"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Donnerstag, 12. Februar 2015

Windbeutel


Rührend, Tränen in den Augen, den Kopf über der Schüssel geneigt, fügte sie salziges Wasser dem Teig hinzu.

Im Jahre 2076 machte man sich nicht die Mühe, auf seine Ernährung zu achten.

Die Lebenserwartung betrug 133 Jahre. Die Körper tunte man mittels Ersatz-Collagen. Models machten schon lange nicht mehr in Fashion oder Schmink-Werbung. Sie verdienten jetzt ihr Geld damit, daß sie ihre Körper in Lizenz vertrieben. Allein die Patente brachten ihnen Millionen.

Sie hatte gerade ihre dritte Seelenwanderung hinter sich. Irgendwas mit Karma. 2000 Credits an eine Adresse in Nepal überwiesen und man fühlte sich danach rein wie ein Panda-Baby. So jedenfalls versprach es die Werbung. Man transferierte seinen Quellcode via Interlink an Wirtskörper auf der ganzen Welt. Dann fand man sich an einen Strand auf Bali wieder, zwischen den Ruinen von Machu Picchu oder den Lavaströmen von Big Island, Hawaii. Ohne das Haus je zu verlassen und ohne Blasen an den eigenen Füßen zu bekommen vom vielen Umherlaufen zwischen all den anderen Seelenwanderern, Schweiß oder Durst und nicht auf Toilette gehen zu können. Ein riesen Geschäft. Der letzte Schrei. Ein Schmu wie sich herausstellte.

Lagen doch die Wirtskörper in einer stickigen Hinterhof-Kaschemme in Bangladesch. Auf dreckigen Feldbetten. An virenverseuchten Kabeln angeschlossen. Und waren die armen Seelen nicht wirklich vor Ort. Kein Strand auf Bali, kein Machu Picchu, kein Hawaii. Der Trip nur vorgegaukelt. Hatten zwielichtige Geschäftemacher den VR-Code des Lebens gehackt und Echos von früheren Seelenerlebnissen auf Emo-Sticks gebrannt. Die spielten sie dann ab. Mit allen Übersetzungsfehlern und No-Comment-Hall. Niemand bekam seine Credits zurück. Ein riesen Theater in den virtuellen Medien.

Ich fand sie an der Bar im Marriott in Shanghai. Aufgedunsen und mit Poren so groß wie Löcher von antiken Bürolochern, als Papier noch in Mode war. Sie machte nicht den Eindruck, daß Seelenwanderungen ihr bekommen würden. Sie nippte an einem Daiquiri Squat und führte diese Art von Selbstgesprächen, die einen an den Rand des Bemitleidens brachten. Wie lange mußte das her sein, daß sie ihren eigenen Körper auf eine richtige Reise schickte? Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, schon sehr lange. Der Barkeeper wendete sich schon ab, als sie nach dem siebten verlangte. Ich ertrug ihre Anwesenheit ohne Leidenschaft.

Sie war in Begleitung eines gewürzroten Kleides aus Seide und Mother-of-Pearl-Ohrringen. Alles Dinge also, die lebendige Tiere schon einmal in ihrem Leben abgestoßen hatten. Sie werden wohl ihre Gründe haben. Sie war angezogen, als würde sie auf die Party ihres Lebens gehen, saß aber nun an der Bar rum, die der Barkeeper abwinkend schon aufgegeben hatte, und wartete wohl darauf, angesprochen zu werden. Niemand tat ihr den Gefallen. Das kompensierte sie mit Selbstdialogen. Sie war vielleicht 90. In dem Körper eines Models. Aber von Verbitterung aufgedunsen. Lizenzen müßte man haben.

Aus Mitleid bestellte ich dasselbe Getränk. Es ist oft so, daß man in der Anwesenheit dieselben Dinge tut, die man bei anderen sieht. Unbewußt. Und so murmelte ich etwas vor mich hin. Ich selbst nahm keine Notiz von dem, was ich sagte. Aber sie verstand es als Aufforderung, sich mir zuzuwenden. Der Alptraum begann.

Wir zogen durch Karaoke-Bars, die zu keiner Zeit aussterben würden, schon gar nicht im Jahre 2076, brüllten chinesische Edel-Schnulzen in hallende Mikrophone und torkelten dann aufgekratzt weiter. Bunte LED-Fassaden, Lampions und Laser-Feuerwerke. Wir fielen in eines dieser Kitsch’n’Kiss-Häuser, in denen die Zimmer Namen trugen wie ‚Chateau‘, ‚Pompeii‘, ‚Cave‘ oder schlicht ‚1999s Living Room‘. Sie wählte ‚Kitchen‘ und als wir das Zimmer betraten, standen wir wirklich in einer Küche. Mit allem ausgestattet, was eine Küche ausmachte, Herd, Spüle, Kühlschrank, Küchentisch. Und allen Lebensmitteln, die man sich in einer Küche vorstellte. Sie wühlte in allen Schränken. Holte dann Schüssel, Schneebesen, Mehl, Milch, Butter und Zucker hervor. Band sich eine Schürze um und rührte diesen Teig. Sie weinte. Sie fügte die Tränen dem Teig hinzu. Und nach einer Stunde duftete es in der Küche nach den Windbeuteln ihrer Jugend.

Wir saßen gemeinsam am Tisch wie ein Ehepaar und aßen sie. Dann hatten wir Sex.


Einen Tag später erwachte ich in einer stickigen Hinterhof-Kaschemme in Bangladesch. Auf einem dreckigen Feldbett. An Kabeln angeschlossen. Meine endete. Die nächste Schicht übernahm. 2000 Credits waren ihr die Windbeutel wert. Sie buchte mich nie wieder.









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