"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 5. November 2017

Die 5-Minuten-Terrine


"Oh, schöner Busen.", sage ich.

Ich bin Mann, und ich darf das sagen.


Denn ich sag' das ja nicht öffentlich.



Die Frau in mir, die Frau in mir, die nicht zuhört, schümpft:

"Du schaust nur auf den Busen! Na, klar!"


...und dann kommen Worte aus ihrem Mund - aus der Frau in mir -, und aus ihrem Mund kommen Worte, die wohl aus ihrem Mund kommen.

Denn sie kommen ja aus ihrem Mund.

Und darüber ist die Nase. Und da sind noch zwei Augen und was zwei Augen so mit sich bringen und da ist noch die Stirn und da gibt es noch die Worte, die irgendwas in ihre Haut schrieben, die sich faltet und verwerft, die jemand zu ihr schon vorher sagte. Und was da jetzt so geschrieben steht.

Das weiß ich. Denn ihren Mund kenne ich.

Na, klar... hört sie nicht zu. Denke ich. Typisch Frau. Denke ich. Frauen hören nicht zu.

Daß ich 5 Minuten lang mir ihr Gesicht angeschaut habe - und dabei nichts gesagt habe -, hört sie nicht.

5 Minuten hört sie nichts.

Und ich denke darüber nach, was man so alles in 5 Minuten nun so machen kann:

Die 5-Minuten-Terrine. Die 5 Weisheiten des Lebens nachschlagen. Die 5 Tiere in Afrika googlen.
Die 5 Must-Haves der Saison. Die 5 Finger nach Vollständigkeit hin nachzählen.
Die 5 Farben malen, die ich am meisten mag.
Die 5 Gemälde der Geschichte unter anderem Malernamen veröffentlichen lassen: Was für ein Durcheinander!
Die 5 Dinge am liebsten machen, die ich am liebsten mache: Nämlich nichts, nichts, nichts, nichts und am allerliebsten nichts.

Natürlich schaue ich nicht 5 Minuten öffentlich ein Gesicht an. Da gibt's eh nichts zu sehen, denke ich. Das geht mich nichts an.

Weil ich aber nun damit beschäftigt bin - mit ihren Worten -, damit beschäftigt bin, lieber nichts zu sagen, und ich mich lieber noch mal vergewissere, woher denn ihre Worte kommen, schaue ich lieber noch mal nach, woher ihre Worte kommen: Ja, eindeutig aus ihrem Mund.

Und der bewegt sich und bewegt sich und bewegt sich und: Bewegt er sich? Und ja, er bewegt sich und bewegt sich und bewegt sich...

Und daß ich deshalb weiß, daß ihre Worte aus ihrem Mund kommen - den kenne ich ja schon fünf Minuten - und nicht aus ihrem Busen - den kenne ich nach fünf Minuten erst seit fünf Sekunden.
Und für fünf Sekunden bin ich normalerweise nicht gesprächsbereit. Selbst für 1 Sekunde bin ich nicht gesprächsbereit.

Dann denke ich mich lieber weg.

Vielleicht sollte ich einfach mit dem Busen reden, denke ich dann lieber doch.

Und nicht mit dem Mund.

Der Busen, also, ist mir seit 5 Sekunden vorgestellt. Das reicht, denke ich, für Small-Talk.
Das ist lustig, denke ich. Small-Talk im Zusammenhang mit Busen.
Das ist dem Zusammenhang geschuldet. Denke ich. Ein Gespräch unter kleinen Leuten: Das ist der Zusammenhang. Deshalb Small-Talk.
Das sage ich aber nicht, sonst spricht der Mund der Dame wieder mit mir, den ich ja schon 5 Minuten kenne, und erkennt den Zusammenhang nicht:

Daß ich jetzt mit dem Busen spreche. Und nicht mit ihr. Und der braucht meine Aufmerksamkeit:

Dem geht es nicht gut.

"Na, Busen. Wie geht es Dir?", frage ich ihn stattdessen.

"Ach, geht so. Kannst Du etwas herunterkommen, ja? Dann können wir auf Augenhöhe miteinander sprechen."

"Ja, klar.", sage ich und setze mich hin, während der Mund spricht ...und spricht ...und spricht.

"Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber mir kannst Du es sagen. Ich höre Dir zu."

"Das ist nett von Dir, Kumpel."

"Kein Problem. Dafür bin ich ja da."

"Danke. Also, es ist so. Ich weiß auch nicht, warum ich immer Probleme bereite. Ich will doch einfach nur meine Dinge machen. In Ruhe."

"Das verstehe ich nur zu gut."

"Alle beurteilen mich nach dem Mund. Aber mit dem Mund pflege ich nur eine lose Verbindung."

"Wie oft tut man Dir weh."

"Oft."

"Nimmt man Dich nicht ernst?"

"Es ist alles schon sehr kompliziert. Aber eigentlich ist alles ganz einfach. Es fing damals in der Schule an."

Und dann erzählte mir der Busen seine Leidensgeschichte, und ich nickte, und ich versuchte, ihn mit besänftigen Blicken aufzubauen und versicherte ihm, seine Geschichte vertraulich zu behandeln und dem Mund nichts zu sagen.

"Das ist schlimm.", sagte ich ihm, als er nach 5 Minuten verstummte. Wir schwiegen.

Dann, nach weiteren 5 Minuten, sagte ich:

"Weißt Du. Ich schaue Dich meistens gar nicht an. Ich habe Dich eigentlich immer übersehen. Ich schaue mir das Gesicht an, doch der Mund, der redet und redet und redet.
Aber der redet nicht mit mir. Der redet mit sich. Und der redet mit anderen Mündern. Und die reden dann auch. Und reden mag ich auch nicht so gerne. Ich will auch nur meine Ruhe haben.
Ich will mich auch nicht immer ständig rechtfertigen müssen. Eigentlich will ich nur in Ruhe meine Autos gucken.
Und Du willst nur in Ruhe Deine Dinge machen. Mußt Dich aber immer dafür rechtfertigen. Ich verstehe Dich nur zu gut.
Ich habe auch keine Lösung für Dein Problem. Ich will auch gar nicht mehr sprechen."

"Ich spreche auch nicht gerne über meine Probleme.", sagt der Busen noch leise. "Aber danke, daß Du mir zugehört hast, Kumpel."

"Ich habe zu danken. Man wächst über sich hinaus, wenn man sich einfach nur zuhört. Dann traut man sich, auch wieder was zu sagen.
Und dann ist auch gut. Und dann braucht man auch nicht mehr über uns reden. Uns kleinen Leuten. Laß die anderen reden: Münder, die über Münder reden.
Sollen die ruhig reden. Und wir hören uns nur selber zu."

"Ja.", sagt der Busen noch, bevor wir uns verabschieden. "'Wir müssen reden' sagen immer nur die, die immer reden müssen, weil die einen Mund haben...

...aber keine Ohren."

"Kenne ich. Das sind dieselben, die immer schreiben, aber immer nur gelesen werden wollen. Zugeben, daß sie lesen, tun sie nicht. Deshalb schreibe ich's mir hinter die Ohren. Um es nicht zu vergessen. Ich höre auf meine Ohren."

"Kein Wunder,", sagt der Busen noch hinterher, seinem redenden und redenden und redenden Mund folgend, "daß wir keine Lust mehr haben, mit anderen zu sprechen. Wir bleiben still. Du hältst still, ich halte still. Aber, das ist gut. Dann haben wir drei endlich unsere Ruhe. Tschüss, war schön. Und mach's gut."

"Mach's besser Kumpel. War schön mit Dir.", rief ich noch nach, ihm viel Glück wünschend. Er bog um die Ecke.

Und dann schaute ich ihn nie wieder an.

Niemand soll den Verdacht äußern, wir hätten miteinander gesprochen. Das bleibt unser Geheimnis.

Warum wir dann unsere Ruhe haben:



Wir Kleinen halten zusammen.







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