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Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Freitag, 13. September 2024

Sie wissen nicht, wie es ist. Sie wissen nicht, wie Liebe ist.

 

Ein hübsches Mädchen auf einer Decke, in der Stadt, in der Fußgängerzone, am Rande, Passanten.



Die gehen bestimmt in ein Museum.


Wenn man sich langweilen will, geht man in ein Museum. Wenn man sich "super wichtich" langweilen will, geht man in ein deutsches.

Aber ich - ich langweile mich schon beim Gedanken daran - will lieber über das hübsche Mädchen sprechen in meinen Selbstgesprächen, die mich gesunden sollen, das auf einer Decke in der Fußgängerzone saß und so guckte, als wollte sie mitgenommen werden, über die ich schon mal geschrieben habe, als ich hier noch von Gedanken sprach. "Hier bin ich. Mach was. Nimm mich mit. Egal, wohin." Egal wohin.

Egal wohin. Bestimmt nicht in ein Museum. Sage ich. Die will bestimmt nicht in ein Museum mitgenommen werden. Ich gehe mal zurück, löse mich von der Stadtführung, zu der ich gezwungen wurde, fällt gar nicht auf, zwei, drei Schritte langsamer - und schon bin ich wieder Teil der Stadt. Ich stehe jetzt vor dem hübschen Mädchen auf der Decke, schaue sie an, und als ich schon dachte, ich bekäme keine Antwort - ich hatte wohl etwas gesagt -, sagt sie: "Sie wissen nicht, wie es ist. Sie wissen nicht, wie Liebe ist."

Und natürlich könnte man jetzt glauben, das hübsche Mädchen wäre gar nicht hübsch, das schriebe ich nur, damit es schöner in der Erinnerung klingt und ich schriebe nur, daß sie hübsch ist, damit jeder sagen könne, bei einem häßlichen Mädchen hätte ich mich nicht zu ihr jetzt herabgebeugt, hätte ihr nicht ihre Strähne aus der Seite gestreichelt, hätte ihr nicht zugeflüstert, sie könne mit zu mir kommen, ich habe Essen, ich habe eine Dusche, ich habe ein Bett, ich habe ein Bett, ich habe einen Tag und ich habe eine Nacht, und ich habe einen Abend und einen nächsten und einen nächsten und an einem dieser Abende bestimmst Du, mit mir zu schlafen. 

Sie war aber wirklich hübsch.

So hübsch, daß sie ihren Weg bestimmen könnte, ihre Tage, ihre Nächte, ihre Abende. Hätte sie keine Jacke gehabt, war sie so hübsch, daß man ihr eine olivgrüne geliehen hätte, man hätte ihr ein Lächeln geliehen, sähe sie einen Mann mit langem Bart, hätte sie ihm ihr Lächeln geliehen, hätte ihr Schritte geliehen, auf dem Weg zu irgendeinem Museum, dem langbärtigen Mann Schritte zu seinem Bus geliehen, wäre nicht mehr hübsch erschienen auf ihren geliehenen Füßen, wäre gutaussehend geblieben. Das Hübsche bewahren, das Gutaussehende verwahren, saß das Mädchen auf der Decke in meiner Stadt.

"Egal wohin ist kein Ort den ich kenne.", sage ich ihr. "Bestimmt nicht in ein Museum. Da gehen Pärchen hin, die nichts füreinander empfinden, um dort im Museum etwas zu finden, was sie beinander nicht suchen." 

Und natürlich rede ich nicht so. Aber für das hübsche Mädchen auf der Decke klang es so, als redete ich so, also redete ich so, damit es für das hübsche Mädchen so klang. Damit es nicht so klang, daß ich sie mit nach Hause nehmen wollte, was nicht mein Zuhause ist, nur ein Ort, den ich kenne, holte ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche, und damit es nicht so klang für die Fußgängerzone, ich wollte das hübsche Mädchen dafür bezahlen, mit mir den Ort aufzusuchen, den sie sich vorstellte, steckte ich die Geldbörse wieder ein. 

Ich könnte nicht behaupten, sie sage viel, nur diesen einen Satz. Und den zweiten. Und während ich mich dann doch noch fragte, wie sie da hin kam, wie ein so hübsches Mädchen in die Fußgängerzone auf eine Decke kam, die zu dünn war, um bequem zu sein, und wie sie sie entfaltete vor Heizkörperrippenaugen, die Menschen haben in Bewegung, wenn sie  das Gefrorene ihrer Anliegen in einer Stadt der Blinden mit der Absicht verfolgen, Wärme nur mit sich zu tauschen, heizten sich ihre Körper an Genehmem auf, oder zu ihrem Vorteil, fragte ich mich selbst, wie ich vor das hübsche Mädchen auf der Decke kam, wie ich da stand, wie ich mich herabbeugte im Mute der Gedanken, was wäre wenn, ich ihre Strähne streichelte und sie ins Bequeme mitnähme, wenn es bequem für mich wäre, aber unbedeutsam für sie. Und vielleicht hätte ich mich nicht von der Stadtführung trennen sollen, vielleicht hätte ich mich setzen sollen zu dem Mädchen auf der Decke und vielleicht hätte ich mich zu Obdachlosen in der Stadt setzen sollen, was ich schon zweimal in meiner Stadt tat, oder auch nicht, neige ich doch immer dazu "nein" zu sagen, will ich doch nicht zur Last fallen. Und vielleicht wiederholte das hübsche Mädchen auf der Decke diesen einen Satz, und den zweiten, "Sie wissen nicht, wie es ist. Sie wissen nicht, wie Liebe ist.", 


und ich sage "Nein."



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