"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Mittwoch, 21. Februar 2018

Die Namenlosen – Du erzählst nichts über Dich, also habe ich auch nichts von Dir zu erzählen


Wie traurig das ist. Es gibt sie immer noch, die Antiquierten.

Meine Augen scrollen an Teaser-Texten vorbei.

„Du! Du! Du!“ steht da geschrieben. Da steht: „Du bist das, Du biest dies, Du bist des!“

Und zeigen mit dem Finger auf einen. Stochernd. Nochmal folgt: „Du! Du! Du!“

Noch immer erzählen sie nichts von sich. Nur immer von anderen. Von denen lese ich nichts, die kaufe ich nicht, von denen habe ich nie gehört, denke ich.

Ist so, wie ein Nachbar im Hausflur, der sich vor einen stellt und immer stochernd mit dem Finger auf einen zeigt: „Du! Du! Du!“, sagt sie dann oder er.

Traurige Gestalten, denke ich dann. Traurige, antiquierte Gestalten.

„Du erzählst nichts über Dich, dann habe ich Dir auch nichts zu erzählen.“


Ich stelle mir Leute, die schreiben, immer als Nachbarn vor, denen man im Hausflur begegnet. Sie wollen einem was erzählen. Aber statt zu erzählen, sagen sie dann nur: „Du! Du! Du!“

Manchmal denke ich, es sind nur Stufen von Treppen. Die kann man auch mit „Du! Du! Du!“ ansprechen. Man steigt einfach über sie hinweg.

Wie gut, daß ich nette Nachbarn habe. Die meisten kenne ich beim Namen. Sie erzählen von sich und ich erzähle von mir. Die neuhinzugezogenen Du-Du-Du-Nachbarn verwesen derweil in ihren Wohnungen. Nach vier Wochen, wenn der Gestank unerträglich wird, ruft man dann die Feuerwehr. Namenlos wird der Sarg aus der Wohnung getragen.

Kofi tanzt.

Kofi hält sein Radio ans Ohr und tanzt.

„Kofi, alles gut?“, lächele ich ihn auf dem Laubengang an und schwinge die Hüfte. „Haha. Ja, alles gut.“

Kofi hat mir mehr zu erzählen als alle eloquenten Verstummten.

Und Kofi spricht besser Deutsch.

Woher Kofi kam?

Er war einfach da.

Eine andere, ganz liebe Nachbarin traf ich an der Bushaltestelle und dann noch mit ihrem Hund vor der Apotheke. Sie wünschte mir einen schönen Tag. Aber vorher fragte sie noch, wie es mir geht und sie meinte das auch so. So, wie ich Kofi frage: „Kofi, alles gut?“ Und es ist mir wirklich wichtig. Und er fragt mich auch, wenn wir uns auf der Straße treffen. Er sagt meinen Namen und dann fragt er:

„Alles gut?“

Wir haben uns mehr zu erzählen, als wären wir Nachbarn, die nur „Du! Du! Du!“-Nachbarn wären. 

Deren Namen kenne ich nicht. Ich denke nur, hoffentlich ruft ein anderer die Feuerwehr, wenn sie in ihrer „Du! Du! Du!“-Wohnung verwesen. Kofi nickt. Keiner kennt ihre Namen.





*



 (Ode/r an „Wenn ich Dich nicht kenne, kennt Dich keiner.“


Altes Nachbar-Sprichwort.)




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