"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 7. Dezember 2014

Sale-Ideen im März


Im Sel-Mart war es wie immer. Die Gänge blitzblank, die Waren geordnet, Abgelaufenes aussortiert. Die Angebotsschilder prangten über den Angeboten, Aktions-Köder für den Tag.

Joe, Abteilungsleiter, 54 Jahre alt, 33 Jahre in der Firma, 12 Jahre davon als Stellvertretender, seit 5 Jahren besaß er das goldene Namensschild. Stirnglatze, rundes Gesicht, Schnurbart. Gepflegtes Äußeres, Schnurbart in Form geschnitten. Mittelmäßige Bildung, High School, kein College. Unverheiratet, keine Kinder, homosexuell, kein Coming-Out. VW Jetta.

Marcus, stellvertretender Abteilungsleiter, 41 Jahre alt, 14 Jahre in der Firma, seit 4 Jahren in der Abteilungsleitung, seit 1 Jahr besaß er das silberne Namensschild. Blonde Föhnfrisur, abrasierte Koteletten, 7-min-Solariumbräune. Gepflegtes Äußeres, Hemden gab er in die Wäscherei. Mittelmäßige Bildung, High School, kein College, Weiterbildungsseminare. Unverheiratet, keine Kinder, bisexuell, kein Coming-Out. Pontiac G5.

Cassius, Assistent der Abteilungsleitung, 41 Jahre alt, 9 Jahre in der Firma, seit 1 Jahr Assistent, seitdem besaß er das bronzene Namensschild. Schwarz, Schnurbart, Bauchansatz. Gepflegtes Äußeres, manikürte Nägel. High School, College, von der Konkurrenz abgeworben. Verheiratet, zwei Kinder, Ehefrau betreibt Nagelstudio, heterosexuell. Ford Focus, Zweitwagen Chrysler Voyager.

Nolan, Praktikant der Bezirksleitung, 19 Jahre alt, seit 4 Monaten in der Firma, Betriebsstudent, seitdem besaß er das schwarze Namensschild mit Lorbeerblatt. Schlaksig, mageres Gesicht, Schnurbartansatz. Gepflegtes Äußeres, zu groß geschnittener Anzug. High School, College, Neffe von Joe. Verlobt, keine Kinder, heterosexuell, homophob. Ford Mustang, Dienstwagen Chevrolet Cruze.

Steve, Tütenjunge, 16 Jahre alt, 13 Monate in der Firma, seitdem besaß er das gelbe Namensschild aus Plastik. Rote Stachelfrisur, Pubertätsakne, Sommersprossen. Schludriges Äußeres, normale Sel-Mart-Uniform, Abmahnung wegen Flecken. High School, 11th Grade. Ledig, keine Freundin, keine Kinder, heterosexuell. Erstes Auto Honda Civic, 15 Jahre alt.

Joe verließ wie immer sein Abteilungsleiterzimmer, neben Abstellkammer, Uniformausgabe und Notausgang, verärgert, weil Kartons diesen verstellten, rief Analisa aus Mexico, die gerade die Rest Rooms putzte, heran, putzte sie herunter, machte dann seine übliche Runde durch die Warengänge, schob gerade Aktionsschilder gerader, notierte diese Mängel auf die Mängelliste seines Schreib-Board, hakte Punkte ab, die ihm von der Firmenzentrale im fernen Rome, Georgia vorgegeben wurden, zog Verkäuferinnen heran, schob sie zu den Mängeln ab, verlor beinahe seine antrainierte Fassung, weil eine Neon-Röhre, eine unter Dutzenden, ausgefallen war, was aber reichte, daß Joe seine Fassung wieder verlor.

Marcus verließ die Umkleide, löschte das Licht, wie es aus der Konzernzentrale vorgegeben wurde, um überall Strom zu sparen, dort wo Angestellte sich aufhielten, hielt sich vielleicht drei Minuten länger als erlaubt dort auf, notierte auch das auf seine Mängelliste auf dem Schreib-Board, nahm einen anderen Weg wie gewöhnlich, vielleicht um Joes Weg durch die Gänge nicht zu kreuzen, noch nicht.

Cassius verließ seinen Ford Focus, auf dem Parkplatz, vergaß, den Motor abzustellen und war zum ersten Mal, seitdem er für Sel-Mart arbeitete, zu spät an der Stechuhr, stempelte pflichtbewußt dennoch, wählte den Weg zur Umkleide, schaltete das Licht wieder ein, zog sich um, holte aus dem Spind sein Schreib-Board heraus, sah es lange an, ließ es im Spind. Er löschte nicht das Licht, nachdem er die Umkleide verließ.

Nolan stand schon an den Kassen, blickte durch die Eingangsfront auf den Parkplatz, beobachtete wie Cassius seinen Ford verließ, der parkte neben seinem Wagen. Folgte Cassius Blicken noch zum Angestellteneingang. Er kam heute mit seinem Mustang.

Steves Auto sprang nicht an. Wie immer. Er trat gegen den Kotflügel, setzte sich ans Steuer, sprang an, als er auch gegen das trommelte. Er überfuhr Stop-Schilder, ließ sich von der Neighborhood-Watch nicht erwischen, überholte Schulbusse, die auf dem Weg waren, Schulkinder abzuholen und kam doch noch pünktlich zu seinem Job im Sel-Mart. Vielleicht wunderte er sich über Nolan. Aber mischte sich nicht in die Geschäftsabläufe ein. Er war Mitläufer, lieber stumm und war zufrieden mit seinem Tütenjob. Hauptsache er stand pünktlich hinter der Kasse.

Joe erreichte jetzt die Kassen, beachtete Steve nicht, der ungeschickt seine Tüten sortierte und lieber nicht von Joe heruntergeputzt werden wollte, wie immer, weil Joe immer sein Schreib-Board mitsichführte, wie fasces, ein Rutenbündel, mit dem Joe gerne umsichschlug. Egal, ob sich Steve, Analisa aus Mexico oder die anderen Angestellten bemühten oder nicht bemühten: bei Mindestlohn runtergeputzt zu werden. Trug er immer seine Mängel in die Liste ein. Um die Vorgaben aus der Konzernzentrale im fernen Rome, Georgia vorgegeben wurden, zog Verkäuferinnen heran, schob sie zu den Mängeln ab, verlor beinahe seine antrainierte Fassung, weil eine Neon-Röhre, eine unter Dutzenden, ausgefallen war, was aber reichte, daß Joe seine Fassung wieder verlor.

Marcus und Cassius bekräftigten jetzt ihre Blicke. Kamen jetzt aus der Kasse 2 und der Kasse 8 hervor – der eine von links, von rechts der andere – und stellten Joe am Eingang, kurz bevor er diesen aufschließen wollte. Nahm Cassius ihm ohne Worte das Schreib-Board aus den ungläubigen Händen, die Schlüssel, fielen aber aufgeregt zu Boden, und während Nolan durch die Fenster draußen auf dem Parkplatz seinen neuen Ford Mustang bewunderte, riß Marcus ihm das Namensschild von der Sel-Mart-Uniform. Vielleicht blickte der dabei verlegen zu Boden.

„Marcus, auch Du, mein Freund?“

„Der März-Umsatz, Joe. Der März-Umsatz.“

Im Sel-Mart war es wie immer. Die Gänge blitzblank, die Waren geordnet, Abgelaufenes aussortiert. Die Angebotsschilder prangten über den Angeboten, Aktions-Köder für den Tag.


Ein guter Tag für Umsatz.







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