"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Samstag, 12. August 2017

Damals, als ich noch an Märchen glaubte, schrieb ich eine Prinzessin in eine Geschichte und einen Zwerg in einen Spiegel


Die Schritte, die kleinen, doch emsigen Schritte führten zu einer Lichtung. Ein Kohlsaum als Nahrung, Gras in leuchtenden Farben, grün wie nichts saftigeres außer Leben, ein Stein in deren Mitte, darauf ein Zwerg, im Schneidersitz der Demut oder des Aufbegehrens, ein Fingerspiel beschäftigte die flinken Hände, Taschenspielertricks, gezückt am Ende: Eine Flöte, die er nun spielte.

Die richtigen Töne suchte er noch.

Der Zwerg schenkte ihr scheinbar keine Beachtung. Stattdessen übte er weiter. Lor kam bis auf zehn Schritte heran. Ein Spiegel in der Hand, wie ihn jede Prinzessin hielt, die sich im Wald verirrte. Zum Kämmen oder nächtens den Sternen zu winken. Als Prinzessin halte immer einen Spiegel. Beim Zwerg: Ein kleiner Lederbeutel baumelte an seinem Hals. Im Takt der Musik wog er. Wog schwerer. Störte. Kleine Finger versuchten, ihn aus dem Spiel herauszuhalten, wenn es eine Note ermöglichte. Beides mißlang. Das Baumeln zu unterbinden und die Noten finden. Ein kleiner Bogen lehnte entspannt neben einem kleinen Köcher am Stein. Winzige Pfeile rangelten um das Licht der strahlenden Sonne. Sie streckten ihre Köpfe heraus. Scharfe Schneiden. Nach einem letzten, krächzenden Ton – die volle Kraft der Tröte schwang noch nach, übel, bevor er die Flöte absetzte –, blickte der Zwerg auf und sprach mit feiner Stimme:

„Was für einen schönen Spiegel ihr da habt, Maid. Wollt ihr ihn tauschen? Ich besitze begehrte Dinge.“

Er streckte seine Hand aus. Unbequem kam sie näher als erwartet. Er lächelte verschmitzt.

„Nein? Ich werde euch dafür einen guten Preis machen…“

Lor schüttelte mit dem Kopf. Der Griff an den Lederbeutel schnürte ihr die Luft ab. Er zog an den Enden. Dadurch öffnete er den Knoten. Er griff hinein.

„Wartet, schöne Maid… ich gebe euch dafür einen seltenen …Diamanten. Seht ihr das Feuer darin? Es lodert. Man sagt, wenn man es sich ganz innig wünscht, dann entfaltet er heilende Kräfte: Er verschließt Wunden und macht Kranke wieder gesund.“

Funkelnd sah sie sich den Diamanten an. So schön war er, daß es schon weh tat, ihn so ungeniert zu betrachten. Doch dann:

„Ja, er ist wirklich schön. Doch hilft er auch gegen die schlimmste Krankheit, kleiner Mann?“
„Welche soll das sein?“
„Das Leben. Das Leben ist die schlimmste Krankheit. Unheilbar ist das Leben und führt zum Tod, unweigerlich.“

Der Zwerg war überrascht. Verärgert stopfte er den Edelstein wieder in den Lederbeutel.
„Wie ihr meint.“ Er überlegte. Dann fiel es ihm ein.

„Wie wäre es mit etwas anderem?“ Erneut steckte er seine kleinen Finger in den kleinen Beutel, schüttelte, hielt ihn ans Ohr, lauschte, schüttelte mit dem Kopf, schüttelte weiter, bis er das richtige fand. „Seht her!“, sagte er stolz. Etwas Großes, Glänzendes zog er aus dem Beutel. Es beschwerte sich über die ungewohnte Helle.

„Die Krone einer …Göttin! Setzt sie auf… und ihr werdet über alles auf dieser Welt herrschen: Über die Menschen, die Geschicke, die Hoffnungen! Und preisen werden die Menschen euch wie es sich nur für eine Göttin gehört.“

Lor beugte sich vor. Die Krone knisterte in den Zwergenhänden. „Ja, so ist es gut. Noch ein Stück… ein Stückchen noch …“ Zog sie an. Und näher. Doch dann. Blinzelte es am Augenrand. Der Spiegel in der Hand. Ihm verdankte sie ihr Leben. Ihr Spiegelbild stand Kopf. Lor schrak. Zurück. Sie sagte:

„Ruhm und Macht sind vergänglich. Und preisen? Wartet man nicht sein ganzes Leben auf jemanden, der mit all seiner Freude dann hinein platzt, gerade wenn man es nicht erwartet, und alles auf den Kopf stellt? Und man läßt es geschehen, obwohl es die eigene Welt auf den Kopf stellt, wie das eigene Bild im Spiegel, weil man sehen will, wie die Welt so aussieht, wenn sie auf dem Kopf steht. Und erkennt, daß man mehr als nur diese Blicke teilt. Und vielleicht jemanden findet, in dessen Blick man sich wiederfindet und dahinter eine Seele erblickt, mit der man verwandt scheint. Mehr als jeder erzwungener Bund vermöchte. Und sich fragt, warum man sich nicht eher gefunden hatte? Was nützt mir die Herrschaft über die Menschen, deren Geschicke und Hoffnungen, wenn ich zwar eine Göttin, aber selbst kein Mensch mehr bin? Es ist wie immer:

Was bleibt am Ende am wertvollsten? Schönheit, Verstand, Humor?

Schönheit? Beeindruckt mich nicht im Mindesten. Damit bin ich jeden Tag umgeben. Sie bleibt vergänglich. Eine schöne Seele dagegen überstrahlt jedes aufgesetzte Lächeln.
Verstand? Letztlich läßt sich alles lernen. Doch der Ursprung von Wissen ist nicht lernen, sondern beobachten. Und Humor? Ist die Intelligenz der Näher: Den Saum mit feinsten Nadelstichen zu stechen. Dort, wo am Ende die Naht im Verborgenen hält. Doch hochgeschätzt? Die unbedingte Liebe? Kommt der Sache schon ohne Näher näher… Das entwaffnende Lachen eines Kindes? Sicher. Beides ist mit am wertvollsten. Doch eines ist noch seltener: Der unbefangene Blick in die Seele eines Menschen.“

Der Zwerg sprang auf und kochte vor Wut! Ballte seine kleinen Fäuste, hüpfte weiter auf dem Stein umher und hin und her und wieder und wie, aber hielt sich mit Worten kalt zurück.

„Ich sehe,“, sagte er verbissen. „ihr versteht euch aufs Handeln, edle Dame. Doch ich biete euch jetzt etwas an,“, sagte er abschätzig und warf die goldene Krone ins Feld, wo sie im Grün versank, das Grün dann Göttin, und kramte tiefer in seinem Lederbeutel herum. „das selbst ihr nicht ausschlagen könnt. Hier! Er ist noch warm. Vom Erwarten…“

Aus dem wundersamen Beutel holte er einen rostigen Schlüssel hervor.

„Dieser Schlüssel hier… öffnet euch das Herz eines jeden Jungen. Oder Jungfer, wenn ihr es so bevorzugt.“

Der Schlüssel drehte sich im Handteller. Der Zwerg hielt ihn in die Sonne. Lor griff nach ihm.

„Was gibt es Kostbareres als die Liebe eines Menschen zu gewinnen?“, hörte sich Lor ohne Zögern sagen, während ihre Finger noch zweifelten:

„Dies ist wahrlich ein großzügiger Preis für einen alten Spiegel, edler Zwerg. Doch braucht die Liebe ein Schloß, um sie zu verschließen, oder gar Schlüssel, um ein Herz zu öffnen?“ Sie zog die Finger wieder zurück. „Und was für ein Schloß und ein Schlüssel muß das sein, die einen im Herzen eines anderen einschließen – und gefangen halten? Wie in einem dunklen Verlies. Was ihr mir bietet, ist ein Kerker. Ohne Licht, ohne Wiederkehr. Behaltet eure Sachen. Der unbefangene Blick ist das Kostbarste, was es gibt. Zu sehen, wie man wirklich ist. Ob der Blick gefällt? Was weiß ich. Aber ich kann nicht preisgeben, was mir nicht gehört.“

„Ah, gib mir endlich dein Antlitz!“ Der Zwerg stürmte plötzlich vor und sprang Lor an die Gurgel. Lor schüttelte ihn ab. Sie schlug ihm ins Gesicht.

„Mein Antlitz? Mein Antlitz wollt ihr haben? Ihr denkt, es bleibt darin, wenn ihr hineinblickt?“ Dümpelnd fiel der Zwerg zu Boden. Der Schlüssel daneben und der Lederbeutel. Er keuchte im Staub des Steines.

„Verzeiht mir,“, richtete er sich mühsam auf und sammelte seine Sachen, ohne sein Gesicht zu zeigen „daß ich euch mit diesen unwürdigen Dingen beleidigt habe. Ich bin klein und häßlich, nicht nur deshalb verdammt, auf dem Boden zu kriechen. Mit gesenktem Haupt tue ich das. Ich werde versuchen, einen angemessenen Preis für den Spiegel zu finden, den er verdient und der euch so zufrieden stellen wird.“

Dann kletterte er auf seinen Stein, kreuzte die Beine, hob die Flöte auf, führte sie zum Mund und blies gedankenverloren hinein. Noch einmal setzte er sie ab.

„Achtet wohl auf euren Spiegel. Es gibt viele, die ihn um euren Blick beneiden. Manch einer würde alles tun, um ihn zu erhaschen.“ Dann setzte er die Flöte an und begann, ihr die wunderbarsten Töne zu entlocken. Dann mit den Tönen Nebel. Kein Anblick mehr von beiden.









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