"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 16. August 2017

Professionelle Menschen


Die Lage der Journalistik in Zeiten des Bildes mit Seitentext


Es gibt sie nun: Diese professionellen Menschen.
Und es gibt sie nun: Diese riesengroßen, professionellen Kontaktanzeigen.

Neulich versetzte ich mich in die Lage, Worte in Schrift zu setzen.
Dies nahm ich zum Anlaß, keine Geschichte zu erzählen, sondern einen Text zu verfassen:
Der auch in jeder üblichen Zeitung stehen könnte.
Ich bitte, die Qualität zu entschuldigen. Denn es ist keine Kontaktanzeige.
Kontaktanzeigen sind gut geschrieben, meist langweilig beschrieben.
Dieser imitierte Zeitungsartikel handelt nur von einem Menschen, der nicht mehr will.

Dieser Mensch, der nicht mehr will, bin ich, und ich kann mich seit einiger Zeit nicht mehr des Eindrucks erwehren, daß alles, was ich nicht mehr will, medial Gesagte, Geschriebene, Gefilmte, Photographierte, nur noch eine einzige, riesengroße Kontaktanzeige ist:

Von dem, der spricht, schreibt, filmt oder photographiert.

Menschenwerbung, um einen Partner oder Freund für den Freundeskreis zu finden oder sich einem Partner oder Freund oder Freundeskreis anzudienen oder sich nicht die Blöße geben, man wäre nicht mehr hot genug, um möglichen Partnern, Freunden, Freundeskreisen anzugehören, selbst wenn man Partner, Freunde, Freundeskreise hat, wenn man es denn nur wünschte.

Schaltet man also diese riesengroßen Kontaktanzeigen. So kommt es mir vor.

Was Internet angeht, bin ich eher Dilettant und recht erfolglos. Was mich in dieser Hinsicht beruhigt,
denn eigentlich bin ich nur interessiert an erzählten, geschriebenen, erfundenen Geschichten.
Und erzähle erfundene Geschichten gerne, wenn ich sie denn schreibe.
Das Interesse an Menschen beruht bei mir nicht in der realen Person selbst, sondern nur an ihrem Habitus.
Das inspiriert mich manchmal, und dann schreibe ich. Über Menschen. Über Menschen, die wie Dinge sind.
Sie auch zu kitzeln, und darüber, wenn es Reaktionen gibt, eine Geschichte zu erfinden. Leider gibt es sehr wenige Geschichtenerfinder im Internet. Das mag daran liegen, daß es sehr wenige, fruchtbare Reaktionen gibt, die Menschen zu erfundenen Reaktionen reanimieren.

Fehlt das Phantastische.

Das mag auch daran liegen, daß Menschen wie ich nicht attraktiv sind.
Attraktiv sind attraktive Menschen. Leider werden attraktive Geschichten von unattraktiven Menschen erfunden.
Leider werden keine Geschichten mehr erfunden. Das mag daran liegen, daß sich unattraktive Geschichtenfinder von attraktiven Imagegebern inspirieren lassen, was nicht attraktiv für Geschichten ist, wenn die attraktiven Menschen nur mehr attraktive Kontaktanzeigen sind.

Dieser Text wird abdriften. Das weiß ich. Stünde er in einer Zeitung, wüßte ich es auch, wäre er nicht von mir geschrieben.

Ich weiß nicht, ob es immer um Narzissmus geht. Es geht aber immer um Narzissmus, weiß ich,
auch wenn ich nicht weiß, was Narzissmus ist. Aber es muß ja immer um Narzissmus gehen,
auch wenn man nicht weiß, wohin der führt, und ob der schlecht ist, wenn er einen
wenigstens in Bewegung versetzt. Denn der geht ja wohin. Wobei ich immer nur verharre.
Vielleicht geht es immer darum, jemand anderer zu sein: Die Schöne. In den schönen
Kleidern. Die Eloquente. In den fließenden Worten. Die man nicht ist. Dafür himmelt man sie an. Die geht ja wohin.
Und die Schöne - sie sind immer schön, und sind immer mehrere, und wollen immer wohin,
sind dann am Himmel.

Und verletzten einen, weil der Himmel zumindest beim Gucken ja einem selbst gehört.

Letzlich ist es immer nur eine riesengroße Kontaktanzeige, denke ich. Da, im Himmel.
Geschrieben mit einem Flugzeug am Himmel samt Motorenlärm einer Propellermaschine,
dessen Geräusch immer an den Sommer, sonntags, in klarer, warmer Luft erinnert. Und Vintage-Kleid.

Eine riesengroße, professionelle Kontaktanzeige.

Daher brauchen schöne Menschen den Himmel. Sie brauchen Platz. Viel Platz. Sehr viel Platz für ihre Werbungsbanner.

Oder 10.000 Follower. 100.000 Follower. Und wenn sie 1.000.000 Follower haben, denken sich diese schönen Menschen:

"Was soll ich denn noch machen?!" 

Damit sie endlich jemanden abkriegen. Mann oder Frau. Freund oder Sozialkreis.
Verzeihung: Den Himmel teilen können.
Sie sind schön, sie sind immer schön. Alle. Immer. Schön. Sind Star, sind psycho-yolo-philosophie-studiert, emanzipiert samt Frontboobs in Fashionposen, damit die russisch-ukrainischen Softcore-Models nicht alle neidischen Blicke abkriegen, aber mit Auftrag.

Irgendeinen Auftrag haben diese schönen Menschen immer. Und Auftrag klingt immer
wie Ausrede. Aber Ausrede ist ja nicht Auftrag. Den hat man immer.
Klingt aber nicht gleich.
Man muß nur 'Auftrag' sagen. Und nicht 'Ausrede'. Und es ausprobieren: Nö. Klingt nicht gleich.
Auftrag klingt nicht wie Ausrede. Aber was soll's.
Ist nur eine riesengroße Kontaktanzeige, denke ich.
Und die ist nie schlimm. Man braucht nur die richtige Ausrede dafür.
Den riesengroßen Himmel zum Beispiel. Den sie beschreiben. Bespielen. Bemalen. Für ihr Bild, für ihren Film, ihren Text.
Könnt' ja noch ein Besserer kommen: Ein besserer Himmel.

"Soll ich mir etwa Eier in die Vagina stecken und sie nackt vorm Kölner Dom auf eine
Leinwand flutschpressen?!"

Und dann pressen sie Eier aus der Vagina.
10.000.000 Follower. Aber immer noch keinen Menschen gefunden. In all der Menge.
Und wenn, dann müßten sie eigentlich die Kontaktanzeigen abschalten.
Darunter muß sich doch der Richtigere befinden. Aber nie dumm.
Muß nur die nächsten Follower finden. Darunter die besseren Menschen.
Die dann professionell.

Also wieder erst mal den neuen Film promoten. Etwas anrüchig geben.
Aber Auftrag nicht vergessen, was wie Ausrede klingt, aber ja Auftrag ist. Und Auftrag klingt nicht wie Ausrede:

Akt der Befreiung. Und auch 'Film' klingt wie 'riesengroße Kontaktanzeige'.

"Bei den nächsten 100.000.000 Followern werde ich den Richtigen
schön finden. Aber erst mal in meinem Garten jagen. Leute daten,
die weniger als 100.000.000 Follower haben. Filmstars. Männer. Aber nur 3 Monate.
Das macht mich feministisch stark."

Kontaktanzeigen. Überall nur riesengroße Kontaktanzeigen. Werbe-Erhaltung der Art.
Dann Journalisten daten. Zum Interview. Ist wie Rendevous, mit Kerzenschein.
Die Beleuchter sorgen für Licht. Sie sind die Kerzen. Aber Journalisten können nicht ficken.
Professionell fickt dumm nur gut. Aber Journalisten sind nicht dumm.

Und wenn man in Beziehung ist? Beweisen, daß man jederzeit jemand anderen daten könnte. Noch hotter als der letzte Scheiß ist.
Der Bessere ist des Guten Feind. Die Jüngere ist des Alten Tante.
Verwandt, und damit befangen. Unbefangen sind sie alle nicht.
Abgeklärt geben.

Als ich, ein Mann, der nicht ein professioneller Mensch ist, hörte,
daß eine Fernsehbewohnerin sich Eier in die Vagina steckt, habe ich das Beste getan,
was man tut, wenn jemand einem sagt, daß man sich Eier in die Vagina steckt: Ich habe aufgelacht.
Professionell bessere Menschen lachen nicht auf. Sie sind abgeklärt.

Sie notieren verächtlich, daß aufgelacht wurde. Bei Herren. Bei Willi Herren.
Das ist ein Zeichen von Schwäche.
Und schwach sind professionelle Menschen nie. Nur Männer.
Das klingt professionell. Das klingt nach anrüchig. Nach Frontboobs. Nach Frontline.
Aber nur mit Auftrag.
"Aber nur mit Kondom?", denken sich schwache Herren ihren Willi, sich verhört zu haben.
"Aber nur mit Auftrag."
"Klingt wie 'Ausrede'."
"Nein. 'Auftrag' klingt nicht wie 'Ausrede'."


Es sei denn, sie haben eine Ausrede: Buchvertrag, hm? Talkshow-Gast?
Die Kummerbund-Bauchbinde blendet ein:

"Wie ich als Professionelle eine Lüge vorlebte: Dabei war ich als Mensch nur Amateur!"
Und (10 Jahre später): "Ich möchte aufklären." 

Frontboobs, Frontline. Frontface.

Und als Amateur-Mensch denkt man sich, gleich kommt noch die Studie dazu.
"Wasser ist naß. Endlich. Jetzt auch wissenschaftlich bewiesen." Jetzt nur noch die Gegenstudien abwarten.

Kontaktanzeigen. Überall nur Kontaktanzeigen.
Profi-Menschen. Überall nur Profi-Menschen.

Olympia ist nichts mehr für Amateure.
Fürs nächste Leben vormerken: Sich beim Jobcenter als Gott bewerben.
Tarifvertrag, Urlaubsanspruch. Liebe am Arbeitsplatz. Unter Göttern.
So viele Götterberge müßte es wohl geben.
Kontaktanzeige weiter laufen lassen. Noch größer, noch mehr.
Für das Liebesdanach. Den Lebenswechsel.

"Ich habe mich verliebt." Man steht vor einem Spiegel. Man datet.
"Du siehst aber anders aus als im Spiegel."

Professioneller Mensch müßte man sein.
"Mensch müßte man sein.", denke ich und drifte, wie versprochen, ab. "Klingt interessant.", denke ich.
Aber das klingt nicht profi genug. Als Mensch für immer Amateur.
Dann doch lieber diese Sache mit dem 'Gott'.

Ein Berg läßt sich immer finden.
Ein Mensch steht auf einem Berg.
Das macht den Menschen schon zum Gott.
Dann Hand ausstrecken.
Dann abgeklärt verneinen, daß man längere Arme braucht, um den Himmel zu berühren.
Dann Profi-Mensch werden:
"Der Himmel berührt ja einen."
Wozu dann noch dumm auf einem Berg stehen?

Funktioniert auch in der Ebene.

Dann Profi. Endlich Profi.
Abgeklärt denken:

"Waren es denn Hühnereier?"

Professioneller Mensch zu sein läßt einen stark wirken.

Bin lieber schwach. Bin lieber abgehängt.
Dann müssen mich diese Profi-Menschen mit ihren professionellen Anhängerkupplungsautos nicht
irgendwohin abholen und irgendwie hinfahren, wohin ich nicht will. Und stehe einfach nur so da, wo ich stehen will.
Wie so ein abgehängter Mann, der einfach nur rumsteht.

"Es waren Hühnereier."

Boah, ey. Professionelle Menschen haben immer das letzte Wort.

"Wenigstens war es nicht zu Ostern.", antwortet man aus Humornotwehr.

"Doch. Es war zu Ostern."

Nie den Humor des Gegenüber unterschätzen. Er könnte noch mal witzig werden.

"Ich brauche dringend eine schwache Religion, die nicht das Ei verehrt."

"Die gibt es schon: Man nennt sie 'Essen'. Nur ohne Eier."

"Und? Kann ich deren Gott werden?"

"Nein. Dazu fehlt Dir die Hingabe."

"Und wo bekomme ich die?"

"Wenn Du Glauben im Sechserpack suchst, wirst Du ihn nach 6 verbrachten Eiern verlieren."

"Eier gibt es auch im 10er-Pack."

"Dann bleiben Dir 4."

"Vier was? 4 Glauben?"

"4 Eier."

"Ich glaube nicht an Eier. Ich esse sie."

"Dann wirst Du nie deren Gott werden."

"Freeway-Fanta gibt es auch im Sechser-Pack. Gilt das auch? Kann ich wenigstens deren Gott werden?"

"Nein. Das gilt nicht. Klingt 'Fanta' wie 'Eier'?"

"Klingt wie eine Ausrede."

"Nein. Klingt nicht wie 'Ausrede'. Klingt wie 'Fanta' und klingt wie 'Eier'."

"Waren es nicht Farbeier? Wo kriegt man die her, frage ich mich."

"Tz, tz. Daran merkt man, daß Du kein Profi-Mensch bist: Sie kommen natürlich aus der Vagina."

"Und... Willi Herren ist ihr Gott?"

"Nein. Puh. Willi ist nicht ihr Herrengott. Steh' einfach auf einem Berg, Mann!"


"Berge stehen mir nicht."

"Zu."

"Wie bitte?"

"Stehen Dir nicht zu."

"Was steht mir denn als abgehängter Mann zu?"

"Eier."

Boah, jetzt reicht's langsam.

"Aber die kommen doch aus der Vagina."

"Nein. Kommen sie nicht."

"Aber Du hast doch gesagt, die Eier kommen aus der Vagina."

"Die Vagina gehört der Frau. Und die steht Dir nicht zu, abgehängter Sexist."


Ich brauche dringend mein schwaches Leben. Und einen schwachen Himmel.
Und die schwache Erkenntnis, daß ich keine Macht entfalten will, nur weil ich Dummes über Menschen schreibe.
Profi-Menschen mit ihren Kontaktanzeigen schließen mich nicht ein, mich für sie zu interessieren.
Selbst wenn ich mit diesem Gefühl nicht allein sein sollte und es anderen so geht, daß sie sich für Kontaktanzeigen nicht interessieren, die nicht an sie adressiert sind, aber überall prangen.
Ich sollte vielleicht anfangen, Geschichten zu erfinden. Auch dort in Geschichten gibt es Menschen.
Es gibt sie nur nicht. Kein großer Unterschied. Zu den Menschen, die es gibt.

Auch ein erfundener Himmel ist blau.

Und in der Ferne ein Propellerflugzeug. So klingt der Sommer.

Man braucht nur erfundene Worte dafür.







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