"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Montag, 8. September 2014

Man begehrt, was man sieht


Vielleicht sollte man sich die Frage stellen, ob das, was man sieht, nicht besser unbeachtet bleiben sollte, wenn man unscheinbar durch die Welt der Sehenden wandert. Sollte man sich der Frage stellen, in beobachteten Momenten sich die Zurückhaltung aufzuerlegen, die nötig ist, um scheinbar angesehen zu werden, damit das Betrachtet-Sein nicht in unbemerkt sein umschlägt. Sollte man sich vergewissern, daß alles, was so vor den eigenen Augen erscheint, nicht mit den Erwartungen seiner Vorstellung spielt.

Und so kam es, daß wir uns wieder in diesem Bus fanden. Nicht mit Absicht. Unvorhersehbar. Nur ein bißchen dem Umstand geschuldet, daß der Zufall ein Handel mit dem Losverfahren einging, das Menschen miteinander zusammenfügt oder eben nicht. Schicksal könnte man das nennen. Oder Vorsehung. Ich nenne es Fügung. Daß zwei Menschen ein Ticket lösten, zur selben Zeit, um eben diesen Bus zu nehmen, der sie woanders hinbringen sollte, als von dort, wo man sich verabschiedete. Und nun war es wieder weniger der Absicht geschuldet, etwas zu erwarten. Irgendetwas, als das, was man von einem Bus so erwartete, der Menschen am frühen Morgen zu den Orten brachte, die man sich mitunter nicht aussuchte, um am frühen Morgen von den Orten wegzukommen, von denen man nicht wegkommen wollte. Ums Ankommen ging es nicht. Nur ums Verbringen. War der Weg keinem Ziel untergeordnet. Nur Stadium zwischen zwei Tagen. Von Zuhause zu den Orten, die man nicht Zuhause nannte. Was schon eine Unterscheidung war.

Und in dieser Unterscheidung war es wichtig, daß man sich beachtete. Daß man sich vorher – und das war wohl entscheidender – bemerkte. Gab es in diesem Bus noch andere Menschen, die man so gelassen an sich heranließ, so nah, als wären es die eigenen Möbel. Aber nicht in der Vorstellung in sein Zuhause ließ, sie auch dort hineinzustellen. Und da gab es diese zwei Menschen nun, die durch ihr gegenseitiges Bemerken, genau dieses in Erwägung brachten. Waren Sitzreihen dazwischen. Doch saß man sich schon gegenüber, in der Vorstellung eines Zuhauses, weil man sich Nähe erwarb durch das bloße Erblicken. Und je mehr man etwas erblickt, so erscheint das Gegenüber weniger entrückt. War, als man sich bemerkte, schon die Nähe greifbar, die man seinem Sitznachbar nicht entgegenbrachte, auch wenn der näher an dem Menschen saß, sich aber wegvorstellte, weil man nicht in der Nähe dieses Sitznachbars sein wollte, wenn man am frühen Morgen keine Berührungen zulassen konnte. Beachtete man diese nicht und waren vor dem Auge gleich den leeren Sitzreihen, die nur mit anderer Farbe bestuhlt waren. Also nicht vorhanden. Saßen diese zwei Menschen also alleine im Bus, der sie für die Dauer einer Fahrtstrecke zusammenfügte. Nicht mal der Busfahrer war anwesend, fuhr der Bus wie von Geisterhand. Und wenn man es sich genau überlegte, war auch der Bus nicht mehr vorhanden. Ging es nur um diese Augenblicke, die man miteinander während einer Busfahrt teilte.

Wäre es anders, wenn das Beachten nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Wäre dieser Mensch zwar aufgefallen, doch dann in der inneren Vorstellung schon wieder unbemerkt. Wie man sich an schönen Dingen erfreute, wenn man sie erblickt, sie einen aber nicht. Erfreute man sich so auch an schönen Blumen. Befanden sie sich aber in anderen als den eigenen Händen, so erfreute man sich zwar, daß es sie gab, aber nicht für den Zweck, der ein Ich zu einem Sein machte. Gab das Erblicken dieser zwei Menschen mehr her, so daß man sich diesen Blumenstrauß nun teilte. Vielleicht erwägten die Hände, ihn entgegen zu nehmen oder ihn zu schenken. War man sich dabei noch unschlüssig, wo der nun auf einmal herkam, und was er bezweckte. Und war es ein schlechtes Bild, nun von einem Blumenstrauß zu sprechen. Weil es um diesen gar nicht ging. Und in den Sitzreihen des Busses auch keiner vorzufinden war. Und wollte man auch gar nicht etwas entgegen nehmen oder geben. Ging es nur um das Sehen, was man in einem anderen Menschen sah, als man sich bemerkte.

Aber weil man sich sah und weil man sich nur für die Dauer einer Fahrtstrecke sah, stellte man sich die Fahrtstrecke schon am nächsten Morgen vor. Wie man sich dann in die Augen blickte. Wie man betrachtet wurde. Wie man selber sah. Und was daraus werden sollte, wenn es Möglichkeiten gäbe, in einem Bus am frühen Morgen, der einen von Zuhause zu den Orten verbrachte, die nicht das Zuhause waren, sich mehr als anzuschauen. Gab es bessere Orte für Worte, als ein Bus am frühen Morgen. Noch dazu, wenn die Zeit zwischen den Bushaltestellen drängte. Sprach man sich also nicht an. Führte diese Gespräche nur im Verborgenen mit sich selbst weiter. Und spürte, daß der andere Mensch das auch tat. Gab es also einen Umstand, der einen zusammenfügte, und einen Umstand, der trennte. Aus ein und demselben Grunde. Beide Umstände dem geschuldet, daß der Zufall ein Handel mit dem Losverfahren einging, das Menschen miteinander zusammenfügte oder eben nicht. Daß zwei Menschen ein Ticket lösten, zur selben Zeit, um eben diesen Bus zu nehmen, der sie woanders hinbringen sollte.

Man begehrt, was man sieht.

Sah man sich an jedem Tag. Und schaute sich in die Augen.





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Sieht man sich nicht, so begehrt man auch nicht.


Das gilt auch für Autos, Mode oder Menschen.



Also für alle entbehrlichen Dinge.




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