Rührend, Tränen in den Augen, den Kopf über der Schüssel
geneigt, fügte sie salziges Wasser dem Teig hinzu.
Im Jahre 2076 machte man sich nicht die Mühe, auf
seine Ernährung zu achten.
Die Lebenserwartung betrug 133 Jahre. Die Körper
tunte man mittels Ersatz-Collagen. Models
machten schon lange nicht mehr in Fashion
oder Schmink-Werbung. Sie verdienten jetzt ihr Geld damit, daß sie ihre Körper
in Lizenz vertrieben. Allein die Patente brachten ihnen Millionen.
Sie hatte gerade ihre dritte Seelenwanderung hinter
sich. Irgendwas mit Karma. 2000 Credits an eine Adresse in Nepal überwiesen und
man fühlte sich danach rein wie ein Panda-Baby. So jedenfalls versprach es die
Werbung. Man transferierte seinen Quellcode via Interlink an Wirtskörper auf
der ganzen Welt. Dann fand man sich an einen Strand auf Bali wieder, zwischen den Ruinen von Machu Picchu oder den Lavaströmen von Big Island, Hawaii. Ohne
das Haus je zu verlassen und ohne Blasen an den eigenen Füßen zu bekommen vom
vielen Umherlaufen zwischen all den anderen Seelenwanderern, Schweiß oder Durst
und nicht auf Toilette gehen zu können. Ein riesen Geschäft. Der letzte Schrei.
Ein Schmu wie sich herausstellte.
Lagen doch die Wirtskörper in einer stickigen Hinterhof-Kaschemme
in Bangladesch. Auf dreckigen Feldbetten. An virenverseuchten Kabeln
angeschlossen. Und waren die armen Seelen nicht wirklich vor Ort. Kein Strand
auf Bali, kein Machu Picchu, kein Hawaii.
Der Trip nur vorgegaukelt. Hatten zwielichtige Geschäftemacher den VR-Code des
Lebens gehackt und Echos von früheren Seelenerlebnissen auf Emo-Sticks
gebrannt. Die spielten sie dann ab. Mit allen Übersetzungsfehlern und No-Comment-Hall. Niemand bekam seine
Credits zurück. Ein riesen Theater in den virtuellen Medien.
Ich fand sie an der Bar im Marriott in Shanghai.
Aufgedunsen und mit Poren so groß wie Löcher von antiken Bürolochern, als
Papier noch in Mode war. Sie machte nicht den Eindruck, daß Seelenwanderungen
ihr bekommen würden. Sie nippte an einem Daiquiri
Squat und führte diese Art von Selbstgesprächen, die einen an den Rand des
Bemitleidens brachten. Wie lange mußte das her sein, daß sie ihren eigenen Körper
auf eine richtige Reise schickte? Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, schon sehr
lange. Der Barkeeper wendete sich schon ab, als sie nach dem siebten verlangte.
Ich ertrug ihre Anwesenheit ohne Leidenschaft.
Sie war in Begleitung eines gewürzroten Kleides aus
Seide und Mother-of-Pearl-Ohrringen.
Alles Dinge also, die lebendige Tiere schon einmal in ihrem Leben abgestoßen
hatten. Sie werden wohl ihre Gründe haben. Sie war angezogen, als würde sie auf
die Party ihres Lebens gehen, saß aber nun an der Bar rum, die der Barkeeper abwinkend
schon aufgegeben hatte, und wartete wohl darauf, angesprochen zu werden.
Niemand tat ihr den Gefallen. Das kompensierte sie mit Selbstdialogen. Sie war
vielleicht 90. In dem Körper eines Models.
Aber von Verbitterung aufgedunsen. Lizenzen müßte man haben.
Aus Mitleid bestellte ich dasselbe Getränk. Es ist
oft so, daß man in der Anwesenheit dieselben Dinge tut, die man bei anderen
sieht. Unbewußt. Und so murmelte ich etwas vor mich hin. Ich selbst nahm keine
Notiz von dem, was ich sagte. Aber sie verstand es als Aufforderung, sich mir
zuzuwenden. Der Alptraum begann.
Wir zogen durch Karaoke-Bars,
die zu keiner Zeit aussterben würden, schon gar nicht im Jahre 2076, brüllten
chinesische Edel-Schnulzen in hallende Mikrophone und torkelten dann aufgekratzt
weiter. Bunte LED-Fassaden, Lampions und Laser-Feuerwerke. Wir fielen in eines
dieser Kitsch’n’Kiss-Häuser, in denen
die Zimmer Namen trugen wie ‚Chateau‘,
‚Pompeii‘, ‚Cave‘ oder schlicht ‚1999s Living
Room‘. Sie wählte ‚Kitchen‘ und
als wir das Zimmer betraten, standen wir wirklich in einer Küche. Mit allem
ausgestattet, was eine Küche ausmachte, Herd, Spüle, Kühlschrank, Küchentisch.
Und allen Lebensmitteln, die man sich in einer Küche vorstellte. Sie wühlte in
allen Schränken. Holte dann Schüssel, Schneebesen, Mehl, Milch, Butter und
Zucker hervor. Band sich eine Schürze um und rührte diesen Teig. Sie weinte. Sie
fügte die Tränen dem Teig hinzu. Und nach einer Stunde duftete es in der Küche
nach den Windbeuteln ihrer Jugend.
Wir saßen gemeinsam am Tisch wie ein Ehepaar und
aßen sie. Dann hatten wir Sex.
Einen Tag später erwachte ich in einer stickigen Hinterhof-Kaschemme
in Bangladesch. Auf einem dreckigen Feldbett. An Kabeln angeschlossen. Meine
endete. Die nächste Schicht übernahm. 2000 Credits waren ihr die Windbeutel
wert. Sie buchte mich nie wieder.
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