Stellung in der Nahrungskette: Allesfresser.
Dies
ist natürlich der Grund, warum ich als einziger Leser meiner Geschichten auf
meine eigenen Geschichten klicke und sie lese. Wegen dem Eichhörnchen. Und da ich mich schon mal ausgetrickst habe
und meine eigene Seite als einziger Leser angeklickt habe – und man liest ja immer alleine und als einziger –, trickse ich
mich weiter aus und erzähle von einer anderen
Geschichte. Auch wenn meine Geschichten keine billigen Tricks brauchen, damit
ich sie als einziger lese. So dumm bin ich auch wieder nicht, daß ich es hier
nötig hätte, ein Bild von einer wunderhübschen Frau einzufügen, um mich
auszutricksen, um auf meine eigenen Geschichten zu klicken, die ich als
einziger lese, um sie dann zu lesen. Vorsorglich tue ich es doch:
Catch-Bild
der schönsten Frau der Welt, damit ich wenigstens bis hier hin lese.
So.
Jetzt bin ich genug angefixt.
Der
Rest ist weniger schön. Ich erinnere mich daran, hoch zum Eichhörnchen (Sciurus Vulgaris) zu
scrollen, wenn ich keine Lust mehr habe, Folgendes – Unschönes – zu lesen. Ich lese es märchenhaft ungern, aber ich
denke mir, es muß auch mal wieder was Unschönes geben. Und dieses Unschöne kommt mir gerade gelegen. Danach nur wieder Eichhörnchen. Aber selbst Eichhörnchen scheinen ja Raubtiere zu sein. Also suche ich danach nach etwas Verdaulicherem. Danach halte ich einfach Schlaf. Es gibt nichts Schöneres als sonntags Bubu zu machen. Aber erst danach. Träume sollen uns ja reinigen:
Es wurde dunkel. Lor
naschte am Schlaf in kleinen Happen. Sie verdaute den letzten. Dann wachte sie
auf. Sie standen am Rand des Horizontes. Ein einsames, hellerleuchtetes Haus
verband Land mit Meer und Himmel. Große Fenster verliefen sich in den Wellen.
„Wie
viele es sind…“, wunderte sie sich. Bunte Lichter flackerten hinter
durchsichtigen Vorhängen, Stimmen und Gelächter. Angenehme Aromen. Leben in
dreiviertel Vorgängen:
Nichts Halbes, nichts Ganzes.
Ausschnitte
von Gefühlen. In einem Zimmer war es das Geräusch, das zwei Hände machten,
während sie kraftlos nach unten sanken. Wegen der Zurückweisung, die sie
erfuhren, unbemerkt vom Verursacher und trotzend. Dem Gefühl, sich den
verletzten Stolz anmerken zu lassen. Und im Nachwippen der Bewegung doch noch
immer hoffend. Verstellte Blicke. Lor
zog es zum nächsten Fenster. Dort war es ein Becher, der sich auf ein Möbel
pochte. Ein Verzehren kündete von einem Leben über einer Stuhllehne. Im Hängen
von Hosen und Bluse. Ein kräftiger Handrücken geknickt durch den Griff, dem
Festhalten an den Streben. Währenddessen die zweite Faust in der Hosentasche
sich nach Ruhe sehnte, aber so nur den Stuhl zum Beben brachte. Durch das
Zittern. Das feste Faustballen. Erleuchtet durch Lüster im Nacken. Ein Damenarm
streckte sich bald aus der Seite. Ein gehauchter Kuß von blutroten Lippen
geschickt, um zu stören, zog an den Lüsterflammen wie an frechen Kinderzöpfen
und riß sie aus dem Schutz des Dochtes. Erloschene Blicke.
Ein
Vorhang weiter wehte leise im Wind des offenen Fensters. Lor rückte vor. Hoch zu Roß.
Unbeachtet. In diesem Zimmer lag eine Frau auf dem Bett. Eine Leuchte in
der oberen Ecke. Ihr Haar wog wie taufrisches Gras und ihre Haut glich einem
prächtigen Kornfeld. Kornblumenblau ihre Augen, doch es fehlte ihr der Blick
und die Ohren konnten nicht hören. Das Braun füllte das Zimmer. Eine verborgene
Tür öffnete sich jetzt und ein hagerer Mann trat ein. Er trug einen Anzug aus
verdorrtem Gras. Schnell kam er heran, gewohnte Bewegungen, holte aus seiner
Börse eine goldene Münze, preßte der Kornährenfrau mit einer Hand den Mund
auseinander – wie man es mit Fischen tat, um den Köder zu entnehmen, nur
umgekehrt – und schob ihr sodann mit der anderen, schon zittrigeren die
Münze tief in den Rachen. Gehorsam spreizte die Frau die Beine. Nackte Erde
lugte aus dem Kornfeld hervor, als formten sie anstatt der lautlosen Lippen
einen Schrei. Nur aus diesem Mund. Der Mann beugte sich vor. Dann grub er sich
hinein. In gleichem Maße wie ihr grünes Haar an Sattheit verLor und die Ähren sich bogen, so saugten
sich seine dorren Grashalme mit neuem Leben voll. Das Grün füllte das Zimmer.
Lor
wandte sich ab. Stumm ritt sie entlang der Häuserwand. Ab und zu blickte sie in
eines dieser Fenster des Hauses der Tausend Augenblicke. Begegnete ihr
überall das gleiche Treiben. Die gleichen Betten, die gleichen Stafetten. Ihr
Blick weilte jeweils nicht lange in den Augenblicken der Begierde. Zierde, wo
Brauen lupften, Schmetterlingsküsse, wo Wimpern flatterten. Ungenutzte
Vorwürfe. Verschlug es den Atem beim Wegsehen, beim Untersehen. Erregen. Bei
dieser Gelegenheit:
Lor
kam ans Ende der Häuserfront, im Wasser die Hufe, dann bis zu den Knien, den
Füßen, Lors Füßen, und schaute auch
in dieses letzte Fenster hinein. Das Licht war nicht so strahlend wie das, was
aus den anderen drang, eher düster, und es fröstelte ihr des Wassers wegen. Die
Schleppe tänzelte in den Wogen. Von den Sternen und dem Mond bewegt, nicht um
zu verharren, um zu bewegen, nicht um zu verhärten, um zu bewegen, nicht um zu
begegnen, um zu beharren: Bewegt zu sein auf dem Meer, wo man nicht mit den Füßen
stehen konnte, sondern jemanden brauchte, der einen trug – im Wiegen und der
Bewegung. Das Gewicht des Lebens lag nicht auf dem Rücken eines Pferdes. Auf
dem Sattel. Der trug. Solange man saß. Fest genug darin saß. Nicht zu fest, um
nicht herauszurutschen.
Der
Vorhang war schwer und staubig und ließ nur wenig erahnen, was hinter ihm vor
sich ging. Langsam schob sie ihn beiseite. Im flackernden Licht sah sie… Noiset… auf dem Bett liegen. Im blauen
Kleide. Ein Rosenmuster. Arme und Beine verschränkt. Augen und Ohren verteilt
daneben. Aber eine gewisse Ordnung umspielend. Die Tür öffnete sich. Der
Durchzug blies die Kerzen aus. Im Türspalt atmete eine Gestalt im Kleid. Licht
vom Flur erleuchtete die Kammer. Im Gegenlicht fuhr sich die Gestalt durch die
Haare. Flüchtig schloß sie die Tür, nahm den Umweg an den Lüsterschwaden in
Kauf und stahl sich an Lors Blicken
vorbei zum Bett. Dort atmete sie wieder auf. Im Schein, den die Sterne
hereinließen. Und die sich anstatt der Rosen auf das Kleide niederlegten. Hob Noiset nun die Beine zur Decke. Spreizte
und forderte. Fuchtelten sich schwitzige Finger durch den Rock und befreiten
eine Stelle am Leibe. Kaltes Eisen zwinkerte in seltsamen Umrissen. Aufstöhnen.
Rammte den Stab in den Schoß, dabei den Kopf in den Nacken und gehorsames
Lispeln auf den Lippen. Und tiefer. Und zurück. Und fester! Und zurück. Und
von allen Regeln befreit! Und zurück. Und
wieder! Und… zurück. Noisets Füße
klatschten dabei gegen die Wand im Hintergrund, so stark, daß das Haus in
seinen Grundfesten erschütterte. Und
nochmal! Und zurück. Und Keuchen!
Und zurück. Und Klappern! Und…
zurück. Die Tür sprang aus der Zarge – die Zeit verabschiedete sich von der
verabredeten Kunde, 137 Sekunden –, dann bestrafte das Licht aus dem Flur
mit dem Blick der Offenbarung und forderte Entrüstung von den Beteiligten: In
seiner Kutte beugte sich die Gestalt über Noisets
Schoß, in der Hand, in der einen ein silbernes Kruzifix, in der anderen
den Kopf am blonden Schopf, der aus dem Spalt ragte – und stieß das Kreuz in
den Mund, tiefer!, bis aus den Mundwinkeln Blut quoll, und zurück!, bis endlich das Wimmern einsetzte.
Vor
Schreck riß Lor den Vorhang aus der
Verankerung. Noisets Mund war zum
Schrei geöffnet, doch blieb stumm, weil die Zunge fehlte, um über ihr Schicksal
zu urteilen. Aus den leeren Augenhöhlen flossen Tränen und vermischten sich mit
dem Rot des Schmerzes, und der Kopfgeburt
weiter unten zu einer trüben Pfütze auf dem Laken. Getrampel. Umhergerenne.
Flurspaltbegegnungen. Der Glauber
Mondrian fuhr herum, ungläubig, zwei Monde rangen um die Richtung am Hals –
ein Mond ganz dunkel, einer hell – und zersprangen am Druck der Glieder,
schleuderte sie zum Fenster und trafen Lor
hart im Anteilnehmen, dann im Gesicht. Mondrian
winkte ab. Versicherte, nichts Unrechtes getan zu haben, bettelte um Glauben,
dann streckte der Glauber seine Hand nach ihr aus. Milde lächelnd. Trat ihr
gegenüber. Lor faßte sich an die
Stirn. Die Narbe war aufgerissen. Blut. Er bekam ihren Arm zu fassen.
Irgendwie. Der Schauer weckte sie wach. Sie wich zurück. Untröstlich. Löste
sich aus der Umarmung. Doch noch gehorchte Flocke
nicht. Mondrian schien Arme wie
Tentakel zu haben und lehnte sich aus dem Fenster. Er flehte Lor an, zu ihm zurückzukommen. Wollte
nicht. Drückte sich und Flocke von
der Hausseite weg. Er streckte sich. Bekam sie am Fuß zu fassen und ließ nicht
locker. Im Hintergrund rumpelte die Kammer. Ein Schrank oder ein Kasten
trommelte gegen die Wand und röchelte nach Aufmerksamkeit. Nach und nach
erschienen an den Fenstern Gestalten. Vom Lärm betrogen. Immer mehr tauchten
auf. Auch sie streckten ihre Hände aus. Lor
erstickte an den Verlangern. Fuhren die Fenster heran in der Hoffnung ein Stück
des Begehrens abzubekommen. Sie schrie auf. Der eine Fuß in der Klemme, blieb
noch der mit dem angeknacksten Knöchel. Nahm jetzt alle Kraft zusammen und den
Mut, den es erforderte angesichts des Schmerzes, der auf sie wartete – dann
trat sie Flocke so fest sie konnte in
die Flanke. Und fester! Und nochmal! Und
wieder! Und – Mondrian entglitt der Fuß – Flocke stieg auf, fuhr
herum und ließ endlich die Hufe fliegen.
Endlich fliegen.
*
Kühle. Wärmende Kühle. Wiederkehrend. Berührend. Nur durch
die Nähe verspürend, nicht begehrend. Atmen. Wiederkehrend. Durch den
Hauch – beneidetes Berühren. Wegen der Nähe. Wahrscheinlich.
Wahrscheinlich das einzige Fühlen, das ohne Fühlen vor sich ging. Kühle.
Wärmende Kühle. Gedankenblasend. Und unangenehm. Angenehm. Und
unangenehm. Sowohl dem Hauchspender, als dem Angehachten. Ins Gesicht
gespritzte Küsse bedankten sich für die Nähe. Und das Zehren. Das Kitzeln
aufgestellter Strähnen. Haare, die sich im Hauch hoben, im Warten auf den
nächsten störten, wo sie sich niederlegten. Kühle. Wärmende Kühle. In der
verdammten Hitze.
*
(Ode/r aus dem Unschönen heraus. Ein
Märchen sollte immer unschön sein: Am Anfang unschön sein, in der Mitte unschön
sein und das Ende sollte immer das Ende sein, um sich wieder dem Schönen zu
widmen. Manche Märchen enden nie.
Jetzt Eichhörnchen. Nochmal Eichhörnchen zur Sicherheit. Dann Bubu machen.)
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