"Hallo" ist das Pfandleihhaus des "Aufwiedersehn"...



Miniaturen des Absurden

Betrete mit der Miene der Abfälligkeit und erhalte Einlaß

Vom Jardin du Luxembourg zum Panthéon brauchte es schon mehr als platonisches Innehalten, um sich Gehör für Gesehenes zu verschaffen. Da...

Sonntag, 20. Juli 2014

Blockbuster


Die Credits. Das war’s. Das war es ihm wert.

Dafür nahm er die Strapazen in Kauf. All die kalten Nächte an den Sets. All die dünnen Kaffees in Pappbechern. Drei Monate vor dem Shooting ging er ins gym. Er nahm wieder Sprechunterricht. Die Action-Choreographie übte er zu Hause in den Hills. Dann zwei Wochen Probe. Der director galt als schwierig.

Die erste Klappe. Trat aus einem Fahrstuhl. Mußte nur gucken. Cut. Wiederholte die Szene sieben Mal. Dann im Kasten.

Dafür nahm er all die Warterei in Kauf. All die kichernden Starlets. Die Komparsen, die ein autograph haben wollten. Die Paparazzi. Die schlechten Blogs. Ließ sich eine exakte Kopie des Filmautos bauen. Stellte es zuhause in die Einfahrt und übte darin seine Dialoge. Einen Monat vorher hörte er auf, zu trinken. Zwei Wochen später war er sober.

Die 26. Klappe. Im restaurant. Saß am Tresen und bezahlte seinen Drink. Gucken. Aufstehen. Zahlen. Cut. Wiederholte die Szene fünf Mal. Dann im Kasten.

Dafür nahm er seine gescheiterten Beziehungen in Kauf. Seine Tochter, die er nie sah. Die miesen treatments. Die Lügen seines Agenten. Bogus Hollywood. Schlechten Sex. Nahm die maßgeschneiderten Filmanzüge mit nach Hause. Schlief darin, weil er sich diese bestimmte Haltung auch im Einschlafen aneignen wollte. Die Drogen setzte er vier Tage vor dem Shooting ab. Einen Tag vorher war er clean.

Die letzte Klappe. Im Bett. Arm hinterm Kopf verschränkt, zog an einer Zigarette. Co-Star im negligée stand im Badezimmer. Mit dem Rücken zur Szene. Einer ihrer Arme umarmte sie. Der andere stützte sich an dem anderen ab. Rauchte. Besah sich im Spiegel. Das Licht des Badezimmers spuckte schmales Licht auf das Bett. Cut.

Beim ersten Mal im Kasten.

Blockbuster.

Die Credits. Das war’s. Das war es ihm wert.




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Samstag, 19. Juli 2014

Eiswürfel


Monte Argentario liegt hinter mir, der Strand darunter öffnet sich wie eine Handtasche von LV, deren Inhalt kaum für Läßlichkeiten am Nachmittag reichen. Fiona Apple singt ihr Fast as You Can, die Klimaautomatik bläst dagegen. Die Sonne schleudert ihre Strahlen, 32°. Das Cabrio wirft sein Verdeck in den Nacken, ich tue es ihm gleich. Sonnenbrille, offene Haare, meine Wasserwaagenaugen passen sich dem Gefälle an, das mich zu der Bucht bringt. 35 Jahre, Consulting-Expertin in der Medienbranche, kaum Kinderwunsch, On/Off-Beziehung, One-Night-Stands mit jüngeren – mehr als daß ich Klischees entspreche muß man nicht über mich nicht wissen.

Ich stelle den Jeep Wrangler am Straßenrand ab, setze den Sonnenhut auf, verlasse ihn, wie meinen Ex-Freund, von dem ich weiß, daß ich ihn wieder dort auffinde, wo ich in abgestellt habe – wäre er weg, wenn ich zurückkomme, Auto wie Freund, so hätte ich wirklich Probleme –, Knirschen meiner Sandalen wechselt zu Sanddumpf. Der kleine Pfad führt mich an den Strand. Zum Glück bin ich allein.

Gonna try… Mein iPhone ärgert mich mit Try and Love Again von den Eagles.

Die pfirsichrote Strandtasche gebärt ein quengelndes Badehandtuch. Ich breite es aus. Lege mein dünnes Sommerkleid ab, darunter kommt der weiße Bikini zum Vorschein, darunter der Körper einer Frau, der man ansieht, daß sie mal schön war, wie auch das Gesicht, aber durch die Jahre die Aura der Jugend verloren hat. Der Sand ist heiß. Ich lege mich hin. Ohne mich vorher im Meer abgekühlt zu haben. Ich wünsche mir einen Eiswürfel herbei.

Ich spiele mit meinem Smartphone, spiele mit der Kamera, nehme im Liegen meine angehockten Oberschenkel auf, Meer und Facebook im Hintergrund. Surfe mir den Eiswürfel herbei: „Am häufigsten werden Eiswürfel zum Kühlen von Nahrungsmitteln verwendet. Fisch, Fleisch und andere leichtverderbliche Waren werden mit Eiswürfeln auf ihrem meist langen Transportweg frisch gehalten.“, sagt Wikipedia. Fühle mich wie eine leicht verderbliche Ware.

Und wenn ich selbst ein Eiswürfel wäre? Schweißtropfen rinnen meinem Bauch herunter. Würde ich jetzt ins Meer gehen und mich dort auflösen.

Ich entlasse den Gedanken und schwitze in der Sonnenhitze am Strand weiter.

Ich mache ein Selfie. Lächle. Nach einer Stunde ohne ins Meer gesprungen zu sein stehe ich auf und packe meine Sachen. Den Wagen finde ich oben am Abhang wieder. Wie immer. Ich starte den Motor. Schreibe eine Whatsapp. Bevor ich nach Poggio Pertuso weiterfahre, schaue ich mir noch die Bilder an, die ich geschossen habe. Die Bucht. Der Strand. Die Oberschenkel.

Auf dem gelben Badehandtuch liegen flach und strahlend weiß Bikini-Ober- und Unterteil im gebührenden Abstand zueinander. Eine Pfütze aus geschmolzenem Wasser ahmt Konturen nach. Von mir ist nichts zu sehen.

Ich schaue in den Rückspiegel. Ich weiß nicht, ob ich lächeln oder weinen soll. Wasser für Tränen habe ich nicht mehr.


Also das andere.







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