die ‚Knopp’
unter Kollegen immer ‚Nippel’ nannte,
weil sie aus Kölle stammte und er aus
Hamburg und er kein ‚Nippes’ kannte,
aber in Begleitung mit ihr beim Streifen durch die Büroräume auf dem Weg zur
Buchhaltung und zum Zaster immer nur ‚Bernstein’ nannte – wohl, weil der auch mit den Jahren klarer wurde, wenigstens der Blick
hinein auf das Insekt darin – fiel der Abschied nicht schwer: Sie trennten
sich ‚Bis der Tod Euch scheidet’.
Also einvernehmlich. Starb dort beim Shooting. Mit der Kalashnikow. Dem Mudschas.
Der Hülse. Sein bester Shot. Die 25
gingen an die Witwe. Ihr letzter Gang durch die Büroräume. Ihr erster mit
eigenem Namen.
Später unter brennender Sonne. Auf dem Friedhof tauschten sich die
Wechsel. Geld hier und Anerkennung, Sarg und Erde da und Bleistift–Mienen. Zum
Anspitzen scharf. Während Brigitte daheim die Prinzen-Zwillinge aus Schloß
Salem abholte, aber Sorge um ihren Garten hatte, weil dort der Empfang der
Trauergäste stattfand. Um Sorge, um die Trauerweide und den Rasen, fuhr sie
schneller als gewöhnlich. Vom Flughafen, packte die Zwillinge – Kann–Kinder – in ihre Klappsessel
hinten im Porsche und donnerte über die Elbchaussee nach Blankenese. Alle zwei
Monate. Raste sie so durch die Stadt. In der Saison nur alle drei. Von Mai bis
Juli, Juli bis September. Dann wieder früher. Weil sie den Garten für Fremde
öffnete. Die dann die Bougainvillea bestaunten, und bestaunten, daß die keine
großen Blüten treiben brauchten, nur leuchtende Blätter, um die Blicke von all
den ‚Oriental Whites’, den ‚Evening Stars’, den Goldmohns und
Rittersporns, den Form-Kiefern, der Päonie mit ihrem ‚Coral Charm’, den Enzians zu lenken, die in Wahrheit auch nur
Solanums waren, wie auf jedem Kartoffelacker – da konnte Brigitte sparen – und den Buxus-eingesäumten
Kräuterbeeten, das große, das mal ein Swimming-Pool war, als ihre Ehe zu Jürgen
saisonbedingt noch am Blühen war, die blöden japanischen Ahorns, die den Rosen
bloß die Aussicht stahlen, aber Jürgens Leidenschaft waren – er sammelte alle Sorten, lieber Bäume als Blumen, nuschelte er gerne,
wegen dem... – und das Deer Hunting, wie es Brigitte abschätzig titulierte – auf dem ‚John Deer’-Mäher, den er
liebevoll ‚Little John’ nannte, auch weil’s der größte war – und oben
drüber saß. Bis sie blass-erstaunt wieder gingen: Die Trauergäste wie die
Garten-Gaffer. Gleiche Gesten, gleiches Auf-den-Weg-Schicken.
„Ich weiß... Ich... wußte es... Hätte wissen könn... müssen.“
Schluckte.
‚Valley’, das war ‚sein’
Spitzname, der eigentlich George
hieß, hielt derweil den Griff der Angel lässig mit dem Fuß in Waage, zielte
übern großen Zeh und dem daneben, der keinen Namen hatte – „Kimme, Korn, Kanaster!“ sein stetes Motto –, auf treibende Enten
im Wasser und feuerte. „Peng!“ Vorbei.
„Peng. Peng.“ Bis endlich eine abtauchte. Und lächelte dabei, als
er ihr Auftauchen irgendwo am Schilfrand nicht erkennen konnte. Oder wollte.
Wie ein kleiner Junge, der mit großen Augen Spinnen unter Senfgläsern bestaunte
und dann sezierte. Auswählte. Und dann einer nach der anderen erst die Beine
aus dem Leibe riß, bis selbst das nicht quälte und dann schon lieber zum
Feuerzeug griff. Aus Bequemlichkeit. Aus Bequemlichkeit und ohne Zweifel
lutschte er – alle Entlein waren
abgetaucht – zum Ausgleich jetzt an seinem ‚Blackberry’. Wonach die Beeren wohl schmeckten?
„Scheiße! Bloomberg läd
nicht. Dreckskerle. Wenn ich den Mayor
treffe! Stecke ich ihm den Sender in den geschliffenen Arsch, nein, gleich das
ganze Drecksverdammte Handy! Auf Vibrationsalarm eingestellt, dann alle halbe
Stunde im Fernseh-Meeting.“
„...ja...“, wachte Jürgen kurz in der Dämmerung auf.
„Das gibt dem Namen ‚Cell
Phone’ eine neue Wende.“
Beide sahen sich an. Die Bierflaschen im 45 Grad-Winkel an den
Lippen. Dann – schallendes Lachen, das versteckte Vögel aus den Büschen
scheuchte.
„Ha, ha...“, prustete Jürgen. „Und... und zerren ihn ins ‚Chrysler-Building’, 405 Lexington
Avenue, Ecke 42. Durch den Tiffany-Eingang.
Wegen den Lampen. Muß ich immer daran denken, wenn ich diesen scheußlichen
Marmor sehe...“
„Und dann hoch. Aber nur bis in den ‚Cloud Club’ im 66. Nicht zur Spitze. Wollen ja, ähem, ähem, nicht
stören, wenn ‚er’ seine Model-Schlampen aus Reval poppt. Die Cohiba qualmt:
>>Ja... Da! Die Welt steht Dir sperrrrangelweit offen,
Täubchen. Sperr-‚Angel’-weit. Da, da.
Engel, Du wirst Karriere machen. Elite wird Dich buchen. ‚Die’ Elite. Da! Das
werde ich Dir versprechen, da, da, da...<<“
„...ha, ha, ha... Schau! Mayor, der Times
Square. Sauber, sauber. Ihr könnt es
ja doch. Richtig deutsch. Richtig, richtig. Zwei Drittel. Wer hätte ‚das’
gedacht? Uns gehören zwei Drittel des Chrysler-Buildings. In der Steuer
‚führend’. In ‚Deiner’ Stadt, ha, ha...“
„...und dann machst Du das Fenster auf, drückst ihm diesen 9–1–1–Paraglider
in den Magen und winkst ihm steif auf Ein-Uhr Good-Bye, ha, ha!“
George sah Jürgen entgeistert an. Der lutschte unbeirrt weiter.
‚Valley’ steckte das Handy weg, stand wortlos auf und verschwand im Schilf. Er
tauchte wieder auf. Nach einer Weile. Mit zwei vollen Flaschen. Er öffnete
beide mit dem Feuerzeug. Er reichte Jürgen seine.
„Und Heinz?“
„...geht es nicht gut. Auf ‚Altes Eisen’ kümmern sie sich um ihn.
Spricht aber nicht auf die Medikamente an... erinnerst Du dich? Da war doch
diese scharfe Altenpflegerin... Ih... Ih... Ikatharina! War das eine Bombe. Die
wär was für den Bulbury, das sage ich Dir.“
„...was?“ ‚Valleys’ Angel zitterte. Etwas bewegte sie. „Nein. Kann
mich nicht erinnern. Nur an... diesen Pfleger...“
Er stampfte die Bierflasche in den weichen Boden und nahm die Angel
fest in beide Hände. Sie richtete sich auf. 45 Grad–Geschicke.
„...der mit den Zäpfchen? Uh... Uh... Ulrich! Pfleger Ulrich. Ein
derber Kerl, war das. Glaube ich.“
George riß die Angel hoch.
„Ahh! Verdammt! Verdammtverdammtverdammt! Der Fisch war entwischt.
Schlaff hing die Angel herunter.
„So hieß er? Ja, wirklich? Kann mich nicht erinnern... daran. Du
warst ja bei der Heimleitung mit den Formularen beschäftigt. Ich fuhr euch hin.
Ich kam, glaube ich, gar nicht mit rein. Aber... sag Bescheid, wenn Du mal
wieder Heinz besuchst und Dein Chauffeur frei hat. Die Abwechslung. Tut. Mir.
Gut... Äh, und Brigitte?“
„Wer? Ach. Brigitte. Die meinst Du. Hab sie letztens mit ihrer
Schwester erwischt. Diese Schlange. Du kennst sie ja... Marnie.“
‚Valley’ sprang auf. „Erwähne niemals wieder diesen Namen!
Understand?!“ Wütend schleuderte George das ‚Becks’ in den Mai-Bach. Den See.
Der Hals hielt sich schaukelnd über Wasser. Wenigstens so.
„...hatte mich hinter der Buchsbaum-Hecke versteckt. Im Garten.
Nach dem Gärtner trieb sie es mit der Schlampe in der Küche. Hab alles mit angehört.
Ganz genau. Schon lange geahnt. Auf dem Küchentisch, wo sie die Brote für die
Zwillinge schmiert. Nein, Elvikka, das Mädchen. Wie sie drinnen stöhnten...“
Die Männer seufzten.
„Das Leben ist ein Theaterstück...“, blies Jürgen seinen blauen
Atem in den Sonnenuntergang.
„...und wir sind die Kulissenbauer.“
„Hm, das ist gut. Woher hast Du das?“
„Das ist aus meiner nächsten Rolle. Goldenes Skript. Ich spiele... George.“
„Du spielst Dich selbst?“
„Nein, den mit Double-U.“
Sonnengolden klackerten die Welten aneinander. Am Seegrund. Zwei
Männer lagen in ihrer Ausgangslage.
„Prost!
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