Im Sel-Mart
war es wie immer. Die Gänge blitzblank, die Waren geordnet, Abgelaufenes
aussortiert. Die Angebotsschilder prangten über den Angeboten, Aktions-Köder
für den Tag.
Joe,
Abteilungsleiter, 54 Jahre alt, 33 Jahre in der Firma, 12 Jahre davon als
Stellvertretender, seit 5 Jahren besaß er das goldene Namensschild.
Stirnglatze, rundes Gesicht, Schnurbart. Gepflegtes Äußeres, Schnurbart in Form
geschnitten. Mittelmäßige Bildung, High School, kein College. Unverheiratet,
keine Kinder, homosexuell, kein Coming-Out. VW
Jetta.
Marcus,
stellvertretender Abteilungsleiter, 41 Jahre alt, 14 Jahre in der Firma, seit 4
Jahren in der Abteilungsleitung, seit 1 Jahr besaß er das silberne
Namensschild. Blonde Föhnfrisur, abrasierte Koteletten, 7-min-Solariumbräune.
Gepflegtes Äußeres, Hemden gab er in die Wäscherei. Mittelmäßige Bildung, High
School, kein College, Weiterbildungsseminare. Unverheiratet, keine Kinder,
bisexuell, kein Coming-Out. Pontiac G5.
Cassius,
Assistent der Abteilungsleitung, 41 Jahre alt, 9 Jahre in der Firma, seit 1
Jahr Assistent, seitdem besaß er das bronzene Namensschild. Schwarz,
Schnurbart, Bauchansatz. Gepflegtes Äußeres, manikürte Nägel. High School,
College, von der Konkurrenz abgeworben. Verheiratet, zwei Kinder, Ehefrau
betreibt Nagelstudio, heterosexuell. Ford
Focus, Zweitwagen Chrysler Voyager.
Nolan,
Praktikant der Bezirksleitung, 19 Jahre alt, seit 4 Monaten in der Firma,
Betriebsstudent, seitdem besaß er das schwarze Namensschild mit Lorbeerblatt.
Schlaksig, mageres Gesicht, Schnurbartansatz. Gepflegtes Äußeres, zu groß
geschnittener Anzug. High School, College, Neffe von Joe. Verlobt, keine
Kinder, heterosexuell, homophob. Ford Mustang,
Dienstwagen Chevrolet Cruze.
Steve,
Tütenjunge, 16 Jahre alt, 13 Monate in der Firma, seitdem besaß er das gelbe
Namensschild aus Plastik. Rote Stachelfrisur, Pubertätsakne, Sommersprossen.
Schludriges Äußeres, normale Sel-Mart-Uniform,
Abmahnung wegen Flecken. High School, 11th Grade. Ledig, keine Freundin, keine
Kinder, heterosexuell. Erstes Auto Honda
Civic, 15 Jahre alt.
Joe
verließ
wie immer sein Abteilungsleiterzimmer, neben Abstellkammer, Uniformausgabe und
Notausgang, verärgert, weil Kartons diesen verstellten, rief Analisa aus Mexico, die gerade die Rest
Rooms putzte, heran, putzte sie herunter, machte dann seine übliche Runde
durch die Warengänge, schob gerade Aktionsschilder gerader, notierte diese
Mängel auf die Mängelliste seines Schreib-Board, hakte Punkte ab, die ihm von
der Firmenzentrale im fernen Rome,
Georgia vorgegeben wurden, zog Verkäuferinnen heran, schob sie zu den
Mängeln ab, verlor beinahe seine antrainierte Fassung, weil eine Neon-Röhre,
eine unter Dutzenden, ausgefallen war, was aber reichte, daß Joe seine Fassung wieder verlor.
Marcus
verließ die Umkleide, löschte das Licht, wie es aus der Konzernzentrale vorgegeben
wurde, um überall Strom zu sparen, dort wo Angestellte sich aufhielten, hielt
sich vielleicht drei Minuten länger als erlaubt dort auf, notierte auch das auf
seine Mängelliste auf dem Schreib-Board, nahm einen anderen Weg wie gewöhnlich,
vielleicht um Joes Weg durch die
Gänge nicht zu kreuzen, noch nicht.
Cassius
verließ seinen Ford Focus, auf dem
Parkplatz, vergaß, den Motor abzustellen und war zum ersten Mal, seitdem er für
Sel-Mart arbeitete, zu spät an der
Stechuhr, stempelte pflichtbewußt dennoch, wählte den Weg zur Umkleide,
schaltete das Licht wieder ein, zog sich um, holte aus dem Spind sein
Schreib-Board heraus, sah es lange an, ließ es im Spind. Er löschte nicht das
Licht, nachdem er die Umkleide verließ.
Nolan
stand schon an den Kassen, blickte durch die Eingangsfront auf den Parkplatz,
beobachtete wie Cassius seinen Ford verließ, der parkte neben seinem
Wagen. Folgte Cassius Blicken noch
zum Angestellteneingang. Er kam heute mit seinem Mustang.
Steves
Auto sprang nicht an. Wie immer. Er trat gegen den Kotflügel, setzte sich ans
Steuer, sprang an, als er auch gegen das trommelte. Er überfuhr Stop-Schilder,
ließ sich von der Neighborhood-Watch
nicht erwischen, überholte Schulbusse, die auf dem Weg waren, Schulkinder
abzuholen und kam doch noch pünktlich zu seinem Job im Sel-Mart. Vielleicht wunderte er sich über Nolan. Aber mischte sich nicht in die Geschäftsabläufe ein. Er war
Mitläufer, lieber stumm und war zufrieden mit seinem Tütenjob. Hauptsache er
stand pünktlich hinter der Kasse.
Joe
erreichte jetzt die Kassen, beachtete Steve
nicht, der ungeschickt seine Tüten sortierte und lieber nicht von Joe heruntergeputzt werden wollte, wie
immer, weil Joe immer sein Schreib-Board mitsichführte, wie fasces, ein Rutenbündel, mit dem Joe gerne umsichschlug. Egal, ob sich Steve, Analisa aus Mexico oder
die anderen Angestellten bemühten oder nicht bemühten: bei Mindestlohn
runtergeputzt zu werden. Trug er immer seine Mängel in die Liste ein. Um die
Vorgaben aus der Konzernzentrale im fernen Rome, Georgia vorgegeben wurden, zog Verkäuferinnen heran,
schob sie zu den Mängeln ab, verlor beinahe seine antrainierte Fassung, weil
eine Neon-Röhre, eine unter Dutzenden, ausgefallen war, was aber reichte, daß Joe seine Fassung wieder verlor.
Marcus
und Cassius bekräftigten jetzt ihre
Blicke. Kamen jetzt aus der Kasse 2 und der Kasse 8 hervor – der eine von links, von rechts der andere – und stellten Joe am Eingang, kurz bevor er diesen
aufschließen wollte. Nahm Cassius ihm
ohne Worte das Schreib-Board aus den ungläubigen Händen, die Schlüssel, fielen
aber aufgeregt zu Boden, und während Nolan
durch die Fenster draußen auf dem Parkplatz seinen neuen Ford Mustang bewunderte, riß Marcus
ihm das Namensschild von der Sel-Mart-Uniform.
Vielleicht blickte der dabei verlegen zu Boden.
„Marcus, auch Du, mein Freund?“
„Der März-Umsatz, Joe. Der März-Umsatz.“
Im Sel-Mart
war es wie immer. Die Gänge blitzblank, die Waren geordnet, Abgelaufenes
aussortiert. Die Angebotsschilder prangten über den Angeboten, Aktions-Köder
für den Tag.
Ein guter Tag für Umsatz.
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